Aktenzeichen 22 ZB 17.1949
Leitsatz
1 Ist ein Gewerbetreibender auch in Bezug auf ein derzeit nicht ausgeübtes Gewerbe oder eine Tätigkeit im Sinne des § 35 Abs. 1 S. 2 GewO unzuverlässig und ist die Untersagung hinsichtlich dieser Betätigung erforderlich, so ist eine Ermessensentscheidung, die von der Möglichkeit der erweiterten Gewerbeuntersagung Gebrauch macht, nicht rechtswidrig, wenn der Verwaltungsentscheidung zumindest konkludent die maßgebliche Erwägung entnommen werden kann, die anderweitige Gewerbeausübung sei so wahrscheinlich, dass sich die Untersagung auch darauf erstrecken soll (Anschluss an BVerwG BeckRS 2015, 48135). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Einräumung von Ermessen im Falle einer gewerbeübergreifenden Unzuverlässigkeit beschränkt sich auf die Frage, ob bei Untersagung der derzeitigen Gewerbeausübung bereits eine Erstreckung auf mögliche künftige Tätigkeiten erfolgen soll. Falls in einem solchen Fall von der erweiterten Gewerbeuntersagung abgesehen wird, so muss gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 GewO eine Gewerbeuntersagung zwingend jedenfalls dann ausgesprochen werden, wenn die betreffende Tätigkeit zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich aufgenommen wird. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3 Ist ein Gewerbetreibender gewerbeübergreifend unzuverlässig und ist die Untersagung zur Gefahrenabwehr erforderlich, so ist eine erweiterte Gewerbeuntersagung auch im Hinblick auf Art. 12 GG in aller Regel rechtmäßig. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
Au 5 K 17.909 2017-08-31 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 20.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich gegen die durch Bescheid des Landratsamtes Neu-Ulm vom 16. Mai 2017 verfügte Untersagung der selbständigen Ausübung des Gewerbes „Raumausstatter“, jeglicher weiteren selbständigen gewerblichen Tätigkeit, „soweit diese unter § 35 Abs. 1 GewO fällt“ (Nr. 1 des Bescheids), sowie der Ausübung der Tätigkeiten als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden und als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person (Nr. 2 des Bescheids).
Der Beklagte stützte die Annahme einer gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit des Klägers im Sinne von § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO darauf, dass dieser seinen Zahlungsverpflichtungen nicht oder nicht ordnungsgemäß nachkomme. Sein Zahlungsverhalten offenbare zudem einen mangelnden Leistungswillen. Im laufenden Untersagungsverfahren seien Rückstände beim Finanzamt weiter angestiegen. Die fehlenden Jahressteuererklärungen für die Jahre 2014 bis 2016 habe der Kläger bis heute nicht dort abgegeben und keine freiwilligen Teilzahlungen zur Begleichung der Steuerrückstände geleistet. Seiner Verpflichtung als Arbeitgeber, Sozialversicherungsbeiträge für seine Arbeitnehmer an die zuständige Berufsgenossenschaft und an eine Krankenkasse abzuführen, komme der Kläger nicht bzw. nicht rechtzeitig nach. Dass sich der Kläger in ungeordneten Vermögensverhältnissen befinde, ergebe sich aus mehrfachen Eintragungen im Schuldnerverzeichnis über den Ausschluss einer Gläubigerbefriedigung. Seit wenigstens April 2015 verstoße der Kläger gegen seine steuerlichen Mitwirkungs- und Zahlungsverpflichtungen. Die Sozialversicherungsträger sowie die Berufsgenossenschaft hätten aufgrund seines Verhaltens seit geraumer Zeit zunehmende Rückstände an Beiträgen zu tragen. Jede dieser Pflichtverletzungen sei nicht an ein bestimmtes Gewerbe gekoppelt. Zudem halte der Kläger trotz erheblicher finanzieller Probleme über einen erheblichen Zeitraum weiter an seiner jetzigen gewerblichen Tätigkeit fest. Dadurch habe er seinen Willen bekundet, dass er sich auf jeden Fall in irgendeiner Weise gewerblich betätigen wolle. Im Rahmen der Entscheidung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO über den Erlass einer erweiterten Gewerbeuntersagung komme das Landratsamt nach pflichtgemäßer Ermessensausübung zu dem Ergebnis, dass den schutzwürdigen Belangen der Allgemeinheit hier nur durch eine Untersagung in dem zuvor bezeichneten Umfang Rechnung getragen werden könne. Ein milderes Mittel scheide aus. Das Interesse des Klägers als Gewerbetreibender an der Ausübung einer von der Gewerbeuntersagung umfassten Tätigkeit müsse hinter dem Schutzbedürfnis der Allgemeinheit zurücktreten.
Der Kläger erhob gegen diesen Bescheid Klage, die das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg mit Urteil vom 31. August 2017 abwies.
Hiergegen richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, da sich aus den Darlegungen in der Antragsbegründung des Klägers vom 9. November 2017 (vgl. zur deren Maßgeblichkeit § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) nicht ergibt, dass die Voraussetzungen des geltend gemachten Zulassungsgrundes ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) vorliegen.
Das Verwaltungsgericht ist in der angefochtenen Entscheidung zur Beurteilung gelangt, dass die Untersagung des vom Kläger ausgeübten Gewerbes „Raumausstatter“ gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO rechtmäßig sei, weil sich der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses als gewerberechtlich unzuverlässig erwiesen habe. Die erheblichen Steuerschulden, Rückstande an Beitragsleistungen und die mangelnde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Klägers sowie seine Handhabung des Gewerbebetriebs würden deutlich zeigen, dass er nicht die Gewähr dafür biete, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreiben werde (Urteilsabdruck – UA S. 10, Nr. 1. d). Die hier zum Zeitpunkt der Gewerbeuntersagung vorliegenden Steuerschulden und Zahlungsrückstände bei Sozialversicherungsträgern würden die Annahme einer gewerbeübergreifendenden Unzuverlässigkeit des Klägers rechtfertigen (UA S. 11, Nr. 2. a), d.h. auch hinsichtlich der Tätigkeiten, welche von der erweiterten Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO erfasst werden. Weiter sei bei der erweiterten Untersagungsverfügung ermessensfehlerfrei zur Begründung angeführt worden, dass den schutzwürdigen Belangen der Allgemeinheit nur durch eine Untersagung in dem bezeichneten Umfang Rechnung getragen werden könne (UA S. 12, Nr. 2. b).
Der Kläger wendet sich nicht gegen die Annahme einer gewerbeübergreifenden Unzuverlässigkeit, welche sowohl eine Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO, wie auch eine erweiterte Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO rechtfertigt. Vielmehr macht er geltend, dass die Verfügung der erweiterten Gewerbeuntersagung hier wegen mehrerer Umstände des Einzelfalls ermessensfehlerhaft sei. So handele es sich beim Großteil seiner Verbindlichkeiten um Sozialversicherungsbeiträge, deren unzutreffende Festsetzung ein Mitarbeiter zu verantworten habe, der den Kläger hintergangen habe. Der Kläger habe sich seit 1992 als zuverlässig bewährt. Durch eine erweiterte Gewerbeuntersagung würde sein erfolgversprechendes Bemühen vereitelt, Schulden zu regulieren und eine auskömmliche Einkommensbasis für die Zukunft zu schaffen, was auch dem Interesse sämtlicher Gläubiger zuwiderlaufen würde. Der Kläger habe keine realen Aussichten, eine unselbständige Beschäftigung als Angestellter zu finden. Die Tätigkeit als beispielsweise angestellter Fremdgeschäftsführer könne mit der eines selbständigen Gewerbetreibenden nicht gleichgesetzt werden. Die erweiterte Gewerbeuntersagung stehe vorliegend nicht mit Art. 12 GG in Einklang.
Diesen Darlegungen des Klägers kann nicht gefolgt werden. Ist ein Gewerbetreibender auch in Bezug auf ein derzeit nicht ausgeübtes Gewerbe oder eine Tätigkeit im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO unzuverlässig und ist die Untersagung hinsichtlich dieser Betätigung erforderlich, so ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. U.v. 15.4.2015 – 8 C 6/14 – juris Rn. 18; U.v. 2.2.1982 – 1 C 17/79 – juris Rn. 30) eine Ermessensentscheidung, die von der Möglichkeit der erweiterten Gewerbeuntersagung Gebrauch macht, nicht rechtswidrig, wenn der Verwaltungsentscheidung zumindest konkludent die maßgebliche Erwägung entnommen werden kann, die anderweitige Gewerbeausübung sei so wahrscheinlich, dass sich die Untersagung auch darauf erstrecken soll. Dies ist vorliegend der Fall. In den Gründen des Bescheides vom 16. Mai 2017 (dort S.9 unten) wird unter anderem ausgeführt, dass der Kläger trotz erheblicher finanzieller Probleme, die allein schon seine Unzuverlässigkeit begründen würden, über einen erheblichen Zeitraum weiter an seiner jetzigen gewerblichen Tätigkeit festhalte und er dadurch seinen Willen bekundet habe, dass er sich auf jeden Fall in irgendeiner Weise gewerblich betätigen wolle. Aus den klägerischen Darlegungen ergibt sich nicht, dass diese Einschätzung fehlerhaft sein könnte. Vielmehr macht der Kläger gerade geltend, dass er im Hinblick auf die Untersagung seiner derzeitigen Gewerbeausübung die Möglichkeit der Aufnahme einer anderen Tätigkeit im Sinne von § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO erforderlich wäre.
Die Einräumung von Ermessen im Falle einer gewerbeübergreifenden Unzuverlässigkeit beschränkt sich nach der vorgenannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf die Frage, ob bei Untersagung der derzeitigen Gewerbeausübung bereits eine Erstreckung auf mögliche künftige Tätigkeiten erfolgen soll. Falls in einem solchen Fall von der erweiterten Gewerbeuntersagung abgesehen wird, so muss gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO eine Gewerbeuntersagung zwingend jedenfalls dann ausgesprochen werden, wenn die betreffende Tätigkeit zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich aufgenommen wird. Ohne dass es hier entscheidungserheblich darauf ankäme, sei angemerkt, dass dem Ziel des Klägers, ihm zur Vermeidung eines Härtefalls als Ausweichmöglichkeit wenigstens die Aufnahme einer anderen Tätigkeit im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO zu ermöglichen, im Ergebnis nicht dadurch gedient wäre, dass diese Tätigkeit nicht schon jetzt, sondern erst im Zeitpunkt ihrer Aufnahme untersagt würde.
Ist ein Gewerbetreibender gewerbeübergreifend unzuverlässig und ist die Untersagung zur Gefahrenabwehr erforderlich, so ist eine erweiterte Gewerbeuntersagung auch im Hinblick auf Art. 12 GG in aller Regel rechtmäßig. Aus den Darlegungen des Klägers ergibt sich nicht, inwieweit ein ganz extremer Ausnahmefall vorliegen würde, in dem eine Untersagungsverfügung trotz gewerberechtlicher Unzuverlässigkeit und trotz Untersagungserforderlichkeit unverhältnismäßig sein könnte (vgl. BVerwG, U.v. 16.3.1982 – 1 C 124/80 – juris Rn. 24; BayVGH, B.v. 3.8.2015 – 22 ZB 15.1271 – Rn. 24 und 25). Er stellt vielmehr die wirtschaftlichen Folgen für sich und seine derzeitigen Gläubiger dar, die sich nicht von denen unterscheiden, die in den allermeisten Fällen einer erforderlichen erweiterten Gewerbeuntersagung auftreten. Auch kommt es für die Rechtmäßigkeit sowohl einer Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO wie auch einer erweiterten Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO nicht darauf an, ob erhebliche Zahlungsrückstände und eine mangelnde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, welche wie hier die Annahme der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit begründen, in Umständen wurzeln, hinsichtlich derer den Gewerbeausübenden ein Schuldvorwurf trifft.
Kosten: § 154 Abs. 2 VwGO.
Streitwert: §§ 47, 52 Abs. 1 GKG, Nrn. 54.2.1, 54.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.