Steuerrecht

Erweiterte Gewerbeuntersagung neben Widerruf einer Gaststättenerlaubnis

Aktenzeichen  RN 5 K 16.620

Datum:
16.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GastG GastG § 4 Abs. 1 Nr. 1, § 15 Abs. 2
GewO GewO § 35 Abs. 1 S. 1, S. 2, Abs. 6, Abs. 8

 

Leitsatz

§ 35 Abs. 8 GewO sperrt eine erweiterte Gewerbeuntersagung aufbauend auf den Widerruf einer Gaststättenerlaubnis nicht, da das GastG hierzu keine abschließende Regelung trifft. (Rn. 44 – 48)
2. Anschluss an VGH Kassel BeckRS 2000, 22666; entgegen OVG Münster BeckRS 2016, 105724; OVG Bautzen BeckRS 2015, 47846; VGH München BeckRS 2011, 56341; OVG Hamburg, Beschluss vom 05.04.2005 – 1 Bs 64/05. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist in Punkt II. vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

Die zulässige Anfechtungsklage hat keinen Erfolg. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.
1. Rechtsgrundlage des Widerrufs der gaststättenrechtlichen Erlaubnis der Klägerin vom 02.06.2005 (Nummer 1 des Bescheids) ist § 15 Abs. 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG. Danach ist eine gaststättenrechtliche Erlaubnis zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die die Versagung der Erlaubnis nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG rechtfertigen würden. Die Erlaubnis ist nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller die für den Gewerbebetrieb erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt.
Rechtsgrundlage für die ausgesprochene Gewerbeuntersagung (Nummer 3 des Bescheids) ist § 35 Abs. 1 S. 1 GewO. Wie der Widerruf der Gaststättenerlaubnis setzt die Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO voraus, dass Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden oder einer mit der Leitung des Gewerbebetriebes beauftragten Person in Bezug auf dieses Gewerbe dartun. Hinzu kommen muss, dass die Untersagung zum Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist.
a) Die in beiden Rechtsgrundlagen nötige, inhaltlich übereinstimmende (vgl. Erbs/Kohlhaas/Ambs GastG § 4 Rn. 3) gewerberechtliche bzw. gaststättenrechtliche Unzuverlässigkeit ist gegeben.
aa) Gewerberechtlich unzuverlässig ist nach ständiger Rechtsprechung und Literatur, wer keine Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe in Zukunft ordnungsgemäß ausüben wird (BVerwG, U.v. 19.03.1970 – I C 6.69 – DVBl. 1971, 277; Pielow, Gewerbeordnung 2013, § 35 Rn. 19). Nicht ordnungsgemäß ist die Gewerbeausübung durch eine Person, die nicht willens oder nicht in der Lage ist, die im öffentlichen Interesse zu fordernde einwandfreie Führung ihres Gewerbes zu gewährleisten. Erforderlich ist weder ein Verschulden im Sinne eines moralischen oder ethischen Vorwurfs, noch ein Charaktermangel. Die Unzuverlässigkeit muss sich nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO bzw. § 15 Abs. 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG aus in der Vergangenheit (hinsichtlich der Gaststättenerlaubnis: und nach Erlaubniserteilung, hier in 2005) eingetretenen Tatsachen ergeben. Die bereits geschehenen Tatsachen hat die Behörde daraufhin zu beurteilen, ob sie auf eine Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in der Zukunft schließen lassen, d.h. ob sie die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in Bezug auf dieses Gewerbe dartun. Die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit erfordert kein Verschulden des Gewerbetreibenden (BVerwGE 24, 38). Es kommt auch nicht darauf an, welche Ursachen zu der Überschuldung und der wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit des Klägers geführt haben. Im Interesse eines ordnungsgemäßen und redlichen Wirtschaftsverkehrs muss von einem Gewerbetreibenden erwartet werden, dass er bei anhaltender wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit, ohne Rücksicht auf die Ursachen seiner wirtschaftlichen Schwierigkeiten, seinen Gewerbebetrieb aufgibt. Der Unzuverlässigkeitsvorwurf der mangelnden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit knüpft daher weniger an die Vermögenslosigkeit als solche an, sondern an die unterlassene Betriebsaufgabe trotz anhaltender wirtschaftlicher Krise (Ennuschat, in: Tettinger/Wank/Ennuschat, Gewerbeordnung, 8. Auflage 2011, § 35 Rn. 63).
Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Gewerbeuntersagung ist immer der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (BVerwG, B.v. 23.11.1990 – 1 B 155/90 – juris Rn. 4). Ein späterer Entfall der Untersagungsvoraussetzungen berührt die Rechtmäßigkeit einer ausgesprochenen Untersagungsverfügung nicht, weil Wohlverhalten nach Bescheidserlass nur in einem Wiedergestattungsverfahren nach § 35 Abs. 6 GewO berücksichtigt werden kann. Hierin liegt eine materielle Regelung über den maßgeblichen Zeitpunkt zur Bestimmung der Rechtmäßigkeit des Bescheids, sodass nicht auf die für einen Dauerverwaltungsakt wie die Gewerbeuntersagung sonst subsidiär geltenden Regeln abzustellen ist und nicht die Tatsachenlage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich ist. Für den Widerruf der Gaststättenerlaubnis folgt das gleiche Ergebnis bzgl. des maßgeblichen Zeitpunkts aus einer anderen rechtlichen Überlegung. Hier handelt es sich schon von vorneherein nicht um einen Dauerverwaltungsakt, da ohnehin für jeden (anders als bei freien Gewerben) eine Erlaubnispflicht zur Ausübung des Gaststättengewerbes besteht. Der Widerruf der Erlaubnis wirkt daher nur einmalig auf diese ein. Schon nach allgemeinen prozessualen Regeln ist daher auf den Zeitpunkt des Erlasses des Widerrufs (hier im gleichen Bescheid) abzustellen, nachträgliche Änderungen sind nicht in einem Wiedergestattungsverfahren, aber in einem erneuten Erlaubniserteilungsverfahren zu berücksichtigen. (Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 13. März 1973 – I C 36.71 – Rn. 25, juris) Maßgeblich ist im Ergebnis also die Lage bei Erlass des Bescheids vom 21.03.2016, hinsichtlich des Widerrufs der Gaststättenerlaubnis unter Berücksichtigung von Entwicklungen seit dem 02.06.2005.
bb) In diesem Zeitraum (erste Mitteilung des Finanzamts in 2012) kam es zu den für diese Entscheidung maßgeblichen Steuerrückständen, die für sich die Gewerbeuntersagung rechtfertigen, da sie über einen langen Zeitraum nicht abgetragen werden konnten.
Es ist allgemein anerkannte Meinung und ständige Rechtsprechung, dass Steuerschulden geeignet sind, auf die Unzuverlässigkeit zu schließen (Marcks, in: Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung, 2013, § 35 Rn. 49 m.w.N.). Staat und Gemeinden sind nämlich auf den fristgerechten Eingang der von ihnen erhobenen Steuern und Abgaben angewiesen, um ihren ständig zunehmenden Verpflichtungen gegenüber der Allgemeinheit genügen zu können. Wenn ein Gewerbetreibender sich seinen finanziellen Verpflichtungen gegenüber dem Staat und der Gemeinde entzieht, so schädigt er nicht nur die Allgemeinheit, sondern versucht damit zugleich, sich in unlauterer Weise im Geschäftsleben einen Vorsprung vor den mit ihm im Wettbewerb stehenden Gewerbetreibenden zu verschaffen, die ihre Steuerpflichten in redlicher Weise erfüllen. Von einem Gewerbetreibenden, der mit derart unlauteren Mitteln unter Missachtung der Belange der Allgemeinheit und seiner Mitbewerber nur seine eigenen geschäftlichen Interessen verfolgt, kann nicht erwartet werden, dass er sein Gewerbe im Einklang mit den bestehenden Vorschriften einwandfrei führen wird (BVerwG, B.v. 17.01.1964 – VII B 159/63).
Eine Norm über die Höhe der für eine Gewerbeuntersagung relevanten Steuerrückstände lässt sich von Gesetzes wegen nicht aufstellen. Wie das Bundesverwaltungsgericht in mehreren Entscheidungen ausgeführt hat, sind Steuerrückstände nur dann geeignet einen Gewerbetreibenden als unzuverlässig erscheinen zu lassen, wenn sie sowohl ihrer absoluten Höhe nach als auch im Verhältnis zur Gesamtbelastung des Gewerbetreibenden von Gewicht sind; auch die Zeitdauer, während derer der Gewerbetreibende seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, ist von Bedeutung (BVerwG, B.v. 29.01.1988 – 1 B 164/87 – juris Rn. 3; BVerwG, B.v. 19.01.1994 – 1 B 5/94 – juris Rn. 6). Eine feste Grenze, ab welcher Höhe der Steuerschuld Unzuverlässigkeit bejaht werden kann, lässt sich dabei nicht angeben (BVerwG, B.v. 09.04.1997 – 1 B 81/97 – juris Rn. 4). Trotzdem wird in der Literatur eine Grenze bei 5.000 € gezogen (Marcks, in: Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung, 2013, § 35 Rn. 52; so auch der Erlass des Bundesministers der Finanzen vom 17.12.2004, Az. IV A 4 – S. 0130 – 113/04, BStBl. I S. 117). Irrelevant dabei ist, ob die Steuerrückstände auf Schätzungen beruhen, da nur die Fälligkeit der Steuerschuld maßgeblich ist, nicht deren materielle Rechtmäßigkeit (BVerwG, B.v. 01.02.1994 – 1 B 9/94 – juris Rn. 3; Ennuschat, in: Tettinger/Wank/Ennuschat, Gewerbeordnung, 8. Auflage 2011, § 35 Rn. 51).
Im vorliegenden Fall führt eine dementsprechende Gesamtbetrachtung zur Feststellung der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit. Ende 2012 betrugen die Steuerrückstände um die 20.000 €, Mitte 2013 um die 39.000 €, Ende 2013 jedoch aufgrund von Umbuchungen um die 13.000 €, wo die Schulden bis Anfang 2016 (ca. 11.500 €) verblieben. Eine gewisse positive Entwicklung ist also festzustellen gewesen, nicht mehr jedoch in den letzten ca. 2,5 Jahren, in denen der bestehende Schuldensockel nicht mehr weiter abgebaut werden konnte. Welchen Anteil daran Steuern und welche Säumnis- und Verspätungszuschläge haben, ist nicht relevant, da es bei der Zuverlässigkeit, wie oben dargelegt, auf die Fähigkeit ankommt, fällige Forderungen egal welchen Ursprungs zu begleichen. Mit in die Betrachtung einzustellen ist weiterhin, dass seit gut 2 Jahren vor Bescheidserlass, keinerlei Zahlungen an das Finanzamt erfolgt waren, sondern nur Verrechnungen nach Abgabe von Erklärungen stattgefunden hatten. Dass die Klägerin, wie in der mündlichen Verhandlung dargelegt, 365 Tage im Jahr arbeite, bestätigt nur darüber hinaus, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit im Rahmen der ausgeübten Gewerbe nicht gegeben ist und auch nicht einfach durch weitere Anstrengungen wiederhergestellt werden könne. Weiterhin kommt hinzu, dass die Gefahr einer Gewerbeuntersagung schon 2012 vom Finanzamt angekündigt und auch im weiteren Verfahren wiederholt darauf hingewiesen wurde, sowie der Weg aufgezeigt wurde, sich um eine Tilgungsvereinbarung mit dem Finanzamt zu bemühen. Bis zuletzt teilte das Finanzamt jedoch mit, dass solche Bemühungen nicht stattgefunden hätten. Vor diesem Hintergrund ist auch das in der mündlichen Verhandlung übergebene, auf fünf Tage zuvor datierte Schreiben an das Finanzamt mit der Bitte um Niederschlagung der Schulden zu sehen. Nicht nur hat dies nach Bescheidserlass stattgefunden und ist damit ohnehin nicht mehr zu berücksichtigen für die Rechtmäßigkeit des Bescheids. Es vermag auch aufgrund des anzunehmenden Drucks durch den Prozess nicht allein von einem Wandel der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu zeugen und eine andere Zukunftsprognose zu rechtfertigen.
b) Die Unzuverlässigkeit ist zudem offenkundig gewerbebezogen, da aus dem Gewerbe herrührende Steuern nicht begleichen werden; durch die Nichtzahlung von Steuerschulden wird öffentlichen Kassen ein Nachteil zugefügt, sodass der Schutz der Allgemeinheit betroffen ist (vgl. Landmann/Rohmer GewO/Marcks GewO § 35 Rn. 76 aE). Zudem ist kein milderes, genauso effektives Mittel wie eine Gewerbeuntersagung ersichtlich. Eine nur teilweise Untersagung würde beispielsweise die Prognose, dass wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wiederhergestellt würde, eher unwahrscheinlicher machen, da Einnahmemöglichkeiten wegbrechen. Vor allem würden durch die mangelnde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gewerbliche Gläubiger weiter gefährdet bleiben, wenn nur eine teilweise Untersagung erfolgen würde. Es handelt sich also nicht um ein gleich effektives Mittel, die Erforderlichkeit ist gegeben.
2. Da die wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit ein Umstand ist, der jeglicher Gewerbeausübung entgegensteht, konnte nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO eine erweiterte Gewerbeuntersagung ausgesprochen werden (vgl. OVG Münster, B.v. 23.11.2009 – 4 A 3724/06). Die Verletzung steuerlicher Pflichten und die allgemeine wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit führen zu einer gewerbeübergreifenden Unzuverlässigkeit (BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 17/79 – BVerwGE 65, 9/11) und die Wahrscheinlichkeit anderweitiger Gewerbeausübung folgt aus dem Umstand, dass die Klägerin an ihrer gewerblichen Tätigkeit trotz Unzuverlässigkeit festgehalten hat, wodurch sie regelmäßig ihren Willen bekundet hat, sich auf jeden Fall gewerblich zu betätigen (BayVGH, B.v. 28.08.2013 – 22 ZB 13.1419). Davon zeugt auch der wiederholte Vortrag des Klägervertreters in der mündlichen Verhandlung, dass die Untersagung aller und nicht nur mancher Gewerbe unverhältnismäßig sei, weil die Klägerin keine Steuern hinterzogen habe und sich nichts Anderes als die Steuerschulden habe zu Schulden kommen lassen. Dies zeugt aber gerade davon, dass eine weitere gewerbliche Tätigkeit beabsichtigt ist. Ermessensfehler, die nach § 114 Satz 1 VwGO vom Gericht hätten beanstandet werden können, sind nicht ersichtlich. Insbesondere zeichnet sich nicht in für einen Ermessensfehler hinreichendem Maße ab, wie die mangelnde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit beseitigt werden würde und diese somit nicht in gleicher Weise für andere Gewerbe das selbe Problem darstellen würde. Das erst kurz vor der mündliche Verhandlung formulierte Begehren, einen Teil der Steuerschulden niederzuschlagen war hinsichtlich seiner Erfolgsaussichten noch vollkommen offen und zudem nicht bei Ausübung des Ermessens bei Bescheidserlass, sondern erst viel später erfolgt. Das Vorhaben, weitere Übernachtungsmöglichkeiten zu schaffen, war nach Aussage der Beklagtenvertreterin schon 2016 bei einem Treffen mit dem Landrat angesprochen worden, welches nach der Behördenakte für den 20.04.2016 geplant war und erst nach Bescheidszugang verlangt wurde. Damit konnte es für die Ermessensausübung ebenfalls nicht mehr berücksichtigt werden, zudem hat sich dies seit mehr als einem Jahr auch nicht derart konkretisiert, dass man dies als Lösungsansatz erkennen könnte, vielmehr befindet es sich immer noch in der Planungsphase, wenn auch einer späten, da schon Buchungen angenommen worden waren. Ermessensfehler der erweiterten Gewerbeuntersagung sind darin jedoch nicht zu erkennen.
Zudem war die erweiterte Gewerbeuntersagung hier auch rechtlich möglich. Explizit geregelt findet sie sich nur in § 35 Abs. 1 S. 2 GewO, nicht jedoch im Gaststättengesetz im Zusammenhang mit dem Widerruf der Gaststättenerlaubnis. Im vorliegenden Bescheid scheint sie mit Blick auf § 35 Abs. 8 GewO darauf gestützt ausgesprochen worden zu sein, dass außer einem Widerruf der Gaststättenerlaubnis noch weitere Gewerbe untersagt wurden und insofern § 35 GewO Anwendung findet.
a) Ob dies unter der Hypothese, dass § 35 Abs. 8 GewO eine erweiterte Gewerbeuntersagung bei einem ausschließlichen Widerruf der Gaststättenerlaubnis sperren würde, überzeugen würde, kann letztlich dahinstehen (sh. b)). Dagegen spräche aber wohl eher, dass hier ein Sammelsurium an Gewerben von einer einzigen natürlichen Person betrieben wird und die wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit sowohl das Gaststättengewerbe als auch die anderen Gewerbe umfasst, da sich Gläubiger bzgl. der verschiedenen Gewerben einer einheitlichen Schuldnerin gegenüber sehen. Eine Aufteilung der mangelnden Leistungsfähigkeit zwischen Gaststätten- und anderen Gewerben ist daher praktisch kaum vorstellbar. Dann lässt sich aber nur schwierig allein aufgrund der erlaubnisfreien Gewerbe auf eine gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit schließen, die Unzuverlässigkeit des erlaubnispflichtigen Gewerbes spielt hier mit hinein.
b) Nach Auffassung der Kammer steht § 35 Abs. 8 GewO dem Ausspruch einer erweiterten Gewerbeuntersagung zumindest bei mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit im Zusammenhang mit dem Widerruf einer Gaststättenerlaubnis nicht entgegen.
aa) Zunächst ist dies von Wortlaut und Systematik der Vorschriften gedeckt. Zwar formuliert § 35 Abs. 8 S. 1 GewO, dass die Absätze 1 bis 7a nicht anzuwenden sind, dies allerdings seit einer Gesetzesänderung von 1974 (vgl. Landmann/Rohmer GewO/Marcks GewO § 35 Rn. 196) nur soweit eine für das Gewerbe erteilte Zulassung (wie die Gaststättenerlaubnis) wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden zurückgenommen oder widerrufen werden kann. Schon hier lässt sich argumentieren, dass eine erweiterte Gewerbeuntersagung nicht diese Zulassung betrifft, sondern andere, künftige Gewerbe und damit nicht erfasst ist. Jedenfalls aber lässt sich dem entnehmen, dass die Sperrwirkung nur eintritt, wenn die Regelung (oder ggf. das Unterlassen einer Regelung) in der Spezialvorschrift abschließend sind (Landmann/Rohmer GewO/Marcks GewO § 35 Rn. 196). Im Falle des Gaststättengesetzes findet sich keine Regelung hinsichtlich den Folgen für andere, künftige Gewerbe, allerdings erklärt § 31 GastG die Gewerbeordnung für anwendbar, soweit im GastG keine besonderen Bestimmungen bestehen. Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, dass das GastG gerade nicht als abschließende Kodifikation konzipiert war, man das Schweigen zum Schicksal künftiger Gewerbe also nicht als bewusstes Unterlassen einer Regelung verstehen kann und so erweiterte Gewerbeuntersagungen infolge eines Erlaubniswiderrufs möglich sein müssen.
bb) Sinn und Zweck von § 35 Abs. 8 GewO, doppelspurige Regelungen auszuschließen (Landmann/Rohmer GewO/Marcks GewO § 35 Rn. 195), unterstreichen dieses Ergebnis zusätzlich. Letztlich wird also nur klargestellt, dass spezielle Regelungen vorgehen sollen und nicht in ihren Voraussetzungen kumuliert werden oder sonst widersprüchliche Ergebnisse entstehen. Würde man eine erweiterte Gewerbeuntersagung bei erlaubnispflichtigen Gaststättengewerben als gesperrt ansehen, weil das GastG hierzu nichts explizit regelt, entstünden jedoch vielmehr neue Widersprüche. So wäre eine erweiterte Gewerbeuntersagung möglich bei mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit von erlaubnisfreien Gaststättengewerben nach § 2 Abs. 2 GastG, da für diese die GewO Anwendung findet. Bei den heikleren und daher erlaubnispflichtigen Gewerben wäre dies dann aber nicht möglich, ohne dass es für diese Unterscheidung eine Rechtfertigung gäbe. Daher muss nach Ansicht der Kammer § 35 Abs. 8 GewO hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals „soweit“ so verstanden werden, dass er eine erweiterte Gewerbeuntersagung nur sperrt, wenn es Spezialregelungen gibt, die nicht nur Rücknahme oder Widerruf einer Zulassung, sondern auch darauf aufbauend das Schicksal anderer, auch künftiger Gewerbe regeln. Dies gilt so jedenfalls für den hier relevanten Unzuverlässigkeitsgrund der mangelnden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Dahinstehen kann, ob man für spezielle Unzuverlässigkeitsgründe des Spezialgesetzes die Sperrwirkung des § 35 Abs. 8 GewO durchgreifen lassen würde, da man insofern eine abgeschlossene Spezialregelung erblicken würde, oder, vielleicht überzeugender, ebenfalls eine Sperrwirkung verneint, da nur Regelungen zu einem existenten Gewerbe getroffen worden waren und man über das Erfordernis gewerbeübergreifender Unzuverlässigkeit in § 35 Abs. 1 S. 1 GewO zu sachgerechten Ergebnissen kommt. Wer z.B. als Gastwirt dem verbotenen Glücksspiel Vorschub leistete (§ 4 Abs. 1 S. 1 GastG), könnte sich auch für andere Gewerbe als unzuverlässig erwiesen haben, die nicht unter das GastG fallen. Dem kann bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 S. 2 GewO (gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit, Wahrscheinlichkeit anderweitiger Gewerbeausübung) durch eine erweiterte Gewerbeuntersagung über § 31 GastG Rechnung getragen werden, nicht jedoch, wenn in diesen Fällen die Sperrwirkung greifen würde.
3. Ziffern 2 und 5 stützen sich in ihrer Anwendung ermessensfehlerfrei auf § 31 GastG i.V.m. § 15 Abs. 2 GewO bzw. Art. 36 Abs. 1 S. 2 VwZVG. Insb. aufgrund der bereits seit Jahren angekündigten Konsequenzen ist die gesetzte Frist angemessen.
4. Die Zwangsgeldandrohungen in Ziff. 6 des Bescheids vom 23.6.2014 beruhen auf den Art. 29, 30, 31, 36 und 37 VwZVG. Gegen sie bestehen keine rechtlichen Bedenken.
Die Kostenentscheidung in Ziffer 7 des Bescheids beruht auf den Art. 1, 2, 6 und 10 des Kostengesetzes (KG) i.V.m. den Tarifstellen 5.III.5/15 und 5.III.7/18 des Kostenverzeichnisses zum Kostengesetz. Auch insoweit bestehen keine rechtliche Bedenken, zumal sich die vom Beklagten angesetzte Gebühr im unteren Bereich des Kostenrahmens bewegt. Die Auslagenfestsetzung betrifft die Zustellung des streitgegenständlichen Bescheids und beruht auf Art. 10 Abs. 1 Nr. 2 KG.
5. Das zwischenzeitliche Insolvenzverfahren hat keine Auswirkung nach § 12 GewO auf dieses Verfahren, da erste Maßnahmen erst deutlich nach dem maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses stattgefunden haben. (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 27. Januar 2014 – 22 BV 13.260 -, Rn. 19 – 30, juris, bestätigt durch BVerwG, Urteil vom 15.04.2015, 8 C 6.14)
6. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.
7. Die Berufung war zuzulassen, da die Frage der Möglichkeit einer erweiterten Gewerbeuntersagung bei Widerruf einer Erlaubnis, hier einer Gaststättenerlaubnis, entscheidungserheblich ist und im Sinne der Rechtseinheit einer Klärung bedarf, da sie unterschiedlich beurteilt wird.
Hinsichtlich einer erweiterten Gewerbeuntersagung bei Widerruf einer Erlaubnis nach § 34 c GewO will das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. September 2016 – 4 B 601/16 – eine Sperrwirkung erkennen, ohne dabei auf den Wortlaut „soweit“ einzugehen, der nach obiger Auslegung eine Regelung in dem Spezialgesetz zum Schicksal anderer Gewerbe erfordern würde, um eine erweiterte Gewerbeuntersagung zu rechtfertigen. Ebenso wird der Widerspruch, dass bei heikleren Gewerben weniger Maßnahmen ergriffen werden könnten, nicht aufgelöst und schlicht auf BVerwG, Beschluss vom 08. August 1986 – 1 B 98/86 – verwiesen. Dort ging es jedoch nicht um eine erweiterte Gewerbeuntersagung, sondern um § 35 Abs. 2 GewO, Maßnahmen bzgl. des Gewerbes also, das schon Gegenstand des Erlaubniswiderrufs war und für das eher anzunehmen ist, dass das Spezialgesetz abschließende Regelungen zu dessen Schicksal treffen wollte. Eine bewusste Aussage zur Lage bei der erweiterten Gewerbeuntersagung kann dieser Entscheidung jedoch gerade nicht unmittelbar entnommen werden. Zuzugeben ist, dass das BVerwG davon ausgeht, dass die (damaligen) Absätze 1 bis 7 „in ihrer Gesamtheit“ nicht anzuwenden sind. In dieser Absolutheit würde der Änderung in die Formulierung „soweit“ jedoch keine Bedeutung zukommen, weswegen z.B. Landmann/Rohmer GewO/Marcks GewO § 35 Rn. 196 zu Recht darauf abstellt, ob die im Spezialgesetz getroffene Regelung abschließend sein soll. Dafür spricht auch klar die anhand BT-Drucks. 7/111 S. 7 erkennbare Intention des Gesetzgebers, eine bereits zuvor herrschende Ansicht im Gesetzeswortlaut zu etablieren. Dass ein Spezialgesetz aber wie § 35 Abs. 1 S. 2 GewO eine abschließende Regelung auch für andere und künftige Gewerbe treffen will, wenn eine solche Regelung nicht ausdrücklich im Spezialgesetz enthalten ist, ist jedoch eher fernliegend, zumal dann, wenn, wie im GastG, ergänzend die GewO für anwendbar erklärt wird.
Ebenso erklärt das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 05. April 2005 – 1 Bs 64/05 -, Rn. 4, juris eine erweiterte Gewerbeuntersagung für rechtswidrig, weil diese in § 3 AÜG nicht geregelt ist. Zur Begründung wird ebenfalls nur auf obiges BVerwG-Urteil und die darin enthaltene Formulierung „in ihrer Gesamtheit“ Bezug genommen, ohne sich mit oben aufgezeigten erheblichen Problemen dieser Argumentation auseinander zu setzen.
Auch das Sächsische Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 21. Oktober 2014 – 3 B 77/14 -, juris scheint sich dieser Auffassung anzuschließen, hat in dieser Entscheidung die erweiterte Gewerbeuntersagung mit Blick auf ein erlaubnisfreies Detekteigewerbe geduldet, obwohl die Steuerschulden aus der Gesamtheit von erlaubnispflichtigem Bewachungs- und erlaubnisfreiem Detekteigewerbe herrühren. Dass man neben einem erlaubnispflichtigen Gewerbe noch ein erlaubnisfreies betreibt, bzw. ein solches zusätzlich anmeldet, kann jedoch kein überzeugender Grund sein, dass nur dann eine erweiterte Gewerbeuntersagung möglich ist. Diese Entscheidung erscheint vielmehr als Kunstgriff, eine erweiterte Gewerbeuntersagung zu ermöglichen, obwohl sie nach Auffassung des Gerichts bei einem reinen erlaubnispflichtigen Gewerbe ausscheiden müsste. Dieses Ergebnis lässt sich jedoch über die oben dargestellte Auslegung nach Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck sowie der Gesetzeshistorie ebenso erreichen.
Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 24. Oktober 2011 – 22 ZB 10.2631 -, juris scheint sich dieser Rechtsansicht anzuschließen, ohne jedoch zu erklären, worin die Bedeutung der Einfügung des Wortes „soweit“ in § 35 Abs. 8 GewO liegen könnte, wenn nicht darin, dass zu beurteilen ist, ob auch für andere und künftige Gewerbe im Spezialgesetz eine abschließende Regelung getroffen wurde.
Wie die erkennende Kammer vertritt demgegenüber aber auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 28. Juni 2000 – 8 TZ 439/00 -, Rn. 9, juris einen Ansatz, der im Kern darauf abstellt, ob und inwieweit genau das Spezialgesetz eine abschließende Regelung getroffen hat und anerkennt, dass es auch Bereiche geben kann, in denen das Spezialgesetz keine Regelung getroffen hat und so auf § 35 GewO zurückgegriffen werden kann.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg einzulegen (Hausanschrift: Haidplatz 1, 93047 Regensburg; Postfachanschrift: Postfach 110165, 93014 Regensburg). Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
Die Berufung ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof einzureichen (Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 340148, 80098 München). § 124 a Abs. 3 VwGO ist zu beachten.
Allen Schriftsätzen sollen jeweils 4 Abschriften beigefügt werden.
Hinweis auf Vertretungszwang: Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich alle Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt bereits für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird, die aber noch beim Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder die anderen in § 67 Absatz 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts können sich auch durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt vertreten lassen; Einzelheiten ergeben sich aus § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO.
B e s c h l u s s:
Der Streitwert wird auf 20.000,- € festgesetzt.
Gründe:
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abrufbar auf der Homepage des BVerwG), dessen Empfehlungen die Kammer folgt. Hier hat sich die Kammer an den Nrn. 54.1, 54.2.1 sowie 54.2.2 des Streitwertkatalogs orientiert, wonach der Streitwert für eine erweiterte Gewerbeuntersagung 20.000,- € beträgt. Da es sich um eine erweiterte Gewerbeuntersagung handelt, übersteigt der nunmehr festgesetzte Streitwert die vorläufige Streitwertfestsetzung bei Klageerhebung.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,- EUR übersteigt, oder wenn die Beschwerde zugelassen wurde.
Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg einzulegen (Hausanschrift: Haidplatz 1, 93047 Regensburg; Postfachanschrift: Postfach 110165, 93014 Regensburg). Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

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