Aktenzeichen 22 C 16.2481
Leitsatz
1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden als Grundlage einer (erweiterten) Gewerbeuntersagung ist der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (Anschluss an BVerwG BeckRS 2015, 48135 Rn. 15). Spätere tatsächliche Änderungen der Sachlage, insbesondere eine Minderung von Verbindlichkeiten, können nur im Rahmes eines Antrags auf Wiedergestattung gemäß § 35 Abs. 6 GewO Berücksichtigung finden (vgl. auch VGH München BeckRS 2012, 59081 Rn. 15 und zum Erfordernis eines tragfähigen Sanierungskonzepts VGH München BeckRS 2016, 52322 Rn. 8 mwN). (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die auf einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen beruhende Steuerfestsetzung steht im Rahmen der gewerberechtlichen Zuverlässigkeitsprognose einer aus exakt ermittelten Besteuerungsgrundlagen resultierenden Steuerfestsetzung gleich (Anschluss an BVerwG BeckRS 1997, 31222274; Bestätigung von VGH München BeckRS 2015, 45791 Rn. 19). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die nach Erlass einer angefochtenen Gewerbeuntersagung vorgenommene, „bloß formelle“ und im Widerspruch zur tatsächlichen gewerblichen Betätigung des Gewerbetreibenden stehende rückwirkende Gewerbeabmeldung ist nicht geeignet, der Gewerbeuntersagung im Nachhinein die rechtliche Grundlage entziehen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 16 K 16.1192 2016-11-15 Bes VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Der Kläger erstrebt Prozesskostenhilfe für eine beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am 10. März 2016 erhobene Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Beklagten vom 11. Februar 2016. Mit diesem Bescheid wurden ihm die Ausübung des Gewerbes „Auf- und Abbau von Messeständen und Veranstaltungen“ untersagt (Nr. 1 des Bescheids), die Untersagung auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden und als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person sowie auf jede selbständige gewerbliche Tätigkeit im stehenden Gewerbe erweitert (Nr. 2) und der Antragsteller zur Einstellung des genannten Gewerbes sowie seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Firma „J…“ spätestens mit Ablauf des zehnten Tags nach Unanfechtbarkeit der Untersagung aufgefordert (Nr. 3); vorgenannte Anordnungen wurden zwangsmittelbewehrt (Nr. 4).
Das Verwaltungsgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag mit Beschluss vom 15. November 2016 abgelehnt, weil die Anfechtungsklage keine hinreichende Erfolgsaussicht habe.
Der Kläger hat gegen diesen Beschluss durch seinen Bevollmächtigten am 6. Dezember 2016 Beschwerde erhoben und deren Begründung durch einen gesonderten Schriftsatz angekündigt. Auf Nachfrage des Verwaltungsgerichtshofs wegen der ausstehenden Beschwerdebegründung ließ der Kläger am 6. Juni 2017 erklären, über die Beschwerde möge entschieden werden.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 11. Februar 2016 wird sich voraussichtlich als rechtmäßig erweisen; die Klage gegen diesen Bescheid hat daher keine hinreichende Erfolgsaussicht, die aber nach § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe notwendig wäre. Das Verwaltungsgericht hat im Beschluss vom 15. November 2016 richtig entschieden.
1. Dem Bescheid liegen eine Mitteilung des Finanzamts München – Abteilung Erhebung – vom 1. Oktober 2015, eine Recherche der Beklagten im Vollstreckungsportal (Schuldnerverzeichnis) vom 26. November 2015 und eine weitere, vom Finanzamt am 11. Februar 2016 erstellte Auflistung der Steuerschulden des Klägers zugrunde. Dagegen hat sich der Kläger vor Erlass des angefochtenen Bescheids weder auf Anhörung durch die Beklagte noch auf Anhörung durch die Industrie- und Handelskammer (IHK) geäußert; Letzteres ergibt sich aus der Mitteilung der IHK vom 5. Januar 2016 an die Beklagte.
Den Akten und den darin enthaltenen Mitteilungen des Finanzamts lässt sich entnehmen, dass – wovon auch das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 15. November 2016 ausgegangen ist – die Umsatzssteuerrückstände des Klägers alsbald nach der Aufnahme seines im Juli 2013 angemeldeten Gewerbes entstanden sind (das erste vom Finanzamt aufgelistete Fälligkeitsdatum für diese Steuer ist der 17. März 2014) und dass der Kläger keine freiwilligen Zahlungen geleistet hat, so dass die Steuerschuld einschließlich Verspätungszuschlägen von zunächst (30.5.2014) 1.820 € auf mehr als 9.700 € (1.10.2015) und bis zum Bescheiderlasses einschließlich Säumniszuschlägen auf 11.900 € angewachsen war. Auch Vollstreckungsmaßnahmen des Finanzamts blieben den Akten zufolge erfolglos. Der Kläger war mit acht Einträgen im Vollstreckungsportal – Schuldnerverzeichnis – erfasst („Nichtabgabe der Vermögensauskunft“ sowie „Gläubigerbefriedigung ausgeschlossen“). Gegen diese Tatsachenannahmen hat der Kläger weder in seiner Klagebegründung noch mit seiner Beschwerde (die er überhaupt nicht begründet hat) etwas vorgebracht. Er beruft sich vielmehr – in der Klagebegründung – darauf, dass der Beklagten „das Rechtsschutzbedürfnis an der Untersagung“ fehle, weil der Kläger sein Gewerbe schon am 28. Februar 2014 abgemeldet habe, dass die „vermeintliche“ Steuerschuld nur auf Steuerschätzungen beruhe und nach Aufhebung der Schätzbescheide, wofür der Kläger sorgen werde, nicht mehr bestehe, dass der Kläger die „vermeintlichen“ Gläubiger ermittle, um den Sachverhalt „Nichtabgabe der Vermögensauskunft u.a.“ zu klären, und dass der Kläger alle Pflichten, vor allem gegenüber dem Finanzamt, schon bisher ordnungsgemäß erfüllt habe und weiter erfüllen werde.
2. Diese rechtlichen Erwägungen taugen nicht, um der Anfechtungsklage zur hinreichenden Erfolgsaussicht zu verhelfen.
2.1. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend dargelegt, dass der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Unzuverlässigkeit (wegen der Möglichkeit der Wiedergestattung des Gewerbes gemäß § 35 Abs. 6 GewO) der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung ist und dass spätere tatsächliche Änderungen der Sachlage, insbesondere eine Minderung von Verbindlichkeiten, grundsätzlich außer Betracht bleiben (vgl. Beschlussabdruck – BA – S. 9, zweiter Abschnitt; std. Rspr., vgl. z.B. BVerwG, B.v. 16.6.1995 – 1 B 83.95 – juris, BayVGH, B.v. 10.5.2017 – 22 C 17.643 – Rn. 9). Der Kläger macht zwar Bemühungen geltend, mit denen es ihm möglicherweise gelingt, seine Schulden – sei es gegenüber dem Finanzamt oder gegenüber privaten Gläubigern – zu tilgen und diejenigen Umstände aus der Welt zu schaffen, aufgrund derer seine wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit angenommen und hieraus auf die künftige gewerberechtliche Unzuverlässigkeit geschlossen werden kann. Nach Aktenlage gab es aber derartige Bemühungen allenfalls nach dem maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt, nämlich dem Erlass des angefochtenen Gewerbeuntersagungsbescheids; auch im gerichtlichen Verfahren hat der Kläger nichts Gegenteiliges vorgebracht. Von einem tragfähigen Sanierungskonzept zur Wiederherstellung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (in Bezug auf die Steuerschuld z.B. in Form einer mit dem Finanzamt vereinbarten realistischen und effektiven Ratenzahlung) kann beim Kläger nicht die Rede sein.
2.2. Die Steuerschuld des Klägers (zuletzt ca. 11.900 €) mag absolut gesehen nicht außergewöhnlich hoch sein; im Vergleich mit der Wirtschaftskraft des klägerischen Betriebs (Rückschlüsse auf diese Wirtschaftskraft erlauben die jeweiligen Umsatzsteuerforderungen) ist sie allerdings erheblich; für eine geringe Betriebsgröße spricht auch, dass der Kläger neben seinem Gewerbe auch noch eine nichtselbständige Tätigkeit ausübt (vgl. Mitteilung des Finanzamts vom 1.10.2015 an die Beklagte, S. 2).
Die vom Kläger angestrebte Aufhebung vermeintlich falscher, zu hoher Steuerschätzungen wäre lediglich eine solche nachträgliche und damit für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids unmaßgebliche Änderung von Tatsachen. Dies hat seinen Grund darin, dass es sich bei Steuerschulden aufgrund überhöhter Schätzungen keineswegs um – wie der Kläger womöglich meint – eine Art „Missverständnis“ hinsichtlich der wirklichen Höhe der Steuerschuld handelt, das ohne Weiteres im Nachhinein und gewissermaßen „mit heilender Wirkung“ auf die prognostizierte gewerberechtliche Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden ausgeräumt werden könnte. Vielmehr sind Steuerschulden, die „nur“ auf Schätzbescheiden beruhen, ebenso verbindlich und vom Steuerpflichtigen zu bezahlen wie solche Steuerschulden, die auf einer Steuererklärung oder auf einer amtlichen Ermittlung der für die Besteuerung maßgeblichen Tatsachen beruhen. Auch dies hat das Verwaltungsgericht – im Einklang mit der Rechtsprechung (BVerwG, B.v. 5.3.1997 – 1 B 56/97 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 8.5.2015 – 22 C 15.760 – juris Rn. 19 und B.v. 17.10.2008 – 22 ZB 08.2592 – juris Rn. 2) – zutreffend ausgeführt (BA S. 10, zweiter Abschnitt).
2.3. Der Einwand des Klägers, er habe das untersagte Gewerbe bereits am 28. Februar 2014 abgemeldet, verhilft seiner Klage gleichfalls nicht zu hinreichender Erfolgsaussicht. Der Kläger hat zwar mittels Formular über seinen Bevollmächtigten am 23. Februar 2016 sein Gewerbe rückwirkend zum 28. Februar 2014 abgemeldet; dies ist aktenkundig. Nicht belegt ist dagegen die bloße Behauptung des Klägers, er habe das Original eines – nach Erlass des angefochtenen Bescheids in Kopie vorgelegten – Schreibens mit dem Datum „28.02.2014“, mit dem er sein Gewerbe zum 28. Februar 2014 abgemeldet haben will, am selben Tag (28.2.2014) persönlich in den Briefkasten des Kreisverwaltungsreferats der Beklagten eingeworfen. In der Behördenakte befindet sich ein solches Schreiben nicht, der Beklagten ist eine solche Abmeldung nach ihrer Aussage auch nicht bekannt. Derzeit spricht nichts dafür, dass der Kläger zwar tatsächlich schon im Februar 2014 sein Gewerbe abmelden wollte und eine entsprechende Erklärung in einen Briefkasten der Beklagten eingeworfen hat, diese Abmeldung aber aus irgendwelchen Gründen nicht an die zuständige Stelle gelangt und beim Gewerbeamt aktenkundig geworden ist. Vielmehr sprechen gewichtige Gesichtspunkte für das Gegenteil: Der Kläger muss sich fragen lassen, weshalb er trotz der nach dem 28. Februar 2014 wiederholt erhobenen Verspätungszuschläge des Finanzamts, nicht anlässlich des fruchtlosen Pfändungsversuchs (11.6.2015), nicht auf die Anhörung durch die Beklagte hin (Schreiben vom 9.12.2015) und auch nicht gegenüber der IHK, die ihm Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat (vgl. Schreiben der IHK an die Beklagte vom 5.1.2016), klargestellt hat, dass er das Gewerbe, das untersagt werden sollte, schon seit langem nicht mehr betreibe. Nach derzeitiger Einschätzung muss insoweit von einer wahrheitswidrigen Schutzbehauptung des Klägers ausgegangen werden.
In rechtlicher Hinsicht hat diesbezüglich das Verwaltungsgericht zutreffend im Einklang mit der Rechtsprechung und der im Schrifttum vertretenen Ansicht ausgeführt (BA S. 7, letzter Abschnitt), dass zwar eine Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO voraussetzt, dass das Gewerbe, dessen Ausübung untersagt werden soll, im Zeitpunkt der Untersagungsverfügung tatsächlich ausgeübt wird, dass dabei aber die Anzeige über die Betriebsaufgabe nach § 14 Abs. 1 GewO keine konstitutive Wirkung hat. Weil es also auf die tatsächliche Betätigung ankommt, kann dahinstehen, ob der Kläger im Februar 2014 wirklich den Versuch unternommen hat, der Beklagten mitzuteilen, dass er sein Gewerbe ab sofort nicht mehr ausübe. Denn entscheidend ist, ob er es weiterhin ausgeübt hat; die derzeitigen Erkenntnisse sprechen für eine solche Annahme der fortwährenden Gewerbeausübung. Schon gar nicht kann eine nach Erlass der angefochtenen Gewerbeuntersagung vorgenommene, „bloß formelle“ und im Widerspruch zur tatsächlichen gewerblichen Betätigung stehende rückwirkende Gewerbeabmeldung der Gewerbeuntersagung im Nachhinein die rechtliche Grundlage entziehen.
2.4. Gesichtspunkte, die gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids im Übrigen sprächen, sind weder aus den Akten ersichtlich noch hat der Kläger Dergleichen vorgebracht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.