Steuerrecht

Erweiterte Gewerbeuntersagung wegen wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit

Aktenzeichen  M 16 K 16.110

Datum:
17.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GewO GewO § 35 Abs. 1 S. 1, S. 2, Abs. 6

 

Leitsatz

Eine die erweiterte Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 S. 2 GewO rechtfertigende gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit kann sich aus der Verletzung für jeden Gewerbetreibenden geltender steuer- und sozialversicherungsrechtlicher Pflichten ohne Bezug zu einer bestimmten gewerblichen Tätigkeit ergeben. Unter dem Gesichtspunkt wahrscheinlicher anderweitiger Gewerbeausübung ist eine erweiterte Gewerbeuntersagung schon dann zulässig, wenn keine besonderen Umstände vorliegen, die es ausschließen, dass der Gewerbetreibende in Zukunft ein anderes Gewerbe ausüben wird (Anschluss an BVerwG BeckRS 1982, 31304050; VGH München BeckRS 2012, 56521 Rn. 11). (redaktioneller Leitsatz)
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden als Grundlage der (erweiterten) Gewerbeuntersagung ist wegen der Möglichkeit der Wiedergestattung des Gewerbes gemäß § 35 Abs. 6 GewO der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (Anschluss an BVerwG BeckRS 1995, 31220646); nachträgliche Veränderungen der Sachlage, insbesondere eine Minderung von Verbindlichkeiten, bleiben außer Betracht (Anschluss an VGH München BeckRS 2012, 59081 Rn. 15; vgl. für den Fall von Sanierungsbemühungen zum Erfordernis eines tragfähigen Sanierungskonzepts auch VGH München BeckRS 2016, 52322). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 7. Dezember 2015 ist rechtmäßig. Rechte des Klägers werden deshalb nicht verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung VwGO). Auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheides, der das Gericht folgt, wird Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Lediglich ergänzend bleibt auszuführen, dass nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewerbeordnungGewO die Ausübung eines Gewerbes von der zuständigen Behörde ganz oder teilweise zu untersagen ist, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden oder einer mit der Leitung des Gewerbebetriebes beauftragten Person in Bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersagung zum Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigen erforderlich ist. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Gewerbetreibender dann gewerberechtlich unzuverlässig, wenn er nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß ausüben wird. Die Unzuverlässigkeit kann sich insbesondere aus mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, dem Vorliegen von Steuerschulden, der Verletzung von steuerlichen Erklärungspflichten, dem Vorhandensein von Beitragsrückständen bei Sozialversicherungsträgern oder aus Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ergeben (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 146/80 – juris; BVerwG, B.v. 19.1.1994 – 1 B 5/94 – juris; BVerwG, B.v. 11.11.1996 – 1 B 226/96 – juris; BVerwG, B.v. 5.3.1997 – 1 B 56/97 – juris; BVerwG, B.v. 16.2.1998 – 1 B 26/98 – juris).
Für die erforderliche Prognose zur Feststellung der Unzuverlässigkeit ist aus den bereits vorhandenen tatsächlichen Umständen auf ein wahrscheinliches zukünftiges Verhalten des Gewerbetreibenden zu schließen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuverlässigkeit ist wegen der Möglichkeit der Wiedergestattung des Gewerbes gemäß § 35 Abs. 6 GewO der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 17/79 – juris; BVerwG, B.v. 16.6.1995 – 1 B 83/95 – juris). Nachträgliche Veränderungen der Sachlage, insbesondere eine Minderung von Verbindlichkeiten, bleiben daher außer Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 23.10.2012 – 22 ZB 12. 888 – juris Rn. 15 m. w. N.).
Nach diesen Maßstäben ist die angefochtene Gewerbeuntersagung zu Recht ergangen. Die negative Prognose der Beklagten rechtfertigt sich im Hinblick auf die im Zeitpunkt des Bescheidserlasses vorliegenden erheblichen Rückstände beim Finanzamt, den Rückständen beim Sozialversicherungsträger und den vorliegenden Eintragungen im Vollstreckungsportal.
Auch die erweiterte Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO ist nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat insbesondere das ihr insoweit eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei (§ 114 Satz 1 VwGO) ausgeübt. Der Kläger ist gewerbeübergreifend unzuverlässig, da er mit der Verletzung steuer- und sozialversicherungsrechtlicher Pflichten Regeln verletzt hat, die für jeden Gewerbetreibenden gelten und nicht nur Bezug zu einer bestimmten gewerblichen Tätigkeit haben. Dies rechtfertigt die Annahme, dass er ein entsprechendes Verhalten auch bei Ausübung eines anderen Gewerbes an den Tag legen wird. Es ist auch zu erwarten, dass der Kläger auf die untersagten Tätigkeiten oder andere Gewerbe ausweichen wird. Die erweiterte Gewerbeuntersagung ist unter dem Gesichtspunkt wahrscheinlicher anderweitiger Gewerbeausübung schon dann zulässig, wenn keine besonderen Umstände vorliegen, die es ausschließen, dass der Gewerbetreibende ein anderes Gewerbe in Zukunft ausübt (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 CB 2/81 – juris; BayVGH, B.v. 23.7.2012 – 22 ZB 12.992 – m. w. N. – juris). Solche besonderen Umstände sind hier weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Ausschluss des Klägers aus dem Wirtschaftsverkehr steht im Übrigen auch mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in seiner Ausprägung durch Art. 12 Grundgesetz – GG – in Einklang (vgl. BVerwG, B.v. 12.1.1993 – 1 B 1/93 – GewArch 1993, 155).
Ebenfalls keine rechtlichen Bedenken bestehen gegen die Abwicklungsfrist und die damit verbundene Zwangsmittelandrohung.
Die Klage waren daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München, Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 20.000 festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz – GKG – i. V. m. Nrn. 54.2.1 und 54.2.2 des Streitwertkatalogs 2013).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München, Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

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