Steuerrecht

Festsetzungsfrist, Veräußerungsverlust, Verbleibender Verlustvortrag, Einkommensteuerbescheid, Verlustrücktrag, Steuerhinterziehung, Vermietung und Verpachtung

Aktenzeichen  2 K 3457/13

Datum:
27.9.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 134941
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger.

Gründe

I.
Streitig ist, ob der Beklagte (das Finanzamt -FA-) auch nach Ablauf der regulären Festsetzungsfrist zu Lasten der Kläger einen Steueränderungsbescheid für das Streitjahr 2001 erlassen durfte.
Die seit 2009 geschiedenen Kläger wurden im Streitjahr 2001 und auch im Jahr 2002 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. In diesen Jahren erzielte die Klägerin Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und der Kläger Einkünfte aus Gewerbebetrieb (als Einzelunternehmer nur 2001 und aus zahlreichen Beteiligungen), aus nichtselbständiger Arbeit (nur 2001), aus Kapitalvermögen und aus Vermietung und Verpachtung.
Der Kläger ist Dipl.-Wirtschaftsingenieur. Er war zusammen mit dem Zeugen … im Jahr … Gründungsgesellschafter der … GmbH und deren Geschäftsführer. Die … GmbH wurde 1998 mit der von denselben Gesellschaftern gegründeten … AG, verschmolzen (nachfolgend: … Z). Der Kläger war an der … im Zeitraum 1999 bis 2006 wesentlich, d.h. mit mindestens 1 vom Hundert, beteiligt. Von 1998 bis März 2000 war er Finanzvorstand der … Im Anschluss an seine Vorstandstätigkeit war er Mitglied des Aufsichtsrats der …
Nach dem Börsengang der … am … begann der Kläger damit, seine Beteiligung schrittweise (bis zum 31. Oktober 2006) zu veräußern.
Am 27. Februar 2001 wurden von der Bank … an den Kläger 17.480 Optionsscheine „WT …“ zum Preis von 100 € pro Stück ausgegeben. Die Optionsscheine bezogen sich auf einen Aktienkorb bestehend aus Aktien der … sowie der S AG. Es handelte sich um eine Privatplatzierung ausschließlich für den Kläger und den Zeugen …, an den 12.364 Optionsscheine ausgegeben wurden. Am 1. März 2001 veräußerte der Kläger 500.000 … Z-Aktien für 3.418.790,84 €.
Die Kläger wurden erklärungsgemäß mit Bescheid vom 23. Dezember 2003 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung zur Einkommensteuer 2001 veranlagt.
In der Einkommensteuererklärung 2002 erklärte die Klägerin Verluste aus Vermietung und Verpachtung von 226.211 € und der Kläger Einkünfte aus Kapitalvermögen von 82.298 €, Verluste aus Vermietung und Verpachtung von 231.208 € sowie Verluste aus Gewerbebetrieb als Einzelunternehmer von 588.951 € und Einkünfte aus Gewerbebetrieb (Beteiligungen) von 75.257 €. Die Beilage zur Anlage GSE über die Verluste aus Gewerbebetrieb als Einzelunternehmer lautete:
„Herr A ist an der … AG wesentlich beteiligt. In 2002 erzielte Herr A einen Veräußerungsverlust nach § 17 EStG aus einem Verkauf folgender Aktien:
Der Veräußerungsverlust ermittelt sich wie folgt:
„Erlös (13.05.2002)
8.740 Aktien … x EUR 35,60 311.144,00 EUR
./. Anschaffungskosten (28.02.2001)
8.740 Aktien x EUR 101,83 890.000,00 EUR – 578.856,00 EUR
Erlös (30.10.2002)
8.740 Aktien … x EUR 33,29 290.954,60 EUR
./. Anschaffungskosten (28.02.2001)
8.740 Aktien… x EUR 101,83 890.000,00 EUR – 599.045,40 EUR
Veräußerungsverlust 2002 – 1.177.901,40 EUR
Der Verlust unterliegt dem sogenannten Halbeinkünfteverfahren und ist daher in Höhe von EUR 588.951,00 anzusetzen.“
Die Einkommensteuer 2002 wurde erklärungsgemäß mit Bescheid vom 23. Dezember 2003 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung auf 0 € festgesetzt. Gleichzeitig erging ein Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 2002 unter dem Vorbehalt auf Nachprüfung, in dem der verbleibende Verlustvortrag hinsichtlich der Einkünfte aus Gewerbebetrieb auf 603.160 € für den Kläger und der verbleibende Verlustvortrag bezüglich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung auf 209.958 € für den Kläger und auf 226.211 € für die Klägerin festgestellt wurde.
Gegen den Verlustfeststellungsbescheid zum 31. Dezember 2002 sowie gegen den Einkommensteuerbescheid 2001 -jeweils vom 23. Dezember 2003- legten die Kläger Einspruch ein und beantragten die im Einkommensteuerbescheid 2002 ausgewiesenen und nicht ausgeglichenen Verluste aus Gewerbebetrieb und aus Vermietung und Verpachtung auf den Veranlagungszeitraum 2001 zurückzutragen und die Einkommensteuer 2001 entsprechend niedriger festzusetzen.
Unter Berücksichtigung des nach § 10d Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 EStG auf 1.331.534 DM begrenzten Verlustrücktrags erging am 15. April 2004 der nach § 164 Abs. 2 AO geänderte Bescheid über die Einkommensteuer 2001.
Mit Bescheiden vom 24. Juni 2008 hob das FA den Vorbehalt der Nachprüfung hinsichtlich der Einkommensteuerfestsetzungen 2001 und 2002 auf.
Im Rahmen einer steuerlichen Außenprüfung erkannte der Prüfer den im Jahr 2002 nach § 17 EStG geltend gemachten Veräußerungsverlust in Höhe von 588.951 € nicht mehr an. Der Veräußerungsverlust sei im Privatvermögen entstanden und folglich steuerlich irrelevant.
Das FA folgte den Feststellungen der Prüfers und erließ am 24. Mai 2012 einen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderten Einkommensteuerbescheid 2002 (Nullbescheid) sowie einen nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 2002. Die verbleibenden negativen Einkünfte aus dem geänderten Einkommensteuerbescheid 2002 aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 111.789 € (Kläger) und 212.673 € (Klägerin) -insgesamt in DM: 634.592- wurden in das Veranlagungsjahr 2001 zurückgetragen (vgl. geänderter Einkommensteuerbescheid 2001 vom 23. Mai 2012). Hinsichtlich der Einkünfte aus Gewerbebetrieb wurde der Bescheid über den verbleibenden Verlustvortrag mit geändertem Bescheid vom 24. Mai 2012 über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 2002 aufgehoben.
Gegen diese geänderten Einkommensteuerbescheide 2001 und 2002 sowie gegen den gleichzeitig geänderten Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 2002 legten die Kläger fristgerecht Einsprüche mit der Begründung ein, dass das FA den Einkommensteuerbescheid 2002 wegen eingetretener Festsetzungsverjährung nicht mehr hätte ändern dürfen.
Aus hier nicht streitigen Gründen wurden während des Einspruchsverfahrens mit Bescheiden vom 10. September 2013 die Einkommensteuer 2001 auf 119.214,35 € und die Einkommensteuer 2002 weiterhin auf 0 € festgesetzt.
Den Einspruch der Kläger gegen den Einkommensteuerbescheid 2001 wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 31. Oktober 2013 als unbegründet zurück.
Zur Begründung ihrer Klage tragen die Kläger vor, dass der Kläger nach seinem damaligen Kenntnisstand keine unrichtigen oder unvollständigen Angaben gemacht habe. Er habe 2002 einen Veräußerungsverlust nach § 17 EStG aus dem Verkauf der Aktien erzielt. Dabei habe er sich an der Klassifizierung entsprechend dem Kontoauszug von …Bank angelehnt. Auch die Betriebsprüferin des FA und sein damaliger steuerlicher Vertreter hätten keinen Zweifel an diesen Angaben und den zur Erstellung der Einkommensteuererklärung 2002 vorgelegten Unterlagen gehabt. Seinem damaligen Berater sei zudem bekannt gewesen, dass nur sehr wenige Gesellschafter an dem durch die Hingabe der Aktien entstandenen Konstrukt beteiligt gewesen seien. Mithin sei klar gewesen, dass er ein wesentlicher Beteiligter dieses Konstrukts gewesen sei, so dass aus der damaligen Sicht die Anwendung des § 17 EStG geboten gewesen sei. Zudem habe er dem Fachwissen seines Steuerberaters vertraut. Dies spreche gegen die Annahme eines bedingten Vorsatzes. Selbst der Prüfer der Betriebsprüfungsstelle Erding sei in seinem Bericht zu dem Ergebnis gekommen, dass Fondanteile veräußert worden seien, die Sondervermögen und somit keine Anteile an einer Kapitalgesellschaften darstellten. Selbst diese Klassifizierung der Wertpapiere sei falsch gewesen. Im Übrigen habe das FA bei der ersten Betriebsprüfung seine Ermittlungspflicht verletzt. Der Kläger habe dagegen keinen Grund gehabt, seine Angaben zu überprüfen, da er von der Richtigkeit derselben überzeugt gewesen sei.
Hinzu komme, dass die Staatsanwaltschaft … mit Verfügung vom 9. Juli 2015 das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen Steuerhinterziehung eingestellt habe. Das FA habe aufgrund der Stellungnahme des Strafverteidigers vom 2. November 2015 das Bußgeldverfahren gegen den Kläger am 23. Februar 2016 eingestellt. Das FA könne sich daher im finanzgerichtlichen Verfahren nicht mehr auf die verlängerte Festsetzungsfrist von fünf bzw. zehn Jahren berufen.
Die Kläger beantragen,
unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 2001 vom 10. September 2013 und der Einspruchsentscheidung vom 31. Oktober 2013 den in der Einkommensteuererklärung 2002 geltend gemachten Verlust in Höhe von 588.951 € wieder bei der Ermittlung des Verlustrücktrags im Streitjahr 2001 erhöhend zu berücksichtigen und die Einkommensteuer 2001 entsprechend festzusetzen,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es stehe fest, dass der Kläger die (irreführenden) Angaben zu dem Verlust nach § 17 EStG in dem Beiblatt zur Anlage GSE mit zumindest bedingten Vorsatz mit dem Ziel erheblicher Steuerverkürzung gemacht habe.
Das Auskunftsersuchen bei der Rechtsnachfolgerin des Bankhauses … habe zweifelsfrei ergeben, dass der Kläger keine Aktien, sondern Optionsscheine auf einen Aktienkorb, bestehend aus Aktien der S und der … Z, erworben und dann 2002 (mit erheblichen Verlust) veräußert habe. Bei diesen Optionsscheinen habe es sich um eine Privatplatzierung ausschließlich für den Kläger und einem weiteren Investor, dem Zeugen …, gehandelt.
Der Kläger habe somit nachweislich keinen Verlust im Sinne des § 17 EStG, sondern einen Vermögensverlust auf der privaten Vermögensebene erlitten. Die Einlassung des Klägers, er habe sich bei der Erstellung seiner Einkommensteuererklärung allein auf den Depotauszug des Bankhauses … vom September 2002, in dem die Optionsscheine WT … unter der Rubrik Aktien aufgeführt gewesen seien, verlassen, überzeuge nicht. Bei den mit erheblichem Verlust veräußerten Optionsscheinen habe es sich um einen einmaligen besonderen Vorgang von erheblichem Gewicht gehandelt. Je gewichtiger ein wirtschaftlicher Vorgang sei, umso mehr sei der Steuerpflichtige gehalten, Informationen über dessen steuerliche Sachbehandlung einzuholen und die Vorgänge, denen der Steuerpflichtige eine steuerliche Relevanz zuschreibe, vollständig und wahrheitsgemäß der Steuerbehörde vorzutragen. Dies habe der Kläger nicht gemacht. Das daraus resultierende Risiko einer unrichtigen Steuererklärung und den möglichen Taterfolg einer Steuerverkürzung habe er zumindest billigend in Kauf genommen. Wegen zumindest bedingt vorsätzlicher Steuerhinterziehung des Klägers greife die verlängerte Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO ein. Mangels steuerlicher Auswirkung im Besteuerungszeitraum 2002 sei der Verlustrücktrag infolge der verlängerten Festsetzungsfrist im Streitjahr 2001 nicht mehr zu berücksichtigen gewesen.
An Entscheidungen im strafgerichtlichen Verfahren sei die Finanzbehörde nicht gebunden.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die gerichtliche Anordnung vom 28. Juli 2016 verwiesen. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugen … und L. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Beweisbeschluss vom 12. August 2016 und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
II.
1. Die Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 2001 ist zulässig.
Die Kürzung der Verluste der Kläger um den von dem Kläger zu Unrecht nach § 17 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG) geltend gemachten Veräußerungsverlust in Höhe von 588.951 € im Veranlagungszeitraum 2002 (Nullbescheid) wirkt sich erst im Verlustrücktrag des vorangegangenen Veranlagungszeitraum, also im Streitjahr 2001, aus. Mit förmlichem Rechtsbehelf kann nur der Verwaltungsakt angegriffen werden, in dem sich der Verlust mindernd auswirkt (vgl. BFH-Urteil vom 10. November 1987 VIII R 17-19/84, BFH/NV 1989, 278). Eine Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 2002 mit Steuerfestsetzung 0 € wäre mangels Beschwer unzulässig. Über den Verlustrücktrag ergeht im Gegensatz zum Verlustvortrag kein Feststellungsbescheid (vgl. § 10d Abs. 4 EStG; Blümich/Schlenker, § 10d EStG Rz. 123).
2. Die Klage ist aber unbegründet.
2.1. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2001 vom 10. September 2013 ist rechtmäßig. Die unzutreffende Höhe des Verlustrücktrags ist in dem Veranlagungszeitraum 2001 nach § 10d Abs. 1 Sätze 5 ff. EStG vom FA zu Recht berichtigt worden.
Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass das FA die Änderung auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützt hat (vgl. Einspruchsentscheidung vom 31. Oktober 2013). Für die Rechtmäßigkeit eines Bescheides ist nicht die zur Begründung herangezogene Vorschrift maßgebend; es kommt allein darauf an, ob der angefochtene Bescheid zum Zeitpunkt des Ergehens durch eine entsprechende Ermächtigungsnorm gedeckt ist (vgl. BFH-Urteil vom 19. April 2005 VIII R 68/04, BStBl II 2005, 762, m.w.N.).
Nach § 10d Abs. 1 Sätze 5 und 6 EStG ist ein bereits für den unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraum erlassener Steuerbescheid insoweit zu ändern, als der Verlustrücktrag zu berichtigen ist. Das gilt auch dann, wenn der Steuerbescheid unanfechtbar geworden ist; die Festsetzungsfrist endet insoweit nicht, bevor die Festsetzungsfrist für den Veranlagungszeitraum abgelaufen ist, in dem die negativen Einkünfte nicht ausgeglichen werden.
§ 10d Abs. 1 Sätze 5 und 6 EStG enthalten gegenüber der AO eigenständige Korrekturvorschriften, deren Berichtigungsgrund -unbeschadet seiner Ursacheallein ein fehlerhafter Verlustabzug ist und deren Zweck es ist, den Verlustabzug richtig und vollständig zu verwirklichen. Zudem enthält § 10d Abs. 1 Satz 6 EStG eine im Zusammenhang mit der Korrekturvorschrift eingefügte Verjährungsregelung (vgl. BFH-Urteil vom 18. September 1991 …I R 36/90, BFH/NV 1992, 37).
Die gesetzliche Regelung bezweckt die richtige und vollständige Verwirklichung des Verlustabzugs und stellt in diesem Bereich die Rechtmäßigkeit des Bescheids vor das Vertrauen auf dessen Bestand (vgl. BFH in BFH/NV 1992, 37).
Im Streitfall haben Verluste der Kläger im Veranlagungsjahr 2002 nicht ausgeglichen werden können (vgl. Einkommensteuerbescheid 2002 vom 10. September 2013: Nullbescheid), so dass der geltend gemachte Veräußerungsverlust erst zwingend im Verlustrücktrag des Streitjahres 2001 hat berichtigt werden können, (vgl. § 10d Abs. 1 Satz 6 EStG).
2.2. Das FA hat beim Verlustrücktrag im angefochtenen Steuerbescheid den im Jahr 2002 entstandenen Verlust des Klägers aus der Veräußerung der Optionsscheine in Höhe von 588.951 € zu Recht nicht nach § 17 EStG berücksichtigt.
Zu Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört nach § 17 Abs. 1 EStG auch ein Verlust aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer an der Kapitalgesellschaft innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft zu mindestens 1 vom Hundert unmittelbar oder mittelbar beteiligt gewesen ist.
Bei den hier streitigen Wertpapieren handelt es sich nicht um solche Anteile an einer Kapitalgesellschaft, insbesondere nicht um Aktien einer Aktiengesellschaft, sondern um Optionsscheine (vgl. die am 11. Januar 2013 von der Bank … am 11. Januar 2013 vorgelegte Warrents-Urkunde vom 27. Februar 2001, Sonderakte). Dies belegen entgegen der Auffassung des Klägers auch die dem Gericht vorgelegten Kontoauszüge von … Bank, wonach der Kläger Optionsscheine mit der Bezeichnung WT … erworben hat. WT steht für Warrants, also Optionsscheine. Der vom Kläger geltend gemachte Verlust betrifft deshalb nicht die Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung nach § 17 EStG.
2.3. Der Korrektur des unzutreffenden Verlustrücktrags steht auch nicht die Bestandskraft oder die Festsetzungsverjährung im Verlustverrechnungsjahr 2001 entgegen, weil die Festsetzungsfrist für den Veranlagungszeitraum 2002, in dem Verluste nicht haben ausgeglichen werden können, im Streitfall noch nicht abgelaufen gewesen ist (vgl. § 10d Abs. 1 Sätze 5 und 6 EStG i.V.m. § 169 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO; BFH in BStBl II 2010, 1009).
Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder ihre Änderung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist.
(1) Zwar ist die reguläre Festsetzungsfrist, die mit Ablauf des Jahres 2007 geendet hat, zum Zeitpunkt des Beginns der Außenprüfung im Jahr 2009 abgelaufen gewesen.
(2) Jedoch beträgt im Streitfall die Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO zehn Jahre, da der Kläger die sich ergebenden Mehrsteuern hinterzogen hat (§ 370 AO).
(a) Eine Steuerhinterziehung begeht gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, wer den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht und dadurch Steuern verkürzt. Eine Steuerverkürzung liegt dann vor, wenn Steuern nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden (§ 370 Abs. 4 Satz 1 AO).
Steuerhinterziehung kann nur mit -mindestensbedingten Vorsatz begangen werden (§ 369 Abs. 2 AO i. V. m. § 15 StGB). Vorsatz bedeutet Kenntnis und Wollen der Verwirklichung der Merkmale des objektiven Hinterziehungstatbestands. Bedingter Vorsatz ist gegeben, wenn der Steuerpflichtige es in Kenntnis der Tatumstände für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, dass der Tatbestand verwirklicht wird. Es genügt, wenn sich der Steuerpflichtige dabei des sozialen Sinngehalts seines Verhaltens bewusst ist (so genannte Parallelwertung in der Laiensphäre). Bezogen auf den Vorsatz einer Steuerhinterziehung bedeutet das, dass der Täter wissen muss, dass er die Verwirklichung eines Steueranspruchs beeinträchtigt oder Steuervorteile erlangt, auf die er keinen Anspruch hat (Jäger in Klein, AO, 13. Aufl. § 370 Rn 170 f.).
Obwohl auch im finanzgerichtlichen Verfahren der strafverfahrensrechtliche Grundsatz „in dubio pro reo“ zu beachten ist, ist das Vorliegen der objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung nicht nach der Strafprozessordnung, sondern nach den Vorschriften der AO und der FGO zu prüfen. Für die nach § 76 Abs. 1 FGO von Amts wegen zu treffende Feststellung der Steuerhinterziehung ist kein höherer Grad von Gewissheit notwendig als für die Feststellung anderer Tatsachen, für die das Finanzamt die Feststellungslast trägt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 16. Juni 2009 V B 154/08, BFH/NV 2009, 1597, und vom 26. Juli 2001 … B 6/01, BFH/NV 2002, 37, m.w.N.).
(aa) Im Streitfall hat der Kläger den objektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung verwirklicht. Er hat unrichtige Angaben gemacht, in dem er in der Beilage zur Anlage GSE 2002 erklärt hat, angeblich Aktien … erworben zu haben und diese mit Verlust veräußert zu haben. Tatsächlich hat er Optionsscheine und keine Aktien an einer Aktiengesellschaft erworben und diese mit Verlust veräußert. Demzufolge hat der Kläger keinen Veräußerungsverlust nach § 17 EStG erzielt.
Obwohl der Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung die Auskunft der Bank … und damit den Erwerb von Optionsscheinen angezweifelt hat, hat er die Frage nicht beantworten können, um welche Aktien es sich gehandelt hat, deren Veräußerungsverlust nach § 17 EStG er nach Durchsicht der Einkommensteuererklärung -wie er selbst angegeben hatausdrücklich erklärt hat.
Damit hat der Kläger objektiv zu Unrecht den Verlust aus dem Verkauf von Optionen im Jahr 2002 als Veräußerungsverlust i.S. von § 17 EStG geltend gemacht.
(bb) Der Kläger hat darüber hinaus bewusst und willentlich gegenüber dem FA steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtig angegeben, indem er in seiner Steuererklärung für das Jahr 2002 einen Verlust aus wesentlicher Beteiligung in Millionenhöhe vorgetäuscht hat, um rechtswidrig die Steuer zu verkürzen (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 4 Satz 1 AO).
Das vorsätzliche Handeln des Klägers wird bereits dadurch deutlich, dass er in seiner Steuererklärung einen Verlust aus Aktienverkauf erklärt hat, obwohl er gewusst hat, dass es sich bei den streitigen Wertpapieren nicht um Anteile an einer Kapitalgesellschaft, insbesondere nicht um Aktien, gehandelt hat. Dementsprechend hat er auch keine Aktien benennen können.
Hinzu kommt, dass dem Kläger aufgrund seiner Ausbildung als Wirtschaftsingenieur, seiner hohen Fachkompetenz bei Finanzanlagen, die seine maßgebliche Verantwortung beim Börsengang der … gerechtfertigt hat, und seiner Veräußerungen von … Z-Aktien über mehrere Veranlagungsjahre hinweg die Voraussetzungen des § 17 EStG bekannt gewesen sind. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger trotzdem wahrheitswidrig den Eindruck erwecken wollen, dass er von derlei Dingen nichts versteht und keine Ahnung gehabt hat, welches Wertpapier er von der Bank … erworben hat.
Der Kläger hat des Weiteren die Privatplatzierung der Optionsscheine für den Zeugen … und für sich sowohl allein verantwortet als auch mit … Bank abgewickelt. Dies hat der Zeuge … glaubhaft bestätigt. Dies hat auch das Auskunftsersuchen bei der Bank … als Rechtsnachfolgerin von … Bank ergeben. Aufgrund der Größenordnung und der Besonderheit einer Privatplatzierung hat der Erwerbsvorgang dieser Optionsscheine einen außergewöhnlichen Geschäftsvorgang dargestellt. Die Behauptung des Klägers, er verfüge über keine Unterlagen von … Bank über den Abschluss des Erwerbs der Optionsscheine, ist angesichts der Geschäftspraxis eines Bankhauses wie …Bank, der dem Gericht vorliegenden Warrants Urkunde und der Hinweise in dieser Urkunde auf weitere Unterlagen, z.B. Verkaufsprospekt, sowie der herausgehobenen Stellung des Klägers als Finanzvorstand und später als Aufsichtsrat bei der … und der damit übereinstimmenden Aussage des Zeugen …, der Kläger sei ein äußerst vorsichtig agierender und in Finanzangelegenheiten sehr erfahrener Geschäftsmann gewesen, weder nachvollziehbar noch glaubwürdig.
Dem Kläger ist bewusst gewesen, dass er keine Aktien einer Kapitalgesellschaft, an der er innerhalb der letzten fünf Jahren wesentlich beteiligt gewesen ist, sondern Optionsscheine „WT …“ auf einen Aktienkorb bestehend auch aus Aktien der … im Wert von über 1,7 Mio. € -und gerade keine Aktien der … von der … Bank im Rahmen einer Privatplatzierung ausschließlich für sich und den Zeugen … erworben hat; zumal er zur Finanzierung der Optionsscheine zeitgleich … Z-Aktien verkauft hat. Der von … Bank am 27. Februar 2001 ausgestellten Warrants-Urkunde ist eindeutig zu entnehmen, dass der Kläger Optionsscheine gekauft hat. Die Angaben in der Urkunde über den Tag des Erwerbs (27. Februar 2001), die Anzahl der Optionsscheine (17480), die Höhe der Anschaffungskosten stimmen zudem mit den Angaben des Klägers in der Beilage zur Anlage GSE 2002 und mit den Kontoauszügen von … Bank überein.
Dem Kläger ist bewusst gewesen, dass er mit dem Verkauf der Optionsscheine keine wesentliche Beteiligung veräußert hat. Der Kläger hat in der Beilage zur Anlage GSE irreführend sowohl auf seine wesentliche Beteiligung an der … Bezug genommen als auch eine wissentlich falsche Bezeichnung „Aktien …“ verwendet, um dem FA zu suggerieren, dass Aktien einer wesentlichen Beteiligung von ihm mit Verlust veräußert worden sind. Die vom Kläger gewählte Bezeichnung „Aktien …“ stimmt weder mit der Bezeichnung in der von … Bank ausgestellten Warrants-Urkunde noch mit den vorgelegten Kontoauszügen von … Bank überein. Hinzu kommt, dass diesen Kontoauszügen nicht zu entnehmen ist, dass es sich bei den vom Kläger als „Aktien …“ bezeichneten Wertpapieren um Aktien gehandelt haben soll. Laut Kontoauszügen wird dort die Bezeichnung WT … verwendet, jedenfalls fehlt Fond; dass als Gesamtüberschrift die Bezeichnung Aktien bisweilen auf den Kontoauszügen gewählt worden ist, ist ohne Bedeutung, da dem Kläger bewusst gewesen ist, dass die erworbenen Optionsscheine keine Aktien sind. Im Übrigen ist davon auszugehen, dass die Optionsscheine WT … nur deshalb im Zusammenhang mit den … Z-Aktien in den Kontoauszügen genannt worden sind, weil dem Kläger mit den Optionsscheinen gerade ein Bezugsrecht auf … Z-Aktien eingeräumt worden ist.
Dem Kläger ist bewusst gewesen, dass der von ihm verfolgte Zweck des Erwerbs von Optionsscheinen unter Hingabe von … Z-Aktien gewesen ist, einen (möglichen) Gewinn nach Ablauf eines Jahres daraus nicht versteuern zu müssen. Andererseits ist ihm bewusst gewesen, dass er bei Eintritt eines (von ihm in Anbetracht der in der Vergangenheit erzielten hohen Veräußerungsgewinne beim Verkauf von … Aktien nicht erwarteten) Verlusts einen steuerlich nicht relevanten Vermögensverlust auf der privaten Vermögensebene erleidet. Die Einlassung des Klägers, er habe sich bei der Erstellung seiner Einkommensteuererklärung 2002 allein auf den Kontoauszug des Bankhauses … vom September 2002 verlassen, in dem die Optionsscheine WT … unter der Rubrik Aktien aufgeführt gewesen sind, bezeugt in Anbetracht der Erwerbshistorie der Optionsscheine, der von … Bank ausgestellten Warrants-Urkunde und der erheblichen Höhe des Verlusts der veräußerten Optionsscheine die unbedingte Absicht des Klägers, das FA über die wahre Natur des von ihm geltend gemachten Verlustes aus der Veräußerung von Optionsscheinen zu täuschen.
Dem Vorsatz des Klägers zur Steuerhinterziehung steht insbesondere auch nicht eine eventuell fehlerhafte Beratung durch seinen damaligen Steuerberater, den Zeugen L, entgegen. Dementsprechend haben der Kläger und der Zeuge L übereinstimmend behauptet, sich trotz der erheblichen Größenordnung des nach § 17 EStG geltend gemachten Veräußerungsverlustes in Höhe 1.177.901,40 € im Rahmen der Einkommensteuererklärung 2002 nicht besprochen zu haben.
Gegen eine vorsätzliche Steuerhinterziehung sprechen im Übrigen nicht die Einstellung des Strafverfahrens und des Bußgeldverfahrens mangels Versuchsstrafbarkeit bei Fahrlässigkeitsdelikten. Das Gericht ist grundsätzlich nicht an die tatsächlichen Feststellungen und an die Rechtsauffassung im Urteil eines Strafgerichts gebunden. Erst recht ist es nicht an Feststellungen einer Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft gebunden. Das Gericht ist nicht gehindert, die Beweise anders zu würdigen und die Rechtslage anders zu beurteilen als die Strafinstanz (vgl. BFH-Beschluss vom 15. Oktober 2007 VII B 332/06, juris; Tipke/Kruse, AO, FGO, § 70 AO Rz 12). Im Streitfall liegt lediglich die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft vor, die sich auf den damals der Staatsanwaltschaft bekannten Verfahrensstand bezogen hat. Dieser Verfügung ist nicht zu entnehmen, dass dem Staatsanwalt das Ergebnis des an die Bank … gerichteten Auskunftsersuchens bekannt gewesen ist. Hinzu kommt, dass der Staatsanwaltschaft nach dem Inhalt der Einstellungsverfügung vom 27. Juni 2015 offensichtlich weder die Umstände der Privatplatzierung für nur zwei Investoren noch die von … Bank für den Kläger ausgestellte Warrants-Urkunde bekannt gewesen sind.
Auch das Ergebnis der Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugen … und L hat nichts Gegenteiliges, insbesondere nichts den Kläger Entlastendes, ergeben.
(b) Die auf der Steuerhinterziehung des Klägers beruhende verlängerte Festsetzungsfrist ist für den Veranlagungszeitraum 2002, in dem die negativen Einkünfte nicht haben ausgeglichen werden können, noch nicht abgelaufen gewesen. Die Einkommensteuererklärung 2002 ging am 24. November 2003 beim FA ein. Die Festsetzungsfrist hat folglich mit Ablauf des Jahres 2003 begonnen und hat zunächst erst mit Ablauf des 31. Dezember 2013 geendet. Die zehnjährige Festsetzungsfrist ist jedoch mit Beginn der zweiten Außenprüfung beim Kläger am 16. November 2009 nach § 171 Abs. 4 Satz 1 AO im Ablauf gehemmt worden. Zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Änderungsbescheids 2001 vom 23. Mai 2012 in der Fassung vom 10. September 2013 ist die Festsetzungsfrist deshalb nicht abgelaufen gewesen.
Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2001 ist somit rechtmäßig ergangen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
4. Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO erkennbar nicht erfüllt sind.

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