Steuerrecht

Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer

Aktenzeichen  4 K 1101/15

Datum:
24.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GmbHR – 2019, 199
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
GrEStG § 6 Abs. 3 S. 2, § 13 Nr. 6
AO § 164 Abs. 1

 

Leitsatz

Grunderwerbsteuerrechtliche Zurechnung von Grundstücken an eine Obergesellschaft und Anwendungsbereich des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG in der Fassung des StEntlG 1999/2000/2002

Tenor

1. Der Bescheid über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer vom 4. April 2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. März 2015 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Gründe

II.
1. Die zulässige, da insbesondere fristgerecht erhobene, Klage ist begründet.
a) Der Bescheid über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer vom 4. April 2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. März 2015 ist rechtswidrig.
b) Die Klägerin ist nicht Steuerschuldnerin im Sinne des § 13 Nr. 6 GrEStG hinsichtlich der streitgegenständlichen Grundstücken der Z AG. Denn durch die Übertragungen der beiden einzigen Geschäftsanteile an der ABC GmbH sowie des einzigen Kommanditanteils an der ABC KG durch Y an die ABC S.e.c.s. aufgrund des Vertrags vom … 2011 hat die Klägerin bezüglich der streitgegenständlichen Grundstücke der Z AG nicht den grunderwerbsteuerlichen Tatbestand des § 1 Abs. 2a GrEStG erfüllt. Die streitgegenständlichen Grundstücke der Z AG waren der Klägerin – mangels vorherigen Erwerbs – grunderwerbsteuerrechtlich nicht zuzurechnen. Dies ergibt sich nach Auffassung des Senats aus nachfolgenden Erwägungen:
aa) Die Rechtsansicht des FA, dass allein die Stellung der Klägerin als Gründungsgesellschafterin der Z AG (i.H.v. 99,97%) eine Zurechnung der streitgegenständlichen Grundstücke der Z AG an die Klägerin erlaubt, ist unzutreffend (irreführend hierzu Pahlke, GrEStG, 5. Aufl. 2014, § 1 Rn. 278 m.w.N.) und nicht vom Gesetz gedeckt. So lässt sich die grunderwerbsteuerrechtliche Zurechnung nicht vom grunderwerbsteuerrechtlichen Erwerbstatbestand trennen, sondern setzt letzteren gerade voraus. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) gehört im Sinne des § 1 Abs. 2a GrEStG ein Grundstück dann einer Personengesellschaft, wenn es ihr aufgrund eines unter § 1 Abs. 1, 2, 3 oder 3a GrEStG fallenden Erwerbsvorganges grunderwerbsteuerrechtlich zuzurechnen ist (BFH-Urteil vom 11. Dezember 2014 II R 26/12, BFHE 247, 343, BStBl II 2015, 402); entsprechendes gilt für eine grundbesitzende Kapitalgesellschaft im Sinne des § 1 Abs. 3 GrEStG (vgl. BFH-Urteile vom 25. August 2010 II R 65/08, BFHE 231, 239, BStBl II 2011, 225 und vom 29. September 2004 II R 14/02, BFHE 207, 59, BStBl II 2005, 148). Die grunderwerbsteuerrechtliche Zurechnung des im zivilrechtlichen Eigentum einer (Unter-)Gesellschaft stehenden Grundvermögens an deren Obergesellschaft setzt demnach voraus, dass letztere aufgrund eines (früheren) unter § 1 GrEStG fallenden Erwerbsvorganges als Erwerberin des Grundvermögens anzusehen ist. Im Streitfall jedoch besaß die Z AG bei ihrer Gründung im Jahr 1994 noch keine Grundstücke. Vielmehr hat die Z AG die von dem klagegegenständlichen Feststellungsbescheid vom 4. April 2014 erfassten Grundstücke … seinerzeit selbst aufgrund eines unter § 1 Abs. 1 GrEStG fallenden Erwerbsvorganges erworben. Dieser Erwerb der Grundstücke durch die Z AG ist aber kein grunderwerbsteuerlicher Erwerb durch die Klägerin. Insbesondere hat die Mehrheitsbeteiligung (i.H.v. 99,97%) die Klägerin nicht zur Erwerberin der streitgegenständlichen Grundstücke gemacht.
bb) Auch konnte allein die gesetzliche Verschärfung bzw. Absenkung der Beteiligungsgrenze für Anteilserwerbe (i.S.v. § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG) ab dem 1. Januar 2000 durch das Steuerentlastungsgesetz (StEntlG) 1999/2000/2002 (BGBl. I 1999, 402) im Streitfall nicht zu einer Besteuerung (und damit einer grunderwerbsteuerrechtlichen Zurechnung der Grundstücke der Z AG an die Klägerin) führen. Es fehlt insoweit an einem Akt des Rechtsverkehrs im Sinne eines Erwerbstatbestandes nach dem GrEStG.
cc) Schließlich wurde auch mit dem Erwerb der restlichen 0,03% der Z AG Anteile durch die Klägerin und durch die damit verbundene Aufstockung der Beteiligung auf 100% in 2002 der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG nicht verwirklicht:
– Zwar setzt der für Beteiligungserwerbe seit dem 1. Januar 2000 (vgl. § 23 Abs. 6 Satz 2 GrEStG) und damit auch im Jahr 2002 geltende Erwerbstatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG nur mehr eine Beteiligung von mindestens 95% voraus.
– Jedoch versteht der Senat den für Beteiligungserwerbe seit dem 1. Januar 2000 geltenden Erwerbstatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG nicht in dem Sinne, dass jeder Übertragungsakt, an dessen Ende eine Vereinigung von mindestens 95% der Anteile steht, steuerbar ist, wenn bereits vor dem Zeitpunkt des Absenkens der Beteiligungsgrenze (d.h. spätestens am 31. Dezember 1999) die kritische Grenze von 95% überschritten war. Nach Auffassung des Senats liegt vielmehr gerade kein i.S.v. § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG steuerbarer Vorgang vor, wenn bereits vor dem Erwerb weiterer Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft die qualifizierte Mehrheit von mindestens 95% erreicht war. Dies ergibt sich nach Auffassung des Senats bereits aus dem Wortlaut („durch die Übertragung“) des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG (in der „verschärften“ Fassung des StEntlG 1999/2000/2002), der eine Kausalität zwischen Beteiligungserwerb und Überschreiten der 95%-Grenze voraussetzt (so auch Pahlke, a.a.O, § 23 Rn. 29). Nach Ansicht des Senats verlangt der Gesetzeswortlaut die „erstmalige Vereinigung von mindestens 95%“ als Folge der Anteilsübertragung; so im Übrigen auch der BFH in seinem Urteil vom 23. März 1977 (II R 18/74, BFHE 122,162, BStBl. II 1977, 565). Hierin hat der BFH bereits – bei einer dem Streitfall parallelen Rechtslage und bei einem dem Streitfall entsprechenden Sachverhalt – entschieden, dass keine Grunderwerbsteuerpflicht eintritt, wenn eine Gesellschaft, die bereits (im Zeitpunkt vor der Absenkung der Beteiligungsgrenze von 100% auf mindestens 95%) zu mindestens 95% an einer grundbesitzenden Gesellschaft beteiligt war, einen weiteren Anteil erwirbt.
– Diese Auffassung wird im Übrigen ersichtlich auch von der Finanzverwaltung geteilt, die überdies in Tz. 1 der gleichlautenden Ländererlasse (BStBl. 1999, 991) auch auf das BFH-Urteil in BFHE 122,162 verweist.
– Schließlich wird die Auffassung des Senats nahezu einhellig durch das Schrifttum gestützt (vgl. hierzu beispielsweise: Hofmann, GrEStG. 8. Aufl. 2004, § 23 Rn 17; Behrens in Behrens/Wachter, GrEStG, 1. Aufl. 2018, § 1 Rn. 488 m.w.N.; Heine, UVR 1999, 282, 291 f.; Rösel, DStR 1999, 1844; Eggers/Fleischer/Wischott DStR 1999, 1301).
– Soweit ersichtlich, vertritt in der Literatur allein Viskorf die Auffassung, dass in Konstellationen wie im Streitfall eine steuerbare Anteilsvereinigung i.S.v. § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG vorliegt (vgl. Viskorf in Boruttau, 17. Auflage 2011, § 23 Rn. 69). Er stützt sich dabei auf das durchaus nicht abwegige Argument, dass der Gesetzgeber durch die Gesetzesänderung infolge des StEntlG 1999/2000/2002 (Absenkung der Beteiligungsgrenze auf 95%) eine Verschärfung der steuerbaren Anteilserweiterung und gerade keine Lockerung erreichen wollte.
– Nach Ansicht des Senats besteht jedoch eine Regelungslücke für diejenigen Gesellschaften, die das Beteiligungsverhältnis in der verschärften Gesetzesfassung von mindestens 95% bereits vor der Absenkung der Beteiligungsgrenze (von 100% auf 95%) erfüllt haben. Zwar ist nach der Übergangsregelung des § 23 Abs. 6 Satz 2 GrEStG die Vorschrift des § 1 Abs. 3 GrEStG „erstmals auf Erwerbsvorgänge anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 1999 verwirklicht werden“. Jedoch ist der vorliegende Fall, dass eine Anteilsvereinigung nach den Vorschriften des neuen Rechts bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes eingetreten wäre, wenn das neue Recht damals bereits gegolten hätte, nicht explizit geregelt worden.
– Der Senat sieht sich daran gehindert, den Wortlaut des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG im Wege einer „teleologischen Extension“ dahingehend auszulegen, dass allein die Aufstockung einer (bereits vor dem 1. Januar 2000 bestehenden und mehr als 95%igen jedoch weniger als 100%igen) Beteiligung auf eine dann 100%ige Beteiligung nach dem 31. Dezember 1999 steuerbar ist. So reicht es für eine teleologische Extension zum einen nicht aus, dass eine gesetzliche Regelung rechtspolitisch als verbesserungsbedürftig („rechtspolitische Fehler“) anzusehen ist (vgl. BFH-Urteil vom 02. Dezember 2015 V R 25/13, BFHE 251, 534, BStBl II 2017, 547 m.w.N.). Zum anderen wäre die o.g. teleologische Extension die Schaffung eines neuen, vom Gesetzgeber bislang ungeregelten Besteuerungstatbestandes. Die Schaffung von Besteuerungstatbeständen ist jedoch ausschließlich dem Gesetzgeber vorbehalten.
– Schließlich ist nach Auffassung des Senats (auch unter Heranziehung der Gesetzesmaterialien) unklar und kann mithin auch nicht ausgeschlossen werden, dass der Gesetzgeber die Fälle der „Aufstockung“ bewusst nicht (im Sinne einer Steuerbarkeit) regeln wollte und damit bewusst eine Regelungslücke in Kauf genommen hat. So sollten durch die Herabsetzung der Anteilsgrenze des § 1 Abs. 3 GrEStG von 100% auf 95% mit Wirkung ab 1. Januar 2000 durch das StEntlG 1999/2000/2002 jedenfalls „bisher bestehende nicht gerechtfertigte Unterschiede im Vergleich zu § 1 Abs. 2a bezüglich der Höhe des steuerrelevanten Anteils“ ausgeräumt werden (BT-Drucks. 14/265, 204). Im Vordergrund gestanden haben dürfte auch die Befürchtung von Steuerausfällen durch Zurückbehaltung bzw. Übertragung von Zwerganteilen auf fremde Personen (BT-Drucks. 14/265, 204).
c) Da – ausgehend von den obigen Erwägungen – die Grundstücke der Z AG der Klägerin grunderwerbsteuerrechtlich nicht zugerechnet werden können und damit nicht i.S.d. § 1 Abs. 2a GrEStG gehören, konnte die Klägerin auch – entgegen der unzutreffenden Rechtsauffassung des FA – nicht Steuerschuldnerin i.S.v. § 13 Nr. 6 GrEStG im Hinblick auf die Grundstücke der Z AG sein. Mithin ist der streitgegenständliche Feststellungsbescheid vom 4. April 2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. März 2015 rechtswidrig, verletzt die Klägerin dadurch i.S.d. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO in ihren Rechten und ist daher aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
3. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und dem Vollstreckungsschutz folgt aus §§ 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.
4. Die Revision zum Bundesfinanzhof wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der entschiedenen Rechtsfragen zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Dies gilt insbesondere für die Fragen der grunderwerbsteuerrechtlichen Zurechnung von Grundstücken an eine Obergesellschaft sowie des Anwendungsbereichs des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG in der Fassung des StEntlG 1999/2000/2002.

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