Steuerrecht

Gewährung von höheren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts

Aktenzeichen  S 37 AS 2122/16 ER

Datum:
4.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB II SGB II § 11 Abs. 3, § 22 Abs. 1 S. 1, S. 3
SGB X SGB X § 44

 

Leitsatz

Wird einem Leistungsberechtigten eine gegenüber dem schlüssigen Konzept des Leistungsträgers zu niedrigere Angemessenheitsgrenze für die Bedarfe der Unterkunft genannt, sind zunächst die Aufwendungen für die Unterkunft in tatsächlicher Höhe zu übernehmen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, den Antragstellern zu 1) bis 3) für den Zeitraum 01.09.2016 bis 31.10.2016 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu den bereits vorläufig geleisteten Beträgen von 64,53 € für Kosten der Unterkunft monatlich insgesamt weitere 405,-€ für die Kosten der Unterkunft zu gewähren.
Im Übrigen wird der darüber hinausgehende Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
II. Der Antragsgegner erstattet den Antragstellern ½ ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten.
III. Den Antragstellern wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und RA Dr. B. beigeordnet.

Gründe

I.
Am 09.05.16 beantragte die Antragstellerin beim Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für sich und ihre beiden Kinder, geboren am XX.XX.1999 und F., geboren am XX.XX.2014, die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft leben.
Laut Aktenvermerk des Antragsgegners hatte die Antragstellerin beim Antragsgegner am 09.05.2016 vorgesprochen und mitgeteilt, dass sie alleinerziehend sei, zwei Kinder habe und als Projektassistentin zu monatlich ca. 550,-€ brutto arbeite; derzeit wohne sie noch bei ihrem Expartner mietfrei in C-Stadt, sie verfüge wie auch ihr älterer Sohn lediglich über Girokonto, sonst sei kein weiteres Vermögen vorhanden. Im Aktenvermerk ist weiter festgehalten, die Antragstellerin sei auf die für sie gültige Mietobergrenze (Kaltmiete In Höhe von monatlich 690,-€) hingewiesen worden.
In ihrer Begründung zum Erstausstattungsantragt vom 03.06.2016 erklärte sie, sie habe sich bereits am 26.01.2016 von ihrem Lebensgefährten getrennt und zwar zunächst innerhalb der bestehenden Wohnung.
Am 10.05.16 teilte die Antragstellerin dem Antragsgegner mit, sie habe bisher noch keine Wohnung gefunden, habe jedoch nunmehr soeben eine Zusage erhalten für Wohnung in A- Stadt, die sie ab 01.06.2016 mit ihren Kindern beziehen könne. Den Mietvertrag bekomme sie im Laufe der Woche. Die Kaltmiete betrage knapp 1.100,-€ und liege somit über der Mietobergrenze. Sie wolle wissen, ob sie den Mietvertrag dem Antragsgegner zusenden könne, um diese Wohnung vom Antragsgegner „genehmigen“ zu lassen. Es sei sehr dringend, da es schwer gewesen sei, überhaupt eine Wohnung zu finden und sie nur Absagen erhalten habe, worauf der Antragsgegner erwiderte, es werde „nicht funktionieren“, der Antragstellerin würden 400,-€ monatlich fehlen, die Versorgung ihrer Kinder sei nicht sichergestellt.
Auf die Frage der Antragstellerin, ob sie den Mietvertrag genehmigen lassen müsse, erklärte der Antragsgegner, der Mietvertrag müsse nur genehmigt werden, wenn die Antragstellerin eine Kaution und Arbeitslosengeld II beantragte. Diese sei dann vor der Unterzeichnung dem Jobcenter vorzulegen.
Lt. vorgelegtem Mietvertrag vom 13.05.2016 ab 01.06.2016 beträgt die Nettomiete 1.095,-€, die Heizkostenvorauszahlung 110,-€ und die Betriebskostenvorauszahlung 120,-€ im Monat.
Vorgelegt wurden außerdem der Arbeitsvertrag der Antragstellerin mit der Firma D. beginnend ab 01.06.2016, Entgeltabrechnungen des Arbeitgebers, der Aushilfsvertrag des Sohnes sowie die angeforderten Kontoauszüge.
Mit Bescheid vom 01.06.2016 bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vorläufig für die Zeit vom 01.06.2016 bis 31.10.2016: Für Juni und Juli 425,53 €, für August 495,44 € €, für September und Oktober 425,53 €, für Mai 2016 wurde die Leistung abgelehnt, da aufgrund einer Abfindung Hilfebedürftigkeit nicht vorgelegen habe. Die Bewilligung sei vorläufig erfolgt, da schwankendes Einkommen erziele. Weiter wurde zur Begründung der Entscheidung ausgeführt, dass der Antragstellerin bereits vor Eingehung des Mietvertrages mitgeteilt worden sei, dass die ab dem 01.06.2016 angemietete Wohnung in A-Stadt 405,-€ über der maßgeblichen Mietobergrenze liege; es werde daher nur die angemessene Kaltmiete In Höhe von 690,-€ für eine dreiköpfige Familie bewilligt, zuzüglich der Nebenkosten. Auf die dazugehörigen Berechnungsblätter der Entscheidung aus der unpaginiert vorgelegten Leistungsakte des Antragsgegners wird Bezug genommen.
Aus der Berechnung der Kosten der Unterkunft ergibt sich, dass der Antragsgegner als angemessene Kaltmiete einen Betrag von 690,-€ angesetzt hat. Hierzu wurden Heizkosten In Höhe von 110,-€ monatlich und allgemeine Nebenkosten In Höhe von 120,- als zu berücksichtigende Kosten der Unterkunft berücksichtigt, insgesamt somit ein Betrag von 920,-€ für die Bedarfsgemeinschaft und somit 306,67 € für jedes einzelne Mitglied der Bedarfsgemeinschaft. Nicht berücksichtigt wurden außerdem die Stellplatz – Kosten In Höhe von 40,-€ monatlich.
Mit Bescheid vom 14.07.2016 wurde der (vorläufige) Bescheid vom 01.06.2016 für die Zeit vom 01.08.2016 bis 31.10.2016 abgeändert und für August 2016 vorläufig 134,44 € und für September und Oktober 2016 vorläufig 64,53 € den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft bewilligt. Zur Begründung wurde angegeben, für den Sohn F. werde Unterhalt In Höhe von 361,-€ bezahlt.
Mit Bescheid vom 12.07.2016 hatte der Antragsgegner den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft für August 2016 In Höhe von 234,44 € und für September und Oktober 2016 jeweils 164,63 € bewilligt. Dem dagegen eingelegten Widerspruch hat der Antragsgegner mit Bescheid vom 14.09.2016 „abgeholfen“ und den Bescheid vom 12.07.2016 wieder aufgehoben. Der Bescheid sei rechtswidrig gewesen und deshalb aufzuheben gewesen, da die Einkommensanrechnung fehlerhaft gewesen sei wie auch die Nichtaufrechterhaltung der Vorläufigkeit.
Am 04.08.2016 legte der Prozessbevollmächtigte gegen die Bescheide vom 01.06.2016, 12.07.2016 und 14.07.2016 Widerspruch ein.
Zuvor hatte bereits die Antragstellerin selbst am 15.06.2016 gegen den Bescheid vom 01.06.2016 Widerspruch eingelegt. Bei Zufluss der Abfindung In Höhe von 2.943,85 € am 03.05.2016 habe sich das Konto der Antragsteller im Minus befunden (- 1.327,89 €), es könne deshalb nur ein Teil der Abfindung angerechnet werden. Im Übrigen müsse diese Abfindung als Vermögen und nicht als Einkommen betrachtet werden. Außerdem sei zumindest für die ersten Monate die volle Miete durch den Antragsgegner zu übernehmen. In der Höhe der vom Antragsgegner angegebenen Mietobergrenze von 690,-€ kalt sei keine drei-Zimmerwohnung vor Ort oder im näheren Umkreis zu finden. Sie habe keine Zeit mehr gehabt, weiter nach einer passenden Wohnung zu suchen, das Zusammenleben mit dem Ex-Partner sei für sie eine große psychische Belastung gewesen, was zu einer beginnenden Depression und häufigeren Krankschreibungen geführt habe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14.09.2016 wurden die Widersprüche der Antragstellerin vom 15.06.2016 und 04.08.2016 gegen die Bescheide vom 01.06.2016 und 14.07.2016 als unbegründet zurückgewiesen. Ein Abdruck davon befindet sich im hinteren Teil der nicht paginierten Leistungsakte des Antragsgegners; auf den Inhalt der Begründung wird Bezug genommen.
Dagegen erhob der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin am 20.10.2016 unter dem AZ S 37 AS 2488/16 Klage zum Sozialgericht München.
Am 07.09.2016 ersuchte der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller das Sozialgericht München um Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz und beantragte,
1.Der Antragstellerin werden vorläufig höhere Leistungen nach dem SGB II gewährt
2.Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens
3.Es wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt P. gewährt.
Auf die hierzu vorgebrachten Gründe wird Bezug genommen (Blatt 1 bis 4, 72 der Gerichtsakten).
In der Antragserwiderung vom 19.09.2016 beantragte der Antragsgegner, den Antrag auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz abzulehnen.
Die Antragstellerin sei umfassend über die einschlägige Sach- und Rechtslage, insbesondere über die Mietobergrenzen im Landkreis B-Stadt informiert worden. Dennoch habe die Antragstellerin am 13.05.2016 einen Mietvertrag über eine 3-Raum-Wohnung zu einem Netto-Kaltmietpreis von 1.095,-€ in A-Stadt abgeschlossen. Die Mietobergrenze im Landkreis B-Stadt sei lt. einem vom Antragsgegner in Auftrag gegebenen Gutachten der „G- Firma AG“ für den Vergleichsraum Ober- und A-Stadt für eine 3-Personen- Bedarfsgemeinschaft auf 790,-€ anzusetzen (vgl. Gutachten Blatt 88 bis 133 der Gerichtsakten). Der zuständige Sachbearbeiter habe die Antragstellerin noch davor gewarnt, den Mietvertrag abzuschließen, da die Kaltmiete 395,-€ über der Mietobergrenze liege. Mit Bescheid vom 01.06.2016 seien die Leistungen von Mai 2016 bis Oktober 2016 vorläufig bewilligt worden. Dabei sei für die Kaltmiete lediglich eine Betrag von 700,- € berücksichtigt worden. Der Bescheid vom 12.07.2014, wodurch fälschlicherweise ab August nur ein um 100,-€ zu geringes Einkommen angesetzt wurde, sei nach Widerspruchseinlegung wieder aufgehoben worden. Mit Änderungsbescheid vom 14.07.2016 seien die Leistungen ein weiteres Mal ab August 2016 neu berechnet worden, da die Antragstellerin für ihren zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Sohn F. Unterhalt In Höhe von 361,-€ erhalte. Im vorliegenden Verfahren halte die Antragstellerin ihren bisherigen Vortrag aufrecht und füge hinzu, dass sie aus diversen Gründen ortsgebunden sei. Eine 6-monatige Übernahme der vollen Kosten der Unterkunft komme hier nicht in Betracht, da die Antragstellerin bereits vor Abschluss des Mietvertrages ihre Kostensenkungsobliegenheit gekannt habe. Die „Rechtfertigungstatbestände“ des § 22 Abs. Satz 3 SGB II kämen deshalb nicht in Betracht.
Der Prozessbevollmächtigte erwiderte, dass das Gutachten der Firma G-Firma nicht den Anforderungen des BSG genüge. Im Übrigen werde mit Nichtwissen bestritten, dass der Antragsgegner die Antragstellerin auf ihre Kostensenkungsobliegenheit hingewiesen und der Antragstellerin von der Unterzeichnung des Mietvertrages abgeraten habe. Außerdem sei § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II auch auf den vorliegenden Fall anwendbar: Die Antragstellerin habe über einen längeren Zeitraum vergeblich versucht, eine Wohnung innerhalb der Mietobergrenze zu finden; außerdem sei ihr aufgrund der dargelegten Umstände nicht zumutbar gewesen, in der Wohnung länger zu verbleiben.
Zur weiteren Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Leistungsakten des AG sowie der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Vorliegender Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auszulegen. Zwar wurde der Antrag formal nur für die Antragstellerin gestellt, im Rubrum des Antrags sind jedoch drei Antragsteller aufgeführt, nämlich die 1) Frau A. und zu 2) und zu 3) ihre beiden Kinder und F.. Auch wenn der Antrag dahin formuliert, dass lediglich die Antragstellerin Leistungen geltend macht, die vom Antragsgegner Leistungen nach dem SGB II erhält, die sich in einem Beschäftigungsverhältnis befinde und monatlich 451,87 € verdiene, etc., so wird doch in der Begründung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung deutlich, dass Leistungen für alle im Rubrum bezeichneten Antragsteller begehrt werden.
Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht im Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 der Vorschrift). Die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz setzt hierbei einen Anordnungsanspruch (als materiell-rechtlichen Anspruch auf die begehrte Leistung) sowie einen Anordnungsgrund, also einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus.
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind dabei glaubhaft zu machen.
Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache und die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund) stehen dabei in unmittelbarer Beziehung zueinander: je schwerer die mit der Versagung von einstweiligen Rechtsschutz verbundenen Belastungen für den jeweiligen Antragsteller sind, desto geringer sind die an die Erfolgsaussicht zu stellenden Anforderungen.
Im vorliegenden Fall ist ein Anordnungsanspruch der Antragsteller glaubhaft gemacht.
Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Soweit die Aufwendungen für Kosten der Unterkunft den angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf anzuerkennen, wenn es der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermietung oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens sechs Monate. Im vorliegenden Fall steht fest, dass die von der Antragstellerin geschuldete Miete den Umfang der Angemessenheit überschreitet. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus dem vom Antragsgegner vorgelegten Gutachten der G-Firma aus dem Jahr 2016, in welchem eine Obergrenze für Netto-Kaltmieten in A-Stadt von 790,-€ für eine Bedarfsgemeinschaft mit drei Personen angesetzt wird (vgl S. 19 des Gutachtens, Blatt 98 der Gerichtsakten). Die Netto-Kaltmiete der Antragstellerin beträgt jedoch 1.095,-€. Dieses Gutachten ist ausführlich und plausibel und wäre auch als schlüssiges Konzept für die Feststellung der Mietobergrenze geeignet, wenn es – wie vom BSG gefordert- Obergrenzen für die jeweiligen Brutto-Kalt- Mieten erstellt hätte. Sie kann also nur mittelbar als Maßstab insoweit dienen, als sie Aussagen über die Netto-Kaltmieten trifft, die im Falle der Antragstellerin um 305,- € überschritten wird.
Auch der Antragsgegner hat die Mietobergrenze nur für die Netto-Kalt-Miete festgestellt und dabei auch noch die Mietobergrenze von 690,-€ und nicht die von 790,-€ der Leistungsberechnung zugrunde gelegt. Diese Grenze von 690,-€ wurde der Antragstellerin von Anfang an als die für ihre Bedarfsgemeinschaft maßgebliche Grenze genannt. Sie wurde dadurch u.U. in die Irre geführt und kam –wie vorgetragenzu dem Ergebnis, dass zu dieser Mietobergrenze von 690,-€ Kaltmiete tatsächlich keine angemessene Wohnung gefunden werden könne. Es erscheint als nicht ausgeschlossen, dass aufgrund der Nennung der falschen Mietobergrenze ein Anspruch der Antragstellerin zumindest für die ersten 6 Monate des Leistungsbezuges auf die vollen Kosten der Unterkunft besteht. Da im vorliegenden Fall existenzsichernde Leistungen geltend gemacht werden und die Antragstellerin darlegt, dass sie möglicher Weise für die ersten 6 Monate Anspruch auf die vollen Kosten der Unterkunft hat, ist der Anordnungsanspruch deshalb glaubhaft gemacht.
Damit ist der Differenzbetrag von 405,-€ nach Kopfteilen durch drei zu teilen und ergibt einen vorläufigen Nachzahlungsbetrag von Kosten der Unterkunft für jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft von mtl. 135,-€ für die restlichen Monate September und Oktober 2016 des Bewilligungszeitraumes.
Weitere bzw. höhere Ansprüche haben die Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. So hat der Antragsgegner zutreffend das Einkommen der Antragsteller unter Berücksichtigung der Freibeträge festgestellt. Der Einwand der Antragstellerin, der Antrag auf Leistungen für Mai 2016 solle nicht berücksichtigt werden, die ihr im Mai 2016 zugeflossene Abfindung sei deshalb nicht als Einkommen, sondern als Vermögen anzusehen, kann nicht berücksichtigt werden. So hat das BSG in einer Entscheidung vom 24.04.2015 (B 4 AS 22/14 R) festgestellt, dass eine einseitige Disposition über die Gestaltung des Sozialrechtsverhältnisses nicht zulässig ist. Die Bestimmung, ob ein Zufluss materiellrechtlich als Einkommen oder als Vermögen zu werten ist, unterliegt nicht mehr der Disposition des Hilfebedürftigen, wenn er sich durch seine Antragstellung in das Regime des SGB II begeben hat.
Soweit die Antragstellerin geltend macht, zum Zeitpunkt des Zuflusses der Abfindung habe sich das Girokonto im Minus befunden, ist auf BSG, Urteil vom 29.4.2015, B 14 AS 10/14 R Rnr. 31 ff zu verweisen. Darin heißt es:
„… Die zugeflossenen 8000 Euro sind in dieser Höhe als einmalige Einnahme iS des § 11 Abs. 3 SGB II zu berücksichtigen. Eine Minderung durch die Rückführung des Solls auf dem Konto des Klägers in Höhe von 2985,89 Euro, das seine Bank aufgrund des zwischen beiden vereinbarten Dispositionskredits in Höhe von 2900 Euro hingenommen hatte, im Zeitpunkt des Zuflusses der 8000 Euro kommt grundsicherungsrechtlich nicht in Betracht.
aa) In Höhe des Kontosolls bestand eine Verbindlichkeit, eine Schuld, des Klägers gegenüber seiner Bank, die durch Verrechnung seitens der Bank im Rahmen einer Kontokorrentabrede mit dem Kläger getilgt worden ist (zum vereinbarten Dispositionskredit vgl K. P. Berger in MüKo-BGB, 6. Aufl 2012, vor § 488 RdNr. 52, 55 ff,
§ 488 RdNr. 3, 32, 147 f, 207, 228; Schürnbrand in MüKo-BGB, 6. Aufl 2012, § 491 RdNr. 50, § 504 RdNr. 7 ff). Zahlungen auf Verbindlichkeiten – abgesehen von der hier nicht einschlägigen Ausnahme der Aufwendungen zur Erfüllung von titulierten Unterhaltsverpflichtungen (§ 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II) – sind indes nicht vom Einkommen abzusetzen (vgl BSG Urteil vom 19.9.2008 – B 14/7b AS 10/07 R – SozR 4-4200 § 11 Nr. 18 RdNr. 25; BSG Urteil vom 30.9.2008 – B 4 AS 29/07 R – BSGE 101, 291
= SozR 4-4200 § 11 Nr. 15, RdNr. 19; BSG Urteil vom 20.2.2014 – B 14 AS 53/12 R – vorgesehen für SozR 4-4200 § 11b Nr. 4 RdNr. 27). Es kommt für die Berücksichtigung der 8000 Euro als Einkommen rechtlich lediglich auf deren Zufluss an, und es ist unerheblich, ob und in welchem Umfang sich aufgrund der Gutschrift der 8000 Euro auf dem Konto des Klägers ein positiver Kontostand auf diesem Konto ergeben hat (so zu einer vergleichbaren Konstellation BSG Urteil vom 20.12.2011 – B 4 AS 200/10 R – juris RdNr. 13).
Die normative Berücksichtigung der am 27.6.2011 zugeflossenen 8000 Euro bleibt deshalb davon unberührt, dass diese Einnahme aufgrund des mit der Bank vereinbarten Dispositionskredits teilweise dazu gedient hat, das Kontosoll zurückzuführen. Hierbei handelt es sich lediglich um eine Einkommensverwendung, durch die der Zufluss der 8000 Euro nicht teilweise den Charakter als Einkommen verliert (so zu einer vergleichbaren Konstellation BSG Urteil vom 30.7.2008 – B 14 AS 26/07 R – SozR 4-4200 § 11 Nr. 17 RdNr. 25; BSG Urteil vom 30.7.2008 – B 14 AS 43/07 R – juris RdNr. 28). Vielmehr erweist sich deren Einkommenscharakter eben darin, dass hieraus das Kontosoll zurückgeführt werden konnte (zum in Geld ausdrückbaren wirtschaftlichen Wert einer Befreiung von Schulden bzw Verringerung von Verbindlichkeiten vgl BSG Urteil vom 16.5.2012 – B 4 AS 132/11 R – SozR 4-4200 § 22 Nr. 60 RdNr. 21). …“
Im Übrigen sind Fehler bei der Höhe der Leistungsberechnung nicht erkennbar. Insoweit war deshalb der Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Dass der Antragsgegner im Bescheid vom 12.07.2016 den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für August 2016 in Höhe von 234,44 € und für September und Oktober 2016 jeweils 164,63 € bewilligt hatte und dem dagegen eingelegten Widerspruch mit Bescheid vom 14.09.2016 „abgeholfen“ und den Bescheid vom 12.07.2016 wieder aufgehoben hatte, weil dieser rechtswidrig und deshalb aufzuheben gewesen sei, da die Einkommensanrechnung fehlerhaft gewesen sei wie auch die Nichtaufrechterhaltung der Vorläufigkeit, ist zwar rechtswidrig, hat aber auf die vorliegende Entscheidung keinen Einfluss. Die „Abhilfe“ ist zwar in Wirklichkeit eine Verböserung der mit Widerspruch angefochtenen Entscheidung. Sie kann nicht im Wege des Widerspruchsverfahrens ergehen, sondern nur nach den Regeln der §§ 44 ff SGB X. Dennoch bleibt diese „Abhilfe – Entscheidung“ für die vorliegende Entscheidung unbeachtlich, da bei der Höhe des Anordnungsanspruchs der zugeflossene Unterhalt unabhängig von dieser Entscheidung berücksichtigt werden muss.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.
Hierbei wurde berücksichtigt, dass der Antrag des Prozessbevollmächtigten vage gehalten ist: Beantragt werden „höhere Leistungen“; es wird jedoch nicht ausgeführt, in welcher Höhe und für welchen Zeitraum.
Es ist jedoch davon auszugehen, dass das Ziel des Antragsverfahrens die Gewährung der ungekürzten Kosten der Unterkunft und die Nichtberücksichtigung der anteiligen Einmalzahlungen in den verbleibenden Monaten September und Oktober des Bewilligungszeitraums 01.06.2016 bis 31.10.2016 gewesen ist. Damit erscheint die Kostenquote von ½ als angemessen.

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