Steuerrecht

Gewerberechtliche Unzuverlässigkeit wegen Abgaberückständen und finanzieller Leistungsunfähigkeit und -unwilligkeit

Aktenzeichen  22 C 16.2017

Datum:
6.10.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 53565
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 154 Abs. 2, § 166
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
GewO § 35 Abs. 1

 

Leitsatz

Der Prognose, ob sich der Gewerbetreibende künftig als gewerberechtlich unzuverlässig erweisen wird, können auf Steuerschätzungen beruhende Steuerschulden ebenso zugrunde gelegt werden wie solche Steuerschulden, die auf genauen Grundlagenfeststellungen und Berechnungen zur Höhe der abzuführenden Steuern beruhen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 16 K 15.5282 2016-08-07 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe für eine beim Bayerischen Verwaltungsgericht München noch anhängige Anfechtungsklage gegen einen Bescheid des Beklagten vom 2. November 2015, mit dem ihm unter Androhung von Zwangsgeldern die Ausübung seines Gewerbes „Überführung von Kfz“ untersagt und die Untersagung auf die selbstständige Ausübung jedes anderen Gewerbes und die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden und als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person erstreckt wurden.
Das Verwaltungsgericht hat die begehrte Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 7. August 2016 versagt, weil die Klage keine hinreichende Erfolgsaussicht habe.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers, der geltend macht, die Klage habe hinreichende Erfolgsaussicht. Denn das Landratsamt stütze seine Gewerbeuntersagung auf eine fehlerhafte Steuerschätzung des Finanzamts. Dieses orientiere sich bei seiner Berechnung zu Unrecht an einem Gewerbe, das der Kläger schon im Jahr 2003 abgemeldet habe.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht, denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO); das Verwaltungsgericht hat dies richtig entschieden.
1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussicht einer Rechtsverfolgung ist grundsätzlich nach § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO der Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags. Dieser ändert aber nichts an dem für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Gewerbeuntersagung maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses, der hier früher liegt und die spätere Entscheidung über die Gewährung von Prozesskostenhilfe insoweit materiell-rechtlich vorbestimmt. Bei einer Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ist nach ständiger Rechtsprechung für die Beurteilung der Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abzustellen, so dass nachträgliche Veränderungen der Sachlage, insbesondere eine Minderung von Verbindlichkeiten, außer Betracht bleiben (vgl. z. B. BayVGH, B. v. 20.5.2016 – 22 ZB 16.253 – Rn. 9 und 10; BVerwG, U. v. 15.4.2015 – 8 C 6.14 -GewArch 2015, 366 Rn. 15 m. w. N.).
Was vorliegend die Verhältnisse im Zeitpunkt des Bescheidserlasses und die vom Beklagten herangezogene Begründung angeht, so macht der Kläger mit seiner Beschwerde keine anderen Umstände geltend als mit der Klage, nämlich die – nach seinem Vortrag – rechtsfehlerhafte Steuerschätzung durch das Finanzamt. Damit kann er aber nicht durchdringen.
Denn zum Einen können der Prognose, ob sich der Gewerbetreibende künftig als gewerberechtlich unzuverlässig erweisen wird, auf Steuerschätzungen beruhende Steuerschulden ebenso zugrunde gelegt werden wie solche Steuerschulden, die auf genauen Grundlagenfeststellungen und Berechnungen zur Höhe der abzuführenden Steuern beruhen (BayVGH, B. v. 31.1.2014 – 22 ZB 13.1859 – Rn. 16 m. w. N.). Aus dem Umstand, dass die Steuerschulden „nur“ auf Schätzungen des Finanzamts beruhen, folgt deshalb keine günstigere Zuverlässigkeitsprognose. Entscheidend ist vielmehr in dem einen wie in dem andern Fall stets, ob erkennbar ist, dass und wie der aktuelle, für die Annahme der Unzuverlässigkeit sprechende Zustand künftig in einem hinnehmbaren Zeitraum beendet und damit Gefahren für andere Gewerbetreibende, Kunden, die öffentliche Hand, andere Stellen und die Rechtsordnung insgesamt abgewendet werden können (BayVGH, B. v. 20.5.2016 – 22 ZB 16.253 – Rn. 9).
Davon abgesehen ist vorliegend der Einwand des Klägers, die Steuerschulden resultierten aus einem längst aufgegebenen Gewerbe, auch in der Sache nicht richtig. Wie das Verwaltungsgericht (Beschluss, S. 5, 2. Abschnitt) zutreffend ausgeführt hat, wird im angefochtenen Bescheid ausdrücklich zwischen Rückständen beim Finanzamt Freising aus dem abgemeldeten Gewerbe (3.700 €) einerseits und den aus der nachfolgenden Tätigkeit resultierenden Rückständen beim Finanzamt München (52.200 €) andererseits unterschieden; letztere betragen etwa das Vierzehnfache der Schulden aus dem vor Jahren abgemeldeten Gewerbe. Inwieweit die vom Finanzamt München mitgeteilte Steuerschuld (52.200 €) deswegen falsch sein könnte, weil das Finanzamt – wie der Kläger mit der Klage formuliert hat – die Rückstände aus einem früheren Gewerbe lediglich „hochgerechnet“ haben könnte, erschließt sich aus dem Vortrag des Klägers nicht und ist nicht ersichtlich.
Hinzu kommt, dass die dem Bescheid zugrundeliegende Unzuverlässigkeitsprognose und die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht nur auf die – in Anbetracht des relativ geringen Geschäftsumfangs des Klägers beträchtlichen und zur wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit führenden – finanziellen Belastungen (ca. 56.000 € bei beiden Finanzämtern, ca. 3.300 € bei der Berufsgenossenschaft) gestützt sind, sondern auch auf die anhaltende Missachtung von Zahlungs- und Erklärungspflichten durch den Kläger, die vergeblichen mehreren Vollstreckungsversuche von Gläubigern und das Fehlen jeglicher Zahlungsvereinbarungen (Beschluss, S. 2). In den letztgenannten Verhaltensweisen kommt zusätzlich zu der finanziellen Leistungsunfähigkeit auch eine deutliche Leistungsunwilligkeit zum Ausdruck. All dem ist der Kläger in keiner Weise entgegen getreten.
Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen auch im Übrigen aus den vom Verwaltungsgericht in seinem Beschluss genannten Gründen, mit dem es Prozesskostenhilfe versagt hat, nicht.
Kosten: § 154 Abs. 2 VwGO.

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