Steuerrecht

Gewerbeuntersagung wegen wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit

Aktenzeichen  M 16 K 16.2855

Datum:
21.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GewO GewO § 35 Abs. 1 S. 1, S. 2, Abs. 6

 

Leitsatz

1 Auf ein Verschulden des Gewerbetreibenden hinsichtlich der die Annahme der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit rechtfertigenden Umstände kommt es nicht an. Dies gilt auch, wenn sich die negative Prognose auf seine wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit, insbesondere Steuerrückstände stützt (ebenso BVerwG BeckRS 1996, 31225303). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2 Steuerrückstände sind dann geeignet, einen Gewerbetreibenden als unzuverlässig erscheinen zu lassen, wenn sie sowohl ihrer absoluten Höhe nach als auch im Verhältnis zur Gesamtbelastung des Gewerbetreibenden von Gewicht sind; auch die Zeitdauer, während der der Gewerbetreibende seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, ist von Bedeutung (ebenso BVerwG BeckRS 1997, 31222274). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3 Hintergrund für die Einstufung eines wirtschaftlich leistungsunfähigen Gewerbetreibenden als unzuverlässig ist, dass von einem Gewerbetreibenden im Interesse eines ordnungsgemäßen und redlichen Wirtschaftsverkehrs zu erwarten ist, dass er bei anhaltender wirtschaftlicher Leistungsunfähigket ohne Rücksicht auf die Ursachen seiner wirtschaftlichen Schwierigkeiten seinen Gewerbebetrieb aufgibt. Dieser Grund entfällt nur, wenn der Gewerbetreibende zahlungswillig ist und trotz seiner Schulden nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept arbeitet (ebenso BVerwG BeckRS 9998, 44552). Die Gründe, die zu der wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit geführt haben, sind dabei nicht entscheidend; maßgeblich sind allein die Aussichten für deren Beendigung (ebenso BayVGH BeckRS 2016, 46412). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
4 Die fortlaufende Verletzung steuerrechtlicher Zahlungspflichten rechtfertigt die Annahme einer gewerbeübergreifenden Unzuverlässigkeit, da Steuerrückstände nicht nur einen Bezug zu einer bestimmten gewerblichen Tätigkeit haben. (Rn. 29 – 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid des Landratsamts vom 10. Mai 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Das Landratsamt ist zu Recht von der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit des Klägers im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ausgegangen.
Gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ist die Ausübung eines Gewerbes von der zuständigen Behörde ganz oder teilweise zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in Bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersagung zum Schutze der der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist.
Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Gewerbetreibender dann gewerberechtlich unzuverlässig, wenn er nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß ausüben wird. Die Unzuverlässigkeit kann sich insbesondere aus mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, dem Vorliegen von Steuerschulden, der Verletzung von steuerlichen Erklärungspflichten, dem Vorhandensein von Beitragsrückständen bei Sozialversicherungsträgern oder aus Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ergeben (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C-146/80 – juris; BVerwG, B.v. 19.1.1994 – 1 B 5/94 – juris; BVerwG, B.v. 11.11.1996 – 1 B 226/96 – juris; BVerwG, B.v. 5.3.1997 – 1 B 56/97 – juris; BVerwG, B.v. 16.2.1998 – 1 B 26/98 – juris). Aus dem ausschließlich sicherheitsrechtlichen, zukunftsbezogenen Regelungszweck von § 35 GewO folgt, dass es auf ein Verschulden des Gewerbetreibenden hinsichtlich der die Annahme der Unzuverlässigkeit rechtfertigenden Umstände nicht ankommt. Dies gilt auch dann, wenn es um Steuerrückstände geht (vgl. BVerwG, B.v. 11.11.1996 – 1 B 226/96 – juris Rn. 4).
Für die erforderliche Prognose zur Feststellung der Unzuverlässigkeit ist aus den be-reits vorhandenen tatsächlichen Umständen auf ein wahrscheinliches zukünftiges Verhalten des Gewerbetreibenden zu schließen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Be-urteilung der Unzuverlässigkeit ist wegen der Möglichkeit der Wiedergestattung des Gewerbes gemäß § 35 Abs. 6 GewO der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentschei-dung (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C-17/79 – juris; BVerwG, B.v. 16.6.1995 – 1 B 83/95 – juris). Nachträgliche Veränderungen der Sachlage, insbesondere eine Min-derung von Verbindlichkeiten, bleiben außer Betracht (BayVGH, B.v. 23.10.2012 – 22 ZB 12.888 – juris).
Nach diesen Maßstäben ist die angefochtene Gewerbeuntersagung zu Recht ergangen. Das Landratsamt hat die negative Prognose über die gewerberechtliche Zuverlässigkeit des Klägers in nachvollziehbarer Weise auf seine erheblichen Zahlungsrückstände, zuletzt insbesondere bei dem Finanzamt und der AOK, sowie auf seine wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit gestützt. Zudem war der Kläger mehrfach wegen gewerbebezogener Straftaten rechtskräftig verurteilt und wegen gewerbebezogener Ordnungswidrigkeiten waren Bußgelder gegen ihn verhängt worden.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Steuerrückstände dann geeignet, einen Gewerbetreibenden als unzuverlässig erscheinen zu lassen, wenn sie sowohl ihrer absoluten Höhe nach als auch im Verhältnis zur Gesamtbelastung des Gewerbetreibenden von Gewicht sind; auch die Zeitdauer, während derer der Gewerbetreibende seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, ist von Bedeutung. Die Steuerrückstände, die zur Annahme der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit führen können, sind solche nicht gezahlten Steuern, die der Steuerschuldner von Rechts wegen bereits hätte zahlen müssen. Wann die Steuerschuld fällig ist, ergibt sich aus den einzelnen Steuergesetzen und im Übrigen aus § 220 AO (vgl. BVerwG, B.v. 5.3.1997 – 1 B 56/97- juris Rn. 5).
Ob aufgelaufene Steuerschulden auf Schätzbescheiden beruhen, ist dabei nicht maßgeblich. Dies folgt zum einen daraus, dass der Erlass von Schätzbescheiden die von der Rechtsordnung zwingend (vgl. § 162 Abs. 1 Satz 1 AO) vorgesehene Folge der Nichterfüllung der Steuererklärungspflicht darstellt; eine Person, die diese Pflicht missachtet, kann nicht verlangen, von den rechtlichen Konsequenzen verschont zu bleiben, die die Gesetze an ein solches Fehlverhalten knüpfen. Zum anderen kommt auf Schätzungen beruhenden Steuerbescheiden, was die Verbindlichkeit der in ihnen enthaltenen feststellenden Regelungen (insbesondere über das Bestehen und die Höhe einer Steuerschuld) anbetrifft, grundsätzlich die gleiche rechtliche Wirkung wie solchen Steuerbescheiden zu, die auf einer Steuererklärung oder auf einer von Amts wegen erfolgten Ermittlung der für die Besteuerung maßgeblichen Tatsachen beruhen. Denn auch Schätzbescheide bilden nach § 218 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AO die Grundlage für die Verwirklichung der Steuerschuld; auch sie sind so lange den Rechtsbeziehungen zwischen dem Steuergläubiger und dem Steuerschuldner zugrunde zu legen, als sie nicht aufgehoben wurden oder ihre kraft Gesetzes bestehende Vollziehbarkeit (vgl. § 361 Abs. 1 Satz 1 AO) ausgesetzt ist (vgl. BayVGH, B.v. 8.5.2015 – 22 C 15.760 – juris Rn. 19). Da für die Annahme einer gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit die Nichterfüllung von öffentlich-rechtlichen Zahlungspflichten aller Art von Bedeutung ist, ist es auch unbeachtlich, dass sich ein bestimmter Anteil an den Steuerschulden aus angefallenen Säumniszuschlägen ergibt (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 17.10.2008 – 22 ZB 08.2592 – juris Rn. 2).
Die Frage, ob eine Person unzuverlässig im Sinn von § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ist, beantwortet sich nach rein objektiven Gesichtspunkten; ein etwaiges Verschulden des Gewerbetreibenden bzw. das Fehlen eines solchen Verschuldens sind in diesem Zusammenhang grundsätzlich ebenso unerheblich wie Verschuldensgesichtspunkte, die sich ggf. aus der Tätigkeit eines Dritten (z.B. Steuerberater) ergeben, dessen sich der Gewerbetreibende zur Erfüllung seiner Pflichten bedient hat (vgl. BayVGH, B.v. 3.12.2015 – 22 ZB 15.2431 – juris Rn. 6; vgl. auch B.v. 5.11.2014 – 22 ZB 14.2221 – juris Rn. 21).
Nach den Ermittlungen des Landratsamts bestanden zum Stand 10. Mai 2016 Steuerrückstände in Höhe von 68.080,- Euro. Zudem bestanden Haftungsschulden in Bezug auf die frühere GmbH in Höhe von 23.632,71 Euro (Stand 1. April 2016). Zwar reduzierten sich die Steuerrückstände im Laufe des Gewerbeuntersagungsverfahrens von eingangs 98.890,07 Euro (Stand 20.Juli 2015) auf zwischenzeitlich 56.162,- Euro (vgl. Mitteilung des Finanzamts an das Landratsamt vom 15. März 2016). Zum 31. März 2016 waren die Rückstände nach telefonischer Mitteilung des Finanzamts jedoch bereits wieder auf 70.595,- Euro angestiegen. Zudem waren nach der Mitteilung des Finanzamts vom 15. März 2016 seit November 2015 laufende Steuern zum überwiegenden Teil nicht gezahlt worden. Wie sich aus der Rückstandsaufstellung des Finanzamts vom 8. Juli 2016 ergibt, reichten die Steuerrückstände – abgesehen von den Haftungsschulden im Zusammenhang mit dem Haftungsbescheid vom 28. Mai 2013 – bis zum Fälligkeitszeitpunkt 27. September 2013 (Umsatzsteuer Säumniszuschlag 2. Vj. 2013) zurück. Demnach bestanden die Rückstände bereits über einen längeren Zeitraum. Zudem gab es weitere Beitragsrückstände bei der AOK in Höhe von 3.115,41 Euro (Stand: 10. Mai 2016). Außerdem waren auch erhebliche Beitragsrückstände bei der Berufsgenossenschaft u.a. aus den Jahren 2013 bis 2015 aufgelaufen, wie im Laufe des gerichtlichen Verfahrens bekannt wurde. Weiterhin war von der wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit des Klägers auszugehen, wie die Einträge im Vollstreckungsregister sowie die Aufstellung des Gerichtsvollziehers belegen.
Im Interesse eines ordnungsgemäßen und redlichen Wirtschaftsverkehrs muss von einem Gewerbetreibenden erwartet werden, dass er bei anhaltender wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit ohne Rücksicht auf die Ursachen seiner wirtschaftlichen Schwierigkeiten seinen Gewerbebetrieb aufgibt. Diese – durch die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Gewerbeausübung begründete – Erwartung ist der eigentliche Grund, den wirtschaftlich leistungsunfähigen Gewerbetreibenden als unzuverlässig zu bewerten. Dieser Grund entfällt nur dann, wenn der Gewerbetreibende zahlungswillig ist und trotz seiner Schulden nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept arbeitet (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 146.80 – juris Rn. 15). Da es entscheidend darauf ankommt, ob erkennbar ist, dass und wie die wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit künftig in einem hinnehmbaren Zeitraum beendet und damit Gefahren für andere Gewerbetreibende, Kunden, die öffentliche Hand, andere Stellen und die Rechtsordnung insgesamt abgewendet werden können, sind für diese Prognose die Gründe, die zur wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit geführt haben, nicht entscheidend; maßgeblich sind alleine die Aussichten für deren Beendigung (vgl. BayVGH, B.v. 20.5.2016 – 22 ZB 16.253 – juris Rn. 9).
Von einer planmäßigen Schuldentilgung durch den Kläger war nicht auszugehen, auch wenn Teilzahlungen geleistet und auch die Beitragsrückstände für die Beitragsjahre 2011, 2012 und 2015 bei der IHK beglichen wurden. Eine planmäßige Schuldentilgung und Begleichung der laufenden Steuerforderungen erfolgte nicht. Ein tragfähiges Sanierungskonzept, das die geordnete Rückführung der Steuerschulden in einem überschaubaren Zeitraum hätte erwarten lassen, lag nicht vor. Eine längerfristige fortlaufende Reduzierung der Rückstände konnte nicht erreicht werden, wie die Entwicklung im Laufe des Gewerbeuntersagungsverfahrens belegt. Ratenzahlungsvereinbarungen bestanden nicht, lediglich zeitweilig ein Vollstreckungsaufschub. Von einer anhaltenden mangelnden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Klägers war auszugehen. Anzeichen für eine Besserung der wirtschaftlichen Situation waren nicht erkennbar. Der Kläger hat auch im Rahmen der Anhörungen keine diesbezüglichen aussagekräftigen Unterlagen vorgelegt. Soweit in dem Schreiben der Steuerberaterin des Klägers an das Landratsamt vom 20. Oktober 2015 Ausführungen zu einem Sanierungskonzept vorgelegt wurden, erfüllen diese nicht die an ein solches Konzept zu stellenden Anforderungen, zumal das Konzept maßgeblich auf der erwarteten Gewährung eines Geschäftskredits durch die Bank aufbaute, welche jedoch im Folgenden nicht zustande kam.
Die Unzuverlässigkeit des Klägers ergibt sich zudem aus den von ihm begangenen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten mit Gewerbebezug, die rechtskräftig strafrechtlich bzw. ordnungswidrigkeitenrechtlich geahndet wurden. So war gegen den Kläger mit rechtskräftigem Strafbefehl vom … Februar 2014 durch das Amtsgericht (…) wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung sachlich zusammentreffend mit sieben tatmehrheitlichen Fällen des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelten eine Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen verhängt worden. Weiterhin war der Kläger mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts vom … Mai 2015 wegen Betrugs in drei tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in fünf tatmehrheitlichen Fällen zu einer Geldstrafe in Höhe von 240 Tagessätzen (einbezogen war darin die mit Strafbefehl vom … Februar 2014 verhängte Geldstrafe) verurteilt worden. Zudem war ausweislich der Auskunft aus dem Gewerbezentralregister vom 25. Februar 2016 mit rechtskräftigem Bußgeldbescheid des Hauptzollamts vom 18. November 2014 gegen den Kläger eine Geldbuße in Höhe von 2.500,- Euro wegen Nichtgewährung einer Arbeitsbedingung nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz verhängt worden sowie eine Geldbuße in Höhe von 12.000,- Euro wegen Beschäftigung eines ausländischen Arbeitnehmers ohne Arbeitsgenehmigung. Ferner wurde im Laufe des gerichtlichen Verfahrens bekannt, dass der Kläger am 3. Februar 2016 einen Betrug begangen hatte, der mit rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts vom … August 2016, rechtskräftig seit 24. November 2016, geahndet wurde, wobei eine Geldstrafe in Höhe von 150 Tagessätzen verhängt wurde.
Die Verwaltungsbehörden und die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit dürfen Feststellungen, die die Strafgerichte unanfechtbar getroffen haben, ihren Entscheidungen regelmäßig ohne eigene Ermittlungen zugrunde legen (vgl. BayVGH, B.v. 24.9.2015 – 22 ZB 15.1722 – juris Rn. 10; B.v. 7.10.2016 – 22 ZB 16.722 – juris Rn. 10). Eine Ausnahme hiervon gilt nur dann, wenn gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der strafgerichtlichen Tatsachenfeststellungen sprechen, was insbesondere dann der Fall ist, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel vorliegen, die gemäß § 359 Nr. 5 StPO eine Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertigen würden (vgl. BayVGH, B.v. 7.10.2016 a.a.O. Rn. 10). Derartige gewichtige Anhaltspunkte sind hier jedoch nicht ersichtlich. Soweit der Kläger im Rahmen der Anhörung diesbezügliche Einwendungen vorgebracht hat (vgl. Aktenvermerk über Anhörungsgespräch im Landratsamt am … April 2016), sind diese nicht hinreichend substantiier.
Insgesamt war damit zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt die Prognose über die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit des Klägers gerechtfertigt, da er nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bot, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß ausüben werde. Auf nachträgliche positive Veränderungen kommt es in diesem Zusammenhang – wie ausgeführt – nicht an. Diese wären im Rahmen eines Verfahrens auf Wiedergestattung der Gewerbeausübung (vgl. § 35 Abs. 6 GewO) geltend zu machen.
Gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ist die Ausübung des Gewerbes bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen zu untersagen, ein Ermessensspielraum steht der zuständigen Behörde insoweit grundsätzlich nicht zu. In Anbetracht der erheblichen Zahlungsrückstände und der wiederholt erfolgenden Nichtbegleichung aufgelaufener öffentlich-rechtlicher Forderungen war die Untersagung der Gewerbeausübung auch zum Schutz der Allgemeinheit im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO erforderlich. Eine mildere, gleichermaßen geeignete Maßnahme war nicht erkennbar.
Die Gewerbeuntersagung ist vorliegend auch nicht unverhältnismäßig. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine den gesetzlichen Anforderungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO entsprechende Gewerbeuntersagung allenfalls in extremen Ausnahmefällen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn verstoßen kann (BVerwG, B.v. 9.3.1994 – 1 B 33.94 – juris; BVerwG, B.v. 1.2.1994 – 1 B 211.93 –juris; BayVGH, z.B. B.v. 4.6.2014 – 22 C 14.1029 – juris Rn. 19). Die Voraussetzungen eines solchen extremen Ausnahmefalls sind im Fall des Klägers jedoch nicht gegeben. Auch evtl. geringe Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt würden es nicht rechtfertigen, von einer Gewerbeuntersagung wegen fortgesetzter Pflichtverletzung abzusehen (vgl. BayVGH, B.v. 4.6.2014 a.a.O.). Eine zeitliche Befristung der Gewerbeuntersagung war bereits deshalb nicht veranlasst, weil bei Wegfall der Unzuverlässigkeit gemäß § 35 Abs. 6 GewO ein Anspruch auf Wiedergestattung der Ausübung des Gewerbes besteht. Im Übrigen wären auch keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich gewesen, dass nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums die Gründe für die Prognose der fehlenden Zuverlässigkeit des Klägers entfallen würden. Eine (zeitlich zu befristende) „Strafsanktion“ stellt die Gewerbeuntersagung nicht dar.
Auch die Ausdehnung der Gewerbeuntersagung auf weitere gewerbliche Betätigung des Klägers auf der Grundlage von § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO und die diesbezügliche Ermessensausübung (§ 114 Satz 1 VwGO) sind nicht zu beanstanden.
Nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO kann die Untersagung auch auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragten Person sowie auf einzelne andere oder auf alle Gewerbe erstreckt werden, soweit die festgestellten Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Gewerbetreibende auch für diese Tätigkeiten oder Gewerbe unzuverlässig ist. Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung setzt der Erlass einer solchen erweiterten Gewerbeuntersagung das Vorliegen einer „gewerbeübergreifenden Unzuverlässigkeit“ des Betroffenen voraus. Darüber hinaus muss die Erstreckung der Untersagung auf andere gewerbliche Tätigkeiten erforderlich sein. Dies ist dann der Fall, wenn zu erwarten ist, dass der Gewerbetreibende auf entsprechende Tätigkeiten ausweicht. Ausreichend für diese Annahme ist es, dass keine besonderen Umstände vorliegen, die es ausschließen, dass der Gewerbetreibende ein anderes Gewerbe oder eine der genannten leitenden Tätigkeiten in Zukunft ausübt (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C-17/79 – juris; U.v. 2.2.1982 – 1 CB 2/81 – juris; B.v. 11.9.1992 – 1 B 131/92 – juris; B.v. 19.1.1994 – 1 B 5/94 – juris; BayVGH, U.v. 1.6.2011 – 22 B 09.2785 – juris). In Bezug auf die erweiterte Gewerbeuntersagung ist in der Rechtsprechung auch geklärt, dass der Ausschluss eines gewerbeübergreifend unzuverlässigen Gewerbetreibenden aus dem Wirtschaftsverkehr mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Ausprägung durch Art. 12 Abs. 1 GG im Einklang steht (vgl. BVerwG, B.v. 12.1.1993 – 1 B 1/93 – juris; BayVGH, U.v. 1.6.2011 – 22 B 09.2785 – juris Rn. 15).
Diese Voraussetzungen waren hier ebenfalls gegeben. Der Kläger war gewerbeüber-greifend unzuverlässig, da er mit der fortlaufenden Verletzung steuerrechtlicher Zahlungspflichten Pflichten verletzt hat, die für jeden Gewerbetreibenden gelten und nicht nur Bezug zu einer bestimmten gewerblichen Tätigkeit haben. Dies rechtfertigte die Annahme, dass der Kläger ein entsprechendes Verhalten auch bei Ausübung eines anderen Gewerbes oder anderer gewerblicher Tätigkeiten an den Tag legen würde. Da nicht ersichtlich war, dass der Kläger künftig keine anderweitige Tätigkeit im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO ausüben würde, war auch ein Ausweichen auf solche Tätigkeiten hinreichend wahrscheinlich. Zudem war er bereits zuvor als Geschäftsführer der insolvent gewordenen GmbH tätig gewesen.
Die Ermessensausübung des Landratsamts ist im Rahmen des gemäß § 114 Satz 1 VwGO beschränkten Prüfungsumfangs des Gerichts ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Begründung der Ermessensentscheidung lässt sich nachvollziehbar dem Bescheid entnehmen.
Gegen die weiteren Verfügungen des streitgegenständlichen Bescheids hat der Kläger rechtliche Bedenken weder vorgetragen noch sind solche ersichtlich.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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