Aktenzeichen VI R 63/10
Leitsatz
1. NV: Die Anwendung der 1 %-Regelung setzt voraus, dass der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer tatsächlich einen Dienstwagen zur privaten Nutzung überlassen hat (Anschluss an Senatsurteil vom 21. April 2010 VI R 46/08, BFHE 229, 228, BStBl II 2010, 848). Denn der Ansatz eines lohnsteuerrechtlich erheblichen Vorteils rechtfertigt sich nur insoweit, als der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer gestattet, den Dienstwagen privat zu nutzen .
2. NV: Allein die Gestattung der Nutzung eines betrieblichen Fahrzeugs für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte begründet noch keine Überlassung zur privaten Nutzung i.S. des § 8 Abs. 2 Satz EStG .
Verfahrensgang
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 11. März 2010, Az: 1 K 346/07, Urteil
Tatbestand
1
I. Streitig ist, ob die Einnahmen des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) aus nichtselbständiger Arbeit in den Jahren 2002 bis 2005 um einen geldwerten Vorteil für die private Nutzung betrieblicher Fahrzeuge zu erhöhen sind.
2
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind verheiratet und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielt als Verkäufer des Autohauses … GmbH (GmbH) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die Klägerin war in den Streitjahren nicht berufstätig. Zum Haushalt gehören zwei minderjährige Kinder. Die GmbH vertreibt in ihren Filialen PKW der Marken BMW und Mini. Der Kläger ist in der Filiale C beschäftigt. Die GmbH hält für die berufliche Nutzung durch die Verkäufer auf die Firma zugelassene Vorführwagen vor. Bei Bedarf kommen in jeder Filiale auch Vorführwagen der anderen Standorte zum Einsatz. Für die Vorführwagen werden keine Fahrtenbücher geführt. Die Rechte und Pflichten des Klägers in Bezug auf diese Wagen ergeben sich aus der Anlage II “Vorführwagen-Regelung” zum Arbeitsvertrag. Die Geschäftsleitung legt Fahrzeugtyp, Ausstattung und Zubehör der Vorführwagen fest. Der Vorführwagen steht dem Kläger für Probe-, Vorführ- und Besuchsfahrten zur Verfügung. Nach Ziffer 3.4 der Anlage II zum Arbeitsvertrag ist die private Nutzung des Vorführwagens verboten. Nach Ziffer 5 hat der Kläger Benzinkosten für Fahrten, die außerhalb des geschäftlichen Bereichs liegen, selbst zu tragen. Wegen eines Verstoßes gegen diese arbeitsvertragliche Nutzungsregelung hat die GmbH am 27. Oktober 2005 einen anderen Verkäufer schriftlich abgemahnt. Dieser hatte während seiner Urlaubszeit einen Vorführwagen auf Rechnung der GmbH an der Vertragstankstelle in unmittelbarer Nähe einer Filiale des Autohauses für private Zwecke betankt.
3
Für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte darf der Kläger die Vorführwagen aus dem niedrigen Preissegment aufgrund einer mündlich erteilten Gestattung nutzen. Die GmbH führte insoweit eine Lohnversteuerung auf Grundlage des § 8 Abs. 2 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) durch, wobei sie einen Bruttolistenpreis von 23.000 € zugrunde legte. Von dem so ermittelten Betrag unterwarf sie im Schätzungswege nur zwei Drittel der Lohnsteuer. Damit sollte berücksichtigt werden, dass der im Umland von C wohnende Kläger häufig Kundenfahrzeuge zu Wartungsarbeiten in die Filiale mitbrachte und den Kunden den Vorführwagen überließ. Als private Kraftfahrzeuge standen den Klägern in den Streitjahren zunächst ein BMW … (1) und anschließend ein … BMW … (2) zur Verfügung. Der Kläger kaufte den BMW … (1) mit einem Kilometerstand von ca. 48 000 km und verkaufte ihn … mit einem Kilometerstand von ca. 71 000 km. Der Anfangskilometerstand des BMW … (2) betrug 16 529 km und der Endkilometerstand … 38 500 km.
4
Im Anschluss an eine Lohnsteuer-Außenprüfung bei der GmbH ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) von einer privaten Nutzung(smöglichkeit) der Vorführwagen durch den Kläger aus. Er änderte die Einkommensteuerbescheide der Streitjahre nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung und setzte in den nunmehr angefochtenen Einkommensteuerbescheiden jeweils vom 10. Oktober 2006 hierfür bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit des Klägers zusätzliche geldwerte Vorteile in Höhe von 3.408 € (2002), 3.601 € (2003), 3.808 € (2004) und 4.015 € (2005) an. Da nicht mehr geklärt werden konnte, welche Vorführwagen dem Kläger zuzurechnen waren, schätzte das FA die geldwerten Vorteile ausgehend von einem für 1998 ermittelten durchschnittlichen Bruttolistenpreis der Vorführwagen des niedrigen Preissegments von 45.000 DM, der um jährlich 5 % erhöht wurde. Auf diese Bruttolistenpreise wendete das FA die sog. 1 %-Regelung (§ 8 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG) bzw. den Prozentsatz für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (§ 8 Abs. 2 Satz 3 EStG) an.
5
Die Einnahmeerhöhung setzt sich wie folgt zusammen:
6
2002
2003
Bruttolistenpreis
27.900,00 €
29.300,00 €
1 %-Regelung
3.348,00 €
3.516,00 €
Fahrten Wohnung – Arbeitsstätte (0,03 %)
60,36 €
85,56 €
Summe
3.408,00 €
3.601,00 €
7
2004
2005
Bruttolistenpreis
30.800,00 €
32.300,00 €
1 %-Regelung
3.696,00 €
3.876,00 €
Fahrten Wohnung – Arbeitsstätte (0,03 %)
112,56 €
139,56 €
Summe
3.808 €
4.015 €
8
Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos (Einspruchsbescheid vom 13. September 2007). Obgleich die Geschäftsleitung der GmbH im Einspruchsverfahren gegenüber dem FA erklärte, dass das Nutzungsverbot durch das Festhalten der Kilometerstände der Vorführwagen in den jeweiligen Filialen wöchentlich überprüft und diese per Fax an die Hauptniederlassung übermittelt würden, ging das FA von einem Anscheinsbeweis für eine private Nutzung der Vorführwagen aus. Dieser werde angesichts der unzureichenden Überwachung des arbeitsvertraglichen Verbots nicht erschüttert. Die hiergegen erhobene Klage blieb ohne Erfolg.
9
Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Das FA habe die Reichweite des Anscheinbeweises verkannt. Außerdem verstoße das angefochtene Urteil gegen den klaren Inhalt der Akten.
10
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts (FG) vom 11. März 2010 1 K 346/07, die Einspruchsentscheidung vom 13. September 2007 sowie die geänderten Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2002 bis 2005 jeweils vom 10. Oktober 2006 aufzuheben.
11
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.