Aktenzeichen Au 6 K 17.34295
Leitsatz
Gilt die Zustellung eines Bescheids am dritten Tag nach dessen Übergabe an eine Aufnahmeeinrichtung als bewirkt und befindet sich der Adressat zu dieser Zeit in stationärer Behandlung in einem Krankenhaus, ohne Kenntnis hiervon zu haben, so ist er nicht ohne eigenes Verschulden an der Einhaltung der Klagefrist gehindert, wenn ihm der Bescheid noch einige Tage vor Ablauf dieser Frist ausgehändigt wird (Rn. 20 – 22). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die Klage ist unzulässig.
I.
Die Klage ist unzulässig, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Klagefrist (§ 60 VwGO i.V.m. § 74 AsylG).
1. Der Kläger hat die Klagefrist des § 74 Abs. 1 AsylG versäumt, da ihm der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 26. Juli 2017 durch Übergabe an die Aufnahmeeinrichtung am 27. Juli 2017 als am 30. Juli 2017 wirksam zugestellt gilt und die Klageerhebung am 16. August 2017 damit zu spät war. Ausweislich der Behördenakte hat die Beklagte den Kläger über seine Verpflichtungen auch hinsichtlich der Post ordnungsgemäß und auch in seiner Heimatsprache belehrt (BAMF-Akte Bl. 7 ff., 11) und ihm den Bescheid an die mitgeteilte Adresse in der Aufnahmeeinrichtung am 27. Juli 2017 zugestellt sowie ihm am 10. August 2017 ausgehändigt (ebenda Bl. 148).
Die Zustellungsfiktion des § 10 Abs. 4 Satz 4 Halbs. 2 AsylG, wonach Zustellungen am dritten Tag nach Übergabe an die Aufnahmeeinrichtung als bewirkt gelten, sofern sie dem Adressaten – aus welchen Gründen auch immer – nicht innerhalb der ersten drei Tage nach Zuleitung an die Aufnahmeeinrichtung ausgehändigt werden können (vgl. OVG S-A, B.v. 13.9.2001 – 1 L 313/01 – juris Rn. 9; im Anschluss Bergmann in ders./Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 10 AsylG Rn. 21; Preisner in BeckOK Ausländerrecht, Stand: 1.5.2019, § 10 AsylG Rn. 36), greift hier ein. Eine spätere Übergabe an den Adressaten – wie hier an den Kläger – ändert am Eintritt der Fiktion nichts (vgl. OVG RhPf, B.v. 10.7.2002 -10 A 10438/02 – BeckRS 2002, 17910, Rn. 3). Die Zustellung gilt somit am dritten Tag nach der Übergabe an die Aufnahmeeinrichtung und damit am Sonntag dem 30. Juli 2017 als bewirkt, die zweiwöchige Klagefrist begann am Montag, dem 31. Juli 2017 0.00 Uhr zu laufen und endete am Montag, 14. August 2017 24.00 Uhr (Verschiebung wegen Fristende am Sonntag, § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 und 3 BGB). Die Klageerhebung am 16. August 2017 war somit zu spät.
2. Dem Kläger wird keine Wiedereinsetzung nach § 60 VwGO gewährt, denn er war nicht ohne eigenes Verschulden an der Einhaltung der Klagefrist gehindert. Zwar wusste er während seines stationären Aufenthalts nichts von der bereits erfolgten Zustellungsfiktion des Bescheids. Jedoch ist ihm der Bescheid zusätzlich noch in offener Klagefrist am 10. August 2017 ausgehändigt worden, so dass er die Klagefrist hätte wahren können.
Der Kläger war nicht wegen stationären Aufenthalts in der Bezirksklinik an der Wahrung der Klagefrist gehindert. Ausweislich des Zustellungsnachweises wurde ihm der angefochtene Bescheid am Donnerstag, dem 10. August 2017, persönlich ausgehändigt, so dass er diesen Tag, den folgenden Freitag und den folgenden Montag zur Klageerhebung hätte nutzen können, sei es – wie geschehen – durch Einschaltung eines Bevollmächtigten oder durch Klageerhebung zur Niederschrift des Urkundsbeamten des Verwaltungsgerichts.
Über diese Frist ist er auch gegen Unterschrift am 10. August 2017 durch Übergabe einer Übersetzung u.a. der Rechtsbehelfsbelehrung:des Bescheids in seiner Muttersprache Türkisch belehrt worden (BAMF-Akte Bl. 122 ff., 148). Daher war er nicht ohne eigenes Verschulden an der Einhaltung der Klagefrist gehindert.
II.
Ob die Klage auch unbegründet wäre, braucht daher nicht entschieden zu werden.
Es kommt mangels materieller Prüfung des Schutzanspruchs des Klägers auch nicht mehr auf den bedingt gestellten Beweisantrag auf Einholung einer Auskunft des Auswärtigen Amts über ein gegen den Kläger anhängiges Strafverfahren bzw. einen gegen ihn vollstreckbaren Haftbefehl unter Zugrundelegung des in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Ausdrucks einer angeblichen Beschwerdeschrift an.
Ebenso wenig braucht entschieden zu werden, ob dieses Vorbringen vorliegend prozessual präkludiert wäre und welche Folgen es für die Bewertung hat, dass der Kläger beim Bundesamt nichts von seiner Verhaftung erwähnt, dafür aber zwei Monate später legal und bis auf eine Befragung unbehelligt (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 23.7.2019) auf dem Luftweg aus der Türkei ausgereist ist und im Anschluss an seine Anhörung beim Bundesamt durch Unterschrift bestätigt hat, es habe keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben, das rückübersetzte Protokoll entspreche seinen Angaben und diese seien vollständig und entsprächen der Wahrheit (BAMF-Akte Bl. 5).
III.
Daher war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.