Steuerrecht

Keine Zweitwohnungssteuer bei Dauervermietung einer Ferienwohnung

Aktenzeichen  M 10 K 16.264

Datum:
6.10.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 55003
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayKAG Art. 3 Abs. 1
ZwStS § 2

 

Leitsatz

Eine Wohnung, die nicht Zwecken der persönlichen Lebensführung dient, sondern vom Inhaber als reine Geld- oder Vermögensanlage in der Form des Immobiliarbesitzes, also ausschließlich zur Einkommenserzielung gehalten wird, scheidet – da nur der konsumtive Aufwand für den persönlichen Lebensbedarf nach Art. 105 Abs. 2a GG besteuert wird – als Gegenstand der Zweitwohnungssteuer als örtlicher Aufwandssteuer aus. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Bescheid über Zweitwohnungsteuer der Beklagten vom 22. Dezember 2015 wird aufgehoben.
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung in Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Berufung wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf EUR 2.525,18 festgesetzt (§ 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz -GKG-).

Gründe

Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid vom 22. Dezember 2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die Satzung über die Erhebung einer Zweitwohnungssteuer der Beklagten vom 8. Dezember 2004 in der Fassung vom 18. Juni 2012 (ZwStS) ist eine wirksame Rechtsgrundlage. Die Satzung beruht auf Art. 22 Abs. 2 Bayerische Gemeindeordnung (GO) sowie auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 Bayerisches Kommunalabgabengesetz (KAG). Nach Art. 3 Abs. 1 KAG können die Gemeinden örtliche Verbrauch- und Aufwandsteuern erheben, solange und soweit diese nicht bundesrechtlich geregelten Steuern vergleichbar sind. Die Zweitwohnungsteuer ist eine örtliche Aufwandsteuer nach Art. 105 Abs. 2a GG. Sie ist keiner bundesrechtlichen Steuer vergleichbar. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer im Freistaat Bayern zulässig (vgl. BayVGH, U. v . 4.4.2006 – 4 N 05.2249 – juris). Bedenken gegen das ordnungsgemäße Zustandekommen der Satzung sowie gegen die materiell-rechtliche Wirksamkeit sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
2. Die streitgegenständliche Wohnung ist keine Zweitwohnung und damit kein tauglicher Steuergegenstand. Steuergegenstand ist nach § 2 ZwStS jede Zweitwohnung, nach der Satzungsdefinition also jede Wohnung im Gemeindegebiet der Beklagten, welche eine Person zu ihrer persönlichen Lebensführung oder der ihrer Familienangehörigen innehat. Der Kläger hat die streitgegenständliche Wohnung nicht zu seiner persönlichen Lebensführung inne. Vielmehr handelt es sich dabei um eine reine Kapitalanlage.
Der Wortlaut von § 2 ZwStS greift auf die Definition der Aufwandsteuer (Art. 105 Abs. 2a GG) zurück, wie sie durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geprägt ist. Demnach sind Aufwandsteuern Steuern auf die in der Einkommensverwendung für den persönlichen Lebensbedarf zum Ausdruck kommende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit (vgl. BVerwG, U. v . 15.10.2014 – 9 C 5/13 – juris Rn. 12; BVerwG, U. v . 27.10.2004 – 10 C 2/04 – juris Rn. 21; BayVGH, U. v . 27.6.2013 – 4 B 13.592 – juris Rn. 16). Ausschlaggebendes Merkmal ist der Konsum in Form eines äußerlich erkennbaren Zustands, für den finanzielle Mittel aufgewendet werden. Das Innehaben einer weiteren Wohnung für den persönlichen Lebensbedarf neben der Hauptwohnung ist ein besonderer Aufwand, der gewöhnlich die Verwendung finanzieller Mittel erfordert und in der Regel wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zum Ausdruck bringt (vgl. BVerwG, U. v . 15.10.2014 – 9 C 5/13 – juris Rn. 12). Das Innehaben kann grundsätzlich und ohne Rücksicht auf die Dauer und den persönlichen Zweck des Gebrauchs Gegenstand der Aufwandsteuer sein (vgl. BVerwG, u. v . 10.10.1995 – 8 C 694 – juris Rn. 10; BayVGH, U. v . 27.6.2013 – 4 B 13.592 – juris Rn. 16).
Da nur der konsumtive Aufwand für den persönlichen Lebensbedarf nach Art. 105 Abs. 2a GG besteuert wird, scheiden Wohnungen als Gegenstand der Zweitwohnungsteuer als örtlicher Aufwandsteuer aus, die nicht Zwecken der persönlichen Lebensführung dienen, sondern vom Inhaber als reine Geld- oder Vermögensanlage in der Form des Immobiliarbesitzes – also ausschließlich zur Einkommenserzielung – gehalten werden (vgl. BVerwG, U. v . 10.10.1995 – 8 C 694 – juris Rn. 10; BayVGH, U. v . 27.6.2013 – 4 B 13.592 – juris Rn. 17).
Die Abgrenzung zwischen zweitwohnungsteuerfreier reiner Kapitalanlage und zweitwohnungsteuerpflichtiger Vorhaltung auch für die persönliche Lebensführung erfordert im Hinblick auf die Zweckbestimmung der Zweitwohnung eine umfassende Würdigung aller objektiver Umstände des Einzelfalls (vgl. BVerwG, U. v . 26.9.2001 – 9 C 1.01 – juris Rn. 28; VG München, U. v . 8.10.2015 – M 10 K 15.1135 – juris Rn. 34). In diesem Sinne ist die Satzung der Beklagten verfassungskonform auszulegen und anzuwenden (vgl. BVerwG, U. v . 10.10.1995 – 8 C 894 – juris Rn. 12). Hierbei ist nicht die subjektive Zweckbestimmung des Wohnungsinhabers maßgeblich, die unüberprüfbare innere Absicht muss vielmehr auf der Grundlage objektiver, nach außen in Erscheinung tretender, verfestigter und von Dritten nachprüfbarer Umstände beurteilt werden (vgl. BVerwG, U. v . 15.10.2014 – 9 C 5/13 – juris Rn. 12; VG München, u. v . 8.10.2015 – M 10 K 15.1135 – juris Rn. 34).
Wer eine Zweitwohnung innehat, entscheidet sich nach der tatsächlichen Verfügungsmacht und der rechtlichen Verfügungsbefugnis über einen gewissen Zeitraum (vgl. BayVGH, U. v . 5.3.2008 – 4 BV 07.2044 – juris Rn. 12; BayVGH, B. v . 3.5.2007 – 4 CS 07.642 – juris Rn. 13; VG München, U. v . 1.1.2.2011- M 10 K 10.1227 – juris Rn. 31). Entscheidend ist grundsätzlich, dass bei der Entstehung der persönlichen Steuerpflicht möglich war, die Wohnung zur persönlichen Lebensführung zu nutzen; dementsprechend ist die tatsächliche Nutzung grundsätzlich irrelevant (vgl. BayVGH, U. v . 5.3.2008 – 4 BV 07.2044 – juris Rn. 12). Das Bundesverwaltungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass genüge, wenn sich der Wohnungsinhaber die Möglichkeit er Eigennutzung offen halte (vgl. BVerwG, U. v . 10.10.1995 – 8 C 40/93 – juris Rn. 10; BVerwG, B. v . 17.8.2000 – 11 B 34/00 – juris Rn. 7).
Aus Gründen der Praktikabilität kann die Gemeinde von der tatsächlichen Vermutung ausgehen, die Wohnung sei auch für Zwecke der persönlichen Lebensführung vorgehalten worden. Der Wohnungsinhaber kann jedoch Umstände vortragen, die diese Vermutung erschüttern (vgl. dazu BayVGH, U. v . 27.6.2013 – 4 B 13.592 – juris Rn. 19).
Maßgeblich für das Innehaben sind damit zusammengefasst die rechtliche Verfügungsbefugnis und die tatsächliche Verfügungsmöglichkeit nach einer Beurteilung aller objektiven Umstände des Einzelfalls. Der Kläger hatte nicht die rechtliche Verfügungsbefugnis sowie die tatsächliche Verfügungsmöglichkeit und damit auch nicht die Wohnung inne. Er hat durch Vorlage des Nutzungsvertrages ausreichende Tatsachen vorgebracht, die die Vermutung des Vorhaltens zur persönlichen Nutzung erschüttern. Der Kläger hat die rechtliche Verfügungsmacht grundsätzlich auf die EBG als Mieterin übertragen (dazu unter a.) und sich in nur sehr begrenztem Umfang tatsächliche Nutzungsmöglichkeiten vorbehalten (dazu unter b.). Diese führen nicht dazu, dass der Kläger die Wohnung im Sinne der Satzung „innehat“ (dazu unter c.), auch nicht unter dem Aspekt der Missbrauchsgefahr (dazu unter d.). Es kommt mithin nicht darauf an, ob der Kläger die Wohnung tatsächlich genutzt hat.
a. Der Kläger hat in § 1 des Nutzungsvertrags die rechtliche Verfügungsmacht an die Mieterin übertragen, nach dem sämtliche Nutzungsrechte ausschließlich der Mieterin zustehen.
b. Dieser Beurteilung steht auch nicht § 4b des Nutzungsvertrages entgegen.
aa. Zwar müsste der Kläger sich an einem im Rahmen des Nutzungsvertrages geäußerten Willen, die Wohnung auch selbst nutzen zu wollen, grundsätzlich festhalten lassen, selbst wenn er später diese Absicht wieder fallengelassen hätte.
bb. Entgegen der Ansicht der Beklagtenbevollmächtigten ist § 4b des Nutzungsvertrages jedoch nicht als solche Willenserklärung auszulegen. Zwar vermittelt der Einleitungssatz von § 4b des Nutzungsvertrages den Eindruck, der Kläger könne jederzeit seine Wohnung selbst als Ferienwohnung nutzen („Eine persönliche Nutzung des Mietgegenstandes durch den Vermieter ist grundsätzlich immer möglich.“) Die folgenden Sätze heben diesen Grundsatz aber nahezu vollständig auf, wie sich durch Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont nach den §§ 133, 157 BGB ergibt. Denn der Kläger darf seine Wohnung nur bei freien Kapazitäten und bei einer Voranmeldung von maximal vier Wochen selbst nutzen. Damit räumt der Nutzungsvertrag den von der Mieterin vermittelten anderen Feriengästen ein Vorrecht ein – nur wenn die Wohnung nicht vermietet ist, darf der Kläger vier Wochen im Voraus seine Wohnung für sich oder seine Angehörigen reservieren. Durch die Worte „diese Regelungen zur Eigennutzung“ bezieht der Vertrag die Pflicht zur Voranmeldung und den Vorbehalt der freien Kapazitäten ausdrücklich auf den gesamten § 4b des Nutzungsvertrages und damit auf alle Formen der Eigennutzung durch den Kläger. Man kann also nicht etwa in eine nach Satz 1 immer mögliche Eigennutzung und eine eingeschränkte, dafür auch rabattierte Nutzung bei freien Kapazitäten nach Satz 2 trennen, zumal das dem wirtschaftlichen Sinn eines Agenturvertrages auch erkennbar zuwiderliefe. Ohne dass es noch entscheidungserheblich darauf ankäme, legt der Wortlaut des § 4b des Nutzungsvertrages zudem nahe, dass der Kläger nicht einmal sicher sein kann, ob er sich in seiner eigenen oder einer anderen Wohnung in der Ferienwohnanlage aufhalten wird.
Damit begibt sich der Kläger gerade der freien Verfügungsmacht über seine Wohnung. Er kann weder die Wohnung z. B. im Voraus für einen Urlaub im nächsten Jahr buchen und schon gar nicht für einen bestimmten Zeitraum im Jahr freihalten. § 4b räumt dem Kläger aus seiner Eigentümerstellung heraus letztlich nur eine sehr beschränkte rechtliche Verfügungsmacht über die Wohnung ein, nämlich bei freien Kapazitäten mit einem Vorlauf von höchstens vier Wochen die Wohnung (oder möglicherweise eine andere) zu einem rabattierten Preis zu bewohnen.
c. Diese verbleibende Möglichkeit des Klägers führt nicht dazu, dass er die Wohnung „innehat“. Denn er kann sie gerade nicht nach seinen Vorstellungen persönlich nutzen. Im vorliegenden Fall ist zusätzlich als Besonderheit bei der rechtlichen Bewertung zu berücksichtigen, dass der Kläger seine Wohnung an eine Agentur weitervermietet hat, welche die Wohnung wiederum an Feriengäste weitervermietet. Diese Gestaltung führt dazu, dass der Kläger die Wohnung als „normaler“ Feriengast von der EBG zum vollen Preis „zurückmieten“ könnte. Anders als bei einer Vermietung an natürliche Personen, welche in der Wohnung ganzjährig leben möchten, ist dem Kläger also faktisch möglich, die Wohnung zu betreten. Der Kläger hat somit aus zwei Positionen heraus die Möglichkeit, auf die Wohnung zuzugreifen: aus seiner Stellung als Eigentümer heraus (dazu bereits unter b.) und als potentieller Feriengast. Allein diese letztgenannte Möglichkeit kann im vorliegenden Fall für ein „innehaben“ nicht ausreichen, denn auch andere Feriengäste haben unstreitig bei kurzfristigem Aufenthalt die Ferienwohnung nicht inne. Zudem führte andernfalls die Vermietung an eine Ferienwohnungsagentur und damit eine naheliegende Form der Kapitalanlage in Urlaubsregionen automatisch zu einer Zweitwohnungsteuerpflicht. Um ein „innehaben“ und damit auch eine Steuerpflicht zu vermeiden, kann dem Kläger nicht obliegen, in den Nutzungsvertrag einen Passus aufzunehmen, der es ausschließt, dass der Kläger oder seine Familienangehörigen die Wohnung je selbst als Feriengäste nutzen. Damit stellt aber der § 4b des Nutzungsvertrages den Kläger unter dem relevanten Gesichtspunkt der rechtlichen Verfügungsmacht nicht besser als er ohne ihn gestanden hätte: Denn auch ohne § 4b des Nutzungsvertrages hätte der Kläger als Feriengast seine Wohnung mieten können, er hätte sogar im Voraus buchen können. Somit bleibt als Wirkung des § 4b allein der Rabatt, welcher für die rechtliche Verfügungsbefugnis ohne Bedeutung ist.
d. Im vorliegenden Fall ist von einem „Innehaben“ auch nicht auszugehen, weil es sich bei der Vermietung an die EBG um eine Umgehung zur Vermeidung der Steuerpflicht handelte. Verschiedene Konstellationen wären denkbar, eine Zweitwohnung an eine Agentur zu vermieten, um von dieser regelmäßig die Wohnung zurückzumieten. Je nach vertraglicher Gestaltung könnte der Wohnungsinhaber in solchen Fällen faktisch doch die rechtliche Verfügungsbefugnis innehaben. So liegt die vorliegende Gestaltung aber nicht. Denn die Nutzungsmöglichkeit wurde vollständig auf die Mieterin übertragen, ohne dem Kläger weiteren Einfluss zu belassen. So könnte die Mieterin z. B. die Wohnung auch an Dauerferiengäste vermieten; dem Kläger sind keinerlei (auch preisliche) Vorrechte bei langfristigen Buchungen eingeräumt. Es liegen keine Anhaltspunkte für eine Umgehung vor, zumal der ursprüngliche Nutzungsvertrag im Jahr 1999 abgeschlossen wurde, als die Erhebung von Zweitwohnungsteuer in Bayern noch nach Art. 3 Abs. 3 KAG in der bis Juli 2004 geltenden Fassung ausgeschlossen war.
3. Der angefochtene, für den Kläger belastende Bescheid vom 22. Dezember 2015 war mithin rechtswidrig und vom Gericht aufzuheben.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
6. Die Berufung war zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, § 124 a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

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