Steuerrecht

Organisationsverschulden des Steuerberaters bei Bearbeitung des Posteingangs durch eine Bürokraft

Aktenzeichen  7 K 25/19

Datum:
10.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
EFG – 2019, 1688
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
KStG § 27 Abs. 2, § 28 Abs. 1 S. 3
FGO § 47 Abs. 1, § 56 Abs. 1, § 155

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

II.
Die Klage ist wegen Versäumung der Klagefrist unzulässig. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war nicht zu gewähren, weil die Klägerin nicht ohne Verschulden verhindert war, die Klagefrist einzuhalten.
1. Die Einspruchsentscheidung vom 9. August 2017 ist mit der zulässigen Bekanntgabe an den damaligen Bevollmächtigten gegenüber der Klägerin wirksam geworden. Die Klage ist unstreitig nach Ablauf der Klagefrist (§ 47 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO) von einem Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung erhoben worden (Eingang der Klage bei Gericht am 30. Januar 2018).
2. Nach § 56 Abs. 1 FGO ist einem Beteiligten auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dabei schließt jedes Verschulden, also auch einfache Fahrlässigkeit, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (Beschluss des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 28. Juli 2015 – II B 150/14 -, Rn. 7 – 163, m.w.N.). Ein Verschulden eines Bevollmächtigten ist dem Beteiligten nach § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) wie eigenes Verschulden zuzurechnen (Brandis in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 156. Lieferung 04.2019, § 56 FGO, Rn. 11). Ebenso findet eine Zurechnung bei Unterbevollmächtigung statt. Dagegen wird ein Verschulden von sogenannten Hilfspersonen des Bevollmächtigten, insbesondere von Kanzleiangestellten, bei der Erledigung mechanischer Tätigkeiten untergeordneter Art nicht von § 85 Abs. 2 ZPO erfasst (Brandis in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 156. Lieferung 04.2019, § 56 FGO, Rn. 11 mit weiteren Nachweisen, unter anderem auf die Rechtsprechung des BFH, vgl. BFH-Beschlüsse vom 11. Mai 2009 VIII R 81/05, BFH/NV 2009, 1447; vom 13. März 2013 X R 16/11, BFH/NV 2013, 962). Sofern ein Verschulden einer Hilfsperson eines Bevollmächtigten vorliegt, wird dies dem Steuerpflichtigen jedoch dann als eigenes Verschulden zugerechnet, wenn der Bevollmächtigte bei der Auswahl, Unterweisung und Beaufsichtigung der Hilfsperson schuldhaft gehandelt hat. Ein „Büroversehen“ begründet nur dann kein Verschulden, wenn es allein für die Fristversäumung ursächlich war (BFH-Beschluss vom 19. März 1996 VII S 17/95, BFH/NV 1996, 818). Andernfalls trifft den Bevollmächtigten ein Organisationsverschulden welches dem Steuerpflichtigen zuzurechnen ist.
Die Tatsachen zur Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung müssen innerhalb der in § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO bestimmten Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig dargelegt werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 13. September 2012 XI R 13/12, BFH/NV 2013, 60, Rz 13, 19), soweit sie für das Gericht nicht offenkundig oder amtsbekannt sind (BFH-Urteil vom 18. März 2014 VIII R 33/12, BFHE 246, 1, BStBl II 2014, 922, Rz 17). Sie müssen ferner bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO).
Wird – wie im Streitfall – ein dem Bevollmächtigten und dem von ihm Vertretenen nicht zuzurechnendes reines Büroversehen geltend gemacht, gehört zum erforderlichen schlüssigen Vortrag des „Kerns“ der Wiedereinsetzungsgründe die Darlegung, warum ein Organisationsverschulden auszuschließen ist. Es müssen also die Organisationsmaßnahmen vorgetragen werden, die den konkreten Fehler als Büroversehen erkennen lassen. Dazu muss substantiiert und schlüssig vorgetragen werden, dass der Bevollmächtigte alle Vorkehrungen getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind (z.B. BFH-Beschluss vom 14. Dezember 2011 X B 50/11, BFH/NV 2012, 440). Kann aufgrund des Vortrags nicht ausgeschlossen werden, dass an der Fristversäumnis ursächlich auch ein Organisationsverschulden des Bevollmächtigten mitgewirkt hat, kann keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.
Nach gefestigter Rechtsprechung verlangt die Sorgfaltspflicht des Bevollmächtigten in Fristsachen zuverlässige Vorkehrungen, um den rechtzeitigen Ausgang fristwahrender Schriftsätze sicherzustellen. Bei der Beteiligung von rechtskundigen Prozessbevollmächtigten kann eine Fristversäumung nur dann als entschuldigt angesehen werden, wenn sie durch die äußerste, den Umständen des Falls angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden konnte, der Prozessbevollmächtigte also alle Vorkehrungen durch entsprechende Organisation seines Büros getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind (BFH-Beschluss vom 19. März 2019 II R 29/17, BFH/NV 2019, 705, Rz 22, m.w.N.). Zu seinen Aufgaben gehört es deshalb, durch entsprechende Organisation seines Büros dafür zu sorgen, dass die Fristen ordnungsgemäß eingetragen und beachtet werden (Beschlüsse des Bundesgerichtshofs – BGH – vom 27. Januar 2015 II ZB 21/13, Wertpapier-Mitteilungen – WM – 2015, 779, Rz 7, und vom 27. Januar 2015 II ZB 23/13, WM 2015, 780, Rz 8). Er muss sein Büro so organisieren, dass fristgebundene Schriftsätze rechtzeitig gefertigt werden und beim zuständigen Gericht eingehen (BGH-Beschluss vom 4. November 2014 VIII ZB 38/14, Neue Juristische Wochenschrift – NJW – 2015, 253, Rz 8). Dazu muss er insbesondere sicherstellen, dass ihm die Akten von Verfahren, in denen Rechtsmitteleinlegungs- und Rechtsmittelbegründungsfristen laufen, rechtzeitig vorgelegt werden (BGH-Beschluss vom 26. Februar 2015 III ZB 55/14, WM 2015, 782, Rz 8). Dies kann durch Verfügung einer „Vorfrist“ oder eines Vorlagetermins geschehen (BFH-Beschlüsse vom 6. Mai 1987 II R 40/86, BFH/NV 1988, 444, und vom 4. Juli 2008 IV R 78/05, BFH/NV 2008, 1860, unter II.2.b).
Der Bevollmächtigte muss darüber hinaus die Ausgangskontrolle von fristgebundenen Schriftsätzen so organisieren, dass sie einen gestuften Schutz gegen Fristversäumungen bietet (BGH-Beschluss in NJW 2015, 253, Rz 9, m.w.N.). Bei der allabendlichen Kontrolle fristgebundener Sachen ist eine nochmalige, selbständige Prüfung erforderlich (BGH-Beschlüsse in NJW 2015, 253, Rz 9, und in WM 2015, 782, Rz 8, je m.w.N.). Dies ergibt sich schon daraus, dass selbst bei sachgerechten Organisationsabläufen individuelle Bearbeitungsfehler auftreten können, die es nach Möglichkeit aufzufinden und zu beheben gilt (BGH-Beschlüsse in NJW 2015, 253, Rz 8, und in WM 2015, 782, Rz 18, m.w.N.).
Diese Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Begründungsfrist sind im Streitfall nicht erfüllt. Nach dem Vorbringen der Klägerin kann nicht ausgeschlossen werden, dass an der Fristversäumnis ursächlich ein Organisationsverschulden der Steuerkanzlei mitgewirkt hat. Die Klägerin hat nicht substantiiert und in sich schlüssig dargelegt, dass die Eingangskontrolle von fristgebundenen Schriftsätzen in der Kanzlei so organisiert war, dass sie den erforderlichen gestuften Schutz gegen Fristversäumnisse bot.
Der Vortrag des früheren Bevollmächtigten der Klägerin, dass die Werkstudentin gute Studienergebnisse erzielt und bisher zuverlässig gearbeitet habe, bezieht sich lediglich auf die ordnungsgemäße Auswahl einer Angestellten, nicht aber auf die Büroorganisation und die dortige Handhabung der Kontrolle, dass der Posteingang zutreffend erfasst wird, um Fristen einzuhalten.
Die Klägerin hat zwar anhand der Vorlage des Screenshots sowie der eidesstattlichen Versicherung der Mitarbeiterin H glaubhaft gemacht, dass die Einspruchsentscheidung im Ablageregister des DATEV Dokumentenmanagementsystems (DMS) anstatt in das Register „Steuerbescheide“ in das Register „Arbeitspapiere Steuern“ gelegt worden ist und anschließend versehentlich im Order „Finanzbuchhaltung“ einsortiert worden ist, weil sowohl der von der Kanzlei verwendete automatische Posteingangsassistent wie auch die mit der Bearbeitung des Posteingangs beauftragte Werkstudentin Frau H die Einspruchsentscheidung nicht als fristbehafteten Verwaltungsakt erkannt hätten. Außerdem hat sie geschildert, dass die Fristenkontrolle anhand des Softwareprogramms bei richtiger Ablage im zutreffenden elektronischen Ordner auch ausgelöst wird.
Die Klägerin hat jedoch nicht dargelegt, wie sichergestellt wird, dass die Eingangspost auch in den jeweils zutreffenden elektronischen Ordnern abgelegt wird und welche Kontrollmechanismen vorhanden sind, um eine – wie im Streitfall vorgetragene – falsch vorgenommene Ablage zu bemerken und zu korrigieren. Auch der Vortrag, dass die Möglichkeit besteht, dass sich jeder Mitarbeiter eine automatische Erinnerung betreffend der ihm zugeordneten Fristen einrichtet, belegt nur, dass bei einer von Anfang an zutreffend erfolgten Erfassung und dem damit verbundenen Fristenlauf im System der DATEV eine weitere Kontrollmöglichkeit für die Mitarbeiter besteht, nicht jedoch, wie gewährleistet werden kann, dass überhaupt eine zutreffende Erfassung erfolgt und unterlaufende Fehler korrigiert werden können. Denn auch der Mitarbeiter der Steuerkanzlei K hat in seiner eidesstattlichen Versicherung lediglich ausgeführt, dass die eingegangenen Dokumente nach der elektronischen Ablage im Dokumentenmanagementsystem vom Sekretariat an die Mandatsverantwortlichen weitergegeben würden. Er hat jedoch nicht dargelegt, wie die vorgenommene Erfassung des Posteingangs auf seine Richtigkeit überprüft wird und ob beispielsweise eine allabendliche Kontrolle fristgebundener Sachen anhand einer nochmaligen, selbständigen Prüfung erfolge (vgl. hierzu BGH-Beschlüsse in NJW 2015, 253, Rz 9, und in WM 2015, 782, Rz 8 m.w.N.), um individuelle Bearbeitungsfehler aufzufinden und zu beheben (BGH-Beschlüsse in NJW 2015, 253, Rz 8, und in WM 2015, 782, Rz 18, m.w.N.). Welche Mechanismen in der Kanzleiorganisation vorhanden sind, um zu erkennen, dass ein fristenbehaftetes Dokument als solches erkannt wird, ergibt sich aus seiner Darstellung nicht. Zwar wurde von der früheren Bevollmächtigten der Klägerin dargelegt, dass der Posteingangsprozess auf eine neue Struktur umgestellt wurde und hierzu die Mitarbeiter am 31.7.2017 in der Kanzlei geschult worden seien. Die Prozessüberwachung des Posteingangs erfolge in ihrer Kanzlei dezentral durch die jeweiligen Mandatsverantwortlichen. Dabei nutze die Kanzlei einen automatischen Posteingangsassistenten, der, nachdem das jeweilige Dokument vom Posteingangsbearbeiter gescannt worden sei, dieses mittels OCR-Erkennung analysiere und erkenne, ob es sich um ein Schriftstück handelte, das eine Frist auslöse und der dann gegebenenfalls die Frist berechne. Anschließend werde die Zuordnung von dem Posteingangsbearbeiter auf ihre Korrektheit hin überprüft. Danach werde das Dokument im Dokumentenmanagementsystem elektronisch abgelegt und vom Sekretariat an den jeweiligen Mandatsverantwortlichen weitergegeben. Der Mandatsverantwortliche kontrolliere das vorgelegte Dokument u.a. auf die richtige Verschlagwortung und den Ablageort bzw. Ablagestruktur. Ein weiteres zentrales Vier-Augen-Prinzip finde im Sekretariat zur Überwachung der korrekten Ablage nicht statt, da dies aus wirtschaftlichen Gründen nicht gewährleistet werden könne.
Bei einer solchen Organisation der Bearbeitung des Posteingangs wie in der Kanzlei des früheren Bevollmächtigten der Klägerin ist nicht sichergestellt, dass ein individueller Fehler, wie er im vorliegenden Fall eingetreten ist, auffällt und vor Fristablauf korrigiert werden kann. Die Überprüfung nach dem Vier-Augen-Prinzip durch den Mandatsverantwortlichen ist nicht zielführend, wenn wie im Streitfall weder der eingesetzte Programmassistent, noch der mit der Erfassung des Posteingangs befasste Mitarbeiter das Schriftstück als einen fristauslösenden Bescheid erkannt haben. Da – wie der Streitfall deutlich zeigt – der für die Kontrolle des Posteingangs verwendete Programmassistent nicht so zuverlässig arbeitet, dass Zuordnungsfehler ausgeschlossen werden können, kann die Verwendung dieses Programm nicht die Anwendung des Vier-Augen-Prinzips im Rahmen der Kontrolle des Posteingangs ersetzen. Die fehlende Eignung des automatischen Posteingangsassistenten für Zwecke der Fristenkontrolle gilt umso mehr, als von einem computergestützten Posteingangsassistenten mit OCR Erkennung, wie er im Streitfall benutzt worden ist, zu erwarten ist, dass er nicht nur – wie in der mündlichen Verhandlung vorgetragen – einen „typischen“ Steuerbescheid, sondern auch eine Einspruchsentscheidung mit Rechtsbehelfsbelehrung:als solche erkennt und eine entsprechende Fristenkontrolle auslöst.
Mit dem Hinweis des früheren Bevollmächtigten der Klägerin, dass aus wirtschaftlichen Gründen kein weiteres zentrales Vier-Augen-Prinzip zur Überwachung der durchgeführten Zuordnung des Posteingangs gewährleistet werden könne, kann sich dieser nicht entlasten. Generell gilt der Grundsatz, dass es zwar einem Berater grundsätzlich freisteht, auf welche Weise er die Fristenkontrolle organisiert. Sämtliche organisatorischen Maßnahmen müssen aber so beschaffen sein, dass auch bei unerwarteten Störungen des Geschäftsablaufs, seien es solche technischer oder personeller Art, die Einhaltung der anstehenden Fristen sichergestellt ist. Bedient sich ein Berater bei der Fristenkontrolle automatisierter bzw. programmgesteuerter Verfahren, so muss sichergestellt sein, dass diese Programme ebenso verlässlich sind und dieselbe Überprüfungssicherheit bieten, wie herkömmliche „analoge“ Prüfungsverfahren (BFH-Beschluss vom 19. März 2019 II R 29/17, BFH/NV 2019, 705). Der Erkennung eines fristenauslösenden Verwaltungsaktes kommt entscheidende Bedeutung zu, zumal die in § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO enthaltene Zugangsvermutung, nach der ein Verwaltungsakt mit dem dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gilt, widerlegt werden kann (Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 156. Lieferung 04.2019, § 122 AO Rz 48). Im Streitfall wurde jedoch die eingegangen Einspruchsentscheidung überhaupt nicht als Einspruchsentscheidung erkannt, so dass im Übrigen auch das vom Finanzamt auf der der Steuerberatungskanzlei übermittelten Einspruchsentscheidung fehlerhaft angebrachte Datum nicht maßgeblich für die falsche Ablage gewesen ist.
Die Bearbeiterin hat darüber hinaus in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 21. Dezember 2018 vorgetragen, dass sie, nachdem die am 11. August 2017 eingegangene Einspruchsentscheidung vom automatischen Programmeingangsassistenten des Programms DATEV, das sie standardmäßig verwendet habe, nicht erkannt worden sei, das Dokument bei der manuellen Einordnung des Posteingangs ebenfalls nicht als fristbehafteten Verwaltungsakt erkannt und daher nicht an den zuständigen Mandatsbearbeiter weitergeleitet habe. Bei einer solchen Arbeitsorganisation mit einer vorgeschalteten automatisierten Posteingangskontrolle besteht jedoch die Gefahr, dass eine personelle Überprüfung nicht mehr mit der notwendigen Aufmerksamkeit und Sorgfalt erfolgt und nur noch eine – im Wortsinn – „manuelle“, nicht aber mehr mit fachlicher Überprüfung vorgenommene Einordnung des Posteingangs vorgenommen wird. Zu einer ein Organisationsverschulden ausschließenden Büroorganisation gehört es jedoch, dass auch beim Einsatz automatisierter Prozesse sichergestellt ist, dass dadurch nicht die fachliche Kontrolle ersetzt wird. Auch aus diesem Grund kann auf die Anwendung des Vier-Augen-Prinzips bereits auf der Ebene der Zuordnung des Dokuments zu den fristauslösenden oder keine Frist auslösenden Schriftstücken nicht aus ökonomischen Gründen verzichtet werden.
Hinzu kommt, dass im Streitfall ein gesteigerter Anlass bestand, der mit der Bearbeitung des Posteingangs betrauten Werkstudentin nicht ohne geeignete Kontrollmechanismen die alleinige Entscheidung zu überlassen, ob es sich um einen fristauslösenden Bescheid handelt und insoweit die entscheidenden Weichen für die fachgerechte Bearbeitung des Bescheids zu stellen. Nach der Rechtsprechung des BFH, die auf eine entsprechende Rechtsprechung des BGH zurückgreift (vgl. BFH-Beschluss vom 17. November 2015 V B 56/15, BFH/NV 2016, 222 unter Verweis auf BGH-Beschluss vom 20. Oktober 1988 VII ZB 22/88, HFR 1990, 151) darf ein Rechtsanwalt die Berechnung und gegebenenfalls Überwachung von einfachen und in seinem Büro geläufigen Fristen zwar einer geschulten und zuverlässigen Bürokraft übertragen. Überträgt er diese Aufgaben jedoch einer erst kurzfristig geschulten, noch nicht während eines längeren Zeitraums erprobten Kanzleikraft, muss er durch geeignete Kontrollmaßnahmen sicherstellen, dass Fehler und Versehen der Kanzleikraft rechtzeitig entdeckt werden. Eine Auszubildende, auch wenn sie seit über einem Jahr beschäftigt ist, gehört nicht zum Kreis des Büropersonals, das aufgrund seiner Ausbildung und längerfristigen Erprobung die Fristüberwachung eigenverantwortlich ausführen darf. Nichts anderes gilt im Streitfall für eine studentische Aushilfskraft, auch wenn sie, wie vorgetragen, Betriebswirtschaft studiere und kurz vor dem Abschluss stehe. Zwar war die studentische Aushilfskraft nicht die Person, die letztlich für die Fristüberwachung in der Kanzlei verantwortlich war, da – wie vorgetragen – diese Aufgabe beim Mandatsverantwortlichen blieb, an den ein fristbehafteter Verwaltungsakt nach der kanzleiinternen Organisationsstruktur weitergeleitet werden soll.
Im Streitfall besteht jedoch die Besonderheit, dass der studentischen Aushilfskraft die Zuordnungsentscheidung übertragen wurde, ob es sich bei dem eingegangenen Schriftstück um einen fristbehafteten Verwaltungsakt handelt oder nicht, was zur Folge hatte, dass diese Person eigenverantwortlich die entscheidende Weichenstellung über das weitere Schicksal des eingegangenen Schriftstücks stellte. Damit müssen an die für die Bearbeitung des Posteingangs verantwortliche Person dieselben Anforderungen hinsichtlich der notwendigen Kontrollmaßnahmen gestellt werden wie an eine Kanzleikraft, die die Fristberechnung eigenverantwortlich durchführt. Der frühere Bevollmächtigte hat weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass er dieser besonderen Prüfungs- und Überwachungspflicht nachgekommen ist. Er hat lediglich dargelegt, dass die studentische Aushilfskraft sorgfältig eingearbeitet wurde und, bevor ihr die Postbearbeitung übertragen wurde, festgestellt worden sei, dass „der Posteingangsprozess fehlerfrei und problemlos funktioniere“. Er hat jedoch nicht dargelegt, dass auch nach Übertragung dieser Aufgabe Kontrollen stattgefunden hätten und durch entsprechende Maßnahmen sichergestellt worden sei, dass etwaige Fehler oder Versehen rechtzeitig erkannt werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

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