Steuerrecht

Pflicht zur Überprüfung der neuen Tatsachen und Beweismittel im Rahmen des Widerspruchsverfahrens

Aktenzeichen  L 2 U 18/15

Datum:
18.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 142480
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VII § 9 Abs. 1, Abs. 2
SGG § 77, § 106, § 109, § 143, § 144, § 151, § 160 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, § 184 Abs. 1, § 193, § 202

 

Leitsatz

Hinsichtlich der Frage, ob die Beklagte im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB X bei Erlass des Verwaltungsaktes von einem Sachverhalt ausgegangen ist, der sich als unrichtig erweist, ist die Behörde nach der Rechtsauffassung des Senats nur dann verpflichtet, in eine Überprüfung der tatsächlichen Feststellungen zum Sachverhalt einzutreten, wenn der Antragsteller neue Tatsachen oder Beweismittel vorbringt, die zum Zeitpunkt des Erlasses der bestandskräftigen Bescheide bzw. bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eines darüber geführten Rechtsstreits noch nicht vorlagen oder bekannt waren. Solche neuen Tatsachen oder Beweismittel können nur bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens und nicht mehr im nachfolgenden Gerichtsverfahren vorgebracht werden. Es liegt in der Hand der Behörde, ob sie sich auf diesen eingeschränkten Prüfungsmaßstab beruft; nimmt sie eine erneute Prüfung der tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung vor, obwohl der Antragsteller keine neuen Tatsachen oder Beweismittel vorgebracht hat, ist sie daran gebunden, und der Antragsteller hat einen auch vor Gericht einklagbaren Anspruch auf vollumfängliche Überprüfung der bestandskräftigen Bescheide auch in tatsächlicher Hinsicht. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des 15. Senats des BayLSG (BayLSG, Urteil vom 19.11.2014 – L 15 VS 4/13), der sich der erkennende 2. Senat anschließt. (Rn. 51)

Verfahrensgang

S 15 U 61/14 2014-12-02 Urt SGLANDSHUT SG Landshut

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 02.12.2014 wird zurückgewiesen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Die Berufung bedarf gemäß § 144 SGG keiner Zulassung.
Die Berufung ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen.
Soweit die Klägerin die Feststellung einer Wie-BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII beantragt, ist die Klage bereits unzulässig, weil die angefochtenen Verwaltungsakte insoweit dadurch bestandskräftig geworden sind, dass die Klägerin in der mündlichen Verhandlung beim SG am 02.12.2014 die Feststellung einer Wie-BK nicht mehr beantragt hat.
Zulässig ist die Klage dagegen, soweit die Klägerin unter Aufhebung des eine Überprüfung ablehnenden Bescheides vom 26.06.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2014 beantragt, den bestandskräftigen Bescheid vom 27.08.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2010 nach § 44 SGB X zurückzunehmen und bei der Klägerin die Berufskrankheit Nr. 4301 der Anlage 1 zur BKV festzustellen. Insoweit ist die Klage jedoch unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch, dass gemäß § 44 Abs. 1 SGB X der bestandskräftige Verwaltungsakt vom 27.08.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2010 zurückgenommen wird. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X sieht vor, dass ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
Ausgangspunkt ist die gesetzliche Regelung des § 77 SGG, wonach ein Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend wird, wenn ein Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt wird. Diese Bestandskraft (Unanfechtbarkeit) ist ein wesentliches Prinzip der Rechtsordnung. Mit der Bestandskraft wird Rechtssicherheit geschaffen, weil die Beteiligten wissen, woran sie sind, nämlich dass die Regelung des Verwaltungsakts sie bindet, und Rechtsfrieden garantiert, weil weiterer Streit über den Verwaltungsakt ausgeschlossen ist. Für den Adressaten des Verwaltungsakts ist damit keine unangemessene Benachteiligung verbunden, hat er doch die Möglichkeit, sich im Rahmen der zur Verfügung stehenden Rechtsmittel gegen einen Bescheid zu wehren und dessen Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen. Schöpft er diese Mittel nicht aus oder akzeptiert er den Verwaltungsakt, weil er selbst keinen überzeugenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit hat, müssen die Beteiligten die getroffene Regelung in der Zukunft für und gegen sich gelten lassen.
Die Regelung des § 44 SGB X ermöglicht unter bestimmten Voraussetzungen eine ausnahmsweise Abweichung von der Bindungswirkung (Bestandskraft) unanfechtbarer und damit für die Beteiligten bindend gewordener sozialrechtlicher Verwaltungsakte, um damit materielle Rechtmäßigkeit herzustellen. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X eröffnet dazu zwei Alternativen. Entweder muss bei der bestandskräftig gewordenen Entscheidung das Recht unrichtig angewandt worden (erste Alternative) oder die Behörde muss beim Erlass des bestandskräftig gewordenen Verwaltungsakts von einem Sachverhalt ausgegangen sein, der sich nachträglich aufgrund des Bekanntwerdens neuer Tatsachen als unrichtig erwiesen hat (zweite Alternative).
Nicht Sinn und Zweck des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist es, Fristenregelungen im Zusammenhang mit der Frage der Bestandskraft von Entscheidungen der Verwaltung oder auch der Gerichte auszuhebeln und die mit der Bestandskraft bezweckte Rechtssicherheit und den Rechtsfrieden in das Belieben der Beteiligten zu stellen. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X kann kein Mittel sein, um durch wiederholte Anträge bei der Behörde diese immer wieder zu Sachentscheidungen (deren Ergebnis wegen der bereits getroffenen Entscheidung absehbar ist) zu zwingen, die dann wiederum gerichtlich in der Sache überprüfbar wären. Würde man dies zulassen, hätte eine Behörde keinerlei Möglichkeit, sich vor wiederholenden Anträgen mit dem sich daraus ergebenden möglicherweise massiven Verwaltungsaufwand, der nicht nur Personal bindet, sondern auch Kosten verursacht, zu schützen.
Bei der oben genannten ersten Alternative handelt es sich um eine rein rechtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der bestandskräftig gewordenen Entscheidung, bei der es auf den Vortrag neuer Tatsachen nicht ankommt und die von Amts wegen zu erfolgen hat (vgl. Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 05.09.2006, Az.: B 2 U 24/05 R). Eine derartige Überprüfung bedeutet jedoch nicht, dass eine vollständige Überprüfung des Sachverhalts mittels neuer Ermittlung des Sachverhalts und neu einzuholender Gutachten durchzuführen wäre. Vielmehr ist lediglich aus rein rechtlicher Sicht zu würdigen, ob der der bestandskräftig gewordenen Entscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt rechtlich zutreffend beurteilt und rechtlich in nicht zu beanstandender Weise bewertet worden ist.
Weitergehende Sachermittlungen sind im Rahmen der ersten Alternative nicht geboten. Dies ergibt sich eindeutig aus der Systematik der gesetzlichen Regelung in § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Denn mit der Differenzierung zwischen den aufgezeigten zwei Alternativen (unrichtige Rechtsanwendung einerseits und ursprünglich unrichtig zu Grunde gelegter Sachverhalt andererseits) hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass nicht in jedem Fall eine vollständige Überprüfung unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten zu erfolgen hat. Dem liegt die Überlegung zu Grunde, dass die Verwaltung nicht durch aussichtslose Überprüfungsanträge, die beliebig oft wiederholt werden können, immer wieder zu einer neuen Sachprüfung gezwungen werden soll (vgl. BSG, Urteil vom 06.03.1991, Az.: 9b RAr 7/90). Würde hingegen bereits im Rahmen der ersten Alternative eine umfassende Sachprüfung, d.h. mit einer umfassenden Neuermittlung des zugrunde liegenden Sachverhalts, vorausgesetzt, so stünde dies im Widerspruch zu den gesetzlichen Anforderungen für die zweite Alternative, für die die Benennung neuer Tatsachen und Beweismittel vorausgesetzt wird. Im Rahmen der ersten Alternative sind daher die tatsächlichen Feststellungen, wie sie dem bestandskräftigen Bescheid zu Grunde gelegen haben, auch im Überprüfungsverfahren zu beachten und lediglich zu prüfen, ob auf diesen Tatsachen aufbauend, unabhängig von ihrer Richtigkeit, die rechtlichen Schlussfolgerungen zutreffend sind. In dem Verfahren erfolgt eine rein rechtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit, zu der von Seiten des Klägers zwar Gesichtspunkte beigesteuert werden können, die aber letztlich umfassend von Amts wegen erfolgen muss.
Eine unrichtige Rechtsanwendung im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. SGB X ist hinsichtlich der eine Berufskrankheit ablehnenden Bescheide vom 27.08.2008 und vom 08.06.2010 weder ersichtlich noch von der Klägerin dargelegt.
Hinsichtlich der Frage, ob die Beklagte im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB X bei Erlass des Verwaltungsaktes von einem Sachverhalt ausgegangen ist, der sich als unrichtig erweist, ist die Behörde nach der Rechtsauffassung des Senats nur dann verpflichtet, in eine Überprüfung der tatsächlichen Feststellungen zum Sachverhalt einzutreten, wenn der Antragsteller neue Tatsachen oder Beweismittel vorbringt, die zum Zeitpunkt des Erlasses der bestandskräftigen Bescheide bzw. bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eines darüber geführten Rechtsstreits noch nicht vorlagen oder bekannt waren. Solche neuen Tatsachen oder Beweismittel können nur bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens und nicht mehr im nachfolgenden Gerichtsverfahren vorgebracht werden. Es liegt in der Hand der Behörde, ob sie sich auf diesen eingeschränkten Prüfungsmaßstab beruft; nimmt sie eine erneute Prüfung der tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung vor, obwohl der Antragsteller keine neuen Tatsachen oder Beweismittel vorgebracht hat, ist sie daran gebunden, und der Antragsteller hat einen auch vor Gericht einklagbaren Anspruch auf vollumfängliche Überprüfung der bestandskräftigen Bescheide auch in tatsächlicher Hinsicht. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des 15. Senats des BayLSG (BayLSG, Urteil vom 19.11.2014 – L 15 VS 4/13), der sich der erkennende 2. Senat anschließt.
Für die zweite Alternative kommt es also auf die Benennung neuer Tatsachen und Beweismittel im Rahmen eines abgestuften Verfahrens an (vgl. BSG, Urteil vom 03.02.1988, Az.: 9/9a RV 18/86, das auch im Urteil des BSG vom 05.09.2006, Az.: B 2 U 24/05 R nicht infrage gestellt worden ist). Die Prüfung bei dieser zweiten Alternative hat sich an den rechtlichen Vorgaben zu orientieren, wie sie auch im Rahmen eines gerichtlichen Wiederaufnahmeverfahrens zu beachten sind. Es liegt daher der zweiten Alternative ein Verfahren zugrunde, bei der es auf die Benennung neuer Tatsachen und Beweismittel ankommt (vgl. BSG, Urteil vom 05.09.2006, Az.: B 2 U 24/05 R).
Ergibt sich bei diesem Verfahren nichts Neues, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen könnte, darf sich die Verwaltung ohne jede weitere Sachprüfung auf die Bindungswirkung der bestandskräftigen Entscheidung berufen. Werden zwar neue Tatsachen oder Erkenntnisse vorgetragen und neue Beweismittel benannt, ergibt aber die Prüfung, dass die vorgebrachten Gesichtspunkte nicht tatsächlich vorliegen oder für die frühere Entscheidung nicht erheblich waren, darf sich die Behörde ebenfalls auf die Bindungswirkung stützen.
Eine Behörde ist daher nur dann, wenn die Prüfung zu dem Ergebnis führt, dass ursprünglich nicht bekannte Tatsachen oder Erkenntnisse vorliegen, die für die Entscheidung wesentlich sind, oder wenn sich herausstellt, dass das Recht unrichtig angewandt worden ist, dazu verpflichtet, ohne Rücksicht auf die Bindungswirkung erneut zu entscheiden (vgl. BSG, Urteil vom 03.02.1988, Az.: 9/9a RV 18/86).
Hat eine Behörde unter zutreffender Anwendung des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X eine erneute Sachprüfung und Sachentscheidung abgelehnt, kann sich das Gericht über diese Entscheidung nicht hinwegsetzen und den gesamten Sachverhalt einer wiederholten Sachprüfung unterziehen. Denn § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X gibt nur der Verwaltung selbst, nicht aber dem Gericht die Möglichkeit, sich über eine frühere negative Entscheidung zu Gunsten des Antragstellers hinwegzusetzen (vgl. BSG, Beschluss vom 09.08.1995, Az.: 9 BVg 5/95; Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 11.04.2004, Az.: L 8 U 115/02; ständige Rspr. des 15. Senats des BayLSG, vgl. z.B. Urteil vom 18.02.2014, Az.: L 15 VK 3/12).
Diesen Prüfungsmaßstab, den das BayLSG beispielsweise im Urteil vom 18.03.2013, Az.: L 15 VK 11/11, ausführlich dargestellt hat, hat das BSG, dessen Rechtsprechung zu § 44 SGB X nicht immer einheitlich ist (vgl. vorgenanntes Urteil des Senats vom 18.03.2013, dort Ziff. 3.3.1. der Gründe), ausdrücklich bestätigt, wenn es im Anschluss an das vorgenannte Urteil des BayLSG mit Beschluss vom 31.07.2013, Az.: B 9 V 31/13 B eine Abweichung des BayLSG von der Rechtsprechung des BSG verneint hat.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Klägerin keinen Anspruch auf Überprüfung der tatsächlichen Feststellungen zum Sachverhalt, die dem bestandskräftigen Bescheid vom 27.08.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2010 zu Grunde lagen, insbesondere also auch nicht zu der Frage, ob die Klägerin unter einer obstruktiven Atemwegserkrankung einschließlich Rhinopathie leidet und ob diese Erkrankung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf die beruflich bedingte Belastung durch Tonerstaub zurückzuführen ist. Denn die Klägerin hat bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens am 30.01.2014 keine neuen Tatsachen oder Beweismittel vorgebracht, die für den zu beurteilenden Sachverhalt von Relevanz wären:
– In ihrer Berufungsschrift vom 22.10.2012, die nach dem gerichtlichen Vergleich vom 08.05.2013 als Antrag nach § 44 SGB X ausgelegt wurde, haben sich die früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf Ausführungen zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der Versäumung der Berufungsfrist beschränkt. Auch im weiteren Berufungsverfahren bis zum Erörterungstermin vom 08.05.2013 kam es zu keinem neuen klägerischen Vorbringen zur Sache selbst und insbesondere nicht zu den tatsächlichen Grundlagen der beantragten Feststellung einer Berufskrankheit. Ebenso wenig ergibt sich ein derartiges Vorbringen aus den Verwaltungsakten bis zum Erlass des Bescheides vom 26.06.2013.
– Die Beklagte hat in dem angefochtenen Bescheid vom 26.06.2013 keine inhaltliche Überprüfung der tatsächlichen Feststellungen, die den bestandskräftigen Bescheiden zu Grunde lagen, vorgenommen. Schon dem Thema nach wurde nur abgelehnt, den Verwaltungsakt vom 27.08.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2010 nach § 44 SGB X zurückzunehmen. In den Gründen hat sich die Beklagte darauf beschränkt, darauf hinzuweisen, dass mit dem Schreiben vom 22.10.2012 keine Tatsachen vorgetragen worden seien, die für die Entscheidung erheblich bzw. die bei der Erteilung des Verwaltungsaktes noch nicht berücksichtigt worden seien. Die Beklagte berief sich auf die Bestandskraft der aufzuhebenden Bescheide. Aus diesen Formulierungen ergibt sich weder eine ausdrückliche noch eine konkludente erneute inhaltliche Überprüfung der tatsächlichen Feststellungen, die den bestandskräftigen Bescheiden zu Grunde lagen.
– Soweit sich die Klägerin in ihrer Widerspruchsbegründung vom 24.09.2013 auf das Gutachten des Prof. Dr. H. vom 12.10.2009 und dessen ergänzende Stellungnahme vom 13.01.2010 berief, hat sie ein Beweismittel geltend gemacht, das in Bezug auf die zu überprüfenden Bescheide nicht neu war. Denn das Gutachten des Prof. Dr. H. mit ergänzender Stellungnahme vom 13.01.2010 war von der Beklagten auf den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 27.08.2008 hin eingeholt worden und lag im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2010 bereits vor. Die Beklagte setzte sich in den Gründen des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2010 ausführlich mit diesem Gutachten auseinander und lehnte es unter Berufung auf die gewerbeärztliche Stellungnahme der Dr. S. vom 24.07.2008 ab.
– Auch im Widerspruchsbescheid vom 30.01.2014 hat keine inhaltliche Überprüfung der tatsächlichen Feststellungen stattgefunden, die den bestandskräftigen Verwaltungsakten zu Grunde lagen.
– Die Pilotstudie von Prof. Dr. M. vom 30.05.2015 wurde erst im Gerichtsverfahren eingeführt. Ebenso wie die weiteren im Berufungsverfahren vorgelegten Unterlagen sind sie im Rahmen eines Überprüfungsantrags nach § 44 SGB X nicht zu berücksichtigen.
Der Vollständigkeit wegen bleibt abschließend ergänzend anzumerken, dass der Überprüfungsantrag auch dann keine Aussicht auf Erfolg hätte, wenn man in die inhaltliche Überprüfung der tatsächlichen Grundlagen einsteigen würde. Denn der Sachverständige Prof. Dr. M. hat im Fall der Klägerin durch drei durchgeführte Provokationstests nachgewiesen, dass es bei der Exposition der Klägerin mit Tonerstaub weder zu einer Obstruktion noch zu nachweisbaren Veränderungen im Bereich der Nase kommt, sondern vielmehr ausschließlich zu rein subjektiv empfundenen Beeinträchtigungen, die kein objektivierbares medizinisches Korrelat haben, sich also rein auf der psychovegetativen Ebene abspielen. Damit kommt die Anerkennung der BK Nr. 4301 ebenso wenig wie die Anerkennung einer Wie-BK in Betracht, und zwar völlig unabhängig davon, ob und inwieweit Forschungsergebnisse vorliegen, wonach Tonerstäube abstrakt gesehen in der Lage sind, obstruktive Atemwegserkrankungen, Rhinopathien oder andere gesundheitliche Beeinträchtigungen auszulösen. Denn auch wenn dies abstrakt gesehen möglich oder sogar wahrscheinlich sein sollte, ist durch das Gutachten des Prof. Dr. M. nachgewiesen, dass ein solcher ursächlicher Zusammenhang jedenfalls im konkreten Fall der Klägerin nicht vorliegt.
Im Übrigen ergeben sich auch aus dem von der Klägerin im Berufungsverfahren vorgelegten Abschlussbericht des Instituts für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene Prof. Dr. M. vom 30.05.2015 keine neuen für den Fall relevanten Anhaltspunkte. Es handelt sich um eine Pilotstudie, die an vier gesunden Probanden und an vier Probanden mit „selbst berichteten Beschwerden“ nach LSD-E-Exposition durchgeführt wurde. Die Pilotstudie dient der Generierung einer Arbeitshypothese für eine groß angelegte Probanden-basierte Hauptstudie zum Nachweis einer Induktion biologischer Effekte nach Exposition gegenüber LSD-E. Somit ergeben sich aus der Pilotstudie schon nach ihrer eigenen Zielsetzung noch keine neuen Erkenntnisse bezüglich einer neuen Berufskrankheit. Wie die Beklagte in ihrer Stellungnahme vom 04.08.2015 zu Recht dargelegt hat, zeigt die Pilotstudie lediglich Möglichkeiten von bestimmten Kausalzusammenhängen auf, sie nimmt jedoch nicht einmal selbst für sich in Anspruch, bestimmte Kausalzusammenhänge zu beweisen, und sei es auch nur mit überwiegender Wahrscheinlichkeit.
Den in der mündlichen Verhandlung vom 18.12.2017 gestellten Beweisanträgen auf Einholung eines Sachverständigengutachtens bzw. einer ergänzenden Stellungnahme des Prof. Dr. H., H-Stadt, war weder von Amts wegen nach § 106 SGG noch nach § 109 SGG nachzukommen. Das Ergebnis des Gutachtens wäre vorliegend von vornherein nicht berücksichtigungsfähig, weil es im Rahmen des Verfahrens nach § 44 Abs. 1 Satz 2 2. Alt. SGB X spätestens bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens bei der Beklagten hätte vorgelegt werden müssen. Soweit die Beklagte – wie hier – eine wiederholte Sachprüfung zu Recht abgelehnt und sich auf ihren bestandskräftigen Bescheid berufen hat, ist die dagegen gerichtete Anfechtungsklage unbegründet, ohne dass es einer gerichtlichen Beweisaufnahme zur Klärung des Sachverhalts bedarf. Mangels Beweiserheblichkeit besteht kein Anspruch auf ein Gutachten nach § 106 oder § 109 SGG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Verpflichtung der Klägerin, die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu erstatten, beruht auf der Erwägung, dass die Klägerin durch die Streitverkündung die Beteiligung der Beigeladenen veranlasst hat und dass die Beigeladenen dem Rechtsstreit auf Seiten der obsiegenden Beklagten beigetreten waren, so dass die Kostenregelung auch der Vorschrift des § 101 Zivilprozessordnung entspräche, sofern man die Regelungen über die Nebenintervention gemäß § 202 SGG für entsprechend anwendbar hielte. Die Erstattungsfähigkeit der Kosten der Beigeladenen ist nicht gemäß § 193 Abs. 4 SGG ausgeschlossen, weil die Beigeladenen nicht zu den in § 184 Abs. 1 SGG genannten Gebührenpflichtigen gehören, da hierunter nur Kläger und Beklagte, nicht aber Beigeladene, fallen (Schmidt, in: Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer/ Schmidt, SGG, 12. A. 2017, § 193 Rdnr. 11 f.)
Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

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