Aktenzeichen W 8 K 17.537
TierSchG § 16a
VwZVG Art. 36
Leitsatz
Ohne vorausgehende Androhung kann unmittelbarer Zwang nur angewendet werden, wenn es zur Verhütung oder Unterbindung einer mit Strafe bedrohten Handlung oder zur Abwehr einer drohenden Gefahr notwendig ist. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Es wird festgestellt, dass die Nr. 1 und Nr. 2 des Bescheids vom 21. April 2011 rechtswidrig waren.
II. Die Nr. 4 und Nr. 5 des Bescheids vom 21. April 2011 werden aufgehoben.
III. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
IV. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Nr. 1 und Nr. 2 des Bescheids vom 21. April 2011 waren rechtswidrig und verletzten den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Satz 4 VwGO). Die Nr. 4 und Nr. 5 des Bescheids vom 21. April 2011 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Klage ist zulässig. Für die Nr. 1 und Nr. 2 des Bescheids vom 21. April 2011 ist die Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO), da sich die Anordnung von Zwangsmitteln aufgrund der tatsächlichen Durchführung der Wegnahme und Veräußerung vorliegend erledigt hat. Unabhängig davon, ob die Nrn. 1 und 2 des Bescheids als Androhung des Zwangsmittels oder als ein Zwangsmittel nach Art. 35 VwZVG ohne vorausgehende Androhung einzuordnen sind, ist nach Art. 38 Abs. 1, Abs. 2 VwZVG die Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft. Die Abholung und Veräußerung der im Besitz des Klägers stehenden Rinder (Nr.1 des Bescheids) sowie die Anordnung der Duldung der Wegnahme und der Betretung aller Grundstücke (Nr. 2 des Bescheids) wurden bereits vollzogen, sodass diese Anordnungen keine Rechtswirkungen mehr entfalten. Das für die Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungklage erforderliche berechtigte Interesse an der Feststellung ergibt sich vorliegend aus einem tief greifenden Grundrechtseingriff in das Eigentumsgrundrecht nach Art. 14 Abs. 1 GG. Da die angeordnete Kostentragung des Klägers als Verursacher nach Nr. 4 des Bescheids und die festgesetzte Gebühr in Höhe von 50,00 EUR und Auslagen in Höhe von 3,45 EUR nach Nr. 5 des Bescheids noch nicht bezahlt wurden, haben sich diese nicht erledigt. Statthafte Klageart für die Nrn. 4 und 5 des Bescheids ist daher die Anfechtungsklage.
Die Klage ist vollumfänglich begründet.
Die Anordnung der Abholung und Veräußerung der im Besitz des Klägers stehenden Rinder auf dessen Kosten im Vollzug des Bescheides vom 15. März 2011 als unmittelbarer Zwang war rechtswidrig und verletzte den Kläger in seinen Rechten nach § 113 Abs. 1 Satz 1, Satz 4 VwGO, da eine Androhung des unmittelbaren Zwanges nicht vorgenommen wurde und auch keine Gründe gegeben sind, dass vorliegend ausnahmsweise von der erforderlichen Androhung abgesehen werden konnte.
Rechtsgrundlage für die Abholung und Veräußerung im Wege der Anordnung des unmittelbaren Zwangs ist Art. 32 VwZVG i.V.m. § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Halbsatz 2 TierSchG.
Die Anordnung von unmittelbarem Zwang war materiell rechtswidrig, denn die nach Art. 36 VwZVG erforderliche, auch nicht ausnahmsweise entbehrliche, vorherige Androhung des unmittelbaren Zwangs wurde nicht vorgenommen.
Die Anordnung der Abholung und Veräußerung der Rinder war formell rechtmäßig. Einer vorherigen Anhörung bedurfte es nicht, denn nach Art. 28 Abs. 2 Nr. 5 BayVwVfG ist eine Anhörung bei Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung entbehrlich.
Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen waren gegeben. Im Sinne des Art. 18 Abs. 1 VwZVG war ein bestimmtes Handeln angeordnet worden. Der Grundverwaltungsakt vom 15. März 2011, in dem in Nr. 1 und Nr. 2 das Halten und Betreuen von Rindern untersagt sowie die Verpflichtung zur Abgabe, zur Veräußerung oder zur Verwertung der Rinder innerhalb von sieben Werktagen angeordnet wurde, wurde noch im Bescheid vom 15. März 2011 für sofort vollziehbar erklärt, sodass nach Art. 19 Abs. 1 Nr. 3 VwZVG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ein vollstreckbarer Grundverwaltungsakt vorlag. Die Anordnung wurde auch nicht rechtzeitig erfüllt (Art. 19 Abs. 2 VwZVG).
Die Anordnung der Abholung und Veräußerung verstieß jedoch gegen die besondere Vollstreckungsvoraussetzung der Androhung des Zwangsmittels nach Art. 36 VwZVG. Denn nach Art. 36 Abs. 1 VwZVG müssen Zwangsmittel unbeschadet des Art. 34 Satz 2 VwZVG und des Art. 35 VwZVG schriftlich angedroht werden. Ohne vorausgehende Androhung kann unmittelbarer Zwang nur angewendet werden, wenn es zur Verhütung oder Unterbindung einer mit Strafe bedrohten Handlung oder zur Abwehr einer drohenden Gefahr notwendig ist (Art. 35 VwZVG). Eine Androhung des unmittelbaren Zwangs war weder im Bescheid vom 15. März 2011 erfolgt, noch kann die Anordnung in Nr. 1 des Bescheids vom 21. April 2011 als Androhung behandelt werden. Zwar schreibt das Gesetz keine ausdrücklich als solche bezeichnete Androhung vor, der entsprechende Wille der Behörde muss aber klar und eindeutig zum Ausdruck kommen. Ein entsprechender Wille kann der Formulierung der Nr. 1 des Bescheids vom 21. April 2011 nicht entnommen werden, da sich weder aus dem Wortlaut des Tenors noch aus der Begründung Anhaltspunkte ergeben, die auf eine Androhung und nicht eine direkte Anordnung des unmittelbaren Zwangs hindeuten.
Die Androhung des unmittelbaren Zwangs war im vorliegenden Fall auch nicht entbehrlich. Allenfalls in Betracht käme als Ausnahmegrund nach Art. 35 VwZVG, die Abwehr einer drohenden Gefahr. Eine drohende Gefahr für die Gesundheit der Rinder lag im Zeitpunkt der Anordnung des unmittelbaren Zwangs nicht vor. Gegen ein Vorliegen einer drohenden Gefahr spricht insbesondere, dass die Beklagtenvertreter selbst im Bescheid vom 15. März 2011 dem Kläger noch eine Frist von sieben Werktagen für die Abgabe, Veräußerung oder Verwertung der Rinder gaben und daher offensichtlich nicht davon ausgingen, dass ein Einschreiten innerhalb weniger Stunden erforderlich gewesen wäre.
Selbst wenn man die Anordnung in Nr. 1 des Bescheids vom 21. April 2011 als Androhung von unmittelbarem Zwang auslegen bzw. umdeuten würde, wäre diese ebenfalls rechtswidrig mangels Fristsetzung. Die im Bescheid vom 15. März 2011 vorgesehene Frist von sieben Werktagen kann nicht herangezogen werden, da der Wortlaut „hierbei“ des Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG eindeutig voraussetzt, dass die Bestimmung der Frist verbunden mit der Androhung des Zwangsmittels erfolgen muss und nicht in einem separaten Verwaltungsakt erfolgen darf.
Die Duldungsanordnung in Nr. 2 des Bescheids vom 21. April 2011 war ebenfalls rechtswidrig und verletzte den Kläger in seinen Rechten nach § 113 Abs. 1 Satz 1, Satz 4 VwGO. Laut der Begründung des Bescheids wurde die Duldung der Wegnahme und der Betretung aller Grundstücke, auf denen sich die Rinder befunden haben, durch die Bediensteten des Landratsamts … und der von ihnen beauftragten Personen, als aus Gründen der Verwaltungsvollstreckung notwendige Anordnungen angesehen. Da diese Duldungsanordnungen nach der Intention der Beklagtenseite somit im Zusammenhang mit der Anordnung des unmittelbaren Zwangs in Nr. 1 des Bescheids vom 21. April 2014 zu sehen sind und keine eigenständige Bedeutung haben, sind sie ebenso wie die Anordnung des unmittelbaren Zwangs in Form der Abholung und Veräußerung rechtswidrig.
Die Kostenentscheidung (Nr. 4 des Bescheids) sowie die Festsetzung der Gebühren- und Auslagenhöhe (Nr. 5 des Bescheids) vom 21. April 2011 sind aufgrund unrichtiger Sachbehandlung nach Art. 16 Abs. 5 KG rechtswidrig und verletzen daher den Kläger in seinen Rechten nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Kostenentscheidung des gerichtlichen Verfahrens beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.