Aktenzeichen 3 K 1157/16
Leitsatz
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Gründe
Die Klage ist unbegründet. Der Kläger ist durch den angefochtenen Verwaltungsakt nicht in seinen Rechten verletzt, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Das Finanzamt hat der Berechnung der Einkommensteuer 2010 zu Recht Kapitalerträge i.H.v. 149.638 € aus einer verdeckten Gewinnausschüttung zugrunde gelegt. Letztere wurde auch nicht rückwirkend durch die Rückabwicklung der Anteilsübertragung beseitigt.
Der bestandskräftige Einkommensteuerbescheid vom 29.01.2014 konnte aufgrund der Mitteilung des Finanzamts D vom 11.09.2015 mit Bescheid vom 28.10.2015 die Einkommensteuer 2010 geändert werden.
Die Änderungsbefugnis ergibt sich aus § 32a 00 830).
Im Rahmen des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG ist die verdeckte Gewinnausschüttung beim Gesellschafter zu erfassen, wenn ihm der Vermögensvorteil zufließt (§§ 8, 11 Abs. 1 EStG).
Im Streitfall führt die schenkweise Übertragung ihrer Anteile an der KK-GmbH durch die K-Gmbh mit notariellem Vertrag vom 10.09.2010 an den Bruder des Alleingesellschafters der K-Gmbh nach obigen Grundsätzen zu einer verdeckten Gewinnausschüttung. Ein anderer Grund als das familiäre Näheverhältnis ist für die Schenkung nicht ersichtlich, insbesondere bestand auch keine vom Gesellschaftsverhältnis zum nahestehenden Gesellschafter (Kläger) unabhängige Beziehung der Kapitalgesellschaft zum Empfänger der Zuwendung (Bruder des Klägers, HK jun.). Aus dem Vertrag selbst ergibt sich vielmehr, dass damit Regelungen zur vorweggenommenen Erbfolge zwischen dem Vater des Klägers und seinen beiden Söhnen getroffen werden sollten.
Die Höhe der verdeckten Gewinnausschüttung ist unstreitig.
Die verdeckte Gewinnausschüttung entfällt auch nicht rückwirkend durch die Rückabtretung des GmbH-Geschäftsanteils an die K-Gmbh mit notariellem Vertrag vom 28.01.2014.
Die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis entstehen, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft, § 38 AO. Bei den laufend veranlagten Steuern – wie vorliegend der Einkommensteuer – sind die aufgrund des Eintritts neuer Ereignisse materiell-rechtlich erforderlichen steuerlichen Anpassungen regelmäßig nicht rückwirkend, sondern in dem Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem sich der maßgebende Sachverhalt ändert (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 19.07.1993 GrS 2/92, BStBl II 1993, 897). Grundsätzlich kann ein Sachverhalt nicht mit steuerrechtlicher Wirkung rückwirkend gestaltet werden, weil der Steuerpflichtige auf einen entsprechenden Steueranspruch nicht rückwirkend Einfluss nehmen kann. Eine solche Einflussnahme wäre ein unzulässiger Eingriff in öffentlich-rechtliche Verhältnisse (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 18.09.1984 VIII R 119/81, BStBl II 1985, 55). Dies gilt jedoch nur insoweit, als die einschlägigen steuerrechtlichen Regelungen nicht bestimmen, dass eine Änderung des nach dem Steuertatbestand rechtserheblichen Sachverhalts zu einer rückwirkenden Änderung steuerlicher Rechtsfolgen führt. Solche steuerrechtlichen Regelungen gibt es hier nicht. § 313 BGB, auf den sich der Kläger beruft, ist eine zivilrechtliche Vorschrift.
Gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 AO ist es für die Besteuerung unerheblich, wenn ein Rechtsgeschäft unwirksam ist oder wird, soweit und solange die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis dieses Rechtsgeschäfts gleichwohl eintreten und bestehen lassen. Wird ein zunächst wirksames Rechtsgeschäft unwirksam und behandeln die Beteiligten es durch Rückabwicklung als unwirksam, kommt es für die Erfüllung des Steuertatbestandes darauf an, ob die Unwirksamkeit ex tunc (rückwirkend) oder ex nunc (für die Zukunft) wirkt. Tritt die Unwirksamkeit danach ex tunc ein, ist das Rechtsgeschäft von Anfang an unwirksam, der Steuertatbestand gilt als nicht erfüllt, der Steueranspruch als nicht entstanden. Tritt die Unwirksamkeit ex nunc ein, so ist der Steuertatbestand nach wie vor erfüllt, der Steueranspruch bleibt bestehen. § 41 AO gilt für alle Steuern, insbesondere auch für laufend veranlagte Steuern wie die Einkommensteuer. (Vgl. dazu Drüen, in Tipke/Kruse AO/FGO Kommentar, § 41 AO, Rz. 6, 7, 8 (Stand Januar 2014), m.w.N.).
Einer der wichtigsten Fälle der nachträglichen (zivilrechtlichen) Unwirksamkeit von Rechtsgeschäften ist der Wegfall der Geschäftsgrundlage. Geschäftsgrundlage sind alle Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind (vgl. Grüneberg, in Palandt BGB Kommentar, 76. Aufl., § 313 Rz. 3). Haben sich diese Umstände nach Vertragsschluss geändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit einem anderen Inhalt geschlossen, wenn sie die Veränderung vorausgesehen hätten, kann gemäß § 313 Abs. 1 des bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) eine Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der vertraglichen und gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Einer Veränderung der Umstände steht es gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, sich als falsch herausstellen, § 313 Abs. 2 BGB. Ist eine Anpassung des Vertrages nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar, so kann der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten, § 313 Abs. 3 Satz 1 BGB. Die Rückabwicklung des Vertrages erfolgt nach §§ 346 ff. BGB (Grüneberg, a.a.O., § 313 Rz. 42), d.h., der Rücktritt wirkt nur schuldrechtlich, nicht dinglich; der Rücktritt hebt den Vertrag nicht auf, sondern verändert seinen Inhalt, indem er ihn in ein Rückabwicklungsverhältnis umwandelt; der Rechtsgrund für die Leistung entfällt nicht (Grüneberg, a.a.O., Vor § 346 Rz. 6). Daraus folgt für das Steuerrecht, dass die Anpassung nur ex nunc wirkt. Das gilt auch für den Rücktritt vom Vertrag (vgl. Drüen, in Tipke/Kruse AO/FGO Kommentar, § 41 AO Rz. 48 (Stand Januar 2014).
Bei – wie hier – beiderseits vollständig erfüllten Verträgen kommt eine Anwendung des § 313 BGB ohnehin nur ausnahmsweise in Betracht, wenn die Geschäftsgrundlage von Anfang an gefehlt hat oder das Festhalten am bisherigen Vertragsinhalt trotz beiderseitiger Erfüllung nicht zumutbar ist (Heinrichs, in Palandt, Ergänzungsband zur 61. Aufl., § 313 Rz. 19). Regelmäßig kommt eine Anpassung nur für noch nicht abgewickelte Vertragsverhältnisse und nur für die Zukunft in Betracht (Roth, in Münchner Kommentar, 3. Aufl., § 242 BGB Rz. 534, m.w.N.). D.h., selbst wenn ausnahmsweise eine Rückabwicklung des beiderseits vollständig erfüllten Vertrages nach § 313 BGB möglich gewesen sein sollte (was hier dahinstehen kann), würde dies nicht zu einer rückwirkenden Beseitigung des bereits erfüllten Tatbestands der verdeckten Gewinnausschüttung führen.
Die Rechtsfolgen einer verdeckten Gewinnausschüttung können nicht dadurch rückgängig gemacht werden, dass der zur verdeckten Gewinnausschüttung führende Geschäftsvorfall nachträglich wieder aufgehoben wird (Fischer, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO Kommentar, § 41 AO Rz. 81 (Stand Nov. 2005); Gosch, in Gosch KStG, 3. Aufl., § 8 Rz. 516, 519; Schallmoser, in Herrmann/Heu-er/Raupach, EStG/KStG Kommentar, 278. Lfg., § 8 KStG Rz. 223). Dass der begünstigte Gesellschafter oder die begünstigte nahestehende Person auf Grund gesetzlicher Vorschriften, einer entsprechenden Satzungsklausel oder infolge individualrechtlicher Abreden und Vorbehalte (z.B. „Steuerklauseln“) verpflichtet sein kann, den erlangten Vorteil an die Kapitalgesellschaft zurück zu übertragen, ändert daran nichts. Ein zugeflossener Vermögensvorteil bleibt auch dann eine Einnahme, wenn der Empfänger ihn nicht endgültig behalten darf. Die Annahme eines Zuflusses setzt nicht voraus, dass das Zugeflossene dem Empfänger endgültig verbleibt. Es genügt, wenn er über den Wert – wenn auch nur vorübergehend – wirtschaftlich verfügen kann. (Gosch, a.a.O., Rz. 519; Schallmoser, a.a.O., Rz. 223 a.E., m.w.N.). Die Rückgewähr des Erlangten steht auch nicht mit der Einkunftsart Kapitalvermögen in Zusammenhang, sondern wurzelt in der gesellschaftsrechtlichen Veranlassung (vgl. Gosch, a.a.O., Rz. 519). Sie führt beim Gesellschafter zu nachträglichen Anschaffungskosten auf die Beteiligung, aber nicht zu Betriebsausgaben, Werbungskosten oder negativen Einnahmen (vgl. Gosch, a.a.O., Rz. 520).
Wird der die verdeckte Gewinnausschüttung auslösende Geschäftsvorfall rückgängig gemacht, kann allenfalls ein (Teil-)Erlass der Steuer oder die Nichtberücksichtigung des die Steuer auslösenden Vorgangs gemäß § 163 Abs. 1 AO geboten sein (Schallmoser, a.a.O., m.w.N.).
Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der in § 115 Abs. 2 FGO genannten Gründe vorliegt, insbesondere hat die Frage, ob ein Irrtum über die Personen des Vertrages als Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB zu einem rückwirkenden Ereignis führt, keine grundsätzliche Bedeutung. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB wirkt, wie oben dargestellt, steuerlich nicht auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses zurück. Das von den Klägern zitierte Urteil des BFH vom 28.10.2009 IX R 17/09, BStBl II 2010, 539 betraf keinen mit dem Streitfall vergleichbaren Fall. Dort ging es nicht um die Rückgängigmachung einer verdeckten Gewinnausschüttung, sondern um die Besteuerung einer Anteilsveräußerung nach § 17 EStG. Anders als hier hatten dort die Vertragsparteien zudem eine bestimmte steuerliche Lastenverteilung ausdrücklich zum Vertragsgegenstand gemacht. Schließlich erging das Urteil zu einem Veranlagungszeitraum vor der Kodifizierung der Grundsätze über das Fehlen und den Wegfall der Geschäftsgrundlage in § 313 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.