Steuerrecht

Rücknahme der Einbürgerung wegen Verschweigens eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens

Aktenzeichen  M 25 K 14.3680

Datum:
2.3.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 128065
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StAG § 8, § 12a, § 35
StGB § 266a
BayVwZVG Art. 19, Art. 29, Art. 30, Art. 31, Art. 36
BayVwVfG Art. 52

 

Leitsatz

1. Der Verstoß gegen § 12a Abs. 3 S. 1 StAG macht die Einbürgerung rechtswidrig. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Gesetzgeber hat dem Einbürgerungserfordernis der Unbescholtenheit ein erhebliches Gewicht beigemessen. (Rn. 53) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte in gleicher Höhe vorher Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg, weil sie unbegründet ist. Der Beklagte hat die Einbürgerung des Klägers nach Ermessen rechtmäßig zurückgenommen.
Der angegriffene Rücknahmebescheid des Beklagten vom 24. Juli 2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Rücknahme der Einbürgerung nach § 35 StAG sind erfüllt, und die Ermessensausübung begegnet keinen rechtlichen Bedenken (§ 114 Satz 1 VwGO).
1. Die Rücknahme ist formell rechtmäßig. Der Kläger wurde angehört, die Fünfjahresfrist des § 35 Abs. 3 StAG ist gewahrt.
2. Die Rücknahme ist auch materiell rechtmäßig. Die Rücknahmevoraussetzungen des § 35 Abs. 1 StAG sind erfüllt, weil der Kläger seine rechtswidrige Einbürgerung zumindest durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für die Einbürgerung waren, bzw. durch arglistige jäuschung erwirkt hat.
2.1. Die Einbürgerung des Klägers trotz eines laufenden Ermittlungsverfahrens wegen einer Straftat war rechtswidrig. Denn in einem solchen Fall ist die Entscheidung über die Einbürgerung bis zum Abschluss des Verfahrens, im Fall der Verurteilung bis zum Eintritt der Rechtskraft des Urteils, auszusetzen (§ 12a Abs. 3 Satz 1 StAG). Der Beklagte hätte vorliegend die Entscheidung bis zur Rechtskraft des Urteils am 14. März 2014 aussetzen müssen; aus Unkenntnis des Sachverhalts hat sie den Kläger jedoch am 8. November 2010 eingebürgert. Der Verstoß gegen § 12a Abs. 3 Satz 1 StAG macht die Einbürgerung rechtswidrig (BVerwG, U.v. 3.6.2003 – 1 C 19.02 – juris Rn. 18). Die Rechtswidrigkeit der Einbürgerung tritt unabhängig vom Ausgang des Ermittlungsverfahrens ein und unabhängig davon, ob die später verhängte Strafe nach § 12a Abs. 1 StAG für die Einbürgerung relevant ist.
2.2. Der Kläger hat seine Einbürgerung auch durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die für diese wesentlich gewesen sind, bzw. durch arglistige jäuschung erwirkt.
2.2.1. Angaben zu anhängigen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren sind wesentlich. Dies ergibt sich bereits aus § 12a Abs. 3 StAG. Dass der Kläger diesbezüglich unrichtige Angaben gemacht hat, ist offensichtlich.
2.2.2. Die Angaben des Klägers zu anhängigen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren waren sowohl unvollständig, weil er eine Mitteilungspflicht in Bezug auf Änderungen in seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen hatte, als auch unrichtig insofern er am … August 2010 und am *. November 2010 jeweils ausdrücklich schriftlich bestätigte, dass sich hinsichtlich strafrechtlicher Ermittlungsverfahren keine Änderungen gegenüber seinen Angaben im Einbürgerungsantrag vom … Dezember 2009 ergeben haben.
2.2.3. Der Kläger handelte bezüglich der unrichtigen Angaben auch zumindest bedingt vorsätzlich. Er hat entscheidungserhebliche Angaben gemacht, deren Unrichtigkeit ihm bewusst war oder deren Unrichtigkeit er für möglich hielt, die er aber in Kauf nahm. Zudem hat er wahre jatsachen verschwiegen, zu deren Offenlegung er verpflichtet war.
Seine diesbezüglichen Versuche, einen entsprechenden Schuldvorwurf von sich zu weisen, überzeugen nicht. Seine Behauptung, er habe mangels entsprechender Deutschkenntnisse und weil er keine Abschrift erhalten habe, nicht gewusst, welche Änderungen seiner Verhältnisse er der Behörde melden müsse und die Einleitung eines Strafverfahrens durch das Hauptzollamt habe er nicht als Strafverfahren gewertet, zielt darauf ab, den Eindruck zu vermitteln, er habe nicht vorsätzlich, sondern allenfalls grob fahrlässig gehandelt, was zur Erfüllung des jatbestands des § 35 Abs. 1 StAG nicht ausreichen würde. Der Kläger hat zur Überzeugung des Gerichts jedoch nicht nur grob fahrlässig, sondern zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt.
2.2.3.1. Zunächst weist der Beklagte zu Recht darauf hin, dass der Kläger das Hinweisblatt zum Einbürgerungsantrag am … Dezember 2009 erhalten und damit jederzeit die Möglichkeit gehabt hat, sich über den Umfang seiner Mitteilungspflichten zu vergewissern. Die diesbezügliche Ausflucht des Klägers ist somit widerlegt.
2.2.3.2. Auf mangelnde Deutschkenntnisse kann sich der Kläger, der fünf Jahre lang in der jürkei studiert hat, zu Studienzwecken nach Deutschland eingereist ist, an der jechnischen Hochschule ein Jahr lang ein Magisterstudium betrieben und sich danach mehrere Jahre lang im unternehmerischen Bereich betätigt hat, ebenfalls nicht mit Erfolg berufen. Die Forderung des Prozessbevollmächtigen, Einbürgerungsbewerbern Übersetzungen der Formulare in der jeweiligen Heimatsprache zur Verfügung zu stellen, ist fernliegend.
2.2.3.3. Das Gericht glaubt dem Kläger nicht, dass er das durch das Hauptzollamt eingeleitete Verfahren nicht unter „strafrechtliches Ermittlungsverfahren“ subsumiert hat.
Zunächst spricht dagegen schon der Wortlaut der sehr übersichtlichen Mitteilung vom 10. Mai 2010, die den Kläger über die Einleitung eines Strafverfahrens nach § 266a Strafgesetzbuch informiert.
Zu Recht weist der Beklagte in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Kläger bereits Erfahrungen mit strafrechtlichen Ermittlungen hatte: Ausweislich der Mitteilung der Kriminalpolizeiinspektion j* … vom … Dezember 2009 waren dieser vier Verfahren gegen den Kläger bekannt (Bl. 86 Einbürgerungsakte): Ein Verfahren wegen Führens eines Fahrzeugs bei Fahrunsicherheit infolge Alkoholgenusses – Az. … … … – endete mit einem Freispruch, ein Verfahren wegen Führens eines Kfz ohne Fahrerlaubnis – Az. … … … – mit einer Verurteilung zu einer Geldstrafe, ein Verfahren wegen Diebstahls wurde nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Ebenfalls eingestellt nach § 170 Abs. 2 StPO wurde ein Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung – Az. … … …
Vor diesem Hintergrund glaubt das Gericht dem Kläger nicht, dass er die Mitteilung über die Einleitung eines Strafverfahrens wegen eines Verstoßes gegen eine Vorschrift des Strafgesetzbuchs nicht als strafrechtlich relevantes Ermittlungsverfahren gewertet hat. Ihm war nach Überzeugung des Gerichts vielmehr jedenfalls bewusst, dass seine Erklärung möglicherweise unrichtig ist. Er hat dies jedoch in Kauf genommen und die Frage nach anhängigen Ermittlungsverfahren verneint, ohne sich zuvor zu erkundigen, ob es sich um eine mitteilungsrelevante Tatsachenänderung handelt. Zumindest eine diesbezügliche Erkundigungspflicht hatte der Kläger und ist ihr nicht nachgekommen. Es wäre für den Kläger auch ein Leichtes gewesen, eine Klärung entweder bei der Einbürgerungsbehörde oder durch seinen Prozessbevollmächtigten, der im relevanten Strafverfahren bereits mandatiert war, herbeizuführen.
Stattdessen nahm der Kläger in Kauf, dass seine Angaben unrichtig sind und handelte somit zumindest bedingt vorsätzlich.
2.2.4. Der Kläger hat seine Einbürgerung auch erwirkt, denn die Fehlerhaftigkeit der Angaben war für die rechtswidrige Einbürgerung kausal. Der Kläger hat einen Irrtum über das Vorliegen von Ermittlungsverfahren gegen ihn hervorgerufen.
Maßgeblich ist die Kenntnis des Amtswalters, der über die Einbürgerung entscheidet (vgl. BVerwG, U.v. 24.1.2001 – 8 C 8.00 – juris).
Weder dem Sachbearbeiter beim Beklagten noch dem Mitarbeiter der Ausländerbehörde, der die Einbürgerungsurkunde ausgehändigt hat, war das strafrechtliche Er mittlungsverfahren gegen den Kläger bekannt. Die anderweitige Behauptung des Prozessbevollmächtigten, die Ausländerbehörde habe den Kläger „offensichtlich in eine Falle gelockt“, entbehrt jeder Grundlage.
Ausweislich der vorgelegten Behördenakten hat sich bis zur Mitteilung der strafrechtlichen Verurteilung durch das Amtsgericht im März 2014 kein Hinweis auf dieses Verfahren in den Einbürgerungsakten befunden.
Die tatbestandlichen Rücknahmevoraussetzungen liegen somit vor.
3. Die Ermessensentscheidung des Beklagten ist rechtmäßig. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich (§ 114 Satz 1 VwGO), und die Entscheidung ist auch verhältnismäßig.
3.1. Der Rücknahme steht vorliegend nicht entgegen, dass der Kläger dadurch staatenlos wird (§ 35 Abs. 2 StAG). Die Kammer kann keine Umstände erkennen, die dem Fall ein Gepräge geben, das ihn von dem als Regelfall normierten Fall ausnimmt.
3.1.1. Der Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass der Kläger die Möglichkeit hat, die türkische Staatsangehörigkeit wieder zu erlangen.
3.1.2. Auch der gleichzeitige Verlust der Unionsbürgerschaft führt nicht zu einem Ausnahmefall. Der Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass es beim Kläger – anders als im Verfahren des Bundesverwaltungsgericht (U.v. 11.11.2010 – 5 C 12/10 – juris) ausschließlich um den Entzug einer unredlich erworbenen Unionsbürgerschaft geht.
3.2. Die Behörde entscheidet über die Rücknahme nach Ermessen. Diese Entscheidung ist vom Gericht nur eingeschränkt auf Ermessensfehler überprüfbar (§ 114 Satz 1 VwGO).
3.2.1. Zunächst ist eine Ermessensreduzierung auf Null, die allein der Klage in der beantragten Form zum Erfolg verhelfen könnte, nicht ersichtlich.
3.2.2. Der Beklagte hat bei der Abwägung der für und gegen eine Rücknahme sprechenden öffentlichen und privaten Belange auch alle nach Lage der Dinge maßgeblichen Umstände (insbes. Verlust der Deutschenrechte, langjähriger Aufenthalt, Sprachkenntnisse, wirtschaftliche Integration, deutsche Familienangehörige, Verlust der Unionsbürgerschaft) und die negativen Folgen des Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit für den Kläger, berücksichtigt und vertretbar gewichtet und letztlich in nicht zu beanstandender Weise das Überwiegen des öffentlichen Interesses bejaht.
Der Beklagte hat seine Ermessensentscheidung ausführlich begründet und insbesondere gesehen, dass eine Entscheidung für eine Rücknahme nicht im Sinne eines intendierten Ermessens vorgegeben ist. Zu Recht ist er auch davon ausgegangen, dass kein Ausnahmefall von § 35 Abs. 2 StAG vorliegt. Der Umstand, dass der Kläger in wirtschaftlicher Hinsicht integriert ist und seine Familienmitglieder Deutsche sind, wurde gesehen. Es ist jedoch nicht fehlerhaft, wenn der Beklagte entscheidend darauf abstellt, dass die Rechtsordnung nicht Prämien auf die Missachtung ihrer selbst setzen dürfe. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Kläger erst mit Tilgung seiner Verurteilung aus dem Bundeszentralregister die Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllt. Er würde gegenüber dem rechtstreuen Einbürgerungsbewerber privilegiert, wenn man ihm die deutsche Staatsangehörigkeit beließe.
3.3. Die Entscheidung für die Rücknahme ist auch nicht unverhältnismäßig, selbst unter Berücksichtigung des Umstands, dass der frühere Aufenthaltstitel des Klägers nicht wieder auflebt.
Denn die nachteiligen Folgen aus der Rücknahme beruhen letztlich auf dem eigenen Verhalten des Klägers. Der vom Kläger im Einbürgerungsverfahren begangene Pflichtverstoß war von erheblichem Gewicht. Der Gesetzgeber hat dem Einbürgerungserfordernis der Unbescholtenheit ein erhebliches Gewicht beigemessen (BVerwG, U.v. 11.11.2010 – 5 C 12/10 – juris Rn. 36). Die Schwere des Rechtsverstoßes ist auch daran zu erkennen, dass ein solches Verhalten nach § 42 StAG mit Strafe bedroht ist.
Die Rücknahme erfolgt gemäß § 35 Abs. 4 StAG mit Wirkung für die Vergangenheit.
Die Rücknahme der Einbürgerung mit Wirkung für die Vergangenheit erweist sich somit als rechtmäßig.
4. Die Rückgabepflicht in Nr. 2 beruht auf Art. 52 Satz 1 und Satz 2 BayVwVfG, die Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 auf Art. 19, 29, 30, 31 und 36 BayVwZVG und ist nicht zu beanstanden. Das angedrohte Zwangsgeld ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Es hält sich im Rahmen der Vorschrift des Art. 31 Abs. 2 Satz 1BayVwZVG.
Die Klage war somit abzuweisen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
5. 6. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung durch das Gericht liegen nicht vor.

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