Aktenzeichen 11 ZB 20.2046
ZPO § 78b, § 114 Abs. 1 S. 1, § 117
Leitsatz
1. Die gesetzliche Begründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO ist nicht verlängerbar. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Fall der Mandatsbeendigung kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur in Betracht, wenn der Kläger noch innerhalb der laufenden Frist darlegt, dass er die Beendigung des Mandats nicht zu vertreten hatte und ohne sein Verschulden daran gehindert war, einen zur Übernahme seiner Sache bereiten Prozessbevollmächtigten zu finden, bzw. einen Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 78b ZPO gestellt und dabei die Voraussetzungen hierfür dargelegt hat. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
AN 10 K 19.2005 2020-06-05 Urt VGANSBACH VG Ansbach
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unzulässig, weil ihn der Kläger trotz ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung nicht innerhalb der durch die förmliche Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung am 28. Juli 2020 in Gang gesetzten und am 28. September 2020 abgelaufenen (§ 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB) Zweimonatsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO durch einen nach § 67 Abs. 4 Satz 1 bis 3, 7 i.V.m. Abs. 2 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO zum Auftreten vor dem Verwaltungsgerichtshof befugten Prozessbevollmächtigten hat begründen lassen. Die persönlichen Ausführungen des nicht ordnungsgemäß vertretenen Klägers zum Sachverhalt und zur Rechtslage sind unbeachtlich (vgl. Schenk in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Januar 2020, § 67 Rn. 73 f.).
Da die gesetzliche Begründungsfrist nicht verlängerbar ist (§ 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 224 Abs. 2 Hs. 2 ZPO; vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 50), kommt auch eine Nachholung der Begründung des Zulassungsantrags durch einen Prozessbevollmächtigten nicht in Betracht.
Dem Kläger kann auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Bei Versäumung der Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung ist der Antrag binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (§ 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen (§ 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (§ 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO).
Soweit der Kläger die Mandatskündigung durch seinen Prozessbevollmächtigten als Hindernis bei der Einhaltung der Frist zur Begründung des Zulassungsantrags geltend macht, erschließt sich aus seinem Vortrag nicht, dass ihn hieran kein Verschulden trifft, ungeachtet dessen, ob ihm ein etwaiges Verschulden seines Prozessbevollmächtigten gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist oder nicht. Insbesondere träfe ihn ein eigenes Verschulden an der Fristversäumnis, wenn er nicht für den rechtzeitigen Ausgleich der nach Grund und Höhe nicht zu beanstandenden Kostenrechnung seines Prozessbevollmächtigten Sorge getragen hätte (vgl. BGH, B.v. 14.12.2017 – VII ZR 253/17 – juris Rn. 7).
Eine durch seinen Bevollmächtigten verschuldete Versäumung der Begründungsfrist wäre dem Kläger gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen (vgl. BFH, B.v. 27.6.2006 – I B 159/05 – juris Rn. 7). Die Kündigung des Prozessvertretungsvertrags erlangt im Anwaltsprozess dem Prozessgegner und dem Gericht gegenüber gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m § 87 Abs. 1 ZPO erst durch die Anzeige der Bestellung einer anderen gemäß § 67 Abs. 4 VwGO zur Prozessvertretung befugten Person rechtliche Wirksamkeit. Der Prozessbevollmächtigte gilt dem Gericht gegenüber solange als bestellt, wie sich für den Kläger – was bisher nicht der Fall war – kein neuer Prozessbevollmächtigter bestellt hat (vgl. BVerwG, B.v. 20.11.2012 – 4 AV 2.12 – NJW 2013, 711 = juris Rn. 9 m.w.N.; BayVGH, B.v. 1.9.2015 – 3 B 15.530 – juris Rn. 11). Bis zu diesem Zeitpunkt ist der bisherige Prozessbevollmächtigte im Außenverhältnis berechtigt und verpflichtet, den Kläger im Zulassungsverfahren zu vertreten (BVerwG, a.a.O.). Allerdings kommt eine Verschuldenszurechnung bei Kündigung durch die Partei oder Mandatsniederlegung des Bevollmächtigten nicht mehr in Betracht, es sei denn, dass sich aus dem konkreten Zeitpunkt oder den Umständen der Mandatsniederlegung ein zurechenbares Verschulden des Prozessbevollmächtigten ergibt (vgl. BGH, U.v. 15.3.2006 – XII ZR 138/01 – NJW 2006, 2334 = juris Rn. 12; BVerwG, B.v. 5.5.1999 – 4 B 35.99 – NVwZ 2000, 65 = juris Rn. 4; Weth in Musielak/ Voith, ZPO, 17. Aufl. 2020, § 85 Rn. 16; Piekenbrock in BeckOK ZPO, Stand 1.9.2020, § 85 Rn. 9).
Ob dies der Fall ist, kann allerdings dahinstehen, da eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur dann erfolgen könnte, wenn der Kläger noch innerhalb der laufenden Frist darlegt hätte, dass er die Beendigung des Mandats nicht zu vertreten hatte (vgl. BGH, B.v. 29.9.2016 – III ZR 102/16 – juris Rn. 6; B.v. 24.6.2014 – VI ZR 226/13 – NJW 2014, 3247 = juris Rn. 2, 5; B.v. 18.12.2013 – III ZR 122/13 – NJW-RR 2014, 378 = juris Rn. 9) und ohne sein Verschulden daran gehindert war, einen zur Übernahme seiner Sache bereiten Prozessbevollmächtigten zu finden, bzw. einen Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 78b ZPO gestellt und dabei die Voraussetzungen hierfür dargelegt hätte (vgl. BGH, B.v. 12.5.2020 – II ZB 7/20 – juris Rn. 11 m.w.N.; BVerwG, B.v. 28.3.2017 – 2 B 4.17 – NVwZ 2017, 1550 = juris Rn. 9 m.w.N.). Mit dem pauschalen Vortrag, er suche „seitdem … verzweifelt einen Anwalt, der bereit ist, … (ihn) zu vertreten“, ist dies nicht ansatzweise geschehen. Denn hieraus ergibt sich nicht, was er seit der telefonischen Ankündigung der Mandatsniederlegung vom 15. August 2020, deren zeitliche Wirksamkeit nicht mitgeteilt worden ist, in den rund sechs Wochen bis zum Ablauf der Begründungsfrist am 28. September 2020 konkret unternommen hat. Daher kann auch nicht beurteilt werden, ob seine Bemühungen insoweit ausreichend waren. Eine nachvollziehbare Darlegung hätte zumindest vorausgesetzt, die Anzahl und Namen der aufgesuchten Rechtsanwälte, die eine Mandatierung abgelehnt haben, und das Datum der jeweiligen Nachfrage anzugeben (vgl. BVerwG, B.v. 28.7.1999 – 9 B 333.99 – DVBl 1999, 1662 = juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 13.1.2006 – 9 ZB 05.30734 – juris Rn. 10).
Auch soweit der Kläger seine Mittellosigkeit als Hindernis im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO anführt, kann dies nicht zum Erfolg führen. Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in diesem Fall nur dann gewährt werden, wenn die Partei bis zum Ablauf der gesetzlichen Frist ein vollständiges Prozesskostenhilfegesuch mit allen dazugehörigen Unterlagen (insbesondere mit der Formularerklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst entsprechenden Belegen gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 117 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ZPO) eingereicht hat und dieses lediglich nicht innerhalb der Frist beschieden worden ist (BVerwG, B.v. 28.1.2004 – 6 PKH 15.03 – NVwZ 2004, 888 = juris Rn. 6 f.; BSG, B.v. 26.7.2017 – B 12 R 28/17 B – juris Rn. 6; BGH, B.v. 24.1.2017 – VI ZB 30/16 – juris Rn. 11; B.v. 16.12.1997 – VI ZB 48/97 – NJW 1998, 1230 = juris Rn. 7 jeweils m.w.N.; vgl. auch Bier/Steinbeiß-Winkelmann in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 60 Rn. 17, 35). Dies gilt auch dann, wenn bis zum Fristablauf keine Entscheidung einer bestehenden Rechtsschutzversicherung herbeigeführt werden kann bzw. eine spätere Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung die Mittellosigkeit der Partei entfallen ließe (vgl. BSG, B.v. 29.5.2019 – B 11 AL 2/18 B – juris Rn. 3; SächsOVG, B.v. 21.3.2012 – 2 A 356/11 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 11.1.2010 – 12 ZB 09.2756 – juris Rn. 13 f.; BGH, B.v. 16.12.1997 a.a.O. Rn. 8 f.). Der Kläger hat sich hingegen erst mit Schreiben vom 14. Oktober 2020, d.h. mehr als 14 Tage nach Ablauf der Zweimonatsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO beim Verwaltungsgerichtshof nach der Möglichkeit, Prozesskostenhilfe zu erhalten, erkundigt bzw. einen derartigen Antrag ohne entsprechende Belege gestellt. Über die Voraussetzungen einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe muss sich der Beteiligte grundsätzlich selbst kundig machen. Die Gerichte treffen insoweit keine besonderen Hinweispflichten (BFH, B.v. 1.12.2010 – IV S 10/10 [PKH] – juris Rn. 8).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. der Empfehlung in Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).