Aktenzeichen VI R 8/16
Leitsatz
1. Der verbilligte Erwerb einer GmbH-Beteiligung durch einen leitenden Arbeitnehmer des Arbeitgebers kann auch dann zu Arbeitslohn führen, wenn nicht der Arbeitgeber selbst, sondern ein Gesellschafter des Arbeitgebers die Beteiligung veräußert .
2. Veräußert der Arbeitgeber oder eine diesem nahestehende Person eine Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft an einen Arbeitnehmer und umgekehrt, handelt es sich in der Regel nicht um eine Veräußerung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr, da ein Einfluss des Arbeitsverhältnisses auf die Verkaufsmodalitäten jedenfalls nahe liegt. Eine Ableitung des gemeinen Werts aus Verkäufen kommt in diesem Fall regelmäßig nicht in Betracht .
3. Ist der gemeine Wert einer Beteiligung unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten zu schätzen, ohne dass das Stuttgarter Verfahren in Betracht kommt, hat das Finanzgericht regelmäßig ein Sachverständigengutachten zur Wertermittlung einzuholen, wenn der Steuerpflichtige die Anteilsbewertung durch das Finanzamt substantiiert bestreitet und es nicht ausnahmsweise selbst über die erforderliche Sachkunde verfügt .
Verfahrensgang
vorgehend FG Münster, 14. August 2015, Az: 14 K 3290/13 E, Urteil
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 14. August 2015 14 K 3290/13 E aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Münster zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.
Tatbestand
I.
1
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind verheiratet und wurden für das Streitjahr (2000) zur Einkommensteuer zusammenveranlagt.
2
Der Kläger war im Streitjahr zum einen als Prokurist bei der in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen X-GmbH angestellt. Zum anderen war er für eine in Österreich ansässige 100 %ige Tochtergesellschaft der X-GmbH als Geschäftsführer tätig.
3
Die X-GmbH, deren Geschäftsjahr vom 1. Mai eines Jahres bis zum 30. April des Folgejahres lief, war von der Rechtsvorgängerin der Y-GmbH sowie den jeweils zu ihren Geschäftsführern bestellten W und J gegründet worden. Am Stammkapital in Höhe von 150.000 DM waren die Gründungsgesellschafter zunächst wie folgt beteiligt:a) die Y-GmbH mit einem voll eingezahlten Geschäftsanteil im Nennwert von 42.500 DM und einem zur Hälfte eingezahlten Geschäftsanteil im Nennwert von 85.000 DM, mithin zu insgesamt 85 %,b) W mit einem voll eingezahlten Geschäftsanteil im Nennwert von 5.000 DM und einem zur Hälfte eingezahlten Geschäftsanteil im Nennwert von 10.000 DM, mithin zu insgesamt 10 % undc) J mit einem voll eingezahlten Geschäftsanteil im Nennwert von 2.500 DM und einem zur Hälfte eingezahlten Geschäftsanteil im Nennwert von 5.000 DM, mithin zu insgesamt 5 %.
4
Nach dem Gesellschaftsvertrag der X-GmbH gewährten jeweils 500 DM der eingezahlten Stammeinlage eine Stimme. § 14 des Gesellschaftsvertrags regelte, wie die Vergütung im Falle einer Einziehung oder Abtretung eines Gesellschaftsanteils nach Maßgabe der §§ 10 und 11 zu berechnen war.
5
Die Beteiligungsverhältnisse sowie der Kreis der Gesellschafter der X-GmbH veränderten sich später wie folgt:
6
Im Jahre 1997 veräußerte die Y-GmbH sowohl von ihrem voll eingezahlten Geschäftsanteil im Nennwert von 42.500 DM einen Teil-Geschäftsanteil im Nennwert von 2.500 DM als auch von ihrem lediglich zur Hälfte eingezahlten Geschäftsanteil im Nennwert von 85.000 DM einen Teil-Geschäftsanteil in Höhe von 5.000 DM, mithin eine Beteiligung an der X-GmbH in Höhe von 5 %, an C, nachdem dieser zuvor zu einem der Geschäftsführer der X-GmbH bestellt worden war. Die Veräußerung erfolgte –nach Angaben der Kläger– auf der Grundlage von zuvor bei Eintritt von C in das von der X-GmbH betriebene Unternehmen getroffenen Absprachen auf der Basis der eingezahlten Nennbeträge.
7
Darüber hinaus veräußerte die Y-GmbH in der Folge sowohl von ihrem voll eingezahlten Geschäftsanteil im Nennwert von nunmehr noch 40.000 DM einen weiteren Teil-Geschäftsanteil im Nennwert von 1.250 DM als auch von ihrem lediglich zur Hälfte eingezahlten Geschäftsanteil im Nennwert von nunmehr noch 80.000 DM einen weiteren Teil-Geschäftsanteil im Nennwert von 2.500 DM, mithin eine Beteiligung an der X-GmbH von 2,5 %, zu einem Preis von 12.963 DM mit Wirkung ab dem 1. Mai 1998 an den Mitgesellschafter und zugleich Geschäftsführer der X-GmbH J.
8
Mit notariellem Vertrag vom 9. November 1998 veräußerte W, der zuvor auch als Geschäftsführer der X-GmbH ausgeschieden war, seinen voll eingezahlten Geschäftsanteil im Nennwert von 5.000 DM für 30.833 DM und seinen lediglich zur Hälfte eingezahlten Geschäftsanteil im Nennwert von 10.000 DM für 56.667 DM, mithin seine insgesamt 10 %ige Beteiligung an der X-GmbH, an die Y-GmbH.
9
Mit notariellem Vertrag vom 27. September 1999 veräußerte C an H, nachdem dieser zuvor ebenfalls zu einem der Geschäftsführer der X-GmbH bestellt worden war, sowohl seinen voll eingezahlten Geschäftsanteil im Nennwert von 2.500 DM als auch von seinem lediglich zur Hälfte eingezahlten Geschäftsanteil im Nennwert von 5.000 DM einen Teil-Geschäftsanteil im Nennwert von 500 DM, mithin eine Beteiligung an der X-GmbH in Höhe von 2 %, für 25.875 DM.
10
Mit notariellem Vertrag vom 29. November 1999 veräußerte J von seinem lediglich zur Hälfte eingezahlten Geschäftsanteil im Nennwert von 5.000 DM einen Teil-Geschäftsanteil im Nennwert von 3.750 DM, mithin eine Beteiligung an der X-GmbH in Höhe von 2,5 %, für einen im Streitjahr gezahlten Betrag in Höhe von 111.217 DM zuzüglich Zinsen an die Y-GmbH.
11
Mit notariellem Vertrag vom 16. März 2000 erwarb die Y-GmbH von C dessen lediglich zur Hälfte eingezahlten Geschäftsanteil im Nennwert von 4.500 DM, mithin eine Beteiligung an der X-GmbH in Höhe von 3 %, für 97.434 DM mit Wirkung ab dem 30. April 2000 (zurück).
12
Mit notariellem Vertrag vom 30. Mai 2000 veräußerte die Y-GmbH von ihrem in 1998 von W für 30.833 DM erworbenen, voll eingezahlten Geschäftsanteil im Nennwert von 5.000 DM einen Teil-Geschäftsanteil im Nennwert von 1.485 DM, mithin eine Beteiligung an der X-GmbH in Höhe von 0,99 %, mit Wirkung ab dem 30. April 2000 für 27.000 DM an G, nachdem dieser zuvor zu einem der Geschäftsführer der X-GmbH bestellt worden war.
13
Mit notariellem Vertrag vom 25. Juli 2000 veräußerte die Y-GmbH von ihrem von W erworbenen voll eingezahlten Geschäftsanteil einen weiteren Teil-Geschäftsanteil im Nennwert von ebenfalls 1.485 DM, mithin eine Beteiligung an der X-GmbH in Höhe von ebenfalls 0,99 %, wiederum mit Wirkung ab dem 30. April 2000 und wiederum für 27.000 DM auch an den Kläger. In § 4 dieses Vertrags vereinbarten die Vertragsparteien zum einen ein Andienungsrecht für den Kläger und zum anderen ein Ankaufsrecht für die Y-GmbH, wobei der jeweils zu zahlende Kaufpreis der Vergütung gemäß § 14 des Gesellschaftsvertrags entsprechen sollte, für den Fall, dass die Y-GmbH ihr Ankaufsrecht ausüben sollte, allerdings zuzüglich eines Betrags von 10.000 DM. In § 5 trafen die Parteien zudem eine Stimmrechtsbindungsvereinbarung.
14
Dem Abschluss des Vertrags vom 25. Juli 2000 war am 10. April 2000 der Abschluss einer von dem Kläger mit der X-GmbH getroffenen Zusatzvereinbarung zu dessen Dienstvertrag vorausgegangen, wonach der Kläger mit sofortiger Wirkung als Europamanager eingesetzt wurde. Am Ende dieser Zusatzvereinbarung findet sich zudem der folgende Passus: “Ferner erhält der … [Kläger] für die nächsten zwei Länder, die zur Expansion anstehen, eine Beteiligung von 2 %. Über diese Beteiligung wird jedoch noch ein gesonderter Vertrag geschlossen”.
15
Am Tag vor Abschluss des notariellen Vertrags hatten der Kläger und die X-GmbH eine weitere Zusatzvereinbarung zu dessen Dienstvertrag geschlossen, in der –im Übrigen wortgleich mit der am 10. April 2000 getroffenen Zusatzvereinbarung– geregelt wurde, dass der Kläger mit sofortiger Wirkung als Europamanager eingesetzt werde. Die in der Vereinbarung vom 10. April 2000 enthaltene Zusage einer “Beteiligung” fehlte in dieser Vereinbarung.
16
Auch in den Folgejahren kam es immer wieder zu Veräußerungen von Beteiligungen an der X-GmbH durch die Y-GmbH bzw. deren Rechtsnachfolgerin an Geschäftsführer und leitende Mitarbeiter der X-GmbH sowie zur Weiterveräußerung der von diesen erworbenen Beteiligungen an der X-GmbH an andere Geschäftsführer oder leitende Mitarbeiter der X-GmbH bzw. an von diesen beherrschte Gesellschaften oder auch zur Rückveräußerung der erworbenen Beteiligungen an die Y-GmbH bzw. deren Rechtsnachfolgerin.
17
Mit Bescheid vom 6. Mai 2002 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) die Einkommensteuer für das Streitjahr unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest. Grundlage für die Steuerfestsetzung war die von den Klägern eingereichte Einkommensteuererklärung für das Streitjahr, in der sie u.a. für den Kläger den von ihm im Streitjahr erzielten Bruttoarbeitslohn mit … DM erklärt hatten.
18
Mit Änderungsbescheid vom 15. Dezember 2005 setzte das FA die Einkommensteuer herauf. Dabei ging es nunmehr auf der Grundlage von Feststellungen, die im Rahmen einer bei der X-GmbH durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung getroffen worden waren, davon aus, dass der Kaufpreis, den der Kläger für die von ihm erworbene Beteiligung an der X-GmbH gezahlt hatte (27.000 DM), nicht dem tatsächlichen Wert der Beteiligung entsprochen habe und die Differenz vor dem Hintergrund, dass der Veräußerer Hauptgesellschafter der X-GmbH war, als Arbeitslohn i.S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu qualifizieren sei.
19
Der dagegen von den Klägern u.a. unter Berufung auf ein von der Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft W-AG erstelltes Wertgutachten, wonach der Ertragswert der von dem Kläger erworbenen Beteiligung am 30. April 2000 höchstens 22.574 DM betragen habe, eingelegte Einspruch hatte zum Teil Erfolg.
20
Mit Einspruchsentscheidung vom 12. September 2013 setzte das FA die Einkommensteuer für das Streitjahr herab. Dabei ging es auf der Grundlage einer von dem FA für Groß- und Konzernbetriebsprüfung Z erstellten fachprüferlichen Stellungnahme zur Ermittlung des Unternehmenswerts der X-GmbH auf den 30. April 2000 nun von einem Wert der von dem Kläger erworbenen Beteiligung an der X-GmbH in Höhe von 43.560 DM, mithin von einer von dem Kläger als Arbeitslohn zu versteuernden Wertdifferenz in Höhe von 16.560 DM, aus.
21
Das Finanzgericht (FG) wies die im Anschluss erhobene Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2016, 1083 veröffentlichten Gründen ab.
22
Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
23
Sie beantragen,das Urteil des FG aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2000 vom 15. Dezember 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12. September 2013 dahin zu ändern, dass die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit um 8.467 € (16.560 DM) gemindert werden.
24
Das FA beantragt,das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.