Steuerrecht

Versteuerung der aus dem Vertreterversorgungswerk als Rente geleisteten Zahlungen

Aktenzeichen  6 K 1733/18

Datum:
25.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ErbStB – 2020, 10
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
FGO § 90 Abs. 2, § 100 Abs. 1 S. 1
AO § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1
EStG § 22 Nr. 1 S. 3, § 24 Nr. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Einkommensteuerbescheide 2011 bis 2013 vom 06.07.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2018 und die Einkommensteuerbescheide 2014 bis 2016, zuletzt vom 20.03.2019, sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 FGO). Das Finanzamt hat die dem Kläger von der A AG aus dem Vertreterversorgungswerk als (Berufsunfähigkeits-)Rente geleisteten Zahlungen zu Recht als nachträgliche Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Besteuerung unterworfen.
1. Für die Streitjahre war bei Erlass der Einkommensteuerbescheide am 06.07.2018 keine Festsetzungsverjährung eingetreten.
Die Verjährungsfrist beträgt gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) vier Jahre.
Die Festsetzungsfrist beginnt – beispielhaft für das Jahr 2011 – gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des 31.12.2014, da der Kläger zunächst keine Einkommensteuererklärung abgegeben hatte, und endet mit Ablauf des 31.12.2018. Entsprechendes gilt für die Jahre 2012 (Fristbeginn 31.12.2015 / Fristende regulär 31.12.2019), 2013 (31.12.2016/31.12.2020) und 2014 (31.12.2017/31.12.2021). Für die Jahre 2015 und 2016 beginnt die Festsetzungsverjährung mit Ablauf des Jahres der Abgabe der Einkommensteuererklärung am 31.12.2018 und endet regulär mit Ablauf des 31.12.2022.
2. Die Leistungen aus der (Berufsunfähigkeits-)Rente aus dem Vertreterversorgungswerk sind als nachträgliche Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu behandeln.
a) Einkünfte aus Gewerbebetrieb sind nach §§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) Einkünfte aus gewerblichen Unternehmen. Zu den Einkünften im Sinne des § 2 Absatz 1 EStG gehören gemäß § 24 Nr. 2 EStG auch Einkünfte aus einer ehemaligen Tätigkeit im Sinne des § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 4 EStG.
b) Einkünfte aus einer ehemaligen Tätigkeit nach § 24 Nr. 2 EStG liegen dann vor, wenn die Einkünfte in wirtschaftlichem Zusammenhang mit der ehemaligen Tätigkeit stehen.
c) Nach der rechtskräftigen Rechtsprechung der Finanzgerichte stellen Einnahmen aus dem Vertreterversorgungswerk nachträgliche gewerbliche Einkünfte i. S. des § 15 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 24 Nr. 2 EStG dar, da die Zahlungen mit der ehemaligen gewerblichen Tätigkeit als Versicherungsvertreter in einem engen wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. In Höhe des Barwertes einer vom Vertreter zu beanspruchenden Rente entsteht kein Ausgleichsanspruch (vgl. 10.1.1 der VVW-Bestimmungen); somit besteht ein Zusammenhang mit der Tätigkeit des Hauptvertreters weiter, so dass die Einnahmen nach § 24 Nr. 2 EStG zu den nachträglichen gewerblichen Einkünften zu rechnen sind (Thüringer Finanzgericht, Gerichtsbescheid vom 28.09.2017 2 K 266/16, juris unter Verweis auf BFH-Urteile vom 10.10.1963 VI 322, 323/61 U, BStBl III 1963, 592; vom 25.03.1976 IV R 174/73, BStBl II 1976, 487; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 05.11.1997 12 K 168/96, EFG 1998, 363; so auch FG München, Urteil vom 23.04.2018 2 K 102/16).
d) Das Finanzgericht Münster hat mit Urteil vom 07.12.2000 14 K 3127/99, juris, dies auch für den Fall einer Berufsunfähigkeitsrente bejaht und führt aus, Einkünfte aus einer ehemaligen Tätigkeit nach § 24 Nr. 2 EStG lägen dann vor, wenn die Einkünfte in wirtschaftlichem Zusammenhang mit der ehemaligen Tätigkeit stünden. Diesen Zusammenhang entnimmt das FG Münster aus der Versorgungszusage des Arbeitgebers und der Vollfinanzierung der Rente durch den Arbeitgeber. Nach den im dortigen Streitfall anzuwendenden VVW-Bestimmungen waren für die Bemessung der Rentenbeträge der Bestand des Vertreters und die Tätigkeitsdauer maßgebend, so dass die Einräumung der Rente damit durch die berufliche Leistung veranlasst gewesen sei. Der Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit des Klägers ergebe sich auch daraus, dass mit den Rentenzahlungen ein Ausgleichsanspruch des Versicherungsvertreters abgegolten werden solle (Ziff. 10 der VVW-Bestimmungen). Das Finanzgericht Münster bezieht sich ferner auf die den VVW zugrundeliegende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs; auf diese Ausführungen des FG Münster wird verwiesen.
Da von dem VVW Rentenzahlungen geleistet würden, könne insoweit ein Ausgleichsanspruch nicht geltend gemacht werden. Die Versorgung erfolge anstelle des Ausgleichsanspruchs. Da der Ausgleichsanspruch als Forderung zur Abgeltung einer bereits geleisteten Tätigkeit dem laufenden gewerblichen Gewinn zuzurechnen sei (vgl. BFH-Beschluss vom 16.08.1989 III B 14/89, BFH/NV 1990, 188), sei auch die voll von dem Unternehmer finanzierte Rente, die an die Stelle des Ausgleichsanspruchs trete und sich ebenfalls an der beruflichen Leistung des Klägers bemesse, für den Kläger nachträglicher gewerblicher Gewinn.
e) Die unter c) und d) dargestellte Einschätzung ist aus Sicht des Senats auch auf den Streitfall anzuwenden.
Der Zusammenhang der (Berufsunfähigkeits-)Rente aus dem Vertreterversorgungswerk mit der ehemals gewerblichen Tätigkeit des Klägers besteht im Streitfall in der Versorgungszusage der Versicherungsgesellschaft und der Vollfinanzierung durch diese. Die (Berufsunfähigkeits-)Rente beruht nicht auf eigener Betragsleistung des Klägers.
Auch aus der Bemessung der Rentenbeträge nach Bestand des Vertreters und Tätigkeitsdauer ergibt sich der Zusammenhang mit der früheren gewerblichen Tätigkeit, ebenso wie aus dem Umstand, dass in Höhe des Barwerts der Rente ein Ausgleichsanspruch nicht entsteht.
Der vom Kläger übersandten „Informationsbroschüre der Interessengemeinschaft“ kann unter 4. entnommen werden, dass grundsätzlich die VVW-Aufnahme Voraussetzung dafür ist, als Vertreter für die A tätig zu werden. Daher vermag der Senat den Ausführungen des Klägers, er sei aus privater Veranlassung dem Vertreterversorgungswerk beigetreten, um seine Altersversorgung abzusichern, nicht zu folgen.
Aus dem BFH-Urteil vom 08.12.2016 III R 41/14 kann der Kläger keine für ihn günstigen Folgen ableiten.
Im dortigen Streitfall wurden „gesonderte“ Lebensversicherungen abgeschlossen. Der dortige Kläger erfasste und versteuerte die von den Versicherungsunternehmen geleisteten Beiträge für diese Lebensversicherungen als Betriebseinnahmen.
Der BFH stellte im dortigen Fall für die Frage der Zuordnung der Lebensversicherung grundsätzlich auf die Natur des versicherten Risikos ab; der Abschluss einer Lebensversicherung sei in der Regel privat veranlasst, so dass Ansprüche aus einem Lebensversicherungsvertrag grundsätzlich zum Privatvermögen gehörten. Die Zahlung von Beiträgen durch die beiden Versicherungsunternehmen ändere nichts am „privaten“ Charakter der Alters- und Hinterbliebenenversorgung.
Im vorliegenden Streitfall liegt jedoch eine andere Ausgangssituation vor: Ein gesonderter Lebensversicherungsvertrag wurde nicht geschlossen; weder erfolgte eine Beitragsleistung durch den Kläger noch versteuerte er zu seinen Gunsten geleistete Beiträge (eines Versicherungsunternehmens) als gewerbliche Einkünfte.
Zudem spricht die Bemessung der (Berufsunfähigkeits-)Rente entscheidend für eine Zuordnung zur ehemals betrieblichen Sphäre: Diese ist unter 2 der VVW-Bestimmungen geregelt; die Ermittlung der Rentenbeiträge wird in der „Informationsbroschüre der Interessengemeinschaft“ unter 7. erläutert. Maßgeblich sind verschiedene Faktoren, wie der Tätigkeitsjahrfaktor und der Bestand des Vertreters, von dem jedoch je nach Art der Versicherung bestimmte Arten von Verträgen ausgenommen sind. Die Versicherungen werden zudem in 10 Gruppen eingeteilt, die mit unterschiedlichen Bewertungsfaktoren angesetzt werden. Zudem kommen noch Umrechnungsfaktoren zur Anwendung.
Der Bestand multipliziert mit den Bewertungsfaktoren ergibt den bewerteten Bestand; dieser multipliziert mit den Umrechnungsfaktoren und dem Tätigkeitsjahrfaktor ergibt den Rentenbetrag (im Einzelnen vergleiche 7.2.4 der „Informationsbroschüre der Interessengemeinschaft“).
Aus dieser Bemessung der Beiträge ergibt sich die Ausrichtung der Rente an den vom Vertreter im Rahmen seiner gewerblichen Tätigkeit erworbenen Zeiten, Beständen und deren Werten. Ein enger Zusammenhang mit der früheren gewerblichen Tätigkeit prägt daher die Rente.
3. Die Leistungen aus der (Berufsunfähigkeits-)Rente aus dem Vertreterversorgungswerk sind nicht als Leibrente im Sinne von § 22 Nr. 1 S. 3 EStG mit einem Ertragsanteil zu besteuern.
Gemäß § 22 Nr. 1 1. HS EStG sind sonstige Einkünfte Einkünfte aus wiederkehrenden Bezügen, soweit sie nicht zu den in § 2 Absatz 1 Nummer 1 bis 6 bezeichneten Einkunftsarten gehören.
§ 22 EStG hat subsidiären Charakter. Die fraglichen Zahlungen gehören zu den – nachträglichen – Einkünften aus Gewerbebetrieb.
4. Dem Erlass der Einkommensteuerbescheide 2011 bis 2016 vom 06.07.2018 stehen keine weiteren Hinderungsgründe entgegen.
a) Bei den ursprünglich angegriffenen Einkommensteuerbescheiden vom 06.07.2018 handelt es um erstmals aufgrund der Einkommensteuererklärungen ergangene Bescheide. Das Finanzamt hat zu Recht auf den Grundsatz der Abschnittsbesteuerung hingewiesen, wonach jeder Veranlagungszeitraum getrennt zu beurteilen ist und das Finanzamt nicht an eine ggf. falsche Beurteilung in früheren Veranlagungszeiträumen gebunden ist.
Überlegungen, wie sie etwa im Rahmen der Anwendung von Änderungsvorschriften (§§ 172 ff AO) aufgrund deren besonderer Voraussetzungen notwendig sind, wie etwa zum nachträglichen Bekanntwerden von Tatsachen oder zu Ermittlungsfehlern seitens der Behörde, sind im Rahmen des Erlasses von Erstbescheiden nicht anzustellen.
b) Die Behandlung der (Berufsunfähigkeits-)Rente als Einkünfte aus Gewerbebetrieb verstößt auch nicht gegen Treu und Glauben.
Ein durch das Finanzamt geschaffener Vertrauenstatbestand durch vorangegangenes nachhaltiges Verhalten oder eine nachdrückliche Willensäußerung des Finanzamts ist über die durchgeführten Veranlagungen 2003, 2004 und 2006 bzw. über den Erlass der Nichtveranlagungsbescheinigung 2007 bis 2009 hinaus nicht ersichtlich. Die bloße falsche Behandlung in den Vorjahren reicht für die Schaffung eines Vertrauenstatbestands nicht aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs. 1, 143 Abs. 1 FGO.

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