Steuerrecht

Voraussetzungen für die Aussetzung einer Versorgungskürzung nach § 35 VersAusglG

Aktenzeichen  Au 2 K 19.333

Datum:
17.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 27803
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBeamtVG Art. 7 Abs. 2, Art. 92 Abs. 1
VersAusglG § 35, § 36 Abs. 4
BayVwVfG Art. 48
BGB §§ 818 ff.

 

Leitsatz

Die Aussetzung einer Versorgungskürzung nach § 35 Abs. 1 VersAusglG setzt voraus, dass der Versorgungsempfänger aus dem erworbenen Anrecht tatsächlich keine Leistung beziehen kann. Sind die Anspruchsvoraussetzungen für eine Leistung aus dem erworbenen Anrecht erfüllt, reicht es für eine Aussetzung der Kürzung nicht aus, dass lediglich der erforderliche Antrag bei dem Versorgungsträger des übertragenen Anrechts nicht gestellt ist. (Rn. 22 – 25)
Ein Vorbehalt hat zur Folge, dass die Festsetzungsbehörde – ohne den Bescheid ändern zu müssen – im Sinne des Vorbehalts verfahren darf, ohne an die Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen oder den Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsakts gebunden zu sein (Rn. 29). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 1. Oktober 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Januar 2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Gegenstand der Klage ist der Bescheid des Beklagten vom 1. Oktober 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Januar 2019. Dieser Bescheid ist sowohl hinsichtlich der rückwirkenden Aufhebung der Aussetzung der Versorgungskürzung (Ziffer 1. des Bescheids; dazu sogleich unter 2.) als auch hinsichtlich der Rückforderung von überzahlten Versorgungsbezügen in Höhe von 32.633,33 EUR (Ziffer 2 des Bescheids, dazu sogleich unter 3.) rechtmäßig.
Allerdings bedarf der Bescheid der Auslegung. Würde man beim Wortlaut von Ziffer 1 des angegriffenen Bescheides stehenbleiben, enthielte er lediglich die Aufhebung einer Kürzungsentscheidung. Folge wäre, dass über die nach Art. 92 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG vorzunehmende Kürzung noch gar nicht entschieden wäre. Dies würde jedoch dem auch für die Klägerin erkennbaren Willen des Landesamtes für Finanzen (vgl. zur Maßgeblichkeit der Auslegungsregel des § 133 BGB auch bei Verwaltungsakten BVerwG, U. v. 18.6.1980 – 6 C 55.79 – juris Rn. 22) nicht gerecht. Vielmehr ergibt sich insbesondere unter Berücksichtigung der Rückforderung in Ziffer 2. des angegriffenen Bescheids, dass mit der Aufhebung der Aussetzung der Kürzung zugleich auch (konkludent) die rückwirkende Kürzung der Versorgungsbezüge nach Art. 92 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG vorgenommen wurde. Das Gebot inhaltlicher Bestimmtheit von Verwaltungsakten (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG) steht einer solchen Auslegung von Ziffer 1. des angegriffenen Bescheides nicht entgegen, da sich die Höhe der monatlichen Kürzung aus den Bescheidsgründen entnehmen lässt. Dort hatte das Landesamt nämlich ausgeführt, dass zu Lasten der Versorgungsbezüge der Klägerin ein Ausgleichswert von monatlich 1.359,76 Euro begründet worden sei und dass die Versorgungsbezüge der Klägerin um diesen monatlichen Betrag gekürzt hätten werden müssen. Daraus folgt, dass mit der ausdrücklich ausgesprochenen Aufhebung der Aussetzung der Versorgungskürzung zugleich (konkludent) eine Versorgungskürzung um monatlich 1.359,76 Euro rückwirkend zum 1. Juli 2016 erfolgte.
2. Die auf den 1. Juli 2016 rückwirkende Kürzung der Versorgungsbezüge ist – ungeachtet der Frage, ob darin eine konstitutive Kürzungsentscheidung oder nur eine deklaratorische Feststellung einer (möglicherweise) kraft Gesetz eingetretenen Kürzung der Versorgungsbezüge zu sehen ist (vgl. zur entsprechenden Rechtslage bei versorgungsrechtlichen Ruhensregelungen BVerwG, U.v. 15.11.2016 – 2 C 9.15 – juris Rn. 18 ff.) – rechtmäßig.
a) Rechtsgrundlage für die Kürzung ist Art. 92 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG. Danach werden die Versorgungsbezüge nach Anwendung von Ruhens-, Kürzungs- und Anrechnungsvorschriften um den nach Abs. 2 oder 3 berechneten Betrag gekürzt, wenn bei Durchführung eines Versorgungsausgleichs zu Lasten des Versorgungsempfänger Anwartschaften in einer gesetzlichen Rentenversicherung nach § 1587b Abs. 2 BGB oder §§ 14 und 16 VersAusglG rechtskräftig begründet oder Anwartschaften nach dem Bundesversorgungsteilungsgesetz (BVersTG) oder entsprechendem Landesrecht rechtskräftig übertragen wurden.
b) Diese Voraussetzung ist vorliegend unstreitig erfüllt, nachdem durch Beschlüsse des AG … vom 15. Dezember 2015 bzw. des OLG … vom 9. Mai 2016 (rechtskräftig seit dem 14. Juni 2016) im Wege des Versorgungsausgleichs zu Lasten der Klägerin und zugunsten ihres geschiedenen Ehemanns Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung mit einem Ausgleichswert von monatlich 1.359,76 Euro begründet wurden.
c) Die dem Grund nach erforderliche Kürzung der Versorgungsbezüge der Klägerin war im hier in Frage stehenden Zeitraum auch nicht nach § 35 VersAusglG auszusetzen. Nach § 35 Abs. 1 VersAusglG wird die Kürzung der laufenden Versorgung auf Grund des Versorgungsausgleichs auf Antrag ausgesetzt, wenn und solange die ausgleichspflichtige Person eine laufende Versorgung wegen Invalidität oder Erreichens einer besonderen Altersgrenze erhält und sie aus einem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht keine Leistung beziehen kann. Die Voraussetzungen einer solchen Aussetzung lagen im Falle der Klägerin jedoch ab dem 1. Juli 2016 – und damit von Anfang an – nicht vor. Eine Aussetzung nach § 35 VersAusglG ist nämlich nur möglich, wenn der Betroffene aus dem erworbenen Anrecht keine Leistung beziehen kann. Sind die Anspruchsvoraussetzungen für eine Leistung aus dem erworbenen Anrecht erfüllt, reicht es für eine Aussetzung der Kürzung nicht aus, dass lediglich der erforderliche Antrag bei dem Versorgungsträger des übertragenen Anrechts nicht gestellt ist (Norpoth/Sasse in: Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 35 VersAusglG Rn. 3).
Dieses (enge) Verständnis der Aussetzungsvoraussetzungen ist bereits im Wortlaut der Norm angelegt und entspricht auch dem in den Gesetzgebungsmaterialen zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzesgebers. Zwar ließe eine reine Wortlautauslegung des § 35 Abs. 1 VersAusglG („keine Leistung beziehen kann“) in Anbetracht der Regelung in § 35 Abs. 3 VersAusglG („Anrechte(n) …, aus denen die ausgleichspflichtige Person keine Leistung bezieht“) auch eine Auslegung dahin zu, dass es auf den tatsächlichen Leistungsbezog ankomme. Dieses Verständnis widerspräche aber dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers, der § 35 VersAusglG als Härtefallregelung geschaffen hat (so ausdrücklich die Entwurfsbegründung der Bundesregierung, BT-Drs. 16/10144, S. 75). Ein Härtefall liegt aber gerade nicht vor, wenn es der Betroffene – aus welchen Gründen auch immer – unterlässt, einen Rentenantrag zu stellen und damit den Umstand, dass er aus dem erworbenen Anrecht keine Leistung bezieht, selbst zu vertreten hat. Denn ein Härtefall setzt in aller Regel voraus, dass der Betroffene die Umstände, aus denen er eine besondere Härte herleiten will, nicht selbst zu vertreten hat (vgl. dazu in jeweils anderen Zusammenhängen etwa BVerwG, U.v. 30.11.1966 – V C 215.65 – juris Rn. 48; BayVGH, B.v. 29.10.2007 – 7 CE 07.2787 – juris Rn. 8; zur unterhaltrechtlichen Figur des sog. fiktiven Einkommens, wenn es der Betroffene unterlassen hat, ein zumutbares Einkommen zu erzielen zusammenfassend Ehinger in: Ehinger/Rasch/ Schwonberg/Siede, Handbuch Unterhaltsrecht, 8. Aufl. 2018, Unterhaltsanspruch des getrennt lebenden Ehegatten, Rn. 5 m.w.N. zur Rechtsprechung).
Etwas anderes könnte im Rahmen des § 35 Abs. 1 VersAusglG allenfalls dann gelten, wenn es dem Betroffenen im Einzelfall unzumutbar ist, die Auszahlung einer Rente aus dem erworbenen Anrecht zu beantragen. Dass der Betroffene bei der Beantragung der Leistung gegebenenfalls (dauerhafte) Abschläge in Kauf nehmen müsste, führt dabei für sich genommen – entgegen der Auffassung der Klägerin – nicht zur Annahme, die Rentenbeantragung sei unzumutbar. Soweit § 35 VersAusglG – wie vorliegend – einen Versorgungsbezug aufgrund von „Invalidität der ausgleichspflichtigen Person“ voraussetzt, erfasst er schon tatbestandlich regelmäßig Fälle, in denen die Betroffenen auch hinsichtlich ihrer „eigenen“ Versorgungsbezüge (Versorgungs-)Abschlägen (vgl. etwa Art. 26 Abs. 2 BayBeamtVG) aufgrund der vorzeitigen Inanspruchnahme der Leistungen ausgesetzt sind. Solange sich die Abschläge bei der Inanspruchnahme von Leistungen aus dem erworbenen Anrecht im Rahmen dessen halten, was der Betroffene hinsichtlich der „eigenen“ Versorgungsleistungen hinzunehmen hat, führt dies nicht zu der Annahme, der Betroffene könne im Sinne von § 35 VersAusglG keine Leistung beziehen. Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen vom 26. Januar 2012 (1 K 1701/10 – juris).
Gemessen daran lagen im Falle der Klägerin die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Versorgungskürzung nicht vor, weil sie – dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig – ab dem 1. Juli 2016 aus ihrem erworbenen Anrecht eine Rente für langjährig Versicherte hätte beziehen können. Dies war ihr auch angesichts eines dann anfallenden Rentenabschlags in Höhe von 9,3% zumutbar, weil auch hinsichtlich ihrer eigene Versorgung ein Versorgungsabschlag in Höhe von 6,01% angefallen war und sich die Abschläge aus dem erworbenen Anrecht und dem eigenen Versorgungsanspruch damit im selben Rahmen bewegten.
d) Hinsichtlich der Kürzung der Versorgungsbezüge stand dem Beklagten kein Ermessen zu, da es sich bei der Kürzung nach Art. 92 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG – wenn überhaupt – um eine gebundene Entscheidung handelt.
e) Schließlich hat der Beklagte die Berechtigung zur Kürzung der Bezüge bzw. zur Feststellung der kraft Gesetz eingetretenen Versorgungskürzung nicht verwirkt. Es fehlt insofern bereits an einem Umstand, der ein berechtigtes Vertrauen der Klägerin in den dauerhaften Bezug einer ungekürzten Versorgung hätte begründen können. In seiner ursprünglichen Entscheidung zur Aussetzung der Versorgungskürzung vom 16. August 2016 hatte der Beklagte die Aussetzung der Versorgungskürzung ausdrücklich unter den Vorbehalt gestellt, dass eine Rente von der Klägerin nicht bezogen werden könne. Die Klägerin, die zu diesem Zeitpunkt bereits durch die Rentenauskunft ihres Rentenversicherungsträgers vom 27. Juli 2016 wusste oder zumindest wissen musste, dass sie – wenn auch unter Inkaufnahme eines Abschlages von 9,3% – eine Rente für langjährige Versicherte in Anspruch nehmen konnte, musste daher immer damit rechnen, dass bei Bekanntwerden dieses Umstandes eine Versorgungskürzung vorgenommen werden kann.
f) Der Aussetzungsbescheid vom 16. August 2016 steht der rückwirkenden Kürzung der Versorgungsbezüge nicht entgegen. Diesem Bescheid lässt sich schon keine bestandskräftige endgültige Regelung hinsichtlich der Versorgungskürzung nach Art. 92 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG entnehmen (dazu sogleich unter aa). Darüber hinaus wäre die in der Kürzung enthaltene konkludente Rücknahme des Bescheids vom 16. August 2016 von Art. 48 BayVwVfG gedeckt (bb). Auf die Frage, ob hinsichtlich der Aussetzung der Versorgungskürzung ein gesetzlicher oder gesetzesimmanenter Vorbehalt bestand, kommt es demnach nicht entscheidungserheblich an (cc).
aa) Dem Aussetzungsbescheid vom 16. August 2016 lässt sich schon keine endgültige Regelung hinsichtlich der Versorgungskürzung nach Art. 92 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG entnehmen. Vielmehr stand er unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, dass die Klägerin eine Rente nicht beziehen kann (s.o.). Mit einem solchen Vorbehalt bringt die Behörde zum Ausdruck, dass die getroffene Regelung nicht endgültig ist, sondern davon abhängt, dass sich die Sach- und Rechtslage im Hinblick auf den Bezug von Renten oder sonstigen Versorgungsleistungen nicht ändert oder entsprechende Umstände nachträglich bekannt werden. Die Regelung und die auf ihr beruhenden Zahlungen sind von vorneherein nur vorläufig. Der Vorbehalt hat zur Folge, dass die Festsetzungsbehörde – ohne den Bescheid ändern zu müssen – im Sinne des Vorbehalts verfahren darf, ohne an die Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen oder den Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsakts (Art. 48, 49 BayVwVfG) gebunden zu sein (OVG NW, U.v. 4.6.2008 – 21 A 2454/06 – juris Rn. 49, 51; nachgehend BVerwG, B.v. 4.12.2008 – 2 B 60.08 – juris).
bb) Jedenfalls wäre in der rückwirkenden Kürzung der Versorgungsbezüge der Klägerin in Verbindung mit der Rückforderungsverlangen (auch) eine konkludente Rücknahme des Aussetzungsbescheids vom 16. August 2016 zu sehen (vgl. dazu grundlegend BVerwG, U.v. 21.7.1983 – 3 C 11.82 – juris Leitsatz 2), die ihrerseits mit den Vorgaben des Art. 48 BayVwVfG vereinbar wäre.
(1) Bei der Aussetzung der Versorgungskürzung vom 16. August 2016 handelte es sich um einen die Klägerin begünstigenden Verwaltungsakt, der von Anfang an rechtswidrig war, weil die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Kürzung nach § 35 Abs. 1 VersAusglG von Anfang an nicht vorlagen (s.o.).
(2) Die Rücknahme war auch nicht wegen eines schützenswerten Vertrauens der Klägerin in den Fortbestand des Bescheids ausgeschlossen (Art. 48 Abs. 2 VwVfG). Abgesehen davon, dass der Bescheid vom Beklagten mit einem ausdrücklichen Vorbehalt versehen war, kann sich die Klägerin schon deswegen nicht auf ein schützenswertes Vertrauen berufen, weil sie den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlichen Punkten unrichtig oder unvollständig waren (Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG).
Der Vorschrift des Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG liegt der Gedanke zugrunde, dass die auf unrichtige oder unvollständige Angaben des Begünstigenden zurückzuführende Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts ihre Ursache nicht in dem Verantwortungsbereich der Behörde, sondern in dem Verantwortungsbereich des Begünstigten hat und daher dessen Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsakts nicht schutzwürdig ist. Dabei ist unerheblich, ob den Betroffenen ein Verschulden trifft und er die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit kannte bzw. hätten kennen müssen (vgl. BVerwG, U.v. 14.8.1986 – 3 C 9.85 – juris Rn. 29). Dem Erwirken durch unrichtige oder unvollständige Angaben steht es gleich, wenn der Betroffene es unterlässt, maßgebliche Tatsachen, die Grundlage für die Gewährung der Geldleistung sind, anzuzeigen, obwohl er hierzu verpflichtet war (vgl. VG Karlsruhe, U.v. 19.2.2015 – 9 K 1815/14 – juris Rn. 33).
Die Klägerin war vorliegend aufgrund von Art. 10 Abs. 2 BayBeamtVG und § 36 Abs. 4 VersAusglG verpflichtet, die Möglichkeit des Bezugs einer Altersrente ab dem 1. Juli 2016 gegenüber dem Beklagten anzuzeigen und die Rentenauskunft vom 27. Juli 2016 vorzulegen. Auf die Mitwirkungspflicht aus Art. 10 Abs. 2 BayBeamtVG war sie bereits im Bescheid über die Festsetzung von Versorgungsbezügen vom 2. Juli 2015 hingewiesen worden. Diese Pflicht hat die Klägerin verletzt. Sie hat ihrem Aussetzungsantrag keine Rentenübersicht beigefügt und auch die Rentenübersicht vom 27. Juli 2016 nicht nachgereicht. Daher waren ihre Angaben in wesentlichen Punkten unvollständig bzw. unrichtig. Dabei kann auch dahinstehen, ob der Beklagte das Bestehen eines Rentenanspruchs nach Aktenlage oder anhand weiterer Ermittlungen hätte erkennen können. Der Begriff der unrichtigen Angaben i.S.v. Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG erfordert nur deren objektive Unrichtigkeit, ohne dass es insoweit auf ein mangelndes Verschulden des Begünstigenden oder eine mangelnde Sorgfalt der Behörde ankommt (BVerwG, U.v. 14.8.1986 – 3 C 9.85 – juris Leitsatz 3).
(3) Die (konkludente) Entscheidung des Beklagten, den Bescheid vom 16. August 2016 für die Vergangenheit zurückzunehmen, war auch ermessensgerecht. Liegt – wie hier – ein Fall des Art. 48 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG vor, lenkt Art. 48 Abs. 2 Satz 4 BayVwVfG das der Behörde nach Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG zustehende Ermessen, indem er die Rücknahme des Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit als Regel festlegt. Folgt das Verwaltungshandeln dieser Regel, müssen Ermessenserwägungen der Behörde im Rücknahmebescheid nicht näher dargestellt werden (vgl. BVerwG, U.v. 23.5.1996 – 3 C 13.94 – juris). Einen – gerichtlich voll überprüfbaren – atypischen Sachverhalt, aufgrund dessen das Landesamt gezwungen sein könnte, von der Rücknahme ganz oder auch nur teilweise abzusehen oder jedenfalls die Entscheidung zur Rücknahme ausdrücklich zu begründen, vermag die Kammer nicht zu erkennen. Er ergibt sich insbesondere auch nicht aus dem Umstand, dass das Landesamt es unterlassen hat, den Sachverhalt vor Bescheiderlass weiter aufzuklären. Dass Behörden bei entsprechend weitreichenden eigenen Ermittlungen die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben des Betroffenen hätten entdecken können, ist regelmäßig der Fall und begründet aufgrund der eindeutigen Zuweisung der Verantwortungsbereiche durch Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2, Satz 4 BayVwVfG einerseits und Art. 10 Abs. 2 BayBeamtVG andererseits keinen atypischen Sonderfall. Dem Landesamt musste sich auch aufgrund des „Biallo“-Ausdrucks vom 13. Juli 2017 (Blatt 70 der Behördenakte) nicht aufdrängen, dass der Klägerin ein Rentenanspruch zustand. Aus dieser Übersicht ergab sich allenfalls, dass Personen, die am selben Tag wie die Klägerin geboren wurden, möglicherweise ein Anspruch auf eine Rente für (besonders) langjährig Versicherte zustehen könnte, was bei Versorgungsempfängern im Alter der Klägerin im Grunde eine Selbstverständlichkeit ist. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Klägerin ein solcher Anspruch tatsächlich zustand, die eine entsprechende behördliche Ermittlungspflicht hätten auslösen können (vgl. BVerwG, U.v. 15.11.2016 – 2 C 9.15 – juris Rn. 28), ergeben sich aus den Akten des Landesamtes dagegen nicht.
(4) Die Rücknahmefrist des Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG stand der Rücknahme auch nicht entgegen. Der Beklagte erfuhr erstmals mit Eingang des Schreibens der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 16. April 2018 am 24. April 2018 davon, dass die Klägerin eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zugestanden hätte. Die (konkludente) Rücknahme im Bescheid vom 1. Oktober 2018 erfolgte mithin innerhalb der Jahresfrist.
cc) Konnte der Beklagte wegen des im Einzelfall verfügten Vorbehalts, jedenfalls aber aufgrund einer konkludenten Rücknahme des Bescheids über die Aussetzung der Versorgungskürzung vom 16. August 2016 die Kürzung der Versorgungsbezüge rückwirkend vornehmen, bedarf es vorliegend keiner Entscheidung mehr, ob die Aussetzung einer Versorgungskürzung nach § 35 VersAusglG in entsprechender Anwendung des Art. 92 Abs. 5 BayBeamtVG oder nach der Rechtsfigur des gesetzesimmanenten Vorbehalts (dazu etwa BVerwG, U.v. 15.11.2016 – 2 C 9.15 – juris Rn. 22) einem Vorbehalt unterlag.
g) Die auf den 1. Juli 2016 rückwirkende Kürzung der Versorgungsbezüge erweist sich nach alledem als rechtmäßig.
3. Auch die Rückforderung von überzahlten Versorgungsbezügen in Höhe von 32.633,33 Euro ist rechtmäßig.
a) Rechtsgrundlage für den Rückforderungsanspruch ist Art. 7 Abs. 2 Satz 1 BayBeamtVG nach welchem sich die Rückforderung zu viel gezahlter Versorgungsbezüge nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung regelt, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist.
b) Aufgrund der auf den 1. Juli 2016 rückwirkenden Kürzung der Versorgungsbezüge ist der Rechtsgrund der seitdem erfolgten Zahlungen in Höhe des Kürzungsbetrages jedenfalls entfallen. Die konkrete Berechnung des Betrages von 32.633,33 Euro ergibt sich aus der dem Rückforderungsbescheid beigefügten Übersicht, auf die die Kammer Bezug nimmt. Einwände gegen die Richtigkeit dieser Berechnung hat die Klägerin nicht erhoben.
c) Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, sie sei hinsichtlich der überzahlten Versorgungsbezüge entreichert.
Dabei kann dahinstehen, ob die Klägerin eine Entreicherung, also einen Verbrauch der erhaltenen Bezüge überhaupt substantiiert dargelegt hat. Trotz der Vermutung, dass ein Ruhestandsbeamter die Versorgungsbezüge für seinen amtsangemessenen Lebensunterhalt verwendet, wäre vorliegend zu berücksichtigen, dass der Rentenanspruch der Klägerin aufgrund ihres Antrags (erst) am 16. Mai 2018 lediglich um 3,0% gekürzt wurde. Hätte die Klägerin bereits im Juli 2016 eine Rente beantragt, wäre eine Kürzung von 9,3% angefallen. Aus der Differenz dieser Abschläge ergibt sich ein um 6,3% höherer monatlicher Rentenanspruch, der der Klägerin dauerhaft als Vermögenswert verbleibt. Hierauf kommt es indes nicht entscheidungserheblich an, weil der Klägerin die Berufung auf die Einrede des Wegfalls der Bereicherung wegen ihrer verschärften Haftung nach Art. 7 Abs. 2 Satz 2 BayBeamtVG i.V.m. § 819 Abs. 1 BGB einerseits und § 820 Abs. 1 Satz 2 BGB andererseits verwehrt ist.
Die Klägerin haftet in Bezug die auf überzahlten Versorgungsbezüge bereits wegen des entsprechenden Vorbehalts im Aussetzungsbescheid vom 16. August 2016 (s.o.) aufgrund des ungewissen Erfolgseintritts in verschärfter Form für die Rückzahlung des empfangenen Betrages nach Art. 7 Abs. 2 BayBeamtVG i.V.m. § 812 Abs. 1, § 820 Abs. 1 Satz 2, § 818 Abs. 4 BGB.
Darüber hinaus ergibt sich die verschärfte Haftung der Klägerin auch aus Art. 7 Abs. 2 Satz 2 BayBeamtVG i.V.m. § 819 Abs. 1 BGB. Gemäß § 819 Abs. 1 BGB kann sich derjenige nicht auf eine Entreicherung berufen, der den Mangel des rechtlichen Grundes beim Empfang der Leistung kennt oder später erfährt. Dieser Maßstab der sog. Bösgläubigkeit des Empfängers wird im Beamtenverhältnis durch Art. 7 Abs. 2 Satz 2 BayBeamtVG verschärft. Danach ist ein Berufen auf den Wegfall der Bereicherung auch dann nicht möglich, wenn der Mangel des rechtlichen Grundes so offensichtlich war, dass der Empfänger oder die Empfängerin der Zahlung ihn hätte erkennen können. Ein Mangel ist nach ständiger Rechtsprechung dann offensichtlich, wenn der Empfänger die Überzahlung nur deshalb nicht bemerkt hat, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht gelassen hat (BVerwG, U.v. 26.4.2012 – 2 C 15.10 – juris Rn. 10; U.v. 28.6.1990 – 6 C 41.88 – juris Rn. 16) oder wenn er den Fehler etwa durch Nachdenken oder logische Schlussfolgerung hätte erkennen müssen (BVerwG, U.v. 9.5.2006 – 2 C 12.05 – juris Rn. 13). Letztlich ist das Fehlen des Rechtsgrundes für die Zahlung dann offensichtlich, wenn dies für den Empfänger ohne weiteres erkennbar ist. Gemessen daran war der Mangel des Rechtsgrundes für die Klägerin offensichtlich. Die Klägerin als ehemalige Beamtin der Besoldungsgruppe A 12 mit Amtszulage hätte anhand der Rentenübersicht vom 27. Juli 2016 erkennen können und müssen, dass die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Versorgungskürzung nicht vorgelegen haben.
d) Die Entscheidung des Beklagten, die überzahlten Versorgungsbezüge in voller Höhe zurückzufordern und der Klägerin lediglich eine Ratenzahlung nachzulassen, ist auch unter Billigkeitsgesichtspunkten nicht zu beanstanden (Art. 7 Abs. 2 Satz 3 BayBeamtVG). Nach dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 2 Satz 3 BayBeamtVG ist ein Ermessensspielraum für die Rückforderung der Versorgungsbezüge nur eröffnet, wenn Billigkeitsgründe vorliegen. Diese Regelung hat die Aufgabe, eine allen Umständen des Einzelfalls gerecht werdende, für die Behörde zumutbare und für den Besoldungsempfänger tragbare Lösung zu ermöglichen, bei der auch Alter, Leistungsfähigkeit und sonstige Lebensverhältnisse des Herausgabepflichtigen eine maßgebende Rolle spielen (BVerwG, U.v. 26.4.2012 – 2 C 4.11 – juris Rn. 18 m.w.N.). Die Billigkeitsentscheidung kann darin bestehen, dass von der Rückforderung insgesamt oder teilweise endgültig abgesehen, die Rückforderung ganz oder teilweise erst für einen späteren Zeitpunkt verlangt oder die Rückzahlung in Teilbeträgen (Ratenzahlung) gestattet wird (BVerwG, U.v. 21.10.1999 – 2 C 27.98 – juris Rn. 28; U.v. 25.1.2001 – 2 A 7.99 – juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 18.12.2015 – 3 ZB 13.1199 – juris Rn. 14).
Der Beklagte hat hier das Vorliegen von Billigkeitsgründen bejaht und in einer Gegenüberstellung von für und gegen die Klägerin sprechenden Gründen sein Ermessen dahingehend ausgeübt, der Klägerin eine Ratenzahlung zuzugestehen. Dies ist vorliegend nicht zu beanstanden. Insbesondere ist vorliegend kein Fall gegeben, in dem wegen eines überwiegenden Verschuldens der Behörde ein Billigkeitsnachlass erforderlich gewesen wäre. Angesichts dessen, dass die Rechtswidrigkeit des Aussetzungsbescheids vom 16. August 2016 für die Kläger offensichtlich war und von ihr auch durch unvollständige bzw. unrichtige Angaben bewirkt wurde, kann von einem überwiegenden Verschulden der Behörde keine Rede sein.
e) Der Rückforderungsanspruch ist auch nicht verjährt. Nach Art. 8 Satz 1 BayBeamtVG verjähren Ansprüche auf Rückzahlung von Versorgungsbezügen regelmäßig in drei Jahren. Zehn Jahre beträgt die Verjährungsfrist, wenn durch vorsätzlich oder leichtfertig unrichtige oder unvollständige Angaben oder das vorsätzliche oder leichtfertige pflichtwidrige Unterlassen von Angaben die Gewährung oder Belassung von Versorgungsbezügen bewirkt wurde (Art. 8 Satz 2 BayBeamtVG). Aufgrund der erstmaligen Zahlung zu hoher Versorgungsbezüge im Juli 2016 erfolgte die Rückforderung mit Bescheid vom 1. Oktober 2018 innerhalb der kurzen dreijährigen Verjährungsfrist, sodass es nicht darauf ankommt, ob vorliegend die Voraussetzungen für die Geltung der langen Verjährungsfrist vorlagen.
f) Hinsichtlich der in der Klagebegründung angekündigten Hilfsaufrechnung hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich erklärt, diese derzeit (noch) nicht erklären zu wollen.
g) Damit erweist sich der Bescheid vom 1. Oktober 2018 auch hinsichtlich der Rückforderung als rechtmäßig.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 124, § 124a VwGO).

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