Steuerrecht

Vorlage an das BVerfG: Ausschluss des Werbungskostenabzugs für Berufsausbildungskosten – rückwirkende Geltung der Neuregelung des Abzugs von Berufsausbildungskosten

Aktenzeichen  VI R 2/12

Datum:
17.7.2014
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Vorlagebeschluss
Normen:
§ 9 Abs 6 EStG 2009 vom 07.12.2011
§ 10 Abs 1 Nr 7 EStG 2009 vom 07.12.2011
§ 12 Nr 5 EStG 2009 vom 07.12.2011
§ 4 Abs 9 EStG 2009 vom 07.12.2011
§ 52 Abs 23d S 5 EStG 2009 vom 07.12.2011
§ 52 Abs 12 S 11 EStG 2009 vom 07.12.2011
Art 3 Abs 1 GG
Art 100 Abs 1 GG
§ 80 Abs 1 BVerfGG
§ 80 Abs 2 S 1 BVerfGG
Art 12 GG
EStG VZ 2005
EStG VZ 2006
EStG VZ 2007
Spruchkörper:
6. Senat

Leitsatz

Es wird eine Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt, ob § 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG vom 7. Dezember 2011 (BGBl I 2011, 2592) insoweit mit dem GG vereinbar ist, als danach Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, keine Werbungskosten sind, wenn diese Berufsausbildung oder dieses Erststudium nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet und auch keine weiteren einkommensteuerrechtlichen Regelungen bestehen, nach denen die vom Abzugsverbot betroffenen Aufwendungen die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage mindern.

Verfahrensgang

vorgehend FG Düsseldorf, 14. Dezember 2011, Az: 14 K 4407/10 F, Urteilnachgehend BVerfG, 19. November 2019, Az: 2 BvL 22/14, Beschluss

Tatbestand

1
A. Gegenstand der Vorlage (Sachverhalt, Entscheidung des Finanzgerichts –FG– und Vortrag der Beteiligten)
2
Streitig ist die einkommensteuerliche Berücksichtigung von Kosten für eine erstmalige Berufsausbildung zum Berufspiloten als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit.
3
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) absolvierte als erstmalige Berufsausbildung in den Jahren 2005 bis 2007 eine Ausbildung zum Flugzeugführer erfolgreich und stand seit Oktober 2007 in einem Anstellungsverhältnis als Flugzeugführer. Er begehrte für die Streitjahre (2005 bis 2007) die Feststellung verbleibender Verlustvorträge. Für die Veranlagungszeiträume 2005 und 2006 erklärte er, keine Einnahmen erzielt zu haben, und machte für 2005 Ausbildungskosten in Höhe von 2.168 € und für 2006 solche in Höhe von 27.634 € als Werbungskosten geltend. Für 2007 erklärte er Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 4.164 € und Werbungskosten in Form von Ausbildungskosten in Höhe von 44.485 € sowie weitere Werbungskosten in Höhe von 4.110 €.
4
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) lehnte eine Verlustfeststellung ab und setzte mit Einkommensteuerbescheiden der Streitjahre die Einkommensteuer jeweils auf 0 € fest. Die Ausbildungskosten wurden darin nicht als Werbungskosten, sondern lediglich als Sonderausgaben in Form von Aufwendungen für eine erstmalige Berufsausbildung berücksichtigt, im Jahr 2005 in Höhe von 2.168 € und in den Jahren 2006 und 2007 in Höhe von jeweils 4.000 €.
5
Die Einsprüche gegen die Ablehnung der Anträge auf gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember der Jahre 2005 bis 2007 blieben erfolglos.
6
Die dagegen erhobene Klage auf Verpflichtung des FA, die verrechenbaren Verluste gesondert festzustellen (2005: 2.167,84 €; 2006: 27.633,53 €; 2007: 44.484,50 €), hat das FG aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 2012, 686 veröffentlichten Gründen abgewiesen. Die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen für seine erstmalige Ausbildung zum Berufspiloten seien nicht als Werbungskosten i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetzes vom 7. Dezember 2011 (BGBl I 2011, 2592) –BeitrRLUmsG– bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abzugsfähig, so dass keine Ausgabenüberschüsse angefallen seien. Die vor dem BeitrRLUmsG geltenden Regelungen stünden dem Abzug der Ausbildungsaufwendungen des Klägers als Werbungskosten zwar nicht entgegen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) dazu sei der Werbungskostenabzug nicht ausgeschlossen, sofern ein hinreichend konkreter Veranlassungszusammenhang zwischen den Aufwendungen und der später auf Einkünfteerzielung gerichteten Berufstätigkeit bestünde (vgl. Senatsurteile vom 28. Juli 2011 VI R 5/10, BFHE 234, 262, BStBl II 2012, 553; VI R 8/09, BFH/NV 2011, 2038; VI R 38/10, BFHE 234, 279, BStBl II 2012, 561; VI R 59/09, BFH/NV 2012, 19; VI R 7/10, BFHE 234, 271, BStBl II 2012, 557; vom 15. September 2011 VI R 22/09, BFH/NV 2012, 26, und VI R 15/11, BFH/NV 2012, 27).
7
Diese Vorschriften seien im Streitfall aber nicht mehr maßgeblich. Denn bei der Entscheidung über eine Verpflichtungsklage sei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zugrunde zu legen, also die am 14. Dezember 2011 geltende Rechtslage, demnach § 9 Abs. 6 und § 12 Nr. 5 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG, die gemäß Art. 25 Abs. 4 BeitrRLUmsG am Tag nach ihrer Verkündung, also am 14. Dezember 2011, in Kraft getreten seien.
8
§ 9 Abs. 6, § 12 Nr. 5 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG seien nicht verfassungswidrig. Es handele es sich zwar um eine echte Rückwirkung. Denn durch die im Jahr 2011 in Kraft getretenen Neuregelungen in § 9 Abs. 6, § 12 Nr. 5 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG werde in die abgeschlossenen Veranlagungszeiträume 2004 bis 2010 eingegriffen, die bereits entstandene Steuerschuld für die Jahre 2005 bis 2007 im Nachhinein abgeändert. Diese echte Rückwirkung sei hier aber verfassungsrechtlich zulässig.
9
§ 9 Abs. 6, § 12 Nr. 5 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG verstießen auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) in der Ausprägung des Leistungsfähigkeitsprinzips und des daraus entwickelten objektiven Nettoprinzips. Die in § 9 Abs. 6, § 12 Nr. 5 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG angelegte Unterscheidung zwischen den Kosten für die erstmalige Berufsausbildung und ein Erststudium einerseits und sonstigen Fortbildungskosten andererseits sei eine im gesetzgeberischen Ermessensspielraum liegende Typisierung.
10
Der Kläger rügt mit der Revision die Verletzung materiellen (Verfassungs-)Rechts.
11
Das streitgegenständliche Gesetz greife in bereits abgeschlossene Veranlagungszeiträume 2004 bis 2010 ein. Insoweit liege eine echte Rückwirkung des Gesetzes vor. Das schutzwürdige Interesse des Klägers sei durch die Rückwirkung verletzt. Er habe alle Dispositionen getroffen und die Ausbildungskosten bestritten. Dabei habe er schon auf das Urteil des Senats vom 4. Dezember 2002 VI R 120/01 (BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403) vertrauen dürfen.
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Schließlich werde auch das objektive Nettoprinzip verletzt. Denn Kosten für die Ausbildung zum Verkehrsflugzeugführer seien Erwerbsaufwendungen. Die Begrenzung des objektiven Nettoprinzips sei nicht gerechtfertigt.
13
Der Kläger beantragt,das Urteil des FG Düsseldorf vom 14. Dezember 2011  14 K 4407/10 F aufzuheben, den Ablehnungsbescheid vom 9. Oktober 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. November 2010 aufzuheben und das FA zu verpflichten, folgende verrechenbare Verluste gesondert festzustellen: für das Jahr 2005: 2.167,84 €, für das Jahr 2006: 27.633,53 €, für das Jahr 2007: 44.484,50 €.
14
Das FA beantragt,die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
15
Der Kläger habe kein schützenswertes Vertrauen bilden können hinsichtlich der Berücksichtigung seiner Aufwendungen als vorweggenommene Werbungskosten.

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