Steuerrecht

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Aktenzeichen  2 K 3421/16

Datum:
19.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 154327
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
AO § 110 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Gründe

II.
Die Klage ist unbegründet.
Zu Recht hat der Beklagte hinsichtlich des bei ihm verspätet eingegangenen Einspruchsschreibens vom 9. Januar 2014 eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO abgelehnt und den Einspruch der Kläger als unzulässig verworfen.
1. Im Streitfall haben die Kläger erst am 9. Januar 2014 und damit verspätet Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid für 2011 vom 30. September 2013 eingelegt.
Ein zeitnaher Zugang einer Einspruchsschrift zur behaupteten Absendung am 11. Oktober 2013 ist nicht nachgewiesen. Ein Einspruchsschreiben mit Datum vom 11. Oktober 2013 ist nicht in den Akten des Beklagten. Die Kläger tragen die Feststellungslast für den fristgerechten Eingang ihrer Einspruchsschrift (vgl. BFH-Urteil vom 28. Oktober 1987 I R 12/84, BStBl II 1988, 111).
2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist den Klägern nicht zu gewähren gewesen.
a) War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 110 Abs. 1 Satz 1 AO). Ein Vertretener muss sich ein Verschulden seines Vertreters gemäß § 110 Abs. 1 Satz 2 AO zurechnen lassen. Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen (§ 110 Abs. 2 Sätze 1 bis 3 AO). Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden, außer wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war (§ 110 Abs. 3 AO).
Hiernach schließt jedes Verschulden -also auch einfache Fahrlässigkeitdie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus.
Der Antragsteller muss innerhalb der Antragsfrist von einem Monat (§ 110 Abs. 2 Satz 1 AO) diejenigen Umstände darlegen, aus denen sich ergibt, dass ihn hinsichtlich der Versäumung der gesetzlichen Frist kein Verschulden trifft. Nach Ablauf der Frist des § 110 Abs. 2 Satz 1 AO können (selbständige) Wiedereinsetzungsgründe nicht mehr nachgeschoben werden. Jedoch können unklare oder unvollständige Angaben auch nach Ablauf der Antragsfrist noch erläutert oder ergänzt werden, sofern innerhalb der Frist der Kern der Wiedereinsetzungsgründe in sich schlüssig vorgetragen ist. Das erfordert eine substantiierte, in sich schlüssige Darstellung aller entscheidungserheblichen Umstände innerhalb der Monatsfrist. Danach sind die Tatsachen zur Begründung des Antrags bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Zweck dieser Befristung ist die zügige und sachgemäße Behandlung eines Wiedereinsetzungsbegehrens, um die Unsicherheit, ob es bei den Folgen einer Fristversäumnis bleibt, in engen Grenzen zu halten. Der Antragsteller soll nicht neue, möglicherweise wechselnde Gründe vortragen können, für deren Glaubhaftmachung er sich bessere Erfolgsaussichten verspricht. Das spätere Nachschieben von Wiedereinsetzungsgründen ist daher nicht zulässig. Sollen wesentliche Lücken in der Sachverhaltsdarstellung nachträglich nach Fristablauf geschlossen werden, stellt dies ein unzulässiges Nachschieben von Gründen dar (vgl. BFH-Beschluss vom 17. November 2015 V B 56/15, BFH/NV 2016, 222, unter II.2.b, m.w.N.).
Wer die Gewährung von Wiedereinsetzung wegen des Nichteingangs eines angeblich rechtzeitig abgesandten fristgebundenen Schreibens begehrt, muss genau darlegen, welche Person zu welcher Zeit (Tag, Uhrzeit) in welcher Weise (Einwurf in einen bestimmten Briefkasten oder Abgabe bei einer bestimmten Postfiliale) den Brief, in dem sich das fristgebundene Schreiben befunden haben soll, zur Post gegeben hat. Die Angaben sind durch die Vorlage präsenter Beweismittel glaubhaft zu machen (vgl. BFH-Urteil vom 31. Januar 2017 IX R 19/16, BFH/NV 2017, 885, m.w.N.).
Der Finanzbehörde kann nicht vorgeworfen werden, sie hätte einen durch einen Vertreter der steuer- oder rechtsberatenden Berufe vertretenen Steuerpflichtigen innerhalb der Antragsfrist noch auf die Ergänzungsbedürftigkeit der Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hinweisen müssen. Die Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags nach § 110 Abs. 2 Satz 2 AO ist ausschließlich Sache des Antragstellers. Wenn dieser fachkundig vertreten ist, hat die Finanzbehörde den Antragsteller weder über den erforderlichen Inhalt des Wiedereinsetzungsgesuchs aufzuklären noch zur Ergänzung eines insoweit unzulänglichen Vortrags aufzufordern (vgl. BFH-Beschlüsse vom 5. Mai 2000 III B 14/00, BFH/NV 2000, 1349, vom 29. Oktober 2003 V B 61/03, BFH/NV 2004, 459 und vom 6. Dezember 2011 XI B 3/11, BFH/NV 2012, 707).
b) Hiervon ausgehend rechtfertigt bereits das tatsächliche Vorbringen innerhalb der Monatsfrist des § 110 Abs. 2 Satz 1 AO in den Schriftsätzen vom 9. Januar 2014 und vom 4. Februar 2014 nicht die Schlussfolgerung, dass die Prozessbevollmächtigte den Einspruch rechtzeitig abgesandt hat und die Kläger kein Verschulden an der Fristversäumnis trifft.
Als Nachweis für die Versendung der Einspruchsschrift kann die Prozessbevollmächtigte keinen Eintrag in ihrem Postausgangsbuch als präsentes Beweismittel vorweisen.
Dementsprechend hat die Prozessbevollmächtigte im Juli 2016 und später im Klageverfahren selbst eingeräumt, dass durch einen internen Fehler des bei ihr tätigen Steuerberaters H der Postausgang in der EDV nicht abgeschlossen worden ist und folglich eine Festschreibung in ihrem Postausgangsbuch nicht erfolgt ist.
Die eidesstattliche Versicherung der Postausgangsbearbeiterin L vom 4. Februar 2014 reicht zur Glaubhaftmachung der Absendung der Einspruchsschrift am 11. Oktober 2013 im Streitfall nicht aus. Im Verwaltungsverfahren befasste Berufsträger -wie hier: Steuerberater Hmüssen im Rahmen ihres Mandats eine sachgemäße Fristenkontrolle gewährleisten, z.B. durch Vermerke im Postausgangsbuch und im Fristenbuch als Nachweis der Absendung. Die Aufgabe eines Briefes zur Post kann im Regelfall nicht allein mit einer eidesstattlichen Versicherung einer Rechtsanwaltsfachangestellten glaubhaft gemacht werden, sondern es bedarf eines ordnungsgemäßen Postausgangsbuchs (vgl. BFH-Beschlüsse vom 16. Februar 2011 X B 48/10, BFH/NV 2011, 993, und vom 28. November 2003 V R 3/03, BFH/NV 2004, 524).
Zudem sind nach vier Monaten (das ist der Zeitraum zwischen der Erstellung der Einspruchsschrift und Abgabe der eidesstattlichen Versicherung) die Angaben von Frau L nicht glaubhaft. Denn bei tatsächlicher Absendung der Einspruchsschrift am 11. Oktober 2013 hätte Frau L im Rahmen des an diesem Tag überschaubaren Postausgangs den Fehler des Steuerberaters H, d.h. die fehlende Abspeicherung der Einspruchsschrift im elektronischen Postausgangsbuch, bemerkt und hätte dies bei Abgabe ihrer eidesstattlichen Versicherung nicht unerwähnt gelassen. Hinzu kommt, dass nach vier Monaten nicht auszuschließen ist, dass Frau L den Vorgang mit dem Ausgang des Mandantenbriefs des Steuerberaters H an die Kläger samt Einspruchsschrift am 14. Oktober 2013 verwechselt hat.
Der Wiedereinsetzungsantrag mit der Begründung der rechtzeitigen Versendung der Einspruchsschrift anhand der Kopie eines Fristenkontrollbelegs reicht ebenfalls zur Glaubhaftmachung der rechtzeitigen Absendung nicht aus. Ein Fristenkontrollbuch kann den Nachweis des Postausgangs nur dann erfüllen, wenn es den an das Postausgangsbuch gestellten Anforderungen genügt. Das im Klageverfahren vorgelegte Fristenkontrollbuch genügt diesen Anforderungen nicht, da es den Empfänger nicht benennt (vgl. BFH in BFH/NV 2004, 524, und in BFH/NV 2011, 993).
Darüber hinaus ist die Einspruchsfrist vor Austragung im Postausgangsbuch gelöscht worden. Übereinstimmende Vermerke im Postausgangsbuch (vgl. FG-Akte, Bl. 127) und im Fristenkontrollbuch als Nachweis der Absendung der Einspruchsschrift an den Beklagten (vgl. FG-Akte, Bl. 133) fehlen nachweislich.
c) Die Prozessbevollmächtigte hat innerhalb der Monatsfrist des § 110 Abs. 2 Satz 1 AO keine substantiierte, in sich schlüssige Darstellung aller entscheidungserheblichen Tatsachen abgegeben. Der Fristlauf hat spätestens am 9. Januar 2014 begonnen und am 9. Februar 2014 geendet.
Die Prozessbevollmächtigte hat insbesondere nicht innerhalb der Monatsfrist offengelegt, dass Steuerberater H die von ihm erstellte Einspruchsschrift nicht in das elektronische Postausgangsbuch übertragen hat.
Ebenso wenig hat sie z.B. geschildert, wie die Einspruchsschrift in den physischen Postausgangskorb gelangt ist, wer die Einspruchsschrift kuvertiert hat und wer die Einspruchsfrist im Fristenbuch ausgetragen hat.
Diese aufgezeigten Lücken in der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags können nach Ablauf der Frist des § 110 Abs. 2 Satz 1 AO nicht mehr geschlossen werden.
d) Darüber hinaus trifft die mit der Vertretung beauftragte Prozessbevollmächtigte ein Verschulden an der Fristversäumnis.
Macht der Bevollmächtigte selbst Fehler, kommt eine Wiedereinsetzung in der Regel nicht in Betracht (vgl. BFH-Beschlüsse vom 4. Dezember 2003 XI B 181/01, BFH/NV 2004, 526; und vom 26. Juli 2004 V B 188/03, BFH/NV 2004, 1663).
Bei Bevollmächtigten, die die Rechts- und Steuerberatung berufsmäßig ausüben, ist die Schilderung der Fristenkontrolle sowie der Postausgangskontrolle nach Art und Umfang erforderlich und diese glaubhaft zu machen. Zu den in Betracht kommenden objektiven präsenten Beweismitteln gehört bei Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe insbesondere die Eintragung der Frist in ein Fristenkontrollbuch, das Festhalten der Absendung fristwahrender Schriftstücke in einem Postausgangsbuch und das Löschen einer Frist auf der Grundlage der Ausgangseintragung im Postausgangsbuch. Bei einer Versendung durch die Post gehört zu einem zuverlässigen Kontrollsystem, dass zwischen dem Fristenkalender und dem Postausgangsbuch eine Übereinstimmung in der Weise sichergestellt wird, dass die Fristen im Kalender erst auf der Grundlage der Eintragungen im Postausgangsbuch gelöscht werden (vgl. BFH-Beschluss vom 17. November 2015 V B 56/15, BFH/NV 2016, 222, m.w.N.).
Der von der Prozessbevollmächtigten mit der Bearbeitung der Sache der Kläger betraute Steuerberater H hätte seine Sorgfalt darauf richten müssen, die an den Beklagten gerichtete Einspruchsschrift auch in das elektronische Postausgangsbuch am 11. Oktober 2013 abzuspeichern, die Einspruchsschrift körperlich in den Postausgangskorb zu legen und die Einspruchsfrist in der EDV der Kanzlei nicht vor Eintragung des Versands im Postausgangsbuch zu löschen.
Stattdessen hat Steuerberater H auch nach den Angaben der Prozessbevollmächtigten ein an den Beklagten gerichtetes Einspruchsschreiben vom 11. Oktober 2013 gerade nicht unter „Postausgang anlegen“ abgespeichert. Da in der Dokumentenübersicht (vgl. FG-Akte, Bl. 65) ein Postausgangsdatum vom 11. Oktober 2013 vermerkt ist, ist nicht auszuschließen, dass Steuerberater H die Einspruchsschrift nur im Dokumentenmanagement erstellt hat, um diese dann nur als Anlage für den erst am 14. Oktober 2013 gefertigten Mandantenbrief an die Kläger beizufügen (vgl. FG-Akte, Bl. 99, Bl. 115). Der Ausgang des Mandantenschreibens ist dementsprechend im Postausgangsbuch am selben Tag festgeschrieben worden (vgl. vgl. FG-Akte, Bl. 99, Bl. 127).
Nachweislich ist nicht dargelegt, dass Steuerberater H eine an den Beklagten adressierte Einspruchsschrift körperlich in den Postausgangskorb und damit an die Postausgangssachbearbeiterin L weitergeben hat. Den eidesstattlichen Versicherungen des Steuerberaters H und der Bearbeiterin L ist nichts Anderes zu entnehmen. Ob die Einspruchsschrift körperlich in den physischen Postausgangskorb gelangt ist, ist schon deshalb zweifelhaft, da der Postausgangssachbearbeiterin der Fehler des Steuerberaters H bei dem übersichtlichen Postausgang am 11. Oktober 2013 aufgefallen wäre, wenn ihr die Einspruchsschrift physisch vorgelegen hätte.
Hinzu kommt, dass Steuerberater H bereits mit Erstellen der Einspruchsschrift am 11. Oktober 2013 um 9.37 Uhr (vgl. Schriftsatz der Klägerin vom 22. Mai 2017 Seite 3 unten, FG-Akte Bl. 44, 78 und 66) die Einspruchsfrist um 9.39 Uhr ausgetragen hat (vgl. Fristenkontrollbuch, Schriftsatz der Klägerin14. August 2017, Anlage 3).
Das Verschulden der Prozessbevollmächtigten in Gestalt des Steuerberaters H ist den Klägern zuzurechnen.
e) Im Juli 2016 ist zudem die Jahresfrist nach § 110 Abs. 3 AO ebenfalls bereits verstrichen gewesen. Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist -also hier seit dem 4. November 2014- kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden (§ 110 Abs. 3 AO).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung.

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