Steuerrecht

Zeitpunkt der Klageerhebung bei Entschädigungsklagen nach §§ 198 ff. GVG im Rahmen der Sozialgerichtsbarkeit

Aktenzeichen  L 8 SF 185/17 EK

Datum:
6.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 34590
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
GVG § 198 Abs. 5
SGG § 202 Abs. 1 S. 2
SGG § 90
SGG § 94 S. 2

 

Leitsatz

1. Klageerhebung i. S. d. § 198 Abs. 5 S. 1 GVG bedeutet im Bereich des SGG nach § 90 SGG die Klageeinreichung bei Gericht. Anders als im Zivilverfahren bedarf es für die Klageerhebung keiner Zustellung der Klageschrift.
2. § 94 S. 2 SGG stellt eine Sonderregelung für den Eintritt der Rechtshängigkeit von Entschädigungsklagen nach §§ 198 ff. GVG dar. Diese Regelung ändert jedoch nichts am für den Bereich der Sozialgerichtsbarkeit geltenden Begriff der Klageerhebung nach § 90 SGG.

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die auf § 198 GVG gestützte Entschädigungsklage ist bereits unzulässig.
1. Das LSG ist funktional und örtlich gemäß § 201 Abs. 1 S. 1 GVG i. v. m. § 202 S. 2 SGG zuständig für Klagen auf Entschädigungen nach § 198 GVG gegen den Freistaat Bayern.
2. Die Klage ist gemäß § 54 Abs. 5 SGG als allgemeine Leistungsklage zulässig, ohne dass es zuvor einer außergerichtlichen Geltendmachung des Zahlungsanspruchs bedurft hätte (BSG, Urteil vom 05.05.2015, B 10 ÜG 8/14 R).
Der Kläger hat den geltend gemachten Entschädigungsanspruch konkret mit 5.900.- Euro (5.400.- Euro am 04.09.17 sowie Erhöhung um 500.- Euro am 22.11.2017) beziffert.
3. Jedoch wurde die Wartefrist nach § 198 Abs. 5 S. 1 GVG nicht eingehalten. Danach kann eine Klage zur Durchsetzung eines Entschädigungsanspruches frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Einhaltung der Frist ist eine besondere Sachurteilsvoraussetzung, die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist (BSG, Urteil vom 03.09.2014, B 10 ÜG 2/14 R). Hier hat der Kläger am 01.02.2017 beim LSG eine wirksame Verzögerungsrüge erhoben.
Eine weitere wirksame Verzögerungsrüge ist vom Kläger nicht erhoben worden. Im zu beurteilenden Ausgangsverfahren vor dem SG findet sich keine Verzögerungsrüge des Klägers in der Gerichtsakte. Der Kläger hat erstmals mit Schriftsatz vom 11.12.2017 (zum Verfahren L 8 SF 186/17 EK) vorgebracht, am 25.04.2016 eine Verzögerungsrüge im Verfahren S 13 AS 3025/13 erhoben zu haben und auf Aufforderung eine entsprechende Verzögerungsrüge vorgelegt. Unabhängig von der Frage, ob eine solche tatsächlich den Geschäftsbereich des SG erreicht hat, wäre eine solche Verzögerungsrüge erst nach Abschluss der Instanz durch Gerichtsbescheid vom 23.12.2015 erhoben worden und daher unbeachtlich. Denn eine Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 S. 1 GVG muss während des laufenden Klageverfahrens erhoben werden, um ihren Zweck (Warnfunktion des Gerichts, Aufforderung zur Verfahrensbeschleunigung) erfüllen zu können.
Die vom Kläger mit Schreiben vom 11.12.2017 (unter dem AZ L 8 SF 186/17 EK) angeführten Schreiben, vom 18.01.2016 (Berufung), vom 18.01.2016 im Befangenheitsantrag (S 29 AS 1115/16 AB) und vom 04.01.2017 im Verfahren S 46 AS 183/17 ER enthalten zwar Äußerungen über die Verfahrensdauer („Richterin hat mehr als genug Zeit zur ordnungsgemäßen Prüfung der Unterlagen“, „Übersendung der Akten an Sozialgericht (…) schon vor mehr als zwei Jahren“, „Gerichtsverfahren können mehr als vier Jahre dauern“), diese sind jedoch nicht dergestalt formuliert, dass eine Verzögerungsrüge i. S. d. § 198 Abs. 3 GVG angenommen werden könnte. Um die Warnfunktion erfüllen zu können, muss die Verzögerungsrüge zum Ausdruck bringen, dass der Kläger mit der von § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG ausdrücklich genannten Dauer des Verfahrens nicht einverstanden ist und eine Beschleunigung verlangt (Röhl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 198 GVG RdNR. 89). Dies ist vorliegend nicht gegeben. Nach dem objektiven Empfängerhorizont waren die, in Schriftsätzen zu anderen Themen getätigten Ausführungen des Klägers zur Verfahrensdauer nicht als Verzögerungsrügen anzusehen, da nicht ausdrücklich eine Beschleunigung des Verfahrens verlangt wurde.
Im Berufungsverfahren hat der Kläger mit Schreiben vom 21.04.2016 erklärt, dass er bislang keinen Beschluss bekommen habe. Er hoffe, dass sein Verfassungsrecht, das seit drei Jahren dankt Duldung und Nichtstun auch des LSG nicht beachtet werde, zügig wiederhergestellt werde. Im Schreiben vom 01.07.2016 wiederholt der Kläger, dass er bislang keinen Beschluss bekommen habe und sein Verfassungsrecht seit drei Jahren nicht wiederhergestellt sei. Ebenso argumentiert der Kläger im Schreiben vom 08.07.2016, in dem er auf ein gerichtliches Schreiben reagiert, mit dem ihm mitgeteilt wird, dass ein Termin zur mündlichen Verhandlung noch nicht benannt werden könne. Es seien keine Gründe für eine mündliche Verhandlung ersichtlich, es sei nicht nachvollziehbar, weshalb das Berufungsverfahren bereits ein gutes halbes Jahr anhängig sei und auf unbestimmte Zeit nicht entschieden werde.
Selbst wenn man diese Schreiben des Klägers als Verzögerungsrügen auslegen würde, so wären diese jedenfalls verfrüht erhoben worden und daher unbeachtlich. Nach § 198 Abs. 3 S. 2 GVG kann die Verzögerungsrüge erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird. Die Vorschrift stellt für den frühestmöglichen Termin auf die Wahrscheinlichkeit ab, mit der eine Überlänge des Verfahrens eintreten wird, und erfordert damit eine Prognose. Es genügt, wenn der Betroffene erstmals objektive Anhaltspunkte dafür hat, das Verfahren nehme keinen angemessen zügigen Fortgang und der Verfahrensabschluss werde sich deshalb verzögern. Maßgeblich ist die konkrete Möglichkeit einer Verzögerung aus der ex-ante-Perspektive eines vernünftigen Dritten in der Person des Klägers. Eine vor diesem Zeitpunkt verfrüht erhobene Rüge ist wirkungslos und geht ins Leere. Eine verfrühte Rüge wird auch nicht nachträglich wirksam, wenn im Nachgang die konkrete Möglichkeit einer Verzögerung entsteht. Dies widerspräche der vom Gesetz gewollten Warnfunktion der Rüge (Röhl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 198 GVG, Rn. 94). Vorliegend war im Zeitpunkt der Schreiben des Klägers am 21.04.2016, 04.07.2016 und 08.07.2016 kein Anlass für die Besorgnis, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit beendet werden würde, gegeben. Das Berufungsverfahren begann erst im Januar 2016, im April 2016 war es damit gerade drei Monate, im Juli 2016 sechs Monate anhängig. Dieser Zeitraum war bis auf den Monat März 2016 vollständig von richterlicher Aktivität geprägt, so dass keinerlei Anzeichen dafür gegeben waren, dass das Verfahren nicht seinen angemessen zügigen Fortgang finden würde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach dem BSG eine Verfahrensdauer von bis zu 12 Monaten je Instanz, die nicht durch konkrete verfahrensfördernde Schritte begründet und gerechtfertigt werden kann, regelmäßig als angemessen angesehen wird. Diese Zeitspanne muss nicht im Anschluss an die Erhebung der Klage liegen, sie kann vielmehr auch am Ende der jeweiligen Instanz liegen oder in mehrere Abschnitte unterteilt sein. Beruht die Verfahrensdauer, die 12 Monate übersteigt, auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung oder wird sie maßgeblich durch das Verhalten des Klägers, anderer Verfahrensbeteiligter oder Dritter verlängert, so macht auch dies die Verfahrensdauer in der Regel nicht unangemessen (st.Rspr., vgl. BSG, Urteil vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13, Rn. 52ff.). Auch unter Berücksichtigung des erstinstanzlichen Verfahrens, das insgesamt mit inaktiver Zeit von 12 Monaten zwei Jahre gedauert hat, ist daher nicht von diesem Grundsatz abzuweichen. Denn da das SG genau die vom BSG als gerechtfertigte Zeit inaktiv war, war auch dem LSG für die Berufungsinstanz dieser Zeitraum gutzuschreiben. Hier lag jedoch bislang erst ein Monat Inaktivität vor, somit bestand keinesfalls Anlass zur Besorgnis einer verzögerten Verfahrensführung. Auch wenn dem Kläger mitgeteilt worden war, dass ein Termin für die mündliche Verhandlung noch nicht benannt werden könne, deutete dies in diesem frühen Verfahrensstadium keinesfalls auf eine Verfahrensverzögerung hin.
Damit ist nur die Verzögerungsrüge vom 01.02.2017 wirksam gem. § 198 Abs. 3 S. 2 GVG (vgl. auch Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. September 2018, OVG 3 A 3.18).
Bezogen auf diese Rüge ist jedoch die Wartefrist des § 198 Abs. 5 S. 1 GVG nicht eingehalten. Denn der Kläger hat die Entschädigungsklage bereits am 29.06.2017 und somit innerhalb der bis zum 01.08.2017 laufenden sechsmonatigen Wartefrist durch Übergabe eines entsprechenden Schriftsatzes in der mündlichen Verhandlung vor Urteilsverkündung erhoben.
a. § 198 Abs. 5 S. 1 GVG stellt auf die Klageerhebung ab, nicht auf die Rechtshängigkeit der Klage. Im Verfahren des SGG ist mit dem Begriff der Klageerhebung die Klageeinreichung bei Gericht umschrieben. Anders als in Zivilverfahren nach § 253 Abs. 1 ZPO bedarf es für die Klageerhebung keiner Zustellung der Klageschrift. Dies ist der Formulierung in § 90 SGG zu entnehmen, wonach die Klage bei dem zuständigen Gericht der Sozialgerichtsbarkeit schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben ist. Klageerhebung ist damit die Einreichung der Klageschrift bzw. Aufnahme der Niederschrift. § 90 SGG gilt für alle Klagen im Zuständigkeitsbereich der Sozialgerichtsbarkeit, auch für Klagen nach § 202 S. 2 SGG i. V. m. § 201 Abs. 1 S. 1 GVG (B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 12. Aufl., § 90 RdNr. 3; a. A. Föllmer in: Schlegel/ Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 90 SGG, Rn. 4). Dies ergibt sich aus § 201 Abs. 2 S. 1 GVG i. V. m. § 202 Abs. 1 S. 2 SGG, wonach die Vorschriften des SGG über das Verfahren im ersten Rechtszug entsprechend anzuwenden sind. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb die Regelung des § 90 SGG für Verfahren nach §§ 198 ff. GVG nicht gelten sollte (im Ergebnis ebenso BFH, Urteil vom 12.07.2017, X K 3-7/16 für den Bereich der FGO).
An diesem Ergebnis ändert auch die zum 15.10.2016 eingeführte Regelung des § 94 Abs. 2 SGG nichts. Nach dieser Vorschrift wird eine Entschädigungsklage nach §§ 198 ff. GVG anders als andere Klagen im Sozialgerichtsverfahren, die gemäß § 94 Abs. 1 SGG mit Klageerhebung rechtshängig werden, erst mit Zustellung der Klageschrift rechtshängig.
Denn § 94 SGG regelt den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit, der im Grundsatz nach § 94 S. 1 SGG durch Klageerhebung (nach § 90 SGG) erfolgt, und als Ausnahme nach § 94 S. 2 SGG für Entschädigungsklagen nach §§ 198 ff. GVG die Zustellung der Klage voraussetzt. § 94 S. 2 SGG ist daher eine Sonderregelung für den Eintritt der Rechtshängigkeit, ändert jedoch am für den Bereich der Sozialgerichtsbarkeit geltenden Begriff der Klageerhebung nichts. Durch die Klageerhebung werden die Verfahren nach §§ 198 ff GVG nur anhängig gemacht, die Rechtshängigkeit ist von der Zustellung der Klage abhängig (B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, Kommentar zum SGG, 12. Aufl., § 94 RdNr. 2, a. A. wohl Röhl, jurisPK, § 198 GVG, RdNr. 146). Es ist klar zu unterscheiden zwischen dem Begriff der Klageerhebung, der in § 90 SGG geregelt ist und keine Sonderregelung für Entschädigungsklagen nach §§ 198 ff. GVG vorsieht und dem Begriff der Rechtshängigkeit, der in § 94 SGG konkretisiert wird.
Damit ist die Wartefrist des § 198 Abs. 5 S. 1 GVG durch die Klageerhebung am 29.06.2017 nicht eingehalten worden.
Die Einhaltung der Wartefrist nach § 198 Abs. 5 S. 1 GVG stellt eine besondere Sachurteilsvoraussetzung dar, die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist. Eine vor Fristablauf erhobene Klage wird deshalb nach Ablauf der Frist nicht zulässig (BSG, Urteil vom 03.09.2014, B 10 ÜG 2/14 R, RdNr. 19; BFH, Urteil vom 09.06.2015, XK11/14, RdNR. 9).
b. Die höchstrichterlich entwickelten Ausnahmen von dem Erfordernis der Einhaltung der Wartefrist sind im vorliegenden Streitfall nicht gegeben. Danach kann aufgrund einer teleologischen Reduktion des § 198 Abs. 5 S. 1 GVG eine Entschädigungsklage ausnahmsweise bereits vor Ablauf der Wartefrist erhoben werden, wenn das betroffene Verfahren vor Fristablauf und im Zeitpunkt der Erhebung der Entschädigungsklage bereits beendet worden ist. Denn der Sinn der Wartefrist nach § 198 Abs. 5 S. 1 GVG besteht darin, dem Gericht des Ausgangsverfahrens die Möglichkeit einzuräumen, auf eine Beschleunigung des Verfahrens hinzuwirken und dadurch eine – weitere – Verzögerung zu vermeiden. Bei bereits beendeten Verfahren wäre damit im Hinblick auf den Zweck ein Einhalten der Wartefrist nach § 198 Abs. 5 S. 1 GVG nicht sinnvoll, so dass eine teleologische Reduktion geboten ist (BFH, Urteil vom 09.06.2015, XK 11/14 RdNr. 12 f.; BGH, Urteil vom 21. Mai 2014 – III ZR 355/13, RdNr. 17).
Vorliegend ist das zu Grunde liegende Klageverfahren durch Rechtskraft des Urteils vom 29.06.2017, zugestellt am 09.08.2017, nach Ablauf der Rechtsmittelfrist am Montag, den 11.09.2017 (§ 64 Abs. 3 SGG) beendet worden. Die Verfahrensbeendigung erfolgte damit erst nach Ablauf der Wartefrist, die am 01.08.2017 ablief. Die Entschädigungsklage ist auch vor Verfahrensbeendigung, sogar ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 29.06.2017 bereits vor Urteilsverkündung durch Übergabe des Klageschriftsatzes erhoben worden.
Damit verbleibt es bei der Unzulässigkeit der Entschädigungsklage.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 197 a Abs. 1 S. 1 SGG i. V. m. § 154 VwGO.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

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