Aktenzeichen W 6 S 16.909
Leitsatz
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer erweiterten Gewerbeuntersagung erfordert im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG und das in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Rechtstaatsprinzip neben der voraussichtlichen Erfolglosigkeit einer Anfechtungsklage die zusätzliche Feststellung, dass die sofortige Vollziehbarkeit schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens als Präventivmaßnahme zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter notwendig ist (Anschluss an BVerfG BeckRS 2003, 24810; VGH München BeckRS 2013, 59883 Rn. 16; hier verneint). (redaktioneller Leitsatz)
Maßgeblich für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 GewO ist der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung; jedoch kann sich aus der weiteren Entwicklung die fehlende Erforderlichkeit einer Anordnung der sofortigen Vollziehung bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens ergeben (Anschluss an OVG Münster BeckRS 2016, 48001 Rn. 4; VGH München BeckRS 2012, 52957 Rn. 11). (redaktioneller Leitsatz)
Der für eine (erweiterte) Gewerbeuntersagung gemäß § 35 Abs. 1 GewO erforderlichen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden steht im Falle steuer- und sozialversicherungsrechtlicher Erklärungs- und Zahlungspflichten ein Wohlverhalten während des laufenden Gewerbeuntersagungsverfahrens gerade unter dem Eindruck behördlicher Maßnahmen nicht entgegen. Erforderlich ist vielmehr die Vorlage eines tragfähigen Sanierungskonzepts (vgl. auch BVerwG BeckRS 2015, 48135 Rn. 14; VGH München BeckRS 2016, 46412; BeckRS 2016, 52322). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Nr. I. des Bescheides Landratsamtes Haßberge vom 4. August 2016 wird wiederhergestellt.
II.
Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen eine erweiterte Gewerbeuntersagung. Sie betreibt das Gewerbe Gerüstbau- und -verleih, Zimmerei.
Der Antragsgegner (vertreten durch das Landratsamt Haßberge) führte gegen die Antragstellerin ein Gewerbeuntersagungsverfahren durch und beteiligte verschiedene Träger öffentlicher Belange. Die Rückmeldungen ergaben laut Antragsgegner zusammengefasst folgendes Ergebnis:
– Finanzamt Schweinfurt, Rückstände in Höhe von 865,04 EUR (Stand: 4.8.2016).
– Finanzamt Zeil am Main, Rückstände in Höhe von 9.901,29 EUR (Stand: 4.8.2016 – Lohnsteuerrest aus den zurückliegenden Jahren).
– BG Bau, Rückstände in Höhe von 23.458,00 EUR (Stand: Juli 2016).
– Bundesagentur für Arbeit in Frankfurt, Rückstände in Höhe von 2.753,70 EUR (Stand: 2.5.2016 – Winterbeschäftigungsumlage).
– SOKA Gerüstbau, Rückstände in Höhe von 1.102,10 EUR (Stand: 1.8.2016).
Weiter teilte die Polizeiinspektion Haßfurt mit, dass gegen den Geschäftsführer der Antragstellerin seit dem Jahr 2007 30-mal als Beschuldigten von Straftaten ermittelt worden sei.
Im Rahmen der Anhörung zur Gewerbeuntersagung erklärte der Geschäftsführer der Antragstellerin, er habe keine Rückstände bei der Gemeinde, der Betrieb der Firma ruhe, die Firma habe keine Beschäftigten und er melde den Gewerbebetrieb der Firma nicht ab.
Mit Bescheid vom 4. August 2016 untersagte der Antragsgegner der Antragstellerin die selbstständige Ausübung des angemeldeten Gewerbes „Gerüstbau und -verleih, Zimmerei“ sowie jedes weitere, im Sinne der Gewerbeordnung selbstständige Gewerbe zeitlich unbefristet auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Die Untersagung erstrecke sich auch auf die Tätigkeiten als Vertretungsberechtigter eines Gewebetreibenden oder mit der Leitung des Gewerbebetriebes beauftragten Person (Nr. I). Die Nr. I des Bescheides wurde für sofort vollziehbar erklärt (Nr. II). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Das Landratsamt sei zur Gewerbeuntersagung aufgrund der bekanntgewordenen Tatsachen nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO verpflichtet. Die Antragstellerin komme ihrer Verpflichtung als Gewerbetreibende nicht in ausreichendem Maße nach. Der Beitragsrückstand in Höhe bei der BG Bau in Höhe von 23.458,00 EUR errechne sich aus Lohnsummen der Jahre 2015/2016. Das eingeleitete Gewerbeuntersagungsverfahren habe weitere Rückstände bei Trägern öffentlicher Belange ergeben. Die vorgenannten Sachverhalte verdeutlichten, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Betriebes unzureichend sei. Die Gewerbeuntersagung erstrecke sich präventiv auch auf jede weitere selbstständige gewerbliche Tätigkeit (§ 35 Abs. 1 Satz 2 GewO). Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit sei im öffentlichen Interesse erforderlich. Es könne nicht verantwortet werden, mit der Vollziehbarkeit dieses Bescheides bis zu seiner Unanfechtbarkeit zu warten, da jeder weitere Aufschub zur weiteren Erhöhung der Rückstände führen würde.
Am 2. September 2016 ließ die Antragstellerin im Verfahren W 6 K 16.908 Klage gegen den Gewerbeuntersagungsbescheid vom 4. August 2016 erheben und im vorliegenden Verfahren beantragen:
Die aufschiebende Wirkung der gleichzeitig erhobenen Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 4. August 2016 (Az.: 1/2-822/I-3) wird wiederhergestellt.
Zur Begründung ließ die Antragstellerin im Wesentlichen ausführen: In der Begründung der angeordneten Sofortvollziehbarkeit werde nicht ausgeführt, welche konkrete Gefahren drohen sollten. Es würden auch keine detaillierten Ausführungen dazu gemacht, inwieweit eine weitere Erhöhung der Rückstände wahrscheinlich sei. In einem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs München vom 13. Dezember 2011 werde ausgeführt, dass die erweiterte Gewerbeuntersagung nicht auf die Vermögenslosigkeit des Gewerbetreibenden gestützt werden könne. Die Rechtsprechung stelle strenge Anforderungen an den hier vorliegenden präventiven Eingriff in die Berufsfreiheit der Antragstellerin. Ein besonderes Vollzugsinteresse liege hier nicht vor. Nach dem angefochtenen Bescheid könne eine negative Prognose für die Zukunft nicht getroffen werden, zumal sich z. B. die ursprüngliche Steuerschuld beim Finanzamt in Zeil in Höhe von 20.560,07 EUR am 12. April 2016 auf jetzt 6.601,57 EUR reduziert habe.
Der Antragsgegner beantragte mit Schriftsatz vom 13. September 2016:
Der Antrag wird abgewiesen.
Zur Begründung führte der Antragsgegner im Wesentlichen aus: Es seien Rückstände in Höhe von insgesamt 38.000,00 EUR mitgeteilt worden, die sich in unterschiedlichen Bruchteilen auf ca. fünf verschiedene Gläubiger verteilten. Einhergehend damit habe auch eine Einschätzung hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit erfolgen können, inwieweit die Verbindlichkeiten weiter anwachsen würden. Gerade bei Finanzamt und Sozialkassen fielen Steuerschätzungen bzw. Beiträge an, solange der Betrieb gemeldet sei, und seien damit unabhängig von Geschäftsvorfällen. Der gesamte Zeitraum von sieben Jahren sei betrachtet worden. Im Rahmen der anzustellenden Prognose sei davon auszugehen, dass sich das Fehlverhalten des Geschäftsführers der Antragstellerin fortsetze. Der Geschäftsführer der Antragstellerin habe bis zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses weitere Rückstände angesammelt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Hauptsacheverfahrens W 6 K 16.908) und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Nr. I des Bescheides vom 4. August 2016 entfällt, da die Behörde gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung angeordnet hat. In einem derartigen Fall kann das Gericht nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise wiederherstellen. Es prüft, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind und trifft im Übrigen eine eigene Ermessensentscheidung. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs abzuwägen.
Zwar spricht einiges dafür, dass die Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage der Antragstellerin in der Hauptsache gering sind, weil die Gewerbeuntersagung als solche im Bescheid vom 4. August 2016 rechtmäßig ist und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt. Insbesondere spricht bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 4. August 2016 viel für die Richtigkeit der Unzuverlässigkeitsprognose aufgrund der Nichterfüllung der mit der Gewerbeausübung zusammenhängenden steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Erklärungs- und Zahlungspflichten. Eine Ratenzahlungsvereinbarung sowie ein tragfähiges Sanierungskonzept hat die Antragstellerin nicht vorgelegt. Ein Wohlverhalten während des laufenden Gewerbeuntersagungsverfahrens gerade unter dem Eindruck behördlicher Maßnahmen reicht nicht (vgl. Ennuschat in Tettinger/Wank/Ennuschat, GewO, 8. Aufl. 2011, § 35 Rn. 58). Im Einzelnen kann auf die zutreffenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid vom 4. August 2016 Bezug genommen werden (§ 117 Abs. 5 VwGO analog).
Gleichwohl ist der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage begründet, weil im vorliegenden Fall dahinstehen kann, ob sich die angefochtene erweiterte Gewerbeuntersagung im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides voraussichtlich als rechtmäßig erweist und die Anfechtungsklage deshalb erfolglos bleiben wird (BayVGH, B.v. 11.12.2013 – 22 CS 13.2348 – juris; B.v. 13.12.2011 – 22 CS 11.2428 – juris; OVG NRW, B.v. 24.6.2016 – 4 B 1087/15 – juris). Denn selbst eine voraussichtliche Erfolglosigkeit der Anfechtungsklage würde im vorliegenden Fall angesichts der weitreichenden Wirkungen der erweiterten Gewerbeuntersagung zur Rechtfertigung der sofortigen Vollziehung nicht ausreichen. Die erweiterte Gewerbeuntersagung, mit der der Antragstellerin die aktuell ausgeübte gewerbliche Betätigung sowie auch andere, derzeit nicht ausgeübte gewerbliche Betätigungen untersagt werden, ist in ihrer das Grundrecht der Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG) beschränkenden Intensität einem Berufsverbot vergleichbar (BayVGH, B.v. 11.12.2013 – 22 CS 13.2348 – juris mit Bezug auf BVerfG, B.v. 24.10.2003 – 1 BvR 1594/03 – NJW 2003, 3618). Die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer erweiterten Gewerbeuntersagung erfordert im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG i. V. m. dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtstaatsprinzip daher vielmehr die aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls gewonnene zusätzliche Feststellung, dass die sofortige Vollziehbarkeit schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens als Präventivmaßnahme zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter notwendig ist. Denn effektiver Rechtsschutz ist nur dann gewährleistet, wenn für sofort vollziehbar erklärte Eingriffe in grundrechtlich gewährleistete Freiheiten noch einmal einer gesonderten – über die Beurteilung der zugrundeliegenden Verfügung hinausgehenden – Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzogen werden. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof misst auf dieser Grundlage in seiner Rechtsprechung zum Gewerberecht in Fällen der vorliegenden Art dem Aufschubinteresse eines Antragstellers ein größeres Gewicht zu als dem Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung (vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2013 – 22 CS 13.2348 – juris; B.v. 13.12.2011 – 22 CS 11.2428 – juris; B.v. 10.11.2011 – 22 CS 11.1928 – GewArch 2012, 72, jeweils m. w. N. zur Rspr. des BVerfG; ebenso OVG NRW, B.v. 24.6.2016 – 4 B 1087/15 – juris; VGH BW, B.v. 27.1.2006 – 6 S 1860/05 – NVwZ-RR 2006, 395).
In dem Zusammenhang ist anzumerken, dass für den Erfolg der erhobenen Klage der Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Untersagungsbescheids vom 4. August 2016 maßgeblich ist. Insofern kommt es insbesondere für die Beurteilung der Zuverlässigkeitsprognose auf die Sachlage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung an. Die weitere Entwicklung kann aber – neben der Relevanz für die Wiedererlangung der Zuverlässigkeit und der Wiedergestattung der Gewerbeausübung – für die Beurteilung eine Rolle spielen, ob die Anordnung der sofortigen Vollziehung bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens erforderlich ist. Da der Schwerpunkt hier auf dem Verstoß gegen Zahlungspflichten gegenüber Trägern öffentlicher Belange liegt, hat insbesondere die Frage, ob der Schutz des diesbezüglichen Interesses der betreffenden Gläubiger bereits vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens eine sofort vollziehbare Gewerbeuntersagung erfordert und ob ohne einen Sofortvollzug diese Interessen gefährdet wären, besonderes Gewicht (vgl. BayVGH, B.v. 13.12.2011 – 22 CS 11.2428 – juris; OVG NRW, B.v. 24.6.2016 – 4 B 1087/15 – juris).
Ausgehend von den vorstehenden skizzierten Vorgaben fehlt es an tragfähigen Feststellungen dafür, dass und worin das über das allgemeine öffentliche Interesse am Bescheidserlass hinaus auch ein besonderes öffentliches Interesse liegt, schon in der Zeitspanne zwischen dem Erlass der angefochtenen Gewerbeuntersagung und dem Eintritt ihrer Bestandskraft die Gewerbeausübung zu unterbinden. Der Antragsgegner hat zwar in seiner Antragserwiderung vom 13. September 2016 – dezidierter als im streitgegenständlichen Bescheid – darauf verwiesen, dass die Antragstellerin aktuell eine Gefahr für das öffentliche Interesse darstelle und davon auszugehen sei, dass die Antragstellerin ihr bisheriges Fehlverhalten weiter fortsetzen werde. Der Antragsgegner hat diese Einschätzung aber nicht durch konkrete und tragfähige Feststellungen bezogen auf den vorliegenden Einzelfall untermauert. Das Gericht ist nicht überzeugt, dass zurzeit die begründete Besorgnis besteht, dass sich die mit der Gewerbeuntersagung bekämpfte Gefahr schon in der Zeit bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens in erheblicher Weise realisieren wird.
Gesamtwürdigend ist es vielmehr verantwortbar, die aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage (einstweilen) wiederherzustellen. Vorliegend können gewisse Bemühungen der Antragstellerin, ihre wirtschaftlichen Verhältnisse zu regeln, nicht völlig abgesprochen werden (vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2013 – 22 CS 13.2348 – juris). Das Finanzamt Zeil hat während des Gewerbeuntersagungsverfahrens mit Schreiben vom 18. März 2016 Rückstände von 23.015,18 EUR an den Antragsgegner mitgeteilt und darauf hingewiesen, dass der Geschäftsführer der Antragstellerin einen Antrag auf Ratenzahlung vorgelegt und eine Bürgschaft als Sicherheitsleistung angeboten habe. Darüber hinaus hat der Bevollmächtigte der Antragstellerin im vorliegenden Verfahren ein Schreiben des Finanzamts Zeil vorgelegt, in dem dieses bestätigt, dass sich die Steuerrückstände der Antragstellerin beim Finanzamt von 20.560,07 EUR (Stand: 12.4.2016) auf derzeit noch 6.657,00 EUR durch Zahlung reduziert haben (Stand: 24.8.2016). Damit fehlen Anhaltspunkte, dass sich die Steuerrückstände seit Bescheiderlass erhöht haben bzw. voraussichtlich erhöhen werden. Vielmehr wurden diese schon während des Gewerbeuntersagungsverfahrens und auch nach Bescheidserlass deutlich verringert.
Auch mit Blick auf die konkrete Geschäftstätigkeit der Antragstellerin ist die sofortige Vollziehbarkeit des Bescheides schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens als Präventivmaßnahme zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter nicht notwendig, um ein Anwachsen der Rückstände zu vermeiden und mit sofortiger Wirkung zu unterbinden, dass sich die Antragstellerin in unlauterer Weise im Geschäftsleben einen Vorsprung vor den mit ihr im Wettbewerb stehenden Gewerbetreibenden zu verschaffen vermag.
So ist anzumerken, dass die Antragstellerin erklärt hat, dass der Betrieb der Firma ruhe und die Firma keine Beschäftigten habe, selbst wenn das Gewerbe nicht abgemeldet worden sei. Ausgehend von diesem Vorbringen ist eine erhebliche Gefährdung öffentlicher oder privater Gläubiger zumindest reduziert (vgl. auch BayVGH, B.v. 13.12.2011 – 22 CS 11.2428 – juris). Denn wirken sich vornehmlich nur die bereits vor Bescheidserlass begangenen Pflichtverstöße aus, etwa quasi automatisch und ohne weiteres Zutun des Gewerbetreibenden aufgrund zusätzlich anfallender Säumniszuschläge bei Steuern, vermag dies für sich ein öffentliches Vollzugsinteresse nicht zu begründen (vgl. Dietz, GewArch 2014, 225 ff.). Weiter errechnet sich etwa der gemeldete Beitragsrückstand der BG Bau nach den aktenkundigen Erkenntnissen aus den Lohnsummen der Jahre 2015/2016 und beruht damit auf den bei der Antragstellerin begründeten Beschäftigungsverhältnissen, die nach dem unwidersprochenen Vorbringen der Antragstellerin beendet seien, wenn auch der Geschäftsführer selbst wohl weiter beschäftigt ist. Ähnliches gilt zum Teil für weitere streitgegenständliche Rückstände, die aus bestehenden Beschäftigungsverhältnissen resultierten.
Des Weiteren fehlen auch im Hinblick auf die ausgesprochene erweiterte Gewerbeuntersagung konkrete tragfähige Feststellungen dafür, dass jetzt schon ein besonderes öffentliches Interesse vorliegt, schon in der – nach aller Erfahrung nicht besonders langen – Zeitspanne zwischen dem Erlass der angefochtenen Gewerbeuntersagung und der Bestandskraft des Untersagungsbescheides jede Gewerbeausübung zu unterbinden. Dies gilt umso mehr, als der Gesetzgeber durch den Verzicht auf das Instrument des präventiven Gewerbeerlaubnisvorbehalts zum Ausdruck gebracht hat, dass die Schutzbedürftigkeit der Belange der Allgemeinheit hier etwas geringer ist (BayVGH, B.v. 11.12.2013 – 22 CS 13.2348 – juris). So fehlen etwa konkrete Anhaltspunkte für ein Ausweichen der Antragstellerin gerade als UG auf andere gewerbliche Betätigungen im Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache.
Gesamtbetrachtet können vorliegend konkrete, nur durch eine sofort wirksame Gewerbeuntersagung abzuwehrende Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter in Bezug auf steuerliche, berufsgenossenschaftliche und sonstige öffentliche Belange nicht bejaht werden. Konkrete Gefahren für andere wichtige Gemeinschaftsgüter sind gleichfalls nicht ersichtlich.
Soweit bis zur Entscheidung in der Hauptsache die Gefahr nicht völlig auszuschließen ist, dass die Antragstellerin insbesondere zulasten öffentlicher Gläubiger weitere Schulden anhäuft und sich dadurch zum Nachteil der Allgemeinheit oder Einzelner unberechtigte Wettbewerbsvorteile verschafft, besteht die Möglichkeit, im Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO von Amts wegen bzw. auf Antrag die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung wieder rückgängig zu machen und die Gewerbeuntersagung umgehend zu vollziehen. Dem Antragsgegner bleibt es unbenommen, jederzeit einen entsprechenden Antrag zu stellen, etwa wenn sich zeigen sollte, dass die Rückstände nennenswert ansteigen oder sonst neue Aspekte auftauchen, die die Anordnung der sofortigen Vollziehung vor der abschließenden Entscheidung in der Hauptsache gebieten.
Nach alledem war dem Antrag stattzugeben.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung resultiert aus § 51 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 63 Abs. 2 GKG. Das Gericht hat sich wegen der Höhe des Streitwerts an Nr. 54.2.1 und 54.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 orientiert. Bei der erweiterten Gewerbeuntersagung ist der Betrag von 15.000,00 EUR um weitere 5.000,00 EUR zu erhöhen und damit ein Streitwert von 20.000,00 EUR zugrunde zu legen. Der sich so ergebende Streitwert ist nach Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren, so dass insgesamt 10.000,00 EUR festzusetzen waren.