Steuerrecht

Zufluss von Kapitaleinnahmen aus Schneeballsystemen

Aktenzeichen  VIII R 25/12

Datum:
11.2.2014
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 8 Abs 1 EStG 1990
§ 11 Abs 1 S 1 EStG 1990
§ 20 Abs 1 Nr 7 EStG 1990
§ 20 Abs 2 S 1 Nr 1 EStG 1990
Spruchkörper:
8. Senat

Leitsatz

1. Gutschriften aus Schneeballsystemen führen zu Einnahmen aus Kapitalvermögen, wenn der Betreiber des Schneeballsystems bei entsprechendem Verlangen des Anlegers zur Auszahlung der gutgeschriebenen Beträge leistungsbereit und leistungsfähig gewesen wäre (Bestätigung der Rechtsprechung).
2. An der Leistungsbereitschaft des Betreibers des Schneeballsystems kann es fehlen, wenn er auf einen Auszahlungswunsch des Anlegers hin eine sofortige Auszahlung ablehnt und stattdessen über anderweitige Zahlungsmodalitäten verhandelt. Einer solchen Verweigerung oder Verschleppung der Auszahlung steht es nicht gleich, wenn der Betreiber des Schneeballsystems den Anlegern die Wiederanlage nahelegt, um den Zusammenbruch des Schneeballsystems zu verhindern, die vom Anleger angeforderten Teilbeträge jedoch auszahlt.

Verfahrensgang

vorgehend Finanzgericht des Saarlandes, 10. Mai 2012, Az: 1 K 2327/03, Urteil

Tatbestand

1
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) schloss als “Auftraggeber” mit dem Bankkaufmann C (C) am 6. Juli 1992 eine Vereinbarung über eine Kapitalanlage. Über den Zufluss von Kapitaleinkünften anderer Steuerpflichtiger in den Streitjahren 1994 und 1995, die eine vergleichbare Anlage mit C vereinbart hatten, hat der Senat bereits mit Urteil vom 16. März 2010 VIII R 4/07 (BFHE 229, 141, BStBl II 2014, 147) entschieden (zur Vermögensteuer s. Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 22. September 2010 II R 62/08, BFH/NV 2011, 7).
2
Nach der Vereinbarung vom 6. Juli 1992 und einer zugehörigen Anlage betrug die anfängliche Anlagesumme 50.000 DM und wurde dem C für fünf Jahre auf einem Sonderkonto als Treuhänder zur Verfügung gestellt. Die Anlagesumme sollte mit Anlagebeträgen anderer Anleger zusammengefasst (gepoolt) werden, weshalb der Kläger auf eine vorzeitige Rückzahlung des Anlagebetrags verzichten musste.
3
C sollte nach der Vereinbarung mit dem Kläger selbst als “Anleger” einen bestimmten Geldbetrag (“Anlagekapital”) bei noch nicht benannten “Partnern” anlegen. Das Anlagekapital sollte durch eine Bankgarantie abgesichert und mit 12 % p.a. verzinst werden. Zudem sollte ein “Bonus” von weiteren 12 % p.a. gezahlt werden. C standen als Vergütung gegenüber dem Kläger und dessen verstorbener Ehefrau 5 % des Anlageertrags zu.
4
Als Verwaltungsgesellschaft zur Abwicklung der Kapitalanlage war vereinbarungsgemäß die X mit Sitz in Vaduz eingeschaltet. Bei dieser handelte es sich um eine Briefkastengesellschaft.
5
Von 1992 bis 1999 wurden durch C über 40 Anleger mit einem Anlagekapital von über 6 Mio. DM geworben. Ein erheblicher Teil des Anlagekapitals wurde veruntreut, sodass bereits bis 1994 ein Großteil des eingesammelten Kapitals nicht mehr vorhanden war. C konnte bis etwa Mitte 1994 alle Zinsansprüche durch Zahlung auf die Konten der Anleger begleichen. Ab Mitte 1994 bis 1997 ging er dazu über, die Anleger telefonisch zur Neuanlage der Erträge ohne Auszahlung aufzufordern. Die Neuanlagen erfolgten formlos ohne erneute schriftliche Vereinbarung. C zahlte jedoch auch in diesem Zeitraum auf Verlangen der Anleger gutgeschriebene Erträge aus, wenn der Anleger darauf bestand. Er wurde im Jahr 2007 zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.
6
C erteilte dem Kläger auch in den Streitjahren durch die X “offizielle” Abrechnungen (unter dem Briefkopf der X) und “inoffizielle Abrechnungen” (ohne Briefkopf der X – “nur zu Ihrer persönlichen Information”).
7
Zwischen dem 17. Juli 1992 und dem 1. März 1995 zahlten der Kläger und dessen verstorbene Ehefrau insgesamt 152.000 DM zum Zweck der Kapitalanlage an C. Sie richteten vereinbarungsgemäß bei einer schweizerischen Bank zwei Konten ein, auf die von C die in den Abrechnungen gutgeschriebenen Beträge überwiesen wurden. Im Zeitraum bis Ende 1993 wurden dem Kläger und seiner verstorbenen Ehefrau auf diese Konten insgesamt 32.700 DM überwiesen und abgehoben. Hierbei handelte es sich um die ihnen gegenüber als “Erträge” abgerechneten Beträge.
8
Im Streitjahr 1994 wurden dem Kläger durch C Abrechnungen über Erträge in Höhe von 13.600 DM (zum 30. April 1994), 14.400 DM (zum 31. August 1994) und 14.180 DM (zum 31. Dezember 1994) erteilt. Von dem Gesamtbetrag in Höhe von 42.180 DM ließ sich der Kläger 18.780 DM, nämlich 13.600 DM aus der Abrechnung zum 30. April und 5.180 DM aus der Abrechnung zum 31. Dezember 1994 auszahlen. Im Streitjahr 1995 wurden dem Kläger Abrechnungen über Erträge zum 30. April 1995 in Höhe von 15.200 DM, zum 31. August 1995 in Höhe von 19.300 DM und zum 31. Dezember 1995 in Höhe von 20.700 DM erteilt. Hiervon ließ sich der Kläger 10.000 DM zum 31. Dezember 1995 auszahlen.
9
Von den abgerechneten Erträgen des Streitjahres 1994 wurden aufgrund Vereinbarungen des Klägers mit C Teilbeträge in Höhe von 14.400 DM zum 1. September 1994 und in Höhe von 9.000 DM zum 1. Januar oder 1. März 1995 (insgesamt 23.400 DM) mit den Auszahlungsansprüchen verrechnet und als Einzahlungen auf die Anlagesumme behandelt. Im Streitjahr 1995 wurden von den abgerechneten Erträgen Teilbeträge in Höhe von 15.200 DM zum 1. Mai 1995, in Höhe von 19.300 DM zum 1. September 1995 und in Höhe von 10.700 DM zum 1. Januar 1996 (insgesamt 45.200 DM) wie vereinbart mit Zinsauszahlungsansprüchen verrechnet und als Einzahlungen auf die Anlagesumme behandelt.
10
Am 24. September 2001 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des C eröffnet und am 9. September 2010 abgeschlossen. Der Kläger, dessen Kapital laut der Abrechnungen des C zum 1. Mai 1995  226.275 DM (115.692,57 €) betrug, meldete einen Rückzahlungsanspruch in dieser Höhe zur Tabelle an, auf den im Jahr 2010  1.777,40 € (1,54 %) ausgezahlt wurden.
11
Im Anschluss an eine Steuerfahndungsprüfung erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) gegenüber dem Kläger und dessen verstorbener Ehefrau, welche nach Beendigung der Tätigkeit des Klägers als Arbeitnehmer nicht mehr veranlagt worden waren, erstmalige Steuerbescheide für die Streitjahre. In den Einkommensteuerbescheiden für die Streitjahre (jeweils vom 16. Oktober 2002) berücksichtigte das FA Einnahmen aus Kapitalvermögen für das Streitjahr 1994 in Höhe von 50.314,68 DM (darunter die ausgezahlten und die wiederangelegten Erträge aus der Anlage bei C) und für das Streitjahr 1995 in Höhe von 50.451,38 DM (darunter ebenfalls die ausgezahlten und wiederangelegten Erträge aus der Anlage bei C). Das folgende Einspruchsverfahren blieb ohne Erfolg.
12
Das Finanzgericht (FG) gab der anschließend für die Jahre 1992 bis 1995 erhobenen Klage für die Streitjahre (1994 und 1995) teilweise statt. In Bezug auf die Anlage bei C würdigte das FG das Rechtsverhältnis nicht als Treuhandvereinbarung, sondern als unmittelbare Kapitalüberlassung des Klägers und dessen verstorbener Ehefrau an C. Die seitens des C als “Erträge” ausgezahlten Beträge behandelte es als Einkünfte gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1990. Hinsichtlich der abgerechneten Erträge, die nicht ausgezahlt, sondern wiederangelegt wurden (Streitjahr 1994: 23.400 DM und Streitjahr 1995: 45.200 DM), gab das FG der Klage statt. Es verneinte insoweit einen Zufluss von Einkünften aus Kapitalvermögen beim Kläger. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 1642 veröffentlicht.
13
Hiergegen richtet sich die Revision des FA, das die Verletzung materiellen Bundesrechts durch das FG rügt.
14
Das FA beantragt,das Urteil des FG des Saarlandes vom 10. Mai 2012 1 K 2327/03 hinsichtlich der Entscheidung für die Streitjahre 1994 und 1995 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
15
Der Kläger beantragt,die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
16
C habe ab Mitte 1994 die Anleger und auch den Kläger telefonisch zur Wiederanlage von Erträgen aufgefordert. Das FG habe hieraus zutreffend abgeleitet, das gesamte Schneeballsystem habe sich bereits zu diesem Zeitpunkt in Zahlungsschwierigkeiten befunden und habe nur über die von C eingeforderten Wiederanlagen noch fortbestehen können. Die dem Kläger gegenüber ausgewiesenen Kapitalrückzahlungsansprüche seien zum Zeitpunkt der Wiederanlage in den Streitjahren nicht mehr realisierbar gewesen und dürften nicht in Höhe des Nennwerts der wiederangelegten Beträge zu Zinseinkünften führen (Hinweis auf Wolff-Diepenbrock, Festschrift für Wolfgang Spindler 2011, S. 897). Es seien im Streitfall von Beginn an weder die überwiesenen Erträge erwirtschaftet worden noch sei die nach der Wiederanlage ausgewiesene höhere Anlagesumme vorhanden gewesen.

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