Aktenzeichen L 14 R 92/14
SGB IV SGB IV § 7 Abs. 1
SGG SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 193
Leitsatz
1. Zur Rentenversicherungspflicht eines selbstständigen Immobilienmaklers, der auf Basis eines Lizenznehmervertrages im Rahmen des Franchisekonzepts eines international operierenden Unternehmens Dienstleistungen anbietet (Immobilienvermittlung).
2. Zum Begriff des Auftraggebers im Sinne von § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI
Verfahrensgang
S 10 R 4020/13 2013-09-26 Urt SGREGENSBURG SG Regensburg
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 26. September 2013 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 25. April 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Dezember 2012 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Sozialgericht Regensburg hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die Beklagte hat mit den angefochtenen Bescheiden zutreffend festgestellt, dass der Kläger als A.-Lizenzmakler nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI versicherungspflichtig ist. Gegen die Höhe der Beitragsforderung hat der Kläger keine Einwendungen erhoben.
Nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI in der hier maßgeblichen Fassung vom 20.04.2007 (vgl. BGBl I 554) sind versicherungspflichtig selbständig tätige Personen, die im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen (bis zum 30.04.2007 galt insoweit eine Entgeltgrenze von 400 Euro) und b) auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind.
Der Kläger erfüllt diese Voraussetzungen.
Zutreffend ist die Beklagte davon ausgegangen, dass der Kläger als A.-Immobilienmakler im Verhältnis zur Franchisenehmerin, der A.- R.E. GmbH & Co.KG, selbständig tätig und nicht abhängig beschäftigt ist. Der Begriff der selbständigen Tätigkeit ist nicht gesetzlich definiert und muss in Abgrenzung zum Begriff der nichtselbstständigen Arbeit bestimmt werden. Nach § 7 Abs. 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Eine selbstständige Tätigkeit ist vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet (BSGE 13, 196 ff.; 16, 289 ff.). Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale nach dem Gesamtbild überwiegen (vgl. BSGE 45, 199, 200).
Im Falle des Klägers überwiegen die Merkmale, die für eine selbständige Tätigkeit sprechen, wovon auch die Beteiligten übereinstimmend ausgehen. Der Kläger trägt durchaus ein wirtschaftliches Risiko. So trägt er die Kosten für die Bürobeteiligung und der A.-Promotion- und Franchise-fee in Form einer monatlichen Fixgebühr während er eine Vergütung nur bei erfolgreich abgeschlossener Immobilienvermittlung in Gestalt von Provisionsansprüchen erhält. Zudem trägt er das Risiko eines Provisionsausfalls. Er schließt die Makleraufträge im eigenen Namen ab und agiert im Wesentlichen weisungsunabhängig.
Der Kläger beschäftigt im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als selbständiger Immobilienmakler regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer (§ 2 S. 1 Nr. 9 Buchst. a SGB VI).
Nach Überzeugung des Senats erfüllt der Kläger auch die Voraussetzungen des § 2 S. 1 Nr. 9 Buchst. b SGB VI. Er ist auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig, nämlich für die Franchisenehmerin – die A.-R.E. GmbH & Co.KG, die hier (einziger) Auftraggeber des Klägers ist.
Wer als Auftraggeber im Sinne des § 2 Satz 1 Nr. 9 Buchst. b SGB VI anzusehen ist, lässt sich der Vorschrift nicht ohne weiteres entnehmen. Für den Begriff „Auftraggeber“, so das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 04.11.2009, B 12 R 3/08 R, finde sich keine gesetzliche Festlegung für das Rentenversicherungs- oder jedenfalls für das Sozialversicherungsrecht (etwa im Sinne einer Legaldefinition). Es sei auch nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber hierfür an gesetzliche Definitionen in anderen Gesetzen angeknüpft habe. Sei infolgedessen der juristische oder in Ermangelung eines solchen der allgemeine Sprachgebrauch maßgebend, so sei die Bedeutung des Wortes „Auftraggeber“ offen. Allerdings ergäbe sich aus der Gesetzgebungsgeschichte des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI, dass nach den Vorstellungen der an den verschiedenen Gesetzgebungsverfahren Beteiligten auch für Franchise-Verhältnisse ein Regelungsbedarf bestanden habe und Franchisenehmer ausdrücklich in die Rentenversicherungspflicht Selbständiger einbezogen werden sollten. Ihre Einbeziehung sei auch unter teleologischen Gesichtspunkten geboten. Ob überhaupt und inwieweit für Franchisenehmer durch Ausgestaltung ihrer Tätigkeit Optionen bestehen, eine Einbeziehung in die Rentenversicherungspflicht „arbeitnehmerähnlicher“ Selbständiger zu vermeiden, wurde vom BSG in dieser Entscheidung ausdrücklich offen gelassen.
Das Franchise-Vertriebssystem ist dadurch geprägt, dass der Franchisegeber dem Franchisenehmer das Recht und die Pflicht einräumt, gegen direktes oder indirektes Entgelt im eigenen Namen und für eigene Rechnung ein Geschäft entsprechend seinem Organisations-, Geschäfts- und Werbekonzept unter Wahrung der Grundsätze der „Corporate Identity“ zu betreiben. Dabei handelt es sich um ein Dauerschuldverhältnis (vgl. BSG, a.a.O.).
Im vorliegenden Fall ist der Kläger zwar nicht Franchisenehmer, sein Verhältnis als Lizenzmakler zum Lizenzgeber/Franchisenehmer gleicht aber dem sonst üblichen Verhältnis von Franchisenehmer und Franchisegeber. Der Kläger ist wie ein Franchisenehmer in das Franchisekonzept des A.-Systems eingebunden. Er gehört einer vertikal-kooperativ organisierten Vertriebskette an, in der er als selbständiger Ein-Mann-Unternehmer auf der Grundlage des A.-Systems Dienstleistungen (Immobilienvermittlung) vermarktet.
Dabei geht der Senat davon aus, dass die im Lizenznehmervertrag vom 26.04.2006 getroffenen Vereinbarungen nach wie vor weitestgehend die Grundlage für die hier in Rede stehende Tätigkeit des Klägers bilden. Allerdings hat der Zeuge Dr. C. glaubhaft dargelegt, dass die in § 6 des Lizenznehmervertrages geregelte Dienstleistungskommission zu keinem Zeitpunkt praktiziert worden ist. Der Franchisenehmer, im Falle des Klägers also die A.-R.E. GmbH & Co.KG, wickelte die Geschäftsbeziehungen zu Auftraggebern des Lizenznehmers nach außen nicht im eigenen Namen ab. Vielmehr konnte und kann der Kläger als Lizenznehmer im eigenen Namen seinen Kunden die fällige Courtage in Rechnung stellen, wie auch die vorgelegten Rechnungen zeigen.
Im Übrigen konnte sich der Senat aber nicht davon überzeugen, dass der Lizenznehmervertrag in wesentlichen Teilen tatsächlich nicht gelebt wird, wie dies im Laufe des Verfahrens von der Klägerseite vorgetragen worden ist. Für den Senat steht vielmehr außer Zweifel, dass der Kläger – wie schriftlich vereinbart – berechtigt und verpflichtet war (und weiterhin ist), seine Tätigkeit als selbständiger Immobilienmakler entsprechend dem Organisations-, Geschäfts- und Werbekonzept von A. unter Wahrung der Grundsätze der Corporate Identity zu betreiben, wie dies ausdrücklich u.a. in § 1 Ziff. 1.2 des Vertrages (Bindung des Lizenzrechts an das einheitliche Auftreten des A.-Lizenznehmers nach dem markentypischen Erscheinungsbild) und in § 2 Ziff. 2.2 (Verwirklichung des Unternehmenskonzepts, das die Organisation der selbständigen Tätigkeit nach den „bewährten Erfahrungen des A.-Franchisenehmers“ und die Einhaltung der A.-Richtlinien verlangt) festgehalten ist.
Das Organisations- und Geschäftskonzept, von dem der Kläger behauptet, ein solches gäbe es gar nicht, sieht unter anderem die Einrichtung von Gemeinschaftsbüros vor, die vom jeweiligen A.-Franchisenehmer geführt werden. Ein solches Gemeinschaftsbüro existiert unbestritten auch im vorliegenden Fall und dem Kläger steht vertragsgemäß – ebenfalls unbestritten – ein entsprechendes Nutzungsrecht zu, für das er dem Franchisenehmer die vertraglich festgelegte Vergütung zahlt. Ohne Zweifel darf der Kläger für seine Maklertätigkeit nur dieses A.-Gemeinschaftsbüros nutzen, so wie dies in § 1 Ziff. 1.4 des Lizenznehmervertrages geregelt ist. Ihm steht es nicht frei, selbst ein weiteres eigenes Immobilienbüro zu errichten oder zu betreiben oder sich an einem anderen Immobilienbüro beteiligen. Dass er auch von seinem home-office aus arbeiten kann, steht dem nicht entgegen. Entscheidend ist, dass er sichtbar nach außen (z.B. im Falle von Besprechungen mit Kunden) nur im Rahmen des A.- Gemeinschaftsbüros tätig werden darf.
Wie seine Homepage sowie die vorgelegten Rechnungen und Maklerverträge zeigen, hält sich der Kläger an das einheitliche markentypische A.-Erscheinungsbild und nutzt die vertragsgegenständlichen Marken, Logo und Corporate Design, wie dies vertraglich vereinbart ist (u.a. in § 1 Ziff. 1.2; § 3 des Lizenznehmervertrages). Er ist damit Teil des Werbekonzepts von A.. Dass es ihm frei steht, seine eigene Homepage (unter Nutzung des A.-Logos und unter Wahrung der Corporate Identity) zu gestalten, ändert daran nichts. In Anbetracht der gelebten Praxis misst der Senat der Aussage des Zeugen in der mündlichen Verhandlung, dass der Kläger das A.-Logo (theoretisch) nicht nutzen müsse, wenig Bedeutung zu.
Des Weiteren steht für den Senat fest, dass der Kläger seine Ansprüche auf Provisionen und Vergütungen zum Zwecke des Einzugs an den Franchisenehmer abtritt, wie dies in § 6 Ziff. 6.3 vereinbart worden ist. Dies ergibt sich nicht nur aus den vorgelegten Rechnungen, die zur Überweisung der vom Kläger geforderten Provisionen auf ein Konto der A.-R.E. GmbH & Co.KG auffordern, sondern auch aus den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung wie auch aus der Zeugenaussage des Dr. C. Dass der Kläger den Forderungseinzug durch die A.-R.E. GmbH & Co.KG als eine Art Bürodienstleistung der Firma betrachtet, vermag an der vereinbarten und gelebten Abtretung von Provisionsansprüchen nichts zu ändern.
Es bestehen auch keine Zweifel, dass der Kläger laufend die von ihm akquirierten Immobilien-Aufträge in das Intranet (A.-Immobilienbörse) stellt, wie dies in § 5 Ziff. 5.3 des Lizenznehmervertrages vereinbart worden ist. Soweit dies vom Klägerbevollmächtigten im Laufe des Verfahrens bestritten worden ist, ist dieser Vortrag nach Überzeugung des Senats durch die glaubwürdige Zeugenaussage des Dr. C. widerlegt worden. Der Zeuge hat ausdrücklich bestätigt, dass der Kläger nach Abschluss eines Maklervertrages das jeweilige Immobilienobjekt und die dazugehörigen Daten in die EDV von A. einstellt.
Die so gestalteten und gelebten vertraglichen Beziehungen des Klägers zur A.- R.E. GmbH & Co.KG gehen weit über ein reines Dienstleistungsverhältnis hinaus, das dem Kläger lediglich bestimmte Nutzungsrechte und Bürodienstleistungen gegen Entgelt zur Verfügung stellt. Sie beinhalten vielmehr die typischen Merkmale eines Franchise-Vertrages und binden den Kläger auf vielfältige Weise.
Dem Kläger ist es verwehrt, außerhalb des A.-Systems als Immobilienmakler unternehmerisch tätig zu sein (Wettbewerbsklausel). Er darf seine berufliche Tätigkeit ausschließlich im Rahmen des A.-Immobilien-Gemeinschaftsbüros und innerhalb der von A. vorgegebenen Strukturen unter Einhaltung zahlreicher Vorgaben ausüben. Da er seine Provisionsansprüche an die Lizenzgeberin abtritt, zahlen seine Kunden die fällige Courtage für erfolgreich abgeschlossene Vermittlungsaufträge auf ein Konto der A.- R.E. GmbH & Co.KG ein, die einen (nicht unerheblichen) Teil davon einbehält und dann den Rest an ihn weiterleitet, so dass der Kläger seine Vergütung letztlich von der Lizenzgeberin erhält. Dem Kläger obliegen Informations- und Berichtspflichten, die mit entsprechenden Kontrollmöglichkeiten der Lizenznehmerin korrespondieren. Ausdrücklicher Vertragszweck ist die Mitwirkung des Klägers beim weiteren Ausbau der Marktposition aller im A.-Immobilien-Gemeinschaftsbüro tätigen Lizenznehmer und der Erschließung des Marktpotentials durch die gesamte internationale A.-Organisation, so die Vereinbarung in § 1 Ziff. 1.3 des Lizenznehmervertrages.
Die in der Präambel zum A.-Lizenznehmervertrag ausdrücklich angesprochene Systembindung des Klägers an die internationale A.-Organisation bewirkt nicht nur eine dynamische Zusammenarbeit, sondern führt auch zu einer umfassenden rechtlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit des Klägers von der A.- R.E. GmbH & Co.KG. Letztere erweist sich daher als Auftraggeber des Klägers im Sinne von § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI.
Dass es dem Kläger freisteht, nach Beendigung des Vertrages selbst ein Immobilienbüro zu eröffnen, ist selbstverständlich und ändert nichts an seiner Abhängigkeit von der Lizenzgeberin während der Dauer des Vertrages. Auch der Umstand, dass der Kläger von der Lizenzgeberin keine Waren bezieht, sondern Dienstleistungen im Rahmen des unternehmerischen Gesamtkonzepts von A. vertreibt, ist unerheblich. Entscheidend ist, dass es dem Kläger verwehrt ist, seine Maklertätigkeit außerhalb des vertikal-kooperativ organisierten A.-Systems auszuüben.
Der Kläger ist seit Vertragsbeginn auf Dauer und im Wesentlichen für die A.-R.E. GmbH & Co.KG tätig. Die aus seiner Gutachtertätigkeit erzielten Einkünfte, von denen nach den Angaben des Zeugen keine Abzüge zugunsten der Lizenznehmerin vorgenommen werden, machen lediglich etwa 10% seiner Einkünfte aus.
Versicherungsfreiheit wegen Geringfügigkeit gemäß § 5 Abs. 2 SGB VI liegt nicht vor. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Versicherungspflicht aufgrund anderer besonderer Befreiungstatbestände ausgeschlossen sein könnte.
Anhaltspunkte dafür, dass die Beitragsberechnung fehlerhaft ist, sind nicht ersichtlich. Vom Kläger wurden hiergegen auch keine Einwendungen erhoben.
Der Berufung der Beklagten war daher stattzugeben und das Urteil des Sozialgerichts Regensburg aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG)