Strafrecht

Anforderungen an Ausnahme von der Regelvermutung waffenrechtlicher Unzuverlässigkeit

Aktenzeichen  21 CS 17.196

Datum:
28.6.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ZInsO – 2017, 1727
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WaffG WaffG § 5 Abs. 2 Nr. 1 lit. a, § 45 Abs. 2 S. 1, Abs. 5, § 46 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1
InsO InsO § 15a Abs. 1 S. 1, Abs. 4

 

Leitsatz

1 Bei der gerichtlichen Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer waffenrechtlichen Erlaubnis wegen Unzuverlässigkeit gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG ist auch bei einer lange zurückliegenden Straftat nicht auf den Zeitpunkt der berufungsgerichtlichen Verhandlung abzustellen, sondern auf den Zeitpnkt der letzten Behördenentscheidung (ebenso BVerwG BeckRS 1992, 31227525). (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die gesetzliche Vermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit iSd § 5 Abs. 2 WaffG kann als widerlegt anzusehen sein, wenn zwar die Fünfjahresfrist seit der Rechtskraft der strafrechtlichen Verurteilung noch nicht verstrichen ist, der Zeitpunkt der Straftat aber sehr lange zurückliegt und sich der Betroffene seitdem straffrei geführt hat. Von einer lange zurückliegenden Straftat, bei der ein Abweichen von der Regelvermutung gerechtfertigt erscheint, ist erst ab mindestens zehn Jahren auszugehen (ebenso BVerwG BeckRS 9998, 27492).  (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Regelvermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit aufgrund einer Verurteilung gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 lit. a WaffG knüpft nicht an bestimmte Delikte an, sondern an das Vorliegen einer Vorsatztat und an die Art und Höhe der verhängten Sanktion. Eine Differenzierung nach Handlungs- und Unterlassungsdelikt wird nicht vorgenommen, weshalb auch die entsprechend sanktionierte vorsätzliche Insolvenzverschleppung (§ 15a Abs. 1 S. 1, Abs. 4 InsO) die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit begründet. (redaktioneller Leitsatz)
4 Die im öffentlichen Interesse durch Gesetz angeordnete sofortige Vollziehung einer Widerrufsentscheidung bei waffenrechtlicher Unzuverlässigkeit (§ 45 Abs. 5 iVm § 45 Abs. 2 S. 1 WaffG) entfällt nicht deshalb, weil die Behörde durch zeitliche Komprimierung des Verwaltungsverfahrens ihre Entscheidungen möglicherweise zu einem früheren Zeitpunkt hätte treffen können. (Rn. 13 – 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 1 S 16.840 2017-01-04 Bes VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.875,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen den Widerruf seiner Waffenbesitzkarten und der dazu ergangenen Nebenentscheidungen.
1. Mit seit 11. September 2013 rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts Hof wurde gegen den Antragsteller wegen vorsätzlich verspäteter Insolvenzantragstellung (§ 15a Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 InsO) eine Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen verhängt. Ihm wurde zur Last gelegt, es als Vertretungsorgan einer juristischen Person (Geschäftsführer der Dipl.Ing. … … GmbH) vorsätzlich unterlassen zu haben, unverzüglich, spätestens aber binnen drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft (18. August 2011), den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft gestellt zu haben. Nachdem das Landratsamt Bayreuth davon (Auskunft aus dem Bundeszentralregister vom 21.12.2015) Kenntnis erhielt, widerrief es nach Durchführung des Anhörungsverfahrens mit Bescheid vom 25. Oktober 2016 die dem Antragsteller erteilten Waffenbesitzkarten, in die insgesamt vier Lang- und sechs Kurzwaffen eingetragen sind (Nr. I). Gleichzeitig gab es dem Antragsteller auf, innerhalb von vier Wochen nach Zustellung des Bescheids die Waffenbesitzkarten an das Landratsamt zurückzugeben (Nr. II.1), die eingetragenen Schusswaffen dauerhaft unbrauchbar zu machen oder einem Berechtigten zu überlassen (Nr. II.2) und dies dem Landratsamt nachzuweisen (Nr. II.3), sowie im Falle des Überlassens an einen Berechtigten Namen und Anschrift des Erwerbers bekannt zu geben Nr. II.4). Für die in Nr. II des Bescheids getroffenen Anordnungen wurden die sofortige Vollziehung angeordnet (Nr. III.) und Zwangsgelder angedroht (Nr. IV).
2. Der Antragsteller hat gegen den waffenrechtlichen Bescheid am 28. November 2016 Klage erhoben und vorläufigen Rechtsschutz beantragt. Das Verwaltungsgericht Bayreuth hat den Eilantrag mit Beschluss vom 4. Januar 2017 (B 1 S. 16.840) abgelehnt. Dagegen richtet sich die Beschwerde.
II.
1. Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die im Beschwerdeverfahren fristgerecht dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat im Grundsatz beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen es nicht, die angefochtene Entscheidung abzuändern oder aufzuheben.
1.1 Der Antragsteller begründet seine Beschwerde im Wesentlichen damit, dass das Verwaltungsgericht zwar zunächst zutreffend wegen des rechtskräftigen Strafbefehls, mit dem der Antragsteller wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt wurde, vom Vorliegen der Voraussetzungen der waffenrechtlichen Regelunzuverlässigkeit gem. § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG ausgegangen sei, jedoch verkannt habe, dass im Fall des Antragstellers die Regelvermutung aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles widerlegt sei.
Das Beschwerdevorbringen misst für die Widerlegung der Regelvermutung dem Umstand entscheidendes Gewicht bei, dass zwar seit Rechtskrafteintritt des Strafbefehls am 11. September 2013 bis zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses am 25. Oktober 2016 fünf Jahre noch nicht verstrichen gewesen seien (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG), der strafrechtliche Unrechtsgehalt der abgeurteilten Tat aber bereits im August 2011 nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der GmbH begründet worden war und insoweit bis zum Zeitpunkt des Bescheidserlassens bereits über fünf Jahre zurückgelegen hätten.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 24.4.1990 – 1 C 56/89 – juris) – erscheint es rechtlich nicht von vornherein als ausgeschlossen, die gesetzliche Vermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit im Sinne des § 5 Abs. 2 WaffG als widerlegt anzusehen, wenn zwar die Fünfjahresfrist seit Rechtskraft der strafrechtlichen Verurteilung noch nicht verstrichen ist, der Zeitpunkt der Begehung der Straftat aber sehr lange, d.h. mindestens zehn Jahre, zurückliegt und der Betroffene sich bisher straffrei geführt hat. Hier liegt die abgeurteilte Tat etwa fünf Jahre und zwei Monate vor dem Zeitpunkt des Bescheidserlasses, so dass von einer „lange zurückliegenden Straftat“, bei der ein Abweichen von der Regelvermutung erwogen werden könnte, nicht ausgegangen werden kann.
Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist bei der gerichtlichen Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer waffenrechtlichen Erlaubnis wegen Unzuverlässigkeit gem. § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG auch bei einer lange zurückliegenden Straftat des Betroffenen nicht auf den Zeitpunkt der berufungsgerichtlichen Verhandlung abzustellen, sondern auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (BVerwG, B.v. 24.6.1992 – 1 B 105/92 – juris).
Auch der Einwand des Antragstellers, aus der Art des begangenen Delikts als Unterlassungsdelikt könne vorliegend ein Ausnahmefall von der Regelvermutung begründet werden, führt nicht weiter. Die in der Beschwerdebegründung vorgenommene Bewertung der begangenen Straftat, dass das Unterlassungsdelikt der Insolvenzverschleppung „mehr durch die Vernachlässigung der Sorgfaltspflichten als Geschäftsführer zur rechtzeitigen Stellung eines Insolvenzantrags als durch bewusstes zielgerichtetes Handeln gekennzeichnet sei“, trifft ebenso wenig zu wie die Aussage, dass von einer erheblichen kriminellen Energie bei diesem Delikt regelmäßig nicht ausgegangen werden könne.
Die Regelvermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit aufgrund Verurteilung gem. § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG knüpft nicht an bestimmte Delikte an, sondern an das Vorliegen einer Vorsatztat und an die Art und Höhe der rechtkräftig verhängten Sanktion. Eine Differenzierung nach Handlungs- und Unterlassungsdelikt wird nicht vorgenommen. Für die Bewertung als Vorsatztat ist die strafrichterliche Würdigung im Strafbefehl maßgeblich. Das auf der Rechtsfolgenseite gesetzlich vorgesehene Mindestmaß von 60 Tagessätzen trägt der Tatsache im Falle der Erstverurteilung Rechnung, dass in der Praxis der Gerichte 60 Tagessätze durchaus ein erhebliches Unwerturteil bei einer Geldstrafe darstellen, das einiges Gewicht der konkreten Tat voraussetzt, so dass Bagatell-Taten nicht erfasst werden (BT-Drs. 14/7758, S. 54). Vorliegend liegen die verhängten 90 Tagessätze erheblich über dem Mindestmaß von 60 Tagessätzen.
Bei dem Straftatbestand der Insolvenzverschleppung handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt (vgl. Steffek in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, Stand April 2017, Rn. 79). Nach den im Strafbefehl getroffenen Feststellungen hat der Antragsteller den Straftatbestand durch vorsätzliches Verhalten (§ 15a Abs. 4 InsO) verwirklicht. Als abstraktes (Vermögens)-Gefährdungsdelikt bedarf es zur Tatbestandsverwirklichung keiner Vermögensgefährdung oder gar eines Vermögensschadens (Hirte in: Uhlenbrock, InsO, 14. Aufl. 2015, § 15a Rn. 64).
Soweit sich das Beschwerdevorbringen darüber hinaus darauf beruft, dass die vom Antragsteller als Geschäftsführer geführte insolvenzreife Gesellschaft nicht wegen einer aktiven werbenden Tätigkeit in Vermögensverfall geraten sei, sondern „lediglich wegen nicht fristgerechter Veröffentlichung von Bilanzen vom Bundesamt der Justiz verhängte Ordnungsgelder nicht habe zahlen können“ und ihm damit nur anzulasten gewesen wäre, dass er die Gesellschaft nicht liquidiert habe, um somit den Veröffentlichungspflichten der Bilanzen zu entgehen, ist dieser Vortrag nicht geeignet, die an die Verurteilung anknüpfende Regelvermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit zu entkräften. Die Behörde darf grundsätzlich von der Richtigkeit der Verurteilung ausgehen und sich auf die Prüfung beschränken, ob das die Verurteilung begründende Verhalten im Zusammenhang mit den sonstigen Umständen die Annahme waffenrechtlicher Unzuverlässigkeit rechtfertigt oder ob die Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Satz 1 WaffG aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise ausgeräumt sind (BVerwG, B.v. 22.4.1992 – 1 B 61/92 – juris). Besondere Umstände, die die Annahme der Regelunzuverlässigkeit entkräften liegen hier – summarisch geprüft – nicht vor.
1.2 Der Antragsteller beruft sich erfolglos darauf, dass die Ausgangsbehörde durch ihr „zögerliches Verhalten“ die „Dringlichkeit“ der Maßnahmen selbst widerlegt habe, so dass dem öffentlichen Interesse im Rahmen der Interessenabwägung bei der Entscheidung über die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage nicht der Vorrang einzuräumen sei.
Nach § 45 Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 WaffG entfällt im öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug einer Widerrufsentscheidung bei waffenrechtlicher Unzuverlässigkeit die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage. Diese Regelung begründet der Gesetzgeber mit der hervorgehobenen Bedeutung dieser Fallgruppen für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die eine sofortige Beendigung des Waffenbesitzes erfordere (Heller/Soschinka, Waffenrecht, 3. Aufl. 2013, Rn. 994; BT-Drs. 16/7717 S.77, 95). In Fällen der gesetzlichen Sofortvollzugsanordnung hat der Gesetzgeber einen grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses angeordnet und es bedarf deshalb besonderer Umstände, um eine hiervon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen (BVerfG, B.v. 10.10.2003 – BvR 2025/03 – juris). Das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug aus Gründen der Gefahrenabwehr besteht regelmäßig auch für die nicht vom gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug erfassten mit der Widerrufsentscheidung verbundenen notwendigen Anordnungen, wie das Unbrauchbarmachen der Waffen oder deren Überlassung an einen Berechtigten sowie die Rückgabe der Waffenbesitzkarten (§ 46 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 WaffG). Diese Folgeentscheidungen dienen der Umsetzung des Widerrufs der waffenrechtlichen Erlaubnisse und stellen die tatsächliche Umsetzung des Entzugs der formellen Erlaubnisberechtigung durch sofortige Abgabe von Waffen und Erlaubnisurkunden sicher (Lehmann, Aktuelles Waffenrecht, Stand April 2017, § 46 Rn. 19).
Abgesehen davon, dass die konkrete Verfahrensdauer seit Kenntniserlangung der Behörde von der strafrechtlichen Verurteilung des Antragstellers bis zum Bescheidserlass vorliegend gemessen an den Umständen als angemessen erscheint, widerspräche es sicherheitsrechtlichen Grundsätzen, die Beseitigung einer Gefahr deshalb nicht als besonders dringlich anzusehen, weil die Behörde durch zeitliche Komprimierung des Verwaltungsverfahrens möglicherweise zu einem früheren Zeitpunkt den Widerrufsbescheid einschließlich der Folgeentscheidungen hätte treffen können. Besondere Umstände, die eine Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers rechtfertigen könnten, hat die Beschwerde nicht dargelegt.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
3. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG in Anlehnung an die Nrn. 50.2 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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