Strafrecht

Angebot einer Einzeltherapiemaßnahme durch Justizvollzugsanstalt

Aktenzeichen  1 Ws 6/16

Datum:
22.2.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
LSK – 2016, 09468
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StVollzG § 119a Abs. 1, Abs. 3 Satz 1
StGB § 66c Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3, Abs. 2,§ 67c Abs. 1S. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

1. Der Prüfungszeitraum nach § 119a Abs. 3 Satz 1 StVollzG umfasst grundsätzlich 2 Jahre und wird nicht bis zur abschließenden Entscheidung erster Instanz verlängert. Bei der Überprüfung wird nämlich eine rückblickende Gesamtbetrachtung vorgenommen und keine zukunftsorientierte Prognose getroffen. (amtlicher Leitsatz)
2. Im Rahmen des Überprüfungsverfahrens nach § 119a Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 StVollzG finden vollzugsöffnende Maßnahmen im Sinne von § 66c Abs. 1 Nr. 3 StGB keine Berücksichtigung. (amtlicher Leitsatz)
3 Um die im Überprüfungszeitraum von der Justizvollzugsanstalt dem Verurteilten angebotenen Maßnahmen überprüfen zu können, ist es im System der rückblickenden Gesamtbetrachtung geboten, die gesamte Zeit seit dem Ablauf des vorangegangenen Überprüfungszeitraums mit in die Bewertung einzubeziehen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

SR StVK 181/13 2015-12-01 Bes LGREGENSBURG LG Regensburg

Gründe

Oberlandesgericht Nürnberg
1 Ws 6/16
Beschluss
vom 22.02.2016
9 Ws 786/15 Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg
SR StVK 181/13 Landgericht Regensburg
128 VRs 11066/05 Staatsanwaltschaft München I
1. Strafsenat
LEITSATZ
In dem Strafvollstreckungsverfahren
gegen
D. W. M. (geb. D.),
geboren am … in D., Staatsangehörigkeit: d., derzeit in der Justizvollzugsanstalt S. …
berichtigt gemäß
Beschluss
vom 16.3.16
Justizvollzugsanstalt S., Einrichtung für Sicherungsverwahrte, …
Verteidiger: Rechtsanwalt S.
wegen versuchten Mordes;
hier: Beschwerde des Verurteilten,
erlässt das Oberlandesgericht Nürnberg – 1. Strafsenat – durch die unterzeichnenden Richter am 22.02.2016 folgenden Beschluss
1. Auf die Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der auswärtigen großen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 01.12.2015 unter Ziffer 1 aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass die Justizvollzugsanstalt S. dem Verurteilten im Zeitraum vom 01.06.2013 bis zum 31.05.2015 keine Betreuung angeboten hat, die § 66c Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 StGB entspricht.
3. Es wird festgestellt, dass eine externe Einzeltherapie bei der Dipl.-Psych. I. H. in Kombination mit Gruppenangeboten der Justizvollzugsanstalt S. (R&R-Programm, Soziales Kompetenztraining), so wie sie derzeit durchgeführt wird und im Vollzugsplan vom 10.09.2015 unter Ziffer 1 fortgeschrieben ist, den vorgenannten gesetzlichen Anforderungen entspricht.
4. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet verworfen.
5. Die Kosten und notwendigen Auslagen des Verurteilten betreffend das Verfahren erster Instanz fallen der Staatskasse zur Last. Die Gebühren betreffend das Beschwerdeverfahren werden um die Hälfte ermäßigt. Die dem Verurteilten im Beschwerdeverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen tragen der Verurteilte und die Staatskasse je zur Hälfte.
6. Der Gegenstandswert wird auf 2.000 € festgesetzt.
Gründe:
I. Hinsichtlich des Verfahrensganges nimmt der Senat zunächst Bezug auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung.
Mit Beschluss vom 01.12.2015 hat die auswärtige große Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing festgestellt, dass die Justizvollzugsanstalt S. dem Verurteilten im zurückliegenden Zeitraum eine Behandlung angeboten hat, welche den gesetzlichen Voraussetzungen des § 66c Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 StGB entspricht.
Gegen diesen dem Verteidiger des Verurteilten am 11.12.2015 zugestellten Beschluss hat der Verteidiger des Verurteilten mit Schreiben vom 18.12.2015, eingegangen bei Gericht am 21.12.2015, Beschwerde eingelegt und mit Schreiben vom 18.01.2016 näher begründet.
Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg hat mit Schreiben vom 07.01.2016 Stellung genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den vorgenannten Beschluss und den Inhalt der vorgenannten Schreiben verwiesen.
II. Die gemäß § 119a Abs. 5 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat teilweise Erfolg. Sie ist begründet, soweit festzustellen ist, dass dem Verurteilten im zurückliegenden Zeitraum keine ausreichenden Therapiemaßnahmen angeboten worden sind, jedoch unbegründet, soweit sich diese Feststellung auch auf dem Verurteilten nicht oder nur in unzureichendem Maße gewährte vollzugsöffnende Maßnahmen beziehen soll.
Die Strafvollstreckungskammer hat die für die Senatsentscheidung erforderlichen Tatsachen ausreichend festgestellt. Diese Tatsachengrundlage bedarf jedoch wie die rechtliche Würdigung der Strafvollstreckungskammer in den drei folgenden Punkten einer abweichenden Beurteilung bzw. Ergänzung:
1. Ohne dass es für die vorliegende Entscheidung im Ergebnis von Bedeutung ist, ist eine Klarstellung bezüglich des Prüfungszeitraumes veranlasst. Prüfungszeitraum ist der Zeitraum vom 01.06.2013, wie von allen Beteiligten zutreffend zugrunde gelegt, (lediglich) bis zum 31.05.2015.
Nach § 119a Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 StVollzG sollen nämlich Feststellungen zu einem zurückliegenden Zeitraum getroffen werden, der zwei Jahre umfasst. Das OLG Hamm bezeichnet diesen Zeitraum (wenngleich bei anderer Fallgestaltung) als „grundsätzlich zwingend“ (OLG Hamm, Beschluss vom 25.08.2015, Az. 1 Vollz (Ws) 175/15, und Beschluss vom 01.12.2015, Az. 1 Vollz (Ws) 254/15). Würde man diesen Zeitraum verlängern bis zur formalen Einleitung des Prüfungsverfahrens am 27.08.2015 (so die Strafvollstreckungskammer) oder gar bis zur abschließenden Entscheidung erster Instanz am 01.12.2015 (so der Verteidiger des Verurteilten), wäre die Strafvollstreckungskammer bis zuletzt verpflichtet, den aktuellen Sachstand zu ermitteln. Dafür besteht jedoch keinerlei Bedürfnis.
Das feststellende und damit notwendigerweise rückblickende Verfahren nach § 119a Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 StVollzG dient der abschichtenden Klärung von bestimmten Fragestellungen, die im späteren Verfahren nach § 67c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB relevant werden. Es wird ein in der Vergangenheit abgeschlossener Zeitraum beurteilt und keine in die Zukunft gerichtete Prognose getroffen, die auch neuere Entwicklungen berücksichtigen und deshalb auf einer ausreichend aktuellen Tatsachenplattform beruhen muss. Wenn die Verteidigung eine Parallele zum Verwaltungsgerichtsverfahren zieht, so besteht diese nicht zur Verpflichtungsklage, die zukünftiges hoheitliches Handeln erzwingen will, sondern eher zur Anfechtungsklage. In diesem Rahmen ist aber richtigerweise nicht auf den Entscheidungszeitpunkt des Gerichts abzustellen (zum unübersichtlichen Meinungsstand Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. § 113 Rn. 29 ff.).
Eine Lücke in der Überprüfung des Strafvollzugs tritt nicht ein. Der nächste formale Zwei-Jahres-Überprüfungszeitraum läuft zwar erst ab Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses (§ 119a Abs. 3 S. 3 StVollzG). Um die im nächsten Überprüfungszeitraum von der Justizvollzugsanstalt S. dem Verurteilten angebotenen Maßnahmen überprüfen zu können, ist es im Rahmen des hier angewendeten Systems der rückblickenden Gesamtbetrachtung jedoch geboten, die Zeit seit dem Ablauf des vorangegangenen Überprüfungszeitraumes mit in die Bewertung einzubeziehen. Auf diese Weise können und werden die Erforderlichkeit und Geeignetheit der aktuellen Maßnahmen im Rahmen einer kontinuierlichen, an den letzten Überprüfungszeitraum anschließenden Betrachtungsweise auf vollständiger Tatsachengrundlage fußend, zutreffend beurteilt werden.
2. Die Beschwerde ist begründet, soweit die Strafvollstreckungskammer davon ausgegangen ist, dass dem Verurteilten ausreichende Therapiemaßnahmen angeboten worden sind. Nach den von der Strafvollstreckungskammer ausführlich und umfassend festgestellten Tatsachen lag nämlich bei deren richtiger Bewertung zunächst kein §§ 119a Abs. 1 Nr. 1 StVollzG, 66c Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 StGB entsprechendes Therapieangebot vor.
a) Seit Anfang 2015 wird dem Verurteilten nach der übereinstimmenden Auffassung aller Beteiligter eine nach dem Gesetz ausreichende Betreuung angeboten, nämlich eine psychotherapeutische Einzeltherapie bei einer externen Psychologin in Kombination mit entsprechenden Gruppenangeboten der Justizvollzugsanstalt S. (R&R-Programm, Soziales Kompetenztraining). Der Vollzugsplan vom 10.09.2015 wurde insoweit unter Ziffer 1 fortgeschrieben. Dies geht auf die Empfehlung des Sachverständigen Prof. Dr. K., in seinem Gutachten vom 21.07.2014 zurück, der zunächst eine Einzeltherapie, möglichst durch einen externen Therapeuten, empfohlen hatte, um in dieser die Motivation des Verurteilten zu fördern und dessen erforderliche Vorbereitung auch für gruppentherapeutische Maßnahmen bzw. die Verlegung in eine sozialtherapeutische Abteilung zu schaffen. Dem schließt sich der Senat an (§ 119a Abs. 1 Nr. 2 StVollzG).
b) Ausweislich der vorliegenden Vollzugspläne hatte der Verurteilte seine Bereitschaft zur Teilnahme an einer Einzeltherapie jedoch schon immer vorbehaltlos erklärt (wobei Zweifel, ob er dazu auch intrinsisch motiviert ist, jedenfalls zu Beginn der Einzeltherapie nicht zu seinen Lasten gehen dürfen, da gerade dies auch Gegenstand der Therapie ist), lediglich seine Haltung zu gruppentherapeutischen Maßnahmen war ablehnend. Deshalb hatte er seine frühere Teilnahme an Gruppenmaßnahmen (R&R-Training; BPRG-Maßnahme (WiF)) wieder abgebrochen. Gegenüber dem Sachverständigen hat der Verurteilte dazu nachvollziehbar vorgetragen, dass er sich in einer Gruppe nicht wohl fühle, da er Panik bekomme, wenn er in der Mitte sitzen müsse und ihn Kameras aufnähmen. Trotzdem hat die Justizvollzugsanstalt S. dem Verurteilten keine (isolierte) Einzeltherapie – gleich ob intern oder extern – angeboten, da eine solche keinesfalls einen Ersatz für die indizierte Sozialtherapie darstelle, sondern allenfalls vorbereitenden Charakter hätte, und auf der Teilnahme an gruppentherapeutischen Maßnahmen mit lediglich begleitenden individuellen einzelpsychotherapeutischen Sitzungen bestanden. Stattdessen wäre frühzeitig ein Angebot einer (isolierten) Einzeltherapie angezeigt gewesen, in der die für sich anschließende gruppentherapeutische Maßnahmen erforderliche Motivation nicht nur gestärkt, sondern gegebenenfalls erst geweckt werden kann. Die Strafvollstreckungskammer unterliegt einem Zirkelschluss, wenn sie bereits vor der die Motivation des Verurteilten wecken und fördern sollenden Einzeltherapie fordert, dass ein Mindestmaß an Bereitschaft zur Absolvierung einer sich erst anschließenden Gruppentherapie vorhanden sein müsse, und deshalb eine Einzeltherapie für von vorneherein klar aussichtslos und ins Leere gehend hält.
Es ist schließlich nicht entscheidend, dass der Verurteilte zunächst keinen Antrag für eine (externe) Einzeltherapie gestellt hatte. Das entsprechende Angebot hat nämlich die Justizvollzugsanstalt S. von sich aus dem Verurteilten zu unterbreiten und darf ein solches nicht von einem von diesem zu stellenden Antrag abhängig machen, auf dessen Verbescheidung der Verurteilte dann ohnehin keinen unmittelbaren Einfluss mehr hat. Die Justizvollzugsanstalt S. ist verpflichtet, im Sinne eines freiheitsorientierten Gesamtkonzepts der Sicherungsverwahrung mit klarer therapeutischer Ausrichtung, wenn standardisierte Therapiemethoden sich als nicht erfolgversprechend erweisen, ein individuell zugeschnittenes Therapieangebot zu entwickeln. Spätestens mit Schreiben seines Verteidigers vom 05.02.2014 hat der Verurteilte dann auch einen entsprechenden Antrag gestellt, so dass für die Justizvollzugsanstalt S. jetzt noch deutlicher ausreichend Anlass bestanden hätte, dem Verurteilten eine psychotherapeutische Einzeltherapie ohne Verknüpfung mit zugleich zu absolvierenden gruppentherapeutischen Maßnahmen anzubieten.
3. Die Beschwerde ist dagegen unbegründet, soweit sich die Feststellung eines im vergangenen Zeitraum unzureichenden Therapieangebots auch auf dem Verurteilten nicht oder nur in unzureichendem Maße gewährte vollzugsöffnende Maßnahmen beziehen soll.
Anders als vom Verurteilten beantragt können nämlich im Rahmen des Überprüfungsverfahrens nach § 119a Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 StVollzG vollzugsöffnende Maßnahmen keine Berücksichtigung finden. § 119a Abs. 1 StVollzG verweist ausdrücklich nur auf § 66c Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 StGB, nicht jedoch auf § 66c Abs. 1 Nr. 3 StGB, der dort unter a) vollzugsöffnende Maßnahmen und Entlassungsvorbereitungen regelt (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 23.10.2013, Az. 1 Ws 421/13, für die gleichlautende Verweisung in § 67d Abs. 2 Satz 2 StGB).
Die Frage der Gewährung von Vollzugslockerungen kann entweder Gegenstand eines Antrags nach § 109 StVollzG sein oder bei der Prüfung der (allgemeinen) Verhältnismäßigkeit bei Anordnung (§ 67c StGB) bzw. Fortdauer der Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§ 67d StGB) eine Rolle spielen.
III. 1. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht bezüglich des erstinstanzlichen Verfahrens auf § 121 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 StVollzG, bezüglich des Beschwerdeverfahrens auf §§ 121 Abs. 1 und 4 StVollzG, 473 Abs. 4 Satz 1 StPO.
2. Die Festsetzung des Gegenstandswertes in Höhe von 2.000,00 € erfolgt gemäß §§ 65, 60, 52 GKG.

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