Aktenzeichen W 6 K 19.872
FeV § 46 Abs. 1
FeV § 11 Abs. 8
FeV § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 5
FeV § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 7
StVG § 4 Abs. 1 S. 3
StVG § 29
Leitsatz
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Gründe
Die Klage, über die aufgrund Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist teilweise unzulässig. Soweit sie zulässig ist, ist sie unbegründet.
1. Die Klage ist unzulässig, soweit sie sich gegen die in Nr. 4 des Bescheids vom 8. Januar 2019 verfügte Zwangsgeldandrohung richtet. Insoweit fehlt es am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. Der Kläger gab seinen Führerschein auf die sofort vollziehbare Rückgabeanordnung (Nr. 2 des Bescheids vom 8.1.2019) hin rechtzeitig beim Landratsamt ab. Das ihm angedrohte Zwangsgeld kann somit nicht mehr fällig werden; die Zwangsgeldandrohung ist damit gegenstandslos (vgl. BayVGH, U.v. 18.6.2019 – 11 BV 18.778 – BeckRS 2019, 43002 Rn. 18).
Im Übrigen ist die Klage als Anfechtungsklage zulässig. Die Regierung von Unterfranken erließ den vom Kläger zunächst im Wege der sog. Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO) begehrten Widerspruchsbescheid am 14. August 2019. Daraufhin erklärte der Klägerbevollmächtigte, dass die Klage als Anfechtungsklage weitergeführt werden soll. Wurde – wie vorliegend – zunächst eine Untätigkeitsklage zulässig erhoben, d.h. insbesondere nach Ablauf der Frist des § 75 Satz 2 VwGO, und wurde daraufhin der Behörde vom Gericht keine Frist nach § 75 Satz 3 VwGO gesetzt und das Verfahren nicht ausgesetzt, kann der Kläger bei einer für ihn nach Klageerhebung ergehenden negativen Entscheidung der Widerspruchsbehörde die Untätigkeitsklage als Anfechtungsklage aufrechterhalten und fortführen, und zwar unter Einbeziehung des ergangenen Verwaltungsakts sowie des Widerspruchsbescheids (Brenner in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 75 Rn. 71 f.; Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 75 Rn. 21).
2. Soweit die Klage zulässig ist, ist sie unbegründet, da der Bescheid vom 8. Januar 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. August 2019 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Zur Begründung der Entscheidung und zur Vermeidung von Wiederholungen verweist das Gericht auf die Ausführungen im Bescheid des Landratsamts Würzburg vom 8. Januar 2019 sowie auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid der Regierung von Unterfranken vom 14. August 2019, denen es folgt (§ 117 Abs. 5 VwGO). Ergänzend ist noch Folgendes anzuführen.
2.1 Die in Nr. 1 des Bescheids vom 8. Januar 2019 verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis erfolgte rechtmäßig.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Das ist insbesondere der Fall, wenn erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FeV). Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung des Fahrerlaubnisinhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen begründen, finden gemäß § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung. Die Fahrerlaubnisbehörde hat damit die Möglichkeit, zur Aufklärung der Fahreignung eines Fahrerlaubnisinhabers die Beibringung eines medizinischen oder medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen.
Nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn er sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder wenn er das von ihr zuvor geforderte medizinische oder medizinisch-psychologische Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Der Schluss aus der Nichtvorlage eines angeforderten Fahreignungsgutachtens auf die fehlende Fahreignung ist gerechtfertigt, wenn die Gutachtensanordnung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – NJW 2017, 1765 Rn. 19 m.w.N.) und für die Nichtbeibringung des angeforderten Gutachtens kein ausreichender Grund besteht. Bei feststehender Ungeeignetheit ist die Entziehung der Fahrerlaubnis zwingend, ohne dass der Fahrerlaubnisbehörde ein Ermessensspielraum zukäme. Dies gilt auch bei der Nichtvorlage eines zu Recht geforderten Fahreignungsgutachtens.
Die vorstehend aufgeführten Voraussetzungen des § 11 Abs. 8 FeV für den Schluss auf die Nichteignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen sind hier gegeben, da der Kläger das geforderte medizinisch-psychologische Gutachten ohne ausreichenden Grund nicht bis Ablauf der ihm gesetzten Frist beigebracht hat, obwohl die Gutachtensanforderung vom 24. September 2019 formell wie materiell rechtmäßig ist. Dazu im Einzelnen:
2.1.1
Die Anordnungsbefugnisse in § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 – 7 FeV erfassen Fälle, bei denen eine Fahrerlaubnis nicht bereits durch ein Strafgericht entzogen wurde und ermöglichen die verwaltungsrechtliche Überprüfung der Fahreignung bei Straftaten, die einen Bezug zur Fahreignung haben können (Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 11 Rn. 35).
Der Beklagte ging rechtsfehlerfrei davon aus, dass zur Anordnung der Beibringung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung vorliegend sowohl die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV als auch die des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 FeV vorlagen.
2.1.1.1
Die Variante des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV ermöglicht eine Gutachtensanordnung bei einer erheblichen Straftat, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht (Alt. 1), oder bei (mindestens zwei) Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen (Alt. 2).
Wie die Regierung von Unterfranken in ihrem Widerspruchsbescheid zutreffend ausführt, lagen der Gutachtensanordnung vom 24. September 2018 in diesem Sinne sowohl eine erhebliche Straftat als auch mehrere Straftaten zugrunde, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen. Der Begriff „erheblich“ ist nach der Begründung der Änderungsverordnung zur Fahrerlaubnis-Verordnung vom 18. Juli 2008 (BGBl. I 1338, BR-Drs. 302/08 S. 61) nicht ohne weiteres mit „schwerwiegend“ gleichzusetzen, sondern bezieht sich auf die Kraftfahreignung (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2017, § 2 StVG Rn. 67). Entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten ist daher nicht auf die Tagessatzhöhe einer verhängten Strafe abzustellen. Es muss vielmehr anhand der Tatumstände festgestellt werden, ob die der Verurteilung zugrundeliegende Tat Rückschlüsse auf die Kraftfahreignung zulässt. Dafür kann es genügen, dass der Täter im Zusammenhang mit der Tat naheliegend mit einer Situation gerechnet hat oder rechnen musste, in der es zu einer Gefährdung oder Beeinträchtigung des Verkehrs kommen konnte (BayVGH, B.v. 5.7.2012 – 11 C 12.874 – SVR 2012, 474, 477).
Sowohl das vom Kläger am 28. April 2012 begangene Delikt (bestraft als vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit Nötigung in Tateinheit mit Beleidigung) als auch die Tat vom 1. Dezember 2016 (bestraft als Nötigung) stellen hiernach bereits für sich genommen erhebliche Straftaten dar. Das strafrechtlich geahndete Verkehrsverhalten des Klägers hat in beiden Fällen zu gefährlichen Situationen im fließenden Straßenverkehr geführt, was der Kläger bei seinem rücksichtslosen Verhalten offenbar in Kauf genommen hat. Unfälle konnten in beiden Fällen ausweislich des Strafbefehls des Amtsgerichts Würzburg vom 6. August 2012 bzw. des Urteils des Amtsgericht Würzburg vom 28. November 2017 nur durch rasches Reagieren der Geschädigten verhindert werden. Die Taten ließen daher ohne Zweifel Rückschlüsse auf die Kraftfahreignung des Klägers zu und waren deshalb erheblich im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 1 FeV. Sie standen auch im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr, da sie anlässlich der Teilnahme am Straßenverkehr begangen wurden. Mithin liegen auch wiederholte (mindestens zwei) Straftaten im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 2 FeV vor, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen.
Entgegen dem Einwand des Klägerbevollmächtigten war das vom Kläger am 28. April 2012 begangene Verkehrsdelikt zum maßgeblichen Zeitpunkt der Gutachtensanordnung noch verwertbar, da die einschlägige Tilgungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Das maßgebliche Register für die Frage der Verwertbarkeit der als Straftat geahndeten Fahrt ist hier das Fahreignungsregister, da § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 des Bundeszentralregistergesetzes (BZRG) für Verfahren, die eine Entziehung der Fahrerlaubnis zum Gegenstand haben, vorrangig auf die §§ 28 bis 30b StVG verweist. Nach § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG dürfen im Fahreignungsregister eingetragene Taten und die zugrundeliegende Entscheidung dem Betroffenen für die Zwecke des § 28 Abs. 2 StVG, darunter die Entziehung der Fahrerlaubnis, nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden, wenn eine Eintragung im Fahreignungsregister gelöscht ist. Im Umkehrschluss ergibt sich daraus, dass eine Verwertung für diesen Zweck bis zur Löschung der Eintragung zulässig ist.
Der Kläger wurde aufgrund des Vorfalls vom 28. April 2012 mit Strafbefehl des Amtsgerichts Würzburg vom 6. August 2012, rechtskräftig seit 21. Dezember 2012, unter anderem wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs verurteilt und ihm wurde die Fahrerlaubnis entzogen. Zwar sind die hierfür verhängten Punkte im Fahreignungs-Bewertungssystem nach der späteren Wiedererteilung der Fahrerlaubnis im Jahr 2013 bereits gelöscht worden (§ 4 Abs. 3 Satz 1 und 2 StVG). Dies ändert allerdings nichts an der fortbestehenden Eintragung der strafrechtlichen Verurteilung vom 6. August 2012 im insoweit maßgeblichen Fahreignungsregister. Die Tilgungsfrist der Eintragung beträgt 10 Jahre ab Rechtskraft der Verurteilung (vgl. § 28 Abs. 3 Nr. 1, § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Buchst. a, Abs. 4 Nr. 1 StVG) und war im Zeitpunkt der Gutachtensanordnung noch nicht abgelaufen. Mithin durfte der Vorfall vom 28. April 2012 und die entsprechende Verurteilung zum Zwecke der Beurteilung der Eignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen verwertet werden. Im Übrigen entfaltet auch die zwischenzeitliche Neuerteilung der Fahrerlaubnis keine Sperrwirkung für die Berücksichtigung früher liegender Tatsachen (vgl. BayVGH, B.v. 6.5.2008 – 11 CS 08.551 – BeckRS 2013, 49765; B.v. 7.8.2014 – 11 CS 14.352 – NJW 2014, 3802 Rn. 23).
2.1.1.2
Gegen die Vorgehensweise des Beklagten, die Gutachtensanordnung neben der Befugnis des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV zusätzlich auch auf die des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 FeV zu stützen, ist im vorliegenden Fall nichts einzuwenden.
Bei den in § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 FeV adressierten Straftaten muss es sich weder um Verstöße gegen verkehrsrechtliche Vorschriften handeln, noch müssen sie im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen (Siegmund in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand: 18.6.2020, § 11 FeV Rn. 80). Die erhebliche Straftat im Sinne dieser Vorschrift muss im Unterschied zu derjenigen des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV nicht verkehrsrechtlicher Natur sein, also nicht anlässlich der Teilnahme am Straßenverkehr begangen worden oder durch Ereignisse im Straßenverkehr motiviert worden sein. Es reicht aus, wenn die Straftaten im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung stehen, mithin insoweit Rückschlüsse zulassen.
Dies schließt die Anwendbarkeit des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 FeV in Fällen wie dem vorliegenden aber nicht aus, in denen die in Rede stehenden Straftaten sogar im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV begangen wurden. Denn in beiden Fällen geht es um die Aufklärung charakterlicher Fahreignungszweifel, die auf erheblichen oder wiederholten Verstößen des Fahrerlaubnisinhabers gegen strafrechtliche Vorschriften beruhen und die aufzuklärende Bedenken an der Kraftfahreignung begründen. Es spricht deshalb nichts dagegen, die sich in ihrem Anwendungsbereich zum Teil überschneidenden Varianten des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV und § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 FeV bei Vorliegen ihrer jeweiligen Voraussetzungen nebeneinander anzuwenden. Wenngleich ein Abstellen auf beide Anordnungsbefugnisse im vorliegenden Fall nicht zwingend erscheint, konnte sich die Anordnung vom 24. September 2018 deshalb grundsätzlich auf beide Vorschriften stützen.
Wie die Regierung von Unterfranken im Widerspruchsbescheid ausführlich und zutreffend darlegte, handelte es sich bei den Delikten des Klägers vom 28. April 2012 und 1. Dezember 2016 tatsächlich auch um Straftaten, die im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 FeV im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung stehen. Infolge des rücksichtslosen Verkehrsverhaltens konnten Verkehrsunfälle bei beiden Vorfällen nur durch rasches Reagieren der Geschädigten verhindert werden, sodass die Taten ohne weiteres Rückschlüsse auf die fehlende Kraftfahreignung des Klägers zulassen (vgl. bereits 2.1.1.2). Vor allem beim Vorfall vom 28. April 2012 kommt darüber hinaus auch ein gewisses Aggressionspotential des Klägers zum Ausdruck. Ausweislich der rechtskräftigen Entscheidung des Amtsgericht Würzburg vom 6. August 2012 überholte der Kläger ein vorausfahrendes Fahrzeug trotz erkennbaren Gegenverkehrs und scherte deshalb unvermittelt zurück auf rechte Fahrspur. Der Fahrer des überholten Fahrzeuges musste stark bremsen, um einen Unfall zu verhindern. Im Anschluss an sein eigenes verkehrswidriges und gefahrträchtiges Verhalten bremste der Kläger den Geschädigten noch mehrfach ohne erkennbaren Grund aus und beleidigte ihn durch zeigen des Mittelfingers. Der Kläger zeigte hier offenkundig, dass er – sogar dann, wenn anderen Verkehrsteilnehmern keine Fahrfehler zur Last fallen – zu impulsivem und rücksichtslosem Handeln sowie zu Gleichgültigkeit gegenüber den Sicherheitsinteressen anderer Verkehrsteilnehmer neigt.
2.1.2
Die in der Anordnung vom 24. September 2018 gestellten Begutachtungsfragen sind nicht zu beanstanden.
Nach § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV legt die Fahrerlaubnisbehörde unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls und unter Beachtung der Anlagen 4 und 5 zur FeV in der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens fest, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind. Die Fragestellung muss konkret sein und differenziert benennen, was Gegenstand der Untersuchung sein soll. An die Anlassbezogenheit und Verhältnismäßigkeit der Fragestellung sind wegen der einschneidenden Folgen einer unberechtigten Gutachtensverweigerung im Interesse effektiven Rechtsschutzes strenge Anforderungen zu stellen (Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 11 FeV Rn. 42 m.w.N.).
Die in der Anordnung vom 24. September 2018 gestellten Begutachtungsfragen wahren diese Anforderungen. Sie orientieren sich an dem konkret geschilderten Begutachtungsanlass und bezwecken die medizinisch-psychologische Aufklärung der aufgeworfenen charakterlichen Eignungszweifel (vgl. § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 2, § 11 Abs. 1 Satz 3 FeV) des Klägers.
2.1.3
Die verfahrensgegenständliche Anordnung vom 24. September 2018 erfüllt auch die übrigen formellen Anforderungen. Insbesondere wurde der Kläger ausdrücklich auf die Folgen der Nichtbeibringung des Gutachtens gemäß § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV hingewiesen. Ferner enthält die Beibringungsanordnung die nach § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV geforderten Mitteilungen.
Es wurden mit § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 bzw. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 FeV auch die für die vorliegende Konstellation zutreffenden Rechtsgrundlagen benannt. Unschädlich ist insoweit die unvollständige Zitation „§ 11 Abs. 3 Nr. 5 FeV“ bzw. „§ 11 Abs. 3 Nr. 7 FeV“. Grundsätzlich muss zwar, wenn die Behörde eine Rechtsgrundlage für die Beibringungsanordnung nennt, diese Angabe zutreffen (VG Würzburg, B.v. 24.3.2020 – W 6 S 20.383 – BeckRS 2020, 14563 Rn. 41 f). Allerdings gilt auch hier der Rechtsgedanke des Art. 42 Satz 1 BayVwVfG, wonach die Behörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten in einem Verwaltungsakt jederzeit berichtigen kann (BayVGH, B.v. 25.6.2020 – 11 CS 20.79 – BeckRS 2020, 14562 Rn. 31). Um eine solche offenbare Unrichtigkeit handelt es sich hier. Die vorliegend einschlägigen und vom Beklagten auf Seite 2 der Beibringungsanordnung (fehlerhaft) zitierten Rechtsgrundlagen zur Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung sind § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 bzw. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 FeV. Das Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen wurde in der Beibringungsanordnung dargelegt. Es sind weder Gesichtspunkte erkennbar, dass die unvollständige Zitation geeignet war, den Kläger in seiner Rechtsverteidigung gegen die Gutachtensanordnung und in seiner Entscheidungsfreiheit zur Beibringung des Gutachtens zu beeinträchtigen, noch dass sich deshalb für die zu beauftragende Begutachtungsstelle Zweifel über Anlass und Ziel der Begutachtung hätten ergeben können. Damit liegt eine unschädliche offenbare Unrichtigkeit vor, die ausnahmsweise nicht zur Rechtswidrigkeit der Beibringungsanordnung und des Entziehungsbescheids führt.
2.1.4
Die Gutachtensanordnung vom 24. September 2018 wahrt schließlich auch den in § 4 Abs. 1 Satz 3 StVG zum Ausdruck kommenden Vorrang des Fahreignungs-Bewertungssystems.
Soweit es um Verkehrsdelinquenz geht, haben danach bei Fahrerlaubnisinhabern die Regelungen des Fahreignungs-Bewertungssystems (§ 4 StVG) grundsätzlich Vorrang vor der Gutachtensanordnung nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 – 7 FeV. Maßnahmen außerhalb des Fahreignungs-Bewertungssystems (Punktsystems) – wie die Entziehung der Fahrerlaubnis oder zumindest die Anordnung zur Beibringung eines Eignungsgutachtens – sind deshalb nur in besonderen Ausnahmekonstellationen zulässig. Dies kommt etwa in Betracht, wenn ein Fahrerlaubnisinhaber durch die beharrliche und häufige Begehung von – isoliert betrachtet auch nicht gewichtigen – Verkehrszuwiderhandlungen oder durch einen erheblichen Verkehrsverstoß verkehrsauffällig geworden ist und sich aus einem derartigen Verhalten Fahreignungsmängel oder zumindest Eignungsbedenken in charakterlicher Hinsicht ableiten lassen. Will die Fahrerlaubnisbehörde außerhalb des Fahreignungs-Bewertungssystems charakterliche Eignungszweifel durch die Beibringung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung aufklären, hat sie im Rahmen des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 – 7 FeV bei Ausübung ihres Ermessens die Umstände des Einzelfalles indes sorgfältig zu würdigen. Dem entsprechend muss eine Gutachtensanordnung erkennen lassen, warum es gerechtfertigt ist, nicht (nur) nach den grundsätzlich vorrangigen Maßnahmen, die das Punktsystem erlaubt, vorzugehen, sondern (zusätzlich) eine medizinisch-psychologische Begutachtung anzufordern (Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Auflage 2017, § 11 FeV Rn. 43, § 4 StVG Rn. 33). Die Fahrerlaubnisbehörde muss in der Begutachtungsanordnung näher darlegen, warum sie aus besonderen Gründen im Einzelfall, der sich erheblich vom Normalfall sonstiger Verkehrsteilnehmer mit einem Punktestand abheben muss, auf Grund einer Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Kraftfahrers oder wegen der Art, der Häufigkeit oder des konkreten Hergangs der Verkehrsverstöße Eignungsbedenken hegt, die sofortige Aufklärungsmaßnahmen etwa durch eine medizinisch-psychologische Untersuchung gebieten (BayVGH, B.v. 7.2.2012 – 11 CS 11.2708 – juris; B.v. 7.8.2014 – 11 CS 14.352 – NJW 2014, 3804 Rn. 27).
2.1.4.1
Im vorliegenden Fall lässt die Gutachtensaufforderung vom 24. September 2018 – wenngleich sie sich nicht ausdrücklich mit dem Vorrang des Punktsystems auseinandersetzt und nicht explizit auf die Vorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 3 StVG verweist – noch ausreichend erkennen, dass und warum es im Fall des Klägers nach Auffassung der Fahrerlaubnisbehörde angezeigt war, außerhalb des Punktsystems vorzugehen (so auch BayVGH, B.v. 7.11.2013 – 11 CS 13.1779 – BeckRS 2013, 59039 Rn. 14). Die Ausführungen auf Seite 2 der Gutachtensanordnung bringen zum Ausdruck, dass die Fahrerlaubnisbehörde unabhängig vom Punktestand des Klägers den besonderen Ausnahmecharakter seines Verkehrsverhaltens darin erblickt, dass er aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Würzburg vom 6. August 2012 nicht die richtigen Schlussfolgerungen gezogen hat, weil er bereits Ende 2016 erneut wegen einer im Straßenverkehr begangenen Nötigung rechtskräftig verurteilt wurde. Wie die Gutachtensanordnung erkennen lässt, geht es darum, dass sich der Kläger vom Normalfall sonstiger Verkehrsteilnehmer dadurch abhebt, dass er nicht einmal die Verurteilung des Amtsgerichts Würzburg vom 6. August 2012 einschließlich der strafgerichtlichen Entziehung seiner Fahrerlaubnis zum Anlass nahm, sein Verkehrsverhalten zu ändern. Stattdessen brachte er im Dezember 2016 erneut im Rahmen einer rechtskräftig abgeurteilten Nötigung einen anderen Verkehrsteilnehmer durch rücksichtloses Verhalten beim Überholvorgang in Gefahr. Es besteht daher ausweislich der Gutachtensanordnung die Gefahr, dass der Kläger im motorisierten Straßenverkehr möglicherweise nicht erwarten lässt, dass er die Rechte anderer Verkehrsteilnehmer respektierten wird und dass er dort eigene Bedürfnisse aggressiv durchsetzen wird. Dadurch seien „so erheblich“ Zweifel“ an der Kraftfahreignung des Klägers entstanden, dass zu deren Ausräumung im Interesse der allgemeinen Verkehrssicherheit eine medizinisch-psychologische Fahreignungsbegutachtung erforderlich ist.
2.1.4.2
Die mithin formell ausreichend begründete Ermessensentscheidung zur Anordnung der medizinisch-psychologischen Untersuchung erging vor diesem Hintergrund auch in der Sache ermessensfehlerfrei. Die Kammer stimmt dem Beklagten zu, dass nach der neuerlichen Verkehrsstraftat vom 1. Dezember 2016 die begründete Besorgnis bestand, dass der Kläger auch künftig die Rechte anderer Verkehrsteilnehmer nicht respektiert, sich verkehrswidrig verhält und durch sein rücksichtsloses Fahrverhalten andere in Gefahr bringt. Der Straßenverkehr ist ein soziales Handlungsfeld, in welchem im Sicherheitsinteresse aller von den Beteiligten ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht gefordert ist. Wie die strafrechtlichen Verurteilungen von 2012 und 2017 gezeigt haben, war der Kläger jedoch nicht in der Lage, diese im geforderten Maß aufzubringen. Selbst die 2012 verhängte Strafe und die zwischenzeitliche Entziehung der Fahrerlaubnis war für ihn erkennbar kein Grund für eine dauerhafte und gefestigte Verhaltensänderung. Wenn im Verhalten eines Fahrerlaubnisinhabers aber eine besondere Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern und eine darin zum Ausdruck kommende Gleichgültigkeit hinsichtlich deren Sicherheitsinteressen erkennbar wird, und wenn zu erwarten ist, dass er sich im Straßenverkehr auch künftig unbeherrscht und die Verkehrssicherheit gefährdend verhält, kommt es nicht darauf an, ob bzw. wie viele Punkte im Fahreignungsregister in der Vergangenheit eingetragen wurden. Denn ein solcher charakterlicher Mangel wiegt so schwer, dass nicht abgewartet werden kann, bis er sich in (tatsächlich bekannt gewordenen und geahndeten) Zuwiderhandlungen gegen Verkehrsvorschriften in so ausreichender Zahl und im erforderlichen zeitlichen Zusammenhang niederschlägt, die zu einer Anhäufung von mindestens acht Punkten im Fahreignungsregister führen, was nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG erst zu diesem Zeitpunkt zu einer Entziehung der Fahrerlaubnis berechtigen würde, wäre die Fahrerlaubnisbehörde auf ein Vorgehen nach dem Punktsystem beschränkt (vgl. BayVGH, B.v. 7.11.2013 – 11 CS 13.1779 – BeckRS 2013, 59039 Rn. 15).
2.2 Auch die zurecht auf § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG und § 47 Abs. 1 FeV gestützte Aufforderung zur Rückgabe des Führerscheins (Nr. 2 des Bescheids vom 8.1.2019) ist nicht zu beanstanden. Rechtliche Einwände gegen die Kostenentscheidung (Nr. 5 und Nr. 6 des Bescheids vom 8.1.2019) wurden weder vorgetragen, noch sind solche ersichtlich.
3. Die Klage war daher insgesamt mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.