Aktenzeichen 2 Ws 244/16
Leitsatz
1. Die Ausführung des Strafgefangenen zu seiner Auslandsvertretung mit dem Ziel, ein Ausweispapier zu erlangen, das nach der Haftentlassung seine Einreise in sein Heimatland ermöglicht, dient jedenfalls dann der Eingliederung, wenn gegen ihn ein bestandskräftiger Ausweisungsbescheid vorliegt. (amtlicher Leitsatz)
2. Der Gefangene trägt grundsätzlich die Kosten dieser Ausführung. Die Justizvollzugsanstalt hat bei ihrer Ermessensentscheidung, ob der Anspruch nicht geltend zu machen ist, weil sonst die Behandlung oder Eingliederung des Gefangenen behindert würde, zu prüfen, ob bei einer Geltendmachung das Ziel noch erreicht wird, mit dem Überbrückungsgeld den notwendigen Lebensunterhalt des Gefangenen und seiner Unterhaltsberechtigten für die ersten vier Wochen nach der Entlassung zu sichern. (amtlicher Leitsatz)
3 Bei der Entscheidung ist festzustellen, welche Höhe das angemessene Überbrückungsgeld hat, in welcher Höhe es im Entscheidungszeitpunkt angespart ist, ob das verbleibende Guthaben nach einer Inanspruchnahme für die Ausführungskosten den gesetzgebereischen Zweck noch erfüllen kann und ob bis zum Entlassungszeitpunkt eine erneute Ansparung möglich ist. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
SR StVK 27/16 2016-02-29 Bes LGREGENSBURG LG Regensburg
Tenor
1. Dem Strafgefangenen P… K… wird antragsgemäß Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde gewährt.
2. Auf die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen P… K.. wird der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 29.02.2016 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der mündlich erteilte Bescheid der Justizvollzugsanstalt Straubing vom 13.01.2016 rechtswidrig ist.
3. Die Kosten und notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers im Verfahren zur Entscheidung über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung bei der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing und im Rechtsbeschwerdeverfahren trägt die Staatskasse.
Gründe
I. Mit Verfügung vom 09.12.2015 gewährte die Justizvollzugsanstalt S. dem Beschwerdeführer die Ausführung zum Generalkonsulat der Republik S… in M… zum Zweck des Erhalts eines s… Ausweisdokuments am 14.01.2016 und verpflichtete ihn, die Kosten der Ausführung zu tragen. Da der Beschwerdeführer nicht bereit war, die Kosten von voraussichtlich etwa 120 € aus seinem Überbrückungsgeld zu tragen, wurde ihm am 13.01.2016 von einer Bediensteten der Anstalt mündlich mitgeteilt, dass die Ausführung ersatzlos gestrichen wird. Entsprechend fand die Ausführung nicht statt.
Mit an die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing gerichtetem Schreiben vom 18.01.2016 beantragte der Beschwerdeführer, die Anstalt zu verpflichten, ihn vor Ablauf des 29.02.2016 zur Erteilung eines neuen Reisepasses in das Generalkonsulat der Republik S… nach M… auf Staatskosten auszuführen, hilfsweise beantragte er die Feststellung der Rechtswidrigkeit der ihm am 13.01.2016 mündlich eröffneten Ablehnung.
Die Justizvollzugsanstalt S. führte im Schreiben vom 04.02.2016 aus, dass der Beschwerdeführer s… Staatsangehöriger sei und sein Reisepass bereits am 01.01.2012 seine Gültigkeit verloren habe. Die Kosten der Ausführung seien vom Beschwerdeführer gemäß Art. 37 Abs. 3 Satz 2 BayStVollzG zu tragen, hierfür könne gemäß Art. 51 Abs. 3 BayStVollzG eine Bezahlung vom Überbrückungsgeld genehmigt werden. Die Beschaffung von Ausweispapieren diene der Eingliederung des Gefangenen, der aufgrund Bescheids des Landratsamts Ansbach vom 24.02.2011 aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen wurde.
Im genannten Schreiben legt die Justizvollzugsanstalt weiter dar, dass ein biometrischer Reisepass nur bei persönlicher Vorsprache des Beschwerdeführers bei dem s… Generalkonsulat beantragt werden könne. Notwendig sei aber auch der Nachweis eines gültigen Aufenthaltstitels für die Bundesrepublik Deutschland, über den der Beschwerdeführer aufgrund des bestandskräftigen Ausweisungsbescheids nicht verfüge. Deshalb habe das s… Genralkonsulat vorgeschlagen, zunächst zuzuwarten und für den Beschwerdeführer am Ende seiner Inhaftierung einen Passersatz auszustellen.
Die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing hat mit Beschluss vom 29.02.2016, der dem Beschwerdeführer am 01.03.2016 zugestellt worden ist, den Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 18.01.2016 zurückgewiesen.
Am 29.03.2016 ist das Schreiben des Beschwerdeführers bei dem Amtsgericht Straubing eingegangen, mit dem er einen Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Straubing zur Aufnahme der Rechtsbeschwerde anfordert. Am 05.04.2016 erschien die Urkundsbeamtin bei dem Beschwerdeführer und hat seine Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss vom 29.02.2016 zu Protokoll aufgenommen. In ihrer dienstlichen Stellungnahme vom 05.04.2016 erklärte die Urkundsbeamtin auf den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde, dass ihr ein früheres Erscheinen zur Aufnahme der Rechtsbeschwerde aus dienstlichen Gründen nicht möglich war.
Mit der Rechtsbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, die Justizvollzugsanstalt hätte gemäß Art. 37 Abs. 3 Satz 3 BayStVollzG von der Erhebung der Kosten für die beabsichtigte Ausführung absehen müssen, da die Reduzierung des Überbrückungsgeldes, das ohnehin nur 880 € betrage und wegen gesundheitsbedingter Berufsunfähigkeit des Beschwerdeführers auch nicht weiter angespart werden könne, seine Eingliederung behindern würde. Damit werde auch Art. 51 BayStVollzG verletzt. Durch die Anrechnung werde zudem der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt, da andere Gefangene ohne eigene Kostentragung zu ihrer Auslandsvertretung ausgeführt worden seien.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt mit Verfügung vom 18.04.2016 die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen. Der Beschwerdeführer hat mit Schreiben vom 02.05.2016 und 23.05.2016 ergänzend Stellung genommen.
II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg.
1. Dem Beschwerdeführer ist antragsgemäß Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde zu gewähren, da er rechtzeitig vor Ablauf der Frist beantragt hat, dem Urkundsbeamten des Amtsgerichts Straubing zur Aufnahme der Rechtsbeschwerde vorgeführt zu werden und dieser den Beschwerdeführer aus dienstlichen Gründen erst nach Fristablauf aufgesucht hat (§ 112 Abs. 2 StVollzG).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, da das Oberlandesgericht Nürnberg – soweit ersichtlich – bislang noch nicht über die aufgeworfenen Fragen zur Kostentragungspflicht bei Ausführungen und der Verwendung von Überbrückungsgeld hierzu entschieden hat (§ 116 Abs. 1 StVollzG).
3. Auf die Rechtsbeschwerde ist der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 29.02.2016 aufzuheben und festzustellen, dass der mündlich erteilte Bescheid der Justizvollzugsanstalt Straubing vom 13.01.2016 rechtswidrig ist.
a. Gegenstand der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist der hilfsweise geltend gemachte (Fortsetzungs-) Feststellungsantrag des Beschwerdeführers, dass die Ablehnung der Vorführung zum s… Generalkonsulat ohne die Bereitschaft des Beschwerdeführers, die Kosten hierfür aus dem Überbrückungsgeld zu tragen, rechtswidrig sei.
b. Die Zurückweisung des Feststellungsantrags durch die Strafvollstreckungskammer hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Gemäß Art. 37 Abs. 3 Satz 2 BayStVollzG sind die Kosten für eine aus wichtigem Anlass zu gewährende Ausführung grundsätzlich vom Gefangenen zu tragen. Die Kostentragungspflicht entfällt nach Art. 37 Abs. 3 Satz 3 BayStVollzG ausnahmsweise, wenn dies die Behandlung oder die Eingliederung behindern würde. Nach Art. 51 Abs. 3 BayStVollzG kann das Überbrückungsgeld, das nach Art. 51 Abs. 1 BayStVollzG den notwendigen Lebensunterhalt des Gefangenen und seiner Unterhaltsberechtigten für die ersten vier Wochen nach der Entlassung sichern soll, für Ausgaben in Anspruch genommen werden, die der Eingliederung des Gefangenen dienen.
Die Ausführung des Beschwerdeführers zu seiner Auslandsvertretung mit dem Ziel, ein Ausweispapier zu erlangen, das nach der Haftentlassung die Einreise in das Heimatland ermöglicht, dient auch bei der als Ausnahmevorschrift und im Hinblick auf den Gesetzeszweck gebotenen engen Auslegung der Norm (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 26. November 2015 – 1 Ws 533/15 (StrVollz) -, Rn. 9, juris m. w. N.) seiner Eingliederung (Art. 51 Abs. 3 BayStVollzG), da gegen ihn ein bestandskräftiger Ausweisungsbescheid vorliegt und seine Ausreise aus Deutschland und Einreise in sein Heimatland nach der Haftentlassung für seine dortige Eingliederung erforderlich ist.
Allerdings ist in der Gesamtschau dieser Vorschrift mit Art. 37 Abs. 3 Satz 3 BayStVollzG in die Ermessensentscheidung einzubeziehen, ob die Pflicht des Gefangenen für das Tragen der Kosten für seine Ausführung entfällt, weil damit seine Eingliederung behindert würde. Dem Gefangenen soll nach dem Willen des Gesetzgebers bei seiner Entlassung Überbrückungsgeld in einer Höhe zur Verfügung stehen, die seinen und den Lebensunterhalt seiner Unterhaltsberechtigten für die ersten vier Wochen sichert. Wird durch die Kostentragung das Überbrückungsgeld so reduziert, dass das in Art. 51 Abs. 1 BayStVollzG genannte Ziel nicht mehr erreicht werden kann und scheidet eine erneute Ansparung bis zum voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt aus, wird in der Regel von der Auferlegung der Kosten für die Ausführung abzusehen sein.
Konkret bedeutet das für die von der Anstalt zu treffende Ermessensentscheidung, dass festzustellen ist, welche Höhe das nach VV zu Art. 51 BayStVollzG 1 Abs. 2 festzusetzende angemessene Überbrückungsgeld hat, in welcher Höhe es im Zeitpunkt der Entscheidung angespart ist, ob das verbleibende Guthaben nach einer Inanspruchnahme für die Kosten der Ausführung noch für die Erfüllung des gesetzgeberischen Zwecks ausreichend ist und ob gegebenenfalls eine erneute Ansparung bis zur erforderlichen Höhe bis zum voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt möglich ist.
Diese Umstände wurden von der Anstalt ausweislich ihres Vorbringens bei ihrer Ermessensentscheidung nicht berücksichtigt, so dass diese ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig ist.
4. Der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 29.02.2016, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen worden ist, ist daher aufzuheben. Da die Sache spruchreif ist – Gegenstand der Rechtsbeschwerde ist ein Fortsetzungsfeststellungsantrag – entscheidet der Strafsenat an Stelle der Strafvollstreckungskammer (§ 119 Abs. 4 Satz 2 StVollzG). Es ist festzustellen, dass der mündlich erteilte Bescheid der Justizvollzugsanstalt Straubing vom 13.01.2016 rechtswidrig ist.
5. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf Art. 208 BayStVollzG i. V. m. § 121 Abs. 4 StVollzG und § 473 Abs. 3 StPO, die Festsetzung des Geschäftswerts auf §§ 1 Abs. 1 Nr. 8, 52, 60, 63, 65 GKG.