Aktenzeichen 11Ns 417 Js 67977/16
Leitsatz
1. Erstattet ein Richter Selbstanzeige, wonach er wegen eines bereits mehrere Jahre zurückliegenden Ärgernisses (hier: im Zusammenhang mit der Entbindung des als Strafverteidiger tätigen Ehemanns der Vorsitzenden einer Berufungskammer von einem Pflichtverteidigermandat in anderer Sache) eine „negative innere Haltung“ gegenüber dem Angeklagten eingenommen habe, ist dies nicht ohne Weiteres geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Denn im Normalfall ist bei verständiger und besonnener Würdigung davon auszugehen, dass der einen solchen Sachverhalt pflichtgemäß selbst anzeigende Richter die in der damaligen Situation spontan aufgetretene emotionale Erregung zwischenzeitlich überwunden hat. (Rn. 14 – 17)
2. Teilt der Richter dem Angeklagten allerdings mit, die „negative innere Haltung“ bestehe auch aktuell noch fort, liefert er damit Grund zu der Annahme, seine Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit seien störend beeinflusst. In einem solchen Fall ist es rechtlich nicht mehr vertretbar, eine darauf gestützte Selbstablehnung oder ein daran anknüpfendes Ablehnungsgesuch für unbegründet zu befinden, selbst wenn das Fortbestehen der „negativen inneren Haltung“ nicht in jeder Hinsicht nachvollziehbar erläutert wird. Anders wäre dies nur ganz ausnahmsweise, wenn die Selbstanzeige (nachweislich) bewusst zweckentfremdet wird, um auf diese Weise den unlauteren Versuch zu unternehmen, sich eines missliebigen, weil z.B. sehr arbeitsaufwändigen, Verfahrens zu entledigen. (Rn. 18 – 19)
Verfahrensgang
53 Ds 417 Js 67977/16 2017-12-22 Urt AGNUERNBERG AG Nürnberg
Tenor
Die Selbstablehnung der Vorsitzenden Richterin am Landgericht … und der Ablehnungsantrag der Angeklagten P. X. vom 29.05.2018 werden jeweils für begründet erklärt.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Nürnberg hat die Angeklagten mit Urteil vom 22.12.2017 wegen „Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung“ (Angeklagte P. X.) bzw. wegen „Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung“ (Angeklagter S. X.) zu Geldstrafen von 150 Tagessätzen (Angeklagte P. X.) bzw. 50 Tagessätzen (Angeklagter S. X.) verurteilt (Tagessatzhöhe jew. 20,00 €). Nach den vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen sollen sich die Angeklagten – zusammengefasst – am 02.10.2015 gegen 02:50 Uhr der polizeilichen Durchsuchung der (damaligen) Familienwohnung in der C.straße in N. widersetzt und dabei auch eingesetzte Polizeibeamte (vorsätzlich bzw. fahrlässig) verletzt haben. Hintergrund der auf das Vorliegen von Gefahr im Verzug gestützten Durchsuchungsmaßnahme sei gewesen, dass der anderweitig verfolgte Sa. X., bei dem es sich um den älteren Sohn der Angeklagten P. X. handelt (bei dem Mitangeklagten S. X. handelt es sich um den zweiten, jüngeren Sohn der Angeklagten), wegen eines unmittelbar zuvor zum Nachteil des Nachbarn L. begangenen versuchten Tötungsdelikts (Messerstich in die Brust; Az. 5 Ks 102 Js 1478/15) vorläufig festgenommen werden sollte.
Gegen das genannte Urteil des Strafrichters haben beide Angeklagte und auch die Staatsanwaltschaft jeweils fristgerecht Berufung eingelegt. Für die Durchführung des Berufungsverfahrens ist nach dem Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts Nürnberg-Fürth die 11. Strafkammer zuständig.
Nach Eingang der Akten bei dem Landgericht (26.01.2018) bestimmte die Vorsitzende der 11. Strafkammer, Vorsitzende Richterin am Landgericht …, am 29.01.2018 Termin zur Berufungshauptverhandlung auf 17.04.2018. Außerdem ordnete sie die Ladung beider Angeklagter jeweils samt Pflichtverteidiger, von Zeugen sowie die Beiziehung der Akte des gegen Sa. X. geführten Sicherungsverfahrens 5 Ks 102 Js 1478/15 an.
Am 26.03.2018 setzte die Vorsitzende Richterin den Termin vom 17.04.2018 aus dienstlichen Gründen ab und legte die Akten mit Verfügung vom 27.03.2018 dem stellvertretenden Vorsitzenden der 11. Strafkammer mit einer „Selbstanzeige wegen Besorgnis der Befangenheit“ vor. Die Selbstanzeige (§ 30 StPO) hat folgenden Inhalt:
„Im Jahre 2015 erhielt ich davon Kenntnis, dass mein Ehemann, Rechtsanwalt …, ‚Probleme‘ mit einer Person habe, die versuche, ihn zu ‚überwachen‘, im Umgang ‚anstrengend‘ sei, was zu Unruhe in der Kanzlei führe und die ihn letztlich als Pflichtverteidiger einer mit ihr im Zusammenhang stehenden Person ablehne. Ich habe eine negative innere Haltung gegenüber dieser Person eingenommen. Nach Studium der nunmehr beigezogenen Beiakte des Verfahrens gegen Sa. X., Az. 102 Js 1478/15 im Rahmen der Sitzungsvorbereitung im vorliegenden Verfahren kann ich nicht ausschließen, dass es sich bei der Angeklagten P. X. um diese Person handelt. Fest steht, dass er zunächst Pflichtverteidiger des nunmehr abgeurteilten Sa. X. war, dessen Festnahme Anlass und Vorgeschichte des im vorliegenden Verfahren abzuurteilenden Sachverhaltes war. Fest steht auch, dass mein Mann auf den Antrag der Angeklagten P. X. hin (Bl. 238 d. A. 102 Js 1478/15) als Pflichtverteidiger entbunden wurde, wobei mein Ehemann in seiner Stellungnahme angab, die bisherigen Gespräche mit den Angeklagten … seien ‚anstrengend‘ verlaufen, er habe das Gefühl, die Mutter und der Bruder seines Mandanten würden ihn ‚überwachen‘ (Bl. 245 d. A. 102 Js 1478/15).
Vom Standpunkt der Angeklagten kann dies auch bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken, die Vorsitzende Richterin stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit parteiisch gegenüber.“
Die Selbstanzeige wurde den Verfahrensbeteiligten aufgrund Verfügung des stellvertretenden Vorsitzenden vom 03.05.2018 übermittelt.
Innerhalb der gewährten Stellungnahmefrist äußerte sich die Staatsanwaltschaft am 17.05.2018 wie folgt:
„Aus Sicht der Staatsanwaltschaft liegen keine Umstände vor, die zu einem Ausschluss der Vorsitzenden führen könnten.
Ein Ausschließungsgrund kraft Gesetzes gem. §§ 22 f. StPO ist nicht gegeben.
Aus Sicht der Staatsanwaltschaft liegt auch kein Grund im Sinne von des § 24 Abs. 2 StPO vor, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Vorsitzenden zu rechtfertigen.
Die Ablehnung eines Richters ist nach § 24 Abs. 2 StPO gerechtfertigt, wenn Grund zur Annahme hat [gemeint wohl: besteht], der Richter nehme eine innere Haltung ein, die die gebotene Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (st.Rspr.; BGH, Beschluss vom 8.5.2014 – 1 StR 726/13 = NJW 2014, 2372).
Knüpft die Besorgnis der Befangenheit an die persönlichen Verhältnisse des Richters, ist jenseits der gesetzlichen Ausschließungsgründe (§ 22 Nr. 1-3 StPO) dieser Umstand als solcher regelmäßig nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, wenn und soweit nicht ein besonderer Zusammenhang zwischen den persönlichen Verhältnissen des Richters und der Strafsache bestehen.
Der geschilderte Sachverhalt enthält jedoch keinen solchen besonderen Zusammenhang zu der gegenständlichen Strafsache. Bei den Angeklagten handelt es sich um die Mutter und den Bruder eines ehemaligen Mandanten des Ehemanns der Vorsitzenden. Ihr Ehemann RA … habe den Umgang mit der Angeklagten P. X. als ‚anstrengend‘ empfunden und fühlte sich ‚überwacht‘, worüber die Vorsitzende Kenntnis erlangte. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich der Vorfall im Jahr 2015 ereignete und dass RA … als Pflichtverteidiger entbunden wurde, darf man von der Fähigkeit der Vorsitzenden ausgehen, sich im [in] Rede stehenden Verfahren von Befangenheit frei zu halten.“
Daraufhin stellte der Pflichtverteidiger der Angeklagten P. X. in deren Namen und Auftrag am 29.05.2018 seinerseits einen Antrag auf Ablehnung der Vorsitzenden wegen der Besorgnis der Befangenheit. Zur Begründung nahm er auf die Selbstanzeige der Vorsitzenden Richterin Bezug und führte zusätzlich Folgendes aus:
„Soweit die StA ausführt, die persönliche Verquickung der Vorsitzenden mit dem ehemaligen Pflichtverteidiger des Sohnes der hier mitangeklagten Frau P. X. begründe keine Besorgnis der Befangenheit, wird dieser Einwand zurückgewiesen. Bereits die persönliche Verbundenheit eines Verteidigers und einer Richterin, noch dazu in derselben Stadt, begründet aus hiesiger Sicht die Besorgnis der Befangenheit der Richterin.
Im übrigen ist unerheblich, ob eine Vorsitzende dazu fähig sein muß sich von Befangenheit frei zu halten. Räumt sie selbst ein, daß sie befangen ist oder dies zumindest nicht ausschließen kann, so kann sie sich eben gerade nicht von dieser Befangenheit freihalten, unabhängig davon, ob sie es können müßte oder nicht.
Damit ist die Besorgnis der Befangenheit jedenfalls zu besorgen und der Antrag auf Ablehnung begründet.“
In ihrer dienstlichen Stellungnahme zu dem anlässlich der Selbstanzeige gesondert angebrachten Befangenheitsantrag (§ 26 Abs. 3 StPO) nahm die Vorsitzende Richterin auf die von ihr bereits abgegebene Selbstanzeige Bezug. Weitere Ausführungen machte sie nicht.
Der Pflichtverteidiger des Angeklagten S. X. hat sich weder zur Selbstanzeige der Vorsitzenden Richterin noch zum Ablehnungsantrag der Angeklagten P. X. geäußert.
Mit Verfügung vom 14.08.2018 (die Bearbeitung der Selbstanzeige und des Befangenheitsantrags mussten aus dienstlichen Gründen bis dahin zurückgestellt werden) erbat der stellvertretende Vorsitzende aus nachbenannten Gründen eine ergänzende dienstliche Stellungnahme der Vorsitzenden Richterin:
„Zu den näheren Hintergründen des gegenständlichen Geschehens im Jahr 2015 ist der Beiakte [5 Ks 102 Js 1478/15] zu entnehmen, dass die beiden Angeklagten als Angehörige des Sa. X. nach damaliger Einschätzung von Rechtsanwalt … ‚offensichtlich … kein Vertrauen‘ zu ihm als Pflichtverteidiger gehabt hätten (alle Zitate – auch im Folgenden – aus Bl. 245 f. d. Beiakte); die Angeklagte P. X. hatte eine Auswechslung des Pflichtverteidigers beantragt (vgl. Bl. 238 d. Beiakte). Die ‚bisherigen Gespräche‘ seien – ohne weitere Konkretisierung in der Sache und auch schon im Original der Stellungnahme des Rechtsanwalts … zum Entpflichtungsantrag in Anführungszeichen gesetzt – ‚ ‚anstrengend‘ ‘ verlaufen. Weiter teilte Rechtsanwalt … seinerzeit mit, er habe das Gefühl, ‚Mutter und Bruder‘ würden ihn ‚auch ‚überwachen‘, indem sie hier fast täglich anrufen und wissen wollen, welche Post … [er] erhalten habe und sie dann umgehend hiervon eine Abschrift erhalten möchten‘ (das Verb ‚überwachen‘ ist ebenfalls bereits im Original in Anführungszeichen gesetzt). Er (Rechtsanwalt …) könne so keine vernünftige Verteidigung durchführen.
(…)
Aufgrund der Ausführungen des Pflichtverteidigers der Angeklagten P. X. (Rechtsanwalt Dr. Sch.) im – aus Anlass der Selbstanzeige gesondert angebrachten – Ablehnungsantrag vom 29.05.2018 (Bl. 302 d. A.) ist eine ergänzende dienstliche Äußerung der Vorsitzenden der 11. Strafkammer veranlasst:
Rechtsanwalt Dr. Sch. führt in Erwiderung auf die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft vom 15.05.2018 (Bl. 289 d. A.) – aus Sicht des Gerichts zunächst überraschend – aus, es sei unerheblich, ob eine Vorsitzende dazu fähig sein müsse, sich von Befangenheit freizuhalten. Räume sie selbst ein,
‚daß sie befangen ist oder dies zumindest nicht ausschließen kann‘ (Hervorhebung durch das Gericht), so könne sie sich gerade nicht von dieser Befangenheit freihalten, unabhängig davon, ob sie dies an sich können müsste oder nicht (Bl. 302 d. A.).
Vor dem Hintergrund dessen, dass
– die in der Selbstanzeige mitgeteilten Umstände inzwischen nahezu drei Jahre zurückliegen,
– es sich dabei mit Blick auf deren Anlass (Inhaftierung/Unterbringung eines nahen Angehörigen) und konkretes Gepräge eher um ein – aus der Sicht des professionellen Strafverteidigers – ‚Alltagsärgernis‘ als um einen nachhaltigen Konflikt gehandelt haben dürfte und
– der Vorsitzenden die handelnden Personen – mit Ausnahme ihres Ehemanns – unbekannt waren, ging das Gericht – wie anscheinend auch die Staatsanwaltschaft – bislang davon aus, der Inhalt der Selbstanzeige sei so zu verstehen, dass die damals eingenommene ‚negative innere Haltung‘ aktuell nicht fortbestehe.
Anlässlich des Hinweises des Pflichtverteidigers ist indes festzuhalten, dass die Ausführungen der Vorsitzenden zu ihrer ‚inneren Haltung‘ gegenüber der Angeklagten P. X. im – für die Beurteilung der Begründetheit der Selbstanzeige und des Ablehnungsgesuches entscheidenden – jetzigen Zeitpunkt nicht eindeutig sind.“
Dazu gab die Vorsitzende Richterin am 17.09.2018 folgende weitere dienstliche Stellungnahme ab:
„Die in meiner Selbstanzeige vom 27.03.2018 geschilderte negative innere Haltung gegenüber der Person, von der mir mein Ehemann, Rechtsanwalt …, berichtete und bei der es sich nicht ausschließbar um die hier Angeklagte handelt, besteht bis zum jetzigen Zeitpunkt fort. Es handelt sich im vorliegenden Fall nicht um ein ‚Alltagsärgernis‘, sondern um ein Verhalten, das zu einer erheblichen, nicht mehr hinnehmbaren Unruhe in der Kanzlei meines Ehemannes führte.
Vom Standpunkt der Angeklagten kann dies auch bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken, die Vorsitzende Richterin stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit parteiisch gegenüber.“
Innerhalb der abschließend, bis 22.10.2018, eingeräumten Stellungnahmefrist ist bei Gericht keine weitere Äußerung eines Verfahrensbeteiligten eingegangen.
II.
Die Selbstanzeige und der daran anknüpfende Ablehnungsantrag der Angeklagten P. X. waren jeweils für begründet zu erklären, weil (spätestens) nach dem Inhalt der weiteren dienstlichen Stellungnahme der Vorsitzenden Richterin vom 17.09.2018 davon ausgegangen werden muss, dass dieser (der Vorsitzenden) gegenüber zumindest in Bezug auf die Angeklagte P. X. die Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 24 Abs. 1 Alt. 2, Abs. 2 StPO besteht.
1. Es kann dahinstehen, ob die von der Vorsitzenden Richterin zum Gegenstand ihrer Selbstanzeige gemachten äußeren Umstände (Geschehnisse im Zusammenhang mit der Entbindung ihres Ehemanns von dem Mandat als Pflichtverteidiger des in anderer Sache verfolgten Sa. X.) bereits für sich gesehen geeignet gewesen wären, die Annahme der Besorgnis der Befangenheit nach § 24 Abs. 1 Alt. 2, Abs. 2 StPO zu begründen. Die Staatsanwaltschaft hat dies mit – vor dem Hintergrund der in der richterlichen Verfügung vom 14.08.2018 in Spiegelstrichen aufgezählten Gesichtspunkte – durchaus beachtlichen Argumenten in Frage gestellt (s. zur diesbzgl. Kasuistik auch Cirener, in: BeckOK StPO, 31. Ed., § 24 Rn. 10.4).
2. Dessen ungeachtet hat die Vorsitzende Richterin jedoch ausdrücklich mitgeteilt, gegenüber der Angeklagten P. X. eine „negative innere Haltung“ eingenommen zu haben, die „bis zum jetzigen Zeitpunkt“ fortdauere. Solches hat – abgesehen von hier im Ergebnis nicht eingreifenden Ausnahmekonstellationen (dazu sogleich unter II.2.b) – zwangsläufig zur Folge, dass gegen den betreffenden Richter die Besorgnis der Befangenheit entsteht.
a) Zwar ist es für die Frage der (Besorgnis der) Befangenheit grundsätzlich unerheblich, ob sich ein Richter für befangen hält, da es – wie bereits in der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft vom 17.05.2018 angedeutet – maßgeblich nicht auf dessen subjektive Sicht der Dinge, sondern auf eine objektive Betrachtung der Sachlage ankommt (st. Rspr., vgl. aktuell BGH, Beschl. v. 11.07.2017 – 3 StR 90/17, BGHR StPO § 30 Selbstanzeige 3 = NStZ 2017, 720 m. Anm. Ventzke, unter I.2.b, m.w.N.). Teilt der Richter dem Angeklagten aber „positiv“ mit, ihm gegenüber voreingenommen zu sein, bekundet er damit eine innere Einstellung zu dem Angeklagten, die diesem in objektiv nachvollziehbarer Weise Grund zu der Annahme liefert, dass der betreffende Richter eine Haltung gegen seine Person eingenommen hat, die seine Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit störend beeinflusst. Die vorliegend gewählte Umschreibung „negative“ innere Haltung kann bei verständiger Würdigung nicht anders interpretiert werden. In einem solchen Fall ist es rechtlich unter keinem Gesichtspunkt mehr vertretbar (sondern es wäre – im Gegenteil – objektiv willkürlich), die Selbstablehnung bzw. ein daran anknüpfendes Ablehnungsgesuch für unbegründet zu befinden (vgl. BGH, a.a.O., unter I.2.a und b).
Vorliegend lässt jedenfalls die weitere dienstliche Stellungnahme der Vorsitzenden Richterin vom 17.09.2018 aus der Sicht eines vernünftigen und besonnenen Angeklagten keinen Zweifel mehr daran aufkommen, dass sich die Voreingenommenheit der Vorsitzenden konkret gegen die Angeklagte P. X. richtet. Bei der Angeklagten P. X. handelt es sich um die Mutter des anderweitig verfolgten, im Sicherungsverfahren 5 Ks 102 Js 1478/15 von dem Ehemann der Vorsitzenden Richterin anfänglich verteidigten Sa. X.. Die von der Vorsitzenden zum Anlass ihrer Selbstanzeige genommenen Vorgänge standen in direktem Zusammenhang mit dem betreffenden Pflichtverteidigermandat. Sie (die Vorsitzende) lastet die seinerzeit, im Jahr 2015, in der Kanzlei ihres Ehegatten aufgetretene „erhebliche, nicht mehr hinnehmbare Unruhe“ auch heute noch der Angeklagten P. X. an.
b) Anders zu beurteilen wäre dies – nach dem vom BGH vorgegebenen Prüfungsprogramm – nur ganz ausnahmsweise dann, wenn das der richterlichen Selbstkontrolle und Unparteilichkeit dienende Institut der Selbstanzeige durch den sich selbst ablehnenden Tatrichter dergestalt zweckentfremdet würde, dass er die Selbstanzeige auf der Sache nach „nicht mehr nachvollziehbare objektive Umstände“ stützt, um auf diese Weise den unlauteren Versuch zu unternehmen, sich eines missliebigen, weil z.B. sehr arbeitsaufwändigen, Verfahrens zu entledigen (vgl. erneut BGH, a.a.O., unter I.2.a). In solch einem Fall wäre dem Tatrichter seinerseits eine objektiv willkürliche Verfahrensweise vorzuwerfen, die einen rechtswidrigen Eingriff in das Grundrecht des Angeklagten auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) darstellte. Solches würde in der Folge (insbesondere) den Bestand eines späteren Urteils gefährden (vgl. abermals BGH, a.a.O.).
Für die Annahme eines derartigen, in der Rechtsprechung bislang noch nicht näher konturierten Extremfalls bietet der vorliegende Sachverhalt keinen Anlass. Es ergibt sich zwar weder aus der Selbstanzeige noch aus der weiteren dienstlichen Stellungnahme der Vorsitzenden Richterin im Detail, weshalb der zugrundeliegende Ausgangssachverhalt (Beeinträchtigung der professionell ausgeübten Verteidigertätigkeit des Ehemanns) trotz seines – verglichen mit der ganzen Bandbreite denkbarer Störungen – eher geringen Gewichts auch beinahe drei Jahre später noch eine „negative innere Haltung“ gegenüber der Angeklagten P. X. bewirkt. Gleichwohl ist es aber auch nicht so, dass die geschilderten Umstände in keiner Weise mehr nachvollziehen lassen, weshalb die Vorsitzende Richterin ihre Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit gegenüber der Angeklagten P. X. als nicht mehr gegeben ansieht. Denn nach dem – von keinem Verfahrensbeteiligten in Zweifel gezogenen – Inhalt der Selbstanzeige handelte es sich bei der angegangenen Person um einen nahen Angehörigen (den eigenen Ehepartner).
c) Dass der Mitangeklagte S. X. von der „negativen inneren Haltung“ der Vorsitzenden Richterin (wohl) nicht unmittelbar selbst betroffen ist, rechtfertigt in Bezug auf diesen keine andere Entscheidung, weil die Wirkung der einer (Selbst-)Ablehnung stattgebenden Entscheidung das gesamte Verfahren umfasst, in dem die Ablehnung für begründet erklärt worden ist. Sie erstreckt sich auch auf die Verhandlung gegen Mitangeklagte, und zwar unabhängig davon, ob diese (zusätzlich) selbst ein Ablehnungsgesuch angebracht haben. Ein Richter kann in einem einheitlichen Strafverfahren nicht teilweise zur Ausübung seines Amtes befugt und teilweise davon ausgeschlossen sein (vgl. Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 27 Rn. 46).
3. Nach alledem ist dem Berufungsverfahren nunmehr durch den stellvertretenden Vorsitzenden der 11. Strafkammer Fortgang zu geben.