Aktenzeichen 4 Qs 79/16
Leitsatz
1 Die Voraussetzungen der Beiordnung eines Pflichtverteidigers nach § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO sind auch dann erfüllt, wenn die Untersuchungshaft nicht in dem vorliegenden, sondern in einem anderen Verfahren vollzogen wird. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2 Denn die mit der Freiheitsentziehung notwendig verbundene Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten gilt nicht nur für das Verfahren, in dem sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft befindet, sondern gleichermaßen auch für weitere anhängige Verfahren. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
1a Gs 1507/16 2016-05-02 Bes AGHOF AG Hof
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Beschuldigten wird der Beschluss des Amtsgerichts Hof vom 02.05.2016, Az.: 1a Gs 1507/16, aufgehoben.
II. Der Beschuldigten wird Rechtsanwalt T. D., Bamberg, als Pflichtverteidiger bestellt.
III. Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin.
Gründe
I.
Gegen die Beschuldigte ist bei der Staatsanwaltschaft Hof unter dem Az. 313 Js 2250/16 ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts einer Straftat nach dem BtMG anhängig. In jenem Verfahren befindet sie sich aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts – Ermittlungsrichter – Hof vom 14.02.2016 (Az.: 1a Gs 471/16) in Untersuchungshaft in der JVA N. Rechtsanwalt D. wurde mit amtsgerichtlichem Beschluss 25.02.2016 zu ihrem Pflichtverteidiger bestellt.
Unter dem Az. 2101 Js 4945/16 führte die Staatsanwaltschaft Bamberg ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen die Beschuldigte, welches von der Staatsanwaltschaft Hof übernommen wurde und nunmehr dort unter dem gegenständlichen Aktenzeichen anhängig ist.
Mit Schriftsatz ihres Wahlverteidigers, RA D., vom 01.04.2016 beantragte die Beschuldigte dessen Pflichtverteidigerbestellung auch im gegenständlichen Verfahren mit der Begründung, es handele sich um einen Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO (Bl. 13 d.A.).
Die Staatsanwaltschaft Hof vertrat hingegen die Auffassung, dass der Antrag unzulässig sei; zugleich erklärte sie, keinen Beiordnungsantrag zu stellen (Bl. 27 d.A.).
Daraufhin lehnte das Amtsgericht Hof den Antrag der Beschuldigten mit Beschluss vom 02.05.2016 als unzulässig ab (Bl. 29-32 d.A.).
Der hiergegen mit Verteidigerschriftsatz vom 24.05.2016 (Bl. 34-37 d.A.) eingelegten Beschwerde der Beschuldigten half das Amtsgericht Hof mit weiterem Beschluss vom 30.05.2016 (Bl. 41-43 d.A.) nicht ab. Die Staatsanwaltschaft Hof hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen (Bl. 50 d.A.).
Wegen der Einzelheiten wird auf die genannten gerichtlichen Entscheidungen und Anträge Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Beschuldigten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hof vom 02.05.2016 ist statthaft (§ 304 Abs. 1 StPO) und in zulässiger Weise eingelegt.
Die Beschwerde ist auch in der Sache begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie zur Stattgabe des Beiordnungsantrags.
Der Beschuldigten ist der von ihr benannte Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger beizuordnen, da die Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung gegeben sind.
Das Amtsgericht setzt sich in der angefochtenen Entscheidung sehr ausführlich mit den gesetzlichen Voraussetzungen des in § 140 Abs. 1 Nrn. 1-3 und Nrn. 5-9 StPO normierten Katalogs sowie des § 140 Abs. 2 StPO auseinander. Hierauf kommt es vorliegend allerdings nicht an, da bereits ein Fall notwendiger Verteidigung nach § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO gegeben ist.
Danach ist einem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger schon dann zu bestellen, wenn gegen ihn Untersuchungshaft nach den §§ 112, 112a StPO vollstreckt wird, was bei der Beschwerdeführerin seit Februar 2016 der Fall ist. Dass die Untersuchungshaft nicht im vorliegenden Verfahren sondern in einem anderen, nämlich im Verfahren 313 Js 2250/16, vollzogen wird, ist – abweichend von der Rechtsauffassung des Amtsgerichts – ohne Bedeutung.
Bereits der Wortlaut der Regelung spricht für die vorgenommene Auslegung. In § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO wird ausschließlich die Vollstreckung von Untersuchungshaft als Anknüpfungspunkt für die Erforderlichkeit der Pflichtverteidigung genannt. Aber auch Entstehungsgeschichte, Gesetzessystematik sowie Sinn und Zweck der Neuregelung sprechen für die genannte Auslegung, denn die durch das Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 29.07.2009 getroffene Neuregelung wurde eingeführt, weil die bis 31.12.2009 geltende Regelungen des § 117 Abs. 4 StPO a.F. und des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO, die eine Pflichtverteidigerbestellung erst nach dreimonatiger Haftdauer vorsahen, mit Blick auf das Gewicht der mit der Untersuchungshaft verbundenen Grundrechtsbeeinträchtigung für unzureichend erachtet wurde (BT-Dr. 16/13097, S. 18).
Die damit angesprochene, mit der Freiheitsentziehung notwendig verbundene Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten gilt aber nicht nur für das Verfahren, in dem sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft befindet, sondern gleichermaßen auch für weitere anhängige Verfahren. Die Kammer teilt insoweit die überwiegend in Rechtsprechung und Kommentarliteratur vertretene, rechtssystematisch und rechtsdogmatisch überzeugende Auffassung (vgl. u.a. OLG Frankfurt StV 2011, 218; OLG Hamm StV 2014, 274; LG Nürnberg-Fürth StV 2012, 658; LG Köln StV 2011, 663; LG Itzehoe StV 2010, 562; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl. [2016], § 140 Rdnr. 14; Laufhütte/Willnow in KK StPO, 7. Aufl., § 140 Rdnr. 11).
Die sowohl vom Amtsgericht Hof als auch von anderen Gerichten (vgl. etwa LG Saarbrücken StRR 2010, 308; LG Bonn NStZ-RR 2012, 15; AG Wuppertal NStZ 2011, 720) vertretene abweichende Auffassung vermag hingegen nicht zu überzeugen. Soweit das Amtsgericht Hof in seiner Nichtabhilfeentscheidung vom 30.05.2016 ausführt, dass die auch von der Beschwerdekammer vertretene Auffassung zu einer nicht gerechtfertigten „Bevorzugung“ der Untersuchungshaft gegenüber anderen Formen der Freiheitsentziehung führen würde, so verkennt es, dass die abweichende Behandlung der Untersuchungshaft ja gerade der in § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO ihren Niederschlag gefundenen Intention des Gesetzgebers entspricht. Auch für die Ansicht des Amtsgerichts Hof, der Gesetzgeber habe bei Neufassung der Vorschrift allein jenes Verfahren im Blick gehabt, in dem sich der Beschuldigte in Haft befinde, findet in den Gesetzesmaterialien keine Stütze. Vielmehr wird in der Begründung der Beschlussempfehlung (BT-Dr. 16/13097, S. 18) u.a. ausgeführt: „Bislang bestimmt das Gesetz eine solche Pflichtverteidigerbestellung aus Anlass der Vollstreckung von Untersuchungshaft erst nach drei Monaten Haftzeit (§ 117 Abs. 4 StPO). Das erscheint in Anbetracht des mit der Inhaftierung verbundenen erheblichen Eingriffs in die Grundrechte der Betroffenen als ungenügend. Der Europarat hat zudem in seinen Empfehlungen zur Untersuchungshaft aus dem Jahr 2006 (Empfehlung Rec(2006)13 des Ministerkomitees an die Mitgliedsstaaten betreffend die Anwendung von Untersuchungshaft, die Bedingungen, unter denen sie vollzogen wird, und Schutzmaßnahmen gegen Missbrauch vom 27. September 2006) auf die Bedeutung des Rechts auf Beistand durch einen Verteidiger insoweit hingewiesen und betont, dass dieser Beistand auf Kosten des Staates zu leisten sei, wenn die betroffene Person nicht über entsprechende eigene finanzielle Mittel verfüge.“
Der so bezeichnete, mit der Untersuchungshaft verbundene erhebliche Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen wirkt sich aber nicht nur in dem Ermittlungsverfahren aus, in dem der Haftbefehl erlassen wurde, sondern in gleicher Weise in sämtlichen Parallelverfahren.
Zur Entscheidung über den Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung war – zumindest auch – die Ermittlungsrichterin des Amtsgerichts Hof berufen. Bereits aufgrund der Zuständigkeitsregelung in § 141 Abs. 4 StPO, wonach bei Entscheidungen nach § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO der Haftrichter für zuständig erklärt wird, ergibt sich, dass der Haftrichter zwar nicht mit der Sache befasst, jedoch mit der Frage, ob sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft befindet, bestens vertraut ist. Nur davon ist die Frage, ob ein Pflichtverteidiger gem. § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO zu bestellen ist, abhängig. Mithin trifft die gesetzgeberische Intention, den am besten mit der Sache vertrauten Richter mit der Bestellung zu betrauen, auch für das Verfahren zu, in dem die Maßnahme nicht vollzogen wird (vgl. OLG Frankfurt a.a.O., LG Nürnberg-Fürth a.a.O.). Nach Anklageerhebung unterscheidet sich die Zuständigkeitsbestimmung ohnehin nicht mehr von der Regelung des § 141 Abs. 4 Halbsatz 1 StPO.
Die angefochtene Entscheidung des Amtsgerichts Hof konnte daher keinen Bestand haben und war auf die Beschwerde der Beschuldigten aufzuheben.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.