Aktenzeichen 16b D 13.993
StGB § 206, § 242
Leitsatz
1 Nach der neuesten Rechtsprechung des BVerwG (BeckRS 2016, 43599) ist auch für innerdienstliche Dienstvergehen auf den gesetzlichen Strafrahmen zurückzugreifen, um das Ausmaß des Vertrauensschadens zu bestimmen, der durch eine vom Beamten begangene Straftat hervorgerufen wird. Bei Straftaten wie Diebstahl und der Verletzung des Postgeheimnisses, für die ein Strafrahmen bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe vorgesehen ist, reicht der Rahmen für die Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein Beamter, der ihm anvertraute Postsendungen öffnet und daraus Geld entwendet, versagt im Kernbereich seiner Dienstpflichten und zerstört in der Regel das für den Fortbestand des Beamtenverhältnisses notwendige Vertrauen. Er muss deshalb grundsätzlich mit der Auflösung des Beamtenverhältnisses rechnen. (redaktioneller Leitsatz)
3 Vom Höchstmaß der Entfernung aus dem Dienst kann zugunsten einer Zurückstufung abgesehen werden, wenn ein “anerkannter” Milderungsgrund vorliegt. Als Milderungsgrund kommt eine erhebliche Minderung der Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) in Betracht, wenn der Beamte auf Grund einer Heroinabhängigkeit in seiner Steuerungsfähigkeit stark eingeschränkt war und diese Lebensphase vollständig überwunden ist. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 13 B DK 12.3401 2013-03-19 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 19. März 2013 wird aufgehoben.
II.
Die Beklagte wird in das Amt einer Postoberschaffnerin (Besoldungsgruppe A 3 BBesO) versetzt.
III.
Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen werden gegeneinander aufgehoben.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und hat insoweit Erfolg, als die Beklagte nicht, wie vom Verwaltungsgericht ausgesprochen, aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen, sondern in das Amt einer Postoberschaffnerin (Besoldungsgruppe A3 BBesO) zurückzustufen ist (§ 9 BDG).
1. Das Disziplinarverfahren weist in formeller Hinsicht keine Mängel auf. Solche sind vom Beklagten im Berufungsverfahren auch nicht geltend gemacht worden.
2. Der vom Verwaltungsgericht festgestellte Sachverhalt ist zur Überzeugung des Berufungsgerichts erwiesen. Die tatsächlichen Feststellungen im rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 14. Juni 2010 (Az.: 841 Cs 125 Js 12646/09) sind zwar nicht bindend, der Senat kann sie dennoch gemäß § 65 Abs. 1, § 57 Abs. 2 BDG seinem Urteil ohne nochmalige Prüfung zugrunde legen. Die Beklagte hat den Sachverhalt, wie nachfolgend dargestellt, eingeräumt, so dass weitere Ermittlungen nicht veranlasst waren.
Der Senat ist davon überzeugt, dass die Beklagte im Zeitraum von Anfang Juli 2008 bis zum 18. November 2011 sechs Briefe geöffnet und aus diesen Briefen insgesamt 105 € Bargeld und ein Kunstgeschenk im Wert von 20 € an sich genommen hat, um das Geld bzw. den Wertgegenstand für sich zu behalten, und damit auch das Brief- und Postgeheimnis verletzt hat.
3. Das Dienstvergehen, das sich die Beklagte hat zuschulden kommen lassen, ist als schweres einheitliches innerdienstliches Dienstvergehen einzustufen, weil die Beamtin schuldhaft die ihr obliegenden Dienstpflichten verletzt hat (§ 77 Abs. 1 Satz 1 BBG). Durch das festgestellte und von der Beklagten eingeräumte Verhalten hat sie vorsätzlich gegen die Dienstpflichten verstoßen, ihr Amt uneigennützig zu verwalten und innerhalb des Dienstes, der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die ihr Beruf erfordern (§ 61 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BBG).
4. Das festgestellte Dienstvergehen wiegt schwer im Sinne von § 13 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 BDG und führt bei einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall be- und entlastenden Umstände zur Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung um eine Stufe (§ 9 BDG).
4.1 Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall angemessen und erforderlich ist, richtet sich nach § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG. Die Disziplinarmaßnahme ist danach insbesondere nach der Schwere des Dienstvergehens, der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit, dem Persönlichkeitsbild und dem bisherigen dienstlichen Verhalten zu bemessen (§ 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG). Beamte, die durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren haben, sind gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Aus § 13 Abs. 1 BDG folgt die Verpflichtung des Gerichts, über die erforderliche Disziplinarmaßnahme anhand einer prognostischen Würdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall belastenden und entlastenden Gesichtspunkte zu entscheiden. Gegenstand der disziplinarrechtlichen Bewertung ist die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrecht zu erhalten (st. Rspr., vgl. BVerwG, U.v. 23.2.2012 – 2 C 38/10 – juris Rn. 11).
Maßgebendes Kriterium für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist die Schwere des Dienstvergehens. Sie ist richtungsweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich zum einen nach Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale), zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen der Beamtin für ihr pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6/14 – juris Rn. 16; B.v. 11.2.2014 – 2 B 37/23 – juris Rn. 10; B.v. 25.5.2012 – 2 B 133/11 – juris Rn. 9 m. w. N.), insbesondere nach den Höhe des entstandenen Schadens (vgl. BVerwG, U.v. 29.5.2008 – 2 C 59/07 – juris).
Zur Bestimmung des Ausmaßes des Vertrauensschadens, der durch eine vom Beamten vorsätzlich begangene Straftat hervorgerufen wird, ist nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 10.12.2015 – 2 C 6/14 – juris Rn. 19: Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung zu den Zugriffsdelikten) nunmehr auch für innerdienstliche Dienstvergehen auf den gesetzlichen Strafrahmen zurückzugreifen. Auch bei diesen Dienstvergehen gewährleistet die Orientierung des Umfangs des Vertrauensverlustes am gesetzlichen Strafrahmen eine nachvollziehbare und gleichmäßige disziplinarische Ahndung der Dienstvergehen.
Das Strafgericht hat die Beklagte vorliegend wegen sechs tatmehrheitlicher Fälle des Diebstahls in Tateinheit mit Verletzung des Postgeheimnisses gemäß §§ 242 Abs. 1, 248a, 206 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2, 53 StGB bestraft. Sowohl nach § 242 Abs. 1 StGB (Diebstahl) als auch nach § 206 StGB (Verletzung des Postgeheimnisses) reicht der Strafrahmen bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Begeht ein Beamter innerdienstlich unter Ausnutzung seiner Dienststellung eine Straftat, für die das Strafgesetz als Strafrahmen eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vorsieht (hier sind es bis zu fünf Jahre), reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6/14 – juris Rn. 20).
Die Ausschöpfung des maßgeblich in Anlehnung an die abstrakte Strafdrohung gebildeten Orientierungsrahmens kommt aber nur dann in Betracht, wenn dies auch dem Schweregehalt des vom Beamten konkret begangenen Dienstvergehens entspricht (vgl. BVerwG, U.v. 18.6.2015 – 2 C 9/14 – juris Rn. 36). Der Ausspruch der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme setzt voraus, dass das Verhalten des Beamten aufgrund der Tatumstände als besonders verwerflich einzustufen ist. Dabei kann indiziell auf die von den Strafgerichten ausgesprochene Sanktion zurückgegriffen werden (vgl. BVerwG, U.v. 18.6.2015 – 2 C 9/14 – juris Rn. 37).
Hier hat das Strafgericht eine Gesamtgeldstrafe von 3.800 € (95 Tagessätze à 40,00 €) verhängt. Die der Geldstrafe zugrunde liegende Zahl der Tagessätze liegt damit über der Bagatellgrenze des § 32 Abs. 2 Nr. 5 Buchst. a BZRG (vgl. Tolzmann, Bundeszentralregistergesetz, 5. Aufl. 2015, § 32 Rn. 28; Hase, Bundeszentralregistergesetz, 2. Aufl. 2014, § 32 Rn. 9). Nach dieser Bestimmung werden Geldstrafen von nicht mehr als neunzig Tagessätzen nicht in das Führungszeugnis aufgenommen, wenn im Register keine weitere Strafe eingetragen ist. Ob diese Vorschrift insoweit taugliche Orientierungsgrundlage sein kann offen bleiben. Selbst wenn man davon ausginge, dass in allen Fällen einer Geldstrafe die Strafverfolgungsorgane nicht von einer besonderen Schwere der individuellen Schuld ausgehen und der Ausspruch einer statusverändernden Disziplinarmaßnahme deshalb einer besonderen Begründung zur Schwere der Verfehlung bedarf, so dass die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nur ausnahmsweise und bei Vorliegen disziplinarrechtlich bedeutsamer Umstände in Betracht kommt (so ausdrücklich BVerwG, Urt. v. 18. Juni 2015 – 2 C 9.14 – juris Rn. 38), lägen solch Umstände hier vor:
Die volle Ausschöpfung des in Anlehnung an die abstrakte Strafandrohung gebildeten Orientierungsrahmens ist wegen der konkreten Umstände des Dienstvergehens geboten. Ein Beamter, der ihm amtlich anvertraute oder dienstlich zugängliche Postsendungen öffnet und daraus Geld entwendet, die seinem Gewahrsam unterliegen, versagt im Kernbereich seiner Dienstpflichten und zerstört in der Regel das für die Fortdauer des Beamtenverhältnisses notwendige Vertrauen in seine Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit (vgl. BVerwG, U.v. 23.2.2012 – 2 C 38/10 – juris Rn. 12), denn die öffentliche Verwaltung ist auf die Redlichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Bediensteten beim Umgang mit solchen Gütern in hohem Maße angewiesen. Eine ständige und lückenlose Kontrolle eines jeden Mitarbeiters ist unmöglich und muss deshalb weitgehend durch Vertrauen ersetzt werden. Wer diese für das Funktionieren des öffentlichen Dienstes unabdingbare Vertrauensgrundlage zerstört, muss deshalb grundsätzlich mit der Auflösung des Beamtenverhältnisses rechnen (vgl. BVerwG, B.v. 20.12.2011 – 2 B 64/11 – juris Rn. 11; U.v. 3.5.2007 – 2 C 9/06 – juris; U.v. 8.4.2003 – 1 D 27/02 – juris; jeweils zum Zugriffsdelikt). Hinzu kommt, dass die Beklagte mit dem Öffnen der Briefe zusätzlich auch das Postgeheimnis verletzt hat. Die Verletzung des Postgeheimnisses stellt als solches ein schweres Dienstvergehen dar, da von einem Postbeamten erwartet werden muss, dass er dieses grundrechtlich durch Art. 10 GG und einfachrechtlich durch § 39 PostG und § 206 StGB geschützte Rechtsgut achtet und mit besonderer Sorgfalt respektiert (vgl. BVerwG, U.v. 24.5.2007 – 2 C 25.06 – juris Rn. 34). In der schuldhaften Verletzung des Postgeheimnisses durch Postbeamte liegt deshalb ein Dienstvergehen, das für sich allein schon geeignet ist, die Grundlage des Beamtenverhältnisses zu zerstören. Dies gilt verstärkt dann, wenn das Postgeheimnis – wie hier – mit dem Ziel verletzt wird, Zugang zu aneignungsfähigen Inhalten, z. B. Bargeld, zu erlangen.
Ausgangspunkt der Erwägungen für die Zumessung der Disziplinarmaßnahme bleibt damit die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (§ 10 BDG).
4.2 Von der Höchstmaßnahme ist zugunsten einer weniger strengen Disziplinarmaßnahme abzusehen, wenn ein – ursprünglich vom Bundesverwaltungsgericht zu den Zugriffsdelikten entwickelter – sog. „anerkannter“ Milderungsgrund vorliegt. Diese erfassen typisierend Beweggründe oder Verhaltensweisen des Beamten, die regelmäßig Anlass für eine noch positive Persönlichkeitsprognose geben. Zum einen tragen sie existenziellen Notlagen sowie körperlichen und psychischen Ausnahmesituationen – auch einer etwa verminderten Schuldfähigkeit – Rechnung, in denen ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet werden kann. Zum anderen erfassen sie ein tätiges Abrücken von der Tat, insbesondere durch die freiwillige Wiedergutmachung des Schadens oder die Offenbarung des Fehlverhaltens jeweils vor drohender Entdeckung. Auch der Milderungsgrund der Geringwertigkeit kann dazu führen, dass im Hinblick darauf, dass durch das Dienstvergehen nur ein geringer Schaden entstanden ist, von der Höchstmaßnahme abgesehen werden muss (vgl. BVerwG, U.v. 23.2.2012 – 2 C 38/10 – juris Rn. 13).
Diese Milderungsgründe stellen jedoch keinen abschließenden Kanon der bei Dienstvergehen berücksichtigungsfähigen Entlastungsgründe dar. Bei der prognostischen Frage, ob gegenüber einem Beamten aufgrund eines schweren Dienstvergehens ein endgültiger Vertrauensverlust eingetreten ist, gehören zur Prognosebasis außerdem alle für diese Einschätzung bedeutsamen belastenden und entlastenden Ermessensgesichtspunkte, die in eine Gesamtwürdigung einzubeziehen sind. Selbst wenn keiner der vorrangig zu prüfenden anerkannten Milderungsgründe vorliegt, können entlastende Umstände gegeben sein, deren Gewicht in ihrer Gesamtheit dem Gewicht anerkannter Milderungsgründe vergleichbar ist. Entlastungsmomente können sich dabei aus allen denkbaren Umständen ergeben. Solche Umstände können das Absehen von der disziplinarischen Höchstmaßnahme rechtfertigen, wenn sie in ihrer Gesamtheit das Gewicht eines anerkannten Milderungsgrundes aufweisen. Generell gilt, dass das Gewicht der Entlastungsgründe umso größer sein muss, je schwerer das Zugriffsdelikt aufgrund der Schadenshöhe, der Anzahl und Häufigkeit der Zugriffshandlungen, der Begehung von „Begleitdelikten“ und anderen belastenden Gesichtspunkten im Einzelfall wiegt. Entlastungsgründe sind nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ bereits dann einzubeziehen, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen sprechen (vgl. BVerwG, U.v. 23.2.2012 – 2 C 38/10 – juris Rn. 14ff. m. w. N.). Erforderlich ist stets eine Prognoseentscheidung zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung auf Grundlage aller im Einzelfall be- und entlastenden Umstände (vgl. BVerwG, U.v. 6.6.2007 – 1 D 2.06 – juris). Bei schweren Dienstvergehen stellt sich dann vorrangig die Frage, ob der Beamte nach seiner gesamten Persönlichkeit noch im Beamtenverhältnis tragbar ist.
4.2.1 Der in der Rechtsprechung entwickelte „anerkannte“ Milderungsgrund der Geringwertigkeit der Sache kommt bei der Beklagten nicht zum Tragen. Ausgehend von der Rechtsprechung der Strafgerichte zu § 248a StGB ist die Grenze zur Geringwertigkeit bei etwa 50 € anzusetzen (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6/14 – juris Rn. 26; U.v. 25.7.2013 – 2 C 63/11 – Rn. 16), wobei mildere Umstände von insgesamt vergleichbaren Gewicht bei einmaligem Fehlverhalten auch bis zu einer Schadenshöhe von 200 € in Betracht kommen können (vgl. BVerwG, B.v. 23.2.2012 – 2 B 143/11 – juris). Hier liegt der Schaden bei 125 € und damit oberhalb der Schwelle von 50 €, zudem handelt es sich nicht um ein lediglich einmaliges Fehlverhalten.
4.2.2 Es bestehen aber hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte, dass der Beklagten der „anerkannte“ Milderungsgrund der erheblich verminderten Schuldfähigkeit nach § 21 StGB zur Seite steht. Der Sachverständige Prof. Dr. W… ist in seinem fachpsychiatrischen Gutachten vom 2. Februar 2016 davon ausgegangen, dass bei der Beklagten im Zeitraum von Anfang Juli 2008 bis 18. November 2009 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Heroinabhängigkeit (Opiatabhängigkeit) mit unkontrolliertem Gebrauch bestand, so dass von einer schweren anderen seelischen Abartigkeit nach § 20 StGB im fraglichen Zeitraum auszugehen sei. Im fraglichen Zeitraum sei daher nicht auszuschließen, dass sich die Beamtin aufgrund von tatsächlichen oder drohenden Entzugssymptomen im Zustand verminderter Steuerungsfähigkeit befunden habe. Er hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 29. April 2016 die scheinbare Plausibilitätslücke hinsichtlich der im maßgeblichen Zeitraum bei den Drogen-Screeninguntersuchungen im Rahmen der Substitutionsbehandlung negativen Urintests (am 2.3.2009, 7.4.2009, 12.5.2009, 29.6.2009, 10.8.2009, 28.9.2009 und 22.10.2009) erklärt, die der Klägerin Anlass gaben, an der „unkontrollierten Abhängigkeit mit großem Suchtdruck“ zu zweifeln. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass bei positiven Urintests am 19. Februar 2009 und 31. August 2009 Opiate gefunden und am 1. Dezember 2009 Methadon im Urin nachgewiesen worden sind. Damit habe sich im Tatzeitraum von Juli 2008 bis 18. November 2009 zweimal der klare Nachweis des Konsums von Opiaten, kurz nach Ablauf des Tatzeitraums einmalig auch der Konsum eines Opiat-Substituts (Methadon) gezeigt. Ein durchgeführter Drogentest im Urin lasse nur eine objektive Beurteilung über den Tag des Screenings und bis zu maximal vier Tagen davor zu. Eine objektive Aussage bezüglich des Konsums von Opiaten an allen anderen Tagen sei damit nicht möglich. Suchtkranke Menschen wüssten sehr wohl um die Dauer der Nachweisbarkeit der Substanz in ihrem Blut und Urin. Bei bestehender Abhängigkeit und Fokussierung der Interessen auf die Beschaffung der nächsten Dosis werde der Einnahmezeitpunkt der Droge häufig entsprechend zeitlich vor bzw. nach der Screeninguntersuchung gewählt, damit die Aushändigung der Substitutionssubstanz nicht gefährdet werde. Damit bleibe für den besagten Zeitraum hinsichtlich der Tage, für die kein Drogenurinscreening vorliege und an denen keine persönliche Vorstellung bei einem Arzt stattgefunden habe, lediglich die Aussage der Beklagten über ihre Suchterkrankung und ihre Konsumgewohnheiten. Objektive Beweise für den Konsum von Opiaten und Methadon lägen an den genannten Zeitpunkten minus maximal vier vorangegangenen Tagen vor, aber ebenso fehlten objektive Beweise für den nicht stattgefundenen Konsum an Tagen, an welchen keine Screening-Untersuchungen vorgenommen worden seien. Ein Beigebrauch von Heroin oder anderen Drogen sei bei monatlicher Überprüfung nicht ausschließbar. Nach Gesamteinschätzung der Situation und den Angaben der Beamtin zufolge sei das Vorliegen einer „unkontrollierten Abhängigkeit mit hohem Suchtdruck“ in besagtem Zeitraum sehr wahrscheinlich. Die unkontrollierte Abhängigkeit habe sich auch dadurch gezeigt, dass die Beamtin auf andere Substitute – wie Methadon – ausgewichen sei (positiver Urintest auf Methadon am 1. Dezember 2009), um ihren Suchtdruck zu reduzieren. Von einer stabilen Substitution bei Opiatabhängigkeit gehe man aus, wenn unter Substitution kein Konsum von Opiaten oder anderen Drogen erfolgt sei. Im Jahre 2009 sei der Test auf Drogen im Urin, der ohnehin nur einmal im Monat durchgeführt worden sei, dreimal positiv (zweimal Opiate, einmal Methadon) gewesen. Damit sei nicht von einer stabilen Substitution auszugehen. Aufgrund der überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen geht der Senat „in dubio pro reo“ davon aus, dass die Beklagte in ihrer Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert war.
Liegt eine erhebliche Minderung der Schuldfähigkeit des Beamten im Sinne des § 21 StGB tatsächlich vor, so ist dieser Umstand bei der Bewertung der Schwere des Dienstvergehens mit dem ihm zukommenden erheblichen Gewicht heranzuziehen. Bei einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit kann die Höchstmaßnahme regelmäßig nicht mehr ausgesprochen werden (vgl. BVerwG, B.v. 6.6.2013 – 2 B 50/12 – juris Rn. 10; B.v. 20.10.2011 – 2 B 61/10 – juris Rn. 9; U.v. 25.3.2010 – 2 C 83/08 – juris Rn. 34).
Vorliegend sind keine Erschwerungsgründe von solchem Gewicht gegeben, dass der „anerkannte“ Milderungsgrund erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit ausnahmsweise aufgewogen würde. Ein nicht bereits durch den Unrechtsgehalt des Delikts selbst gekennzeichneter Erschwerungsgrund ist nicht ersichtlich.
Der „anerkannte“ Milderungsgrund setzt aber voraus, dass die negative Lebensphase, die Ursache des Dienstvergehens war, zum Zeitpunkt der Bemessung der Disziplinarmaßnahme durch das Gericht vollständig überwunden ist (vgl. BVerwG, B.v. 22.3.2016 – 2 B 43/15 – juris Rn. 11 hinsichtlich „Entgleisungen während einer negativen, inzwischen überwundenen Lebensphase“).
Das ist hier der Fall: Die Beamtin ist in einer stabilen Substitutionsbehandlung und hat nach Überzeugung des Senats ihre negative Lebensphase überwunden. Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass derzeit von einer erfolgreichen Behandlung auszugehen sei, da seit 2012 ein stabiler Substitutionsprozess vorliegt, ohne Nachweis für schädlichen Beigebrauch (Kontrollen durch Drogenurin-Screenings). Die Beamtin zeige sich sehr krankheits- und behandlungseinsichtig. Bei Weiterführung des ärztlich überwachten Ersatzdrogenprogramms sei ein Rückfall und damit einhergehende ähnliche Pflichtverstöße weniger wahrscheinlich. Bei Opiatabhängigen sei ein Rückfall niemals mit völliger Sicherheit auszuschließen. Die Wahrscheinlichkeit sei aber unter einem kontrollierten Substitutionsprogramm geringer als nach kompletter Entwöhnung. Es gebe keine Garantie dafür, dass ein suchtkranker Mensch zukünftig nie wieder einen Rückfall erleide und im Rahmen der Suchterkrankung andere Pflichtverstöße begehe. Im Rahmen einer kontrollierten Substitutionsbehandlung sei dieses Risiko allerdings deutlich geringer als ohne Behandlung oder auch im Rahmen von Rückfallphasen nach einer Abstinenzphase. Im Falle der Beamtin ist von einer günstigen Rückfallprognose auszugehen. Neben der gutachterlichen Einschätzung, die schlüssig und nachvollziehbar ist, wenngleich dem Umstand geschuldet ist, dass letztendliche Sicherheit bei einer Prognose nicht möglich ist, hat sich der Senat maßgebend auch davon leiten lassen, dass die Beklagte die medizinischpsychologische Untersuchung zur Wiedererlangung der Fahrerlaubnis erfolgreich absolviert hat (in deren Rahmen toxikologische Haaruntersuchungen auf Drogen- und Alkoholkonsum erfolgten), sich einen neuen Freundeskreis aufgebaut hat und in einem stabilen familiären Umfeld lebt.
Mit Blick auf die erheblich verminderte Schuldfähigkeit der Beklagten während des Tatzeitraums und unter Berücksichtigung der Stabilisierung der Beamtin durch einen seit 2012 bestehenden stabilen Substitutionsprozess ist die Prognose zukünftiger ordnungsgemäßer Aufgabenwahrnehmung gerechtfertigt und damit das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit in die Beklagte und die Ordnungsmäßigkeit ihrer zukünftigen Aufgabenwahrnehmung – objektiv betrachtet – nicht endgültig verloren (§ 13 Abs. 1 Satz 4 BDG). Die Beklagte ist daher nicht aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. In der Gesamtschau aller be- und entlastenden Umstände ist die Zurückstufung der Beklagten nach § 9 BDG um eine Stufe angemessen, aber auch geboten.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 BDG i. V. m. § 155 Abs. 1 Satz 2 VwGO.
Die Revision wird nicht zugelassen, da kein Zulassungsgrund vorliegt (§ 69 BDG, § 132 Abs. 2 VwGO).