Strafrecht

Entfernung aus Beamtenverhältnis wegen schwerer Dienstvergehen – Verwahrungsbruch und Untreue

Aktenzeichen  16a D 14.2285

Datum:
5.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayDG BayDG Art. 11, Art. 14
StGB StGB § 52, § 53, § 133 Abs. 1, Abs. 3, § 266 Abs. 1, Abs. 3, § 263 Abs. 3 S. 1 Nr. 4
SGG SGG § 197

 

Leitsatz

Bei einer rechtskräftigen Verurteilung eines Kostenbeamten am Sozialgericht zu einer Freiheitsstrafe von 11 Monaten auf Bewährung wegen 175 Handlungen des Verwahrungsbruchs durch systematische Entziehung von Akten und Untreue ist die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis die angemessene Disziplinarmaßnahme, weil der Beamte durch dieses Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherren und der Allgemeinheit endgültig verloren hat (Art. 14 Abs. 2 S. 1 BayDB). (redaktioneller Leitsatz)
Eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Beamten im Sinne von §§ 20, 21 StGB zur Tatzeit stellt einen mildernden Umstand dar, der die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis regelmäßig ausschließt. Die Voraussetzungen einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit als „anerkannter“ Milderungsgrund liegen aber nicht vor, wenn der Beamten an einer “Persönlichkeitsakzentuierung” leidet, die es verhindert, dass er sich bei Überlastung zu einer aktiven Bewältigung aufrafft, sondern in Passivität verharrt. Dieser Zustand ist allerdings in die Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände einzustellen. (redaktioneller Leitsatz)
Gegen die mildernde Berücksichtigung des Gesichtspunkts einer Vernachlässigung der Aufsichtspflicht durch den Dienstherren spricht es, wenn der Beamten keine Überlastungsanzeige stellt. Im Übrigen liegt kein mildernd zu berücksichtigendes “Führungsversagen” vor, wenn die Aufgabenverteilung objektiv angemessen und der Beamte dem übertragenen Dienstposten durchaus gewachsen war. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 12b D 13.1257 2014-05-26 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
II.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Gründe

Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (Art. 11 BayDG) verhängt.
Der Beklagte hat ein innerdienstliches Dienstvergehen begangen (1.). Die grundsätzliche Zuordnung des Dienstvergehens nach seiner Schwere zu einer der Disziplinarmaßnahmen nach Art. 6 BayDG richtet sich nach dem gesetzlich bestimmten Strafrahmen (2.1). Ein Beamter, der über Jahre hinweg dienstliche Belange grob missachtet, hunderte von Verfahrensakten und Schriftstücken im Dienst verschwinden lässt und zugleich Straftaten im Amt begeht, macht sich untragbar. In diesem Fall ist die volle Ausschöpfung des in Anlehnung an die abstrakte Strafandrohung gebildeten Orientierungsrahmens geboten (2.2). Die in der Rechtsprechung entwickelten „anerkannten“ Milderungsgründe kommen dem Beklagten nicht zugute (2.3). Die Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände ergibt, dass der Beklagte wegen des endgültigen Verlusts des Vertrauens des Dienstherrn und der Allgemeinheit aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen ist (2.4).
1. Der Senat legt seiner Entscheidung den Sachverhalt zugrunde, der Gegenstand der Disziplinarklage des Klägers (Abschnitt III Ziffern 1 bis 28 inklusive der Anlagen) ist. Die dort im Einzelnen aufgelisteten dienstpflichtverletzenden Handlungen des Beklagten im Zeitraum von 1998 bis 2010 sind – soweit strafrechtlich relevant – identisch mit dem im Strafbefehl vorgehaltenen und mit rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts W. sanktionierten Sachverhalt. Gemäß Art. 63 Abs. 1, Art. 55, Art. 25 Abs. 2 BayDG können die im rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts W. vom 2. Dezember 2013 getroffenen tatsächlichen Feststellungen auch der Entscheidung im Disziplinarverfahren ohne nochmalige Prüfung zugrunde gelegt werden. Anlass, von diesen Feststellungen abzuweichen, besteht nicht, zumal der Beklagte den ihm vorgeworfenen Sachverhalt im behördlichen Disziplinarverfahren und im gerichtlichen Verfahren sowohl vor dem Verwaltungsgericht als auch vor dem Verwaltungsgerichtshof vollumfänglich eingeräumt hat. Auch die über die strafrechtlich relevanten Sachverhalte hinausgehenden angeschuldigten Dienstvergehen (insbesondere mangelhafte Leistung und diverse Weisungsverstöße) hat der Beklagte eingeräumt.
Der Beklagte hat durch sein Verhalten gegen seine Pflichten verstoßen, die Gesetze zu beachten (§ 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG i. V. m. §§ 133 Abs. 1, Abs. 3, 266 Abs. 1, Abs. 3, 263 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4, 52, 53 StGB), sein Amt uneigennützig und gewissenhaft zu verwalten (§ 34 Sätze 1 und 2 BeamtStG) und sich dem Beruf entsprechend achtungs- und vertrauenswürdig zu verhalten (§ 34 Satz 3 BeamtStG). Er hat ferner gegen seine beamtenrechtliche Pflicht, dienstliche Anordnungen auszuführen und allgemeine Richtlinien zu beachten, sowie seine Vorgesetzten zu beraten und zu unterstützen, verstoßen (§ 35 Satz 2 BeamtStG).
Diese Dienstvergehen hat der Beklagte innerdienstlich begangen, weil sein pflichtwidriges Verhalten in sein Amt und in seine dienstlichen Pflichten eingebunden war (vgl. BVerwG, U. v. 10.12.2015 – 2 C 6/14 – ZBR 2016, 254 – juris Rn. 11 m. w. N.).
2. Nach Art. 14 Abs. 1 BayDG und der dieser Vorschrift inhaltlich entsprechenden Bemessungsregelung des Disziplinargesetzes des Bundes ist die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens und unter angemessener Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten sowie des Umfangs der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn und der Allgemeinheit zu treffen. Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden. Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfall in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (vgl. BVerwG, U. v. 10.12.2015 – 2 C 6/14 – ZBR 2016, 254 – juris Rn. 12 m. w. N.).
Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme ist nur zulässig, wenn der Beamte wegen der schuldhaften Verletzung einer ihm obliegenden Pflicht das für die Ausübung seines Amts erforderliche Vertrauen endgültig verloren hat (Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG). Nur so können die Integrität des Berufsbeamtentums und das Vertrauen in die ordnungsgemäße Aufgabenwahrnehmung der Beamten aufrechterhalten werden. Ist die Weiterverwendung eines Beamten wegen eines von ihm begangenen schweren Dienstvergehens nicht mehr denkbar, muss er durch eine Disziplinarmaßnahme aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden. Schwerwiegende Vorsatzstraftaten bewirken generell einen Vertrauensverlust, der unabhängig vom jeweiligen Amt zu einer Untragbarkeit der Weiterverwendung als Beamter führt (vgl. BVerwG, U. v. 10.12.2015 – 2 C 6/14 – ZBR 2016, 254 – juris Rn. 12/13).
2.1 Da die Schwere des Dienstvergehens nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme ist, muss das festgestellte Dienstvergehen nach seiner Schwere einer der im Katalog des Art. 6 Abs. 1 BayDG aufgeführten Disziplinarmaßnahme zugeordnet werden. Bei der Auslegung des Begriffs „Schwere des Dienstvergehens“ ist maßgebend auf das Eigengewicht der Verfehlung abzustellen. Hierfür können bestimmend sein objektive Handlungsmerkmale (insbesondere Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung, z. B. Kern- oder Nebenpflichtverletzungen, sowie besondere Umstände der Tatbegehung, z. B. Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens), subjektive Handlungsmerkmale (insbesondere Form und Gewicht der Schuld des Beamten, Beweggründe für seine Verhalten) sowie unmittelbare Folgen des Dienstvergehens für den dienstlichen Bereich und für Dritte (vgl. BVerwG, U. v. 10.12.2015 – 2 C 6/14 – ZBR 2016, 254 – juris Rn. 16).
Zur Bestimmung des Ausmaßes des Vertrauensschadens, der durch eine vom Beamten vorsätzlich begangene Straftat hervorgerufen worden ist, greift der Senat auch bei innerdienstlich begangenen Straftaten nunmehr auf den Strafrahmen zurück und folgt damit der geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BVerwG, U. v. 10.12.2015 – 2 C 6/14 – ZBR 2016, 254; B. v. 05.7.2016 – 2 B 24/16 – juris Rn. 14).
Vorliegend stellen die dienstpflichtverletzenden Handlungen, welche auch dem Strafbefehl des Amtsgerichts W. zugrunde lagen – hier die Untreuehandlungen und eine Vielzahl von Verwahrungsbrüchen -, die schwerste Dienstpflichtverletzung dar (vgl. BayVGH, U. v. 13.7.2011 – 16a D 09.3127 – juris: Bestimmung der zu verhängenden Disziplinarmaßnahme nach der schwersten Verfehlung). Dies ergibt sich schon daraus, dass für die Straftat der Untreue in einem besonders schweren Fall nach §§ 266 Abs. 1 und 2, 263 Abs. 3 StGB ein Strafrahmen bis zu zehn Jahren und für die Straftat des Verwahrungsbruchs als Amtsträger nach § 133 Abs. 1 und 3 StGB ein Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe besteht. Damit bewegt sich die Strafandrohung weit über dem mittelschweren Bereich (vgl. BVerwG, U. v. 24.11.2015 – 2 WD 15/14 – juris Rn. 51). Begeht ein Beamter innerdienstlich eine Straftat, für die das Strafgesetz als Strafrahmen eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vorsieht (hier sind es bis zu zehn Jahre), reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (vgl. BVerwG, U. v. 10.12.2015 – 2 C 6/14 – juris Rn. 20).
2.2 Die in Ausfüllung dieses Rahmens zu treffende Bemessungsentscheidung nach Maßgabe des Art. 14 BayDG führt zur Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis, weil er durch sein Dienstvergehen das Vertrauen des Klägers und auch der Allgemeinheit endgültig verloren hat (Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG).
Die volle Ausschöpfung des in Anlehnung an die abstrakte Strafandrohung gebildeten Orientierungsrahmens ist hier wegen der konkreten Umstände des Dienstvergehens geboten. Angesichts des Ausmaßes der im Strafbefehl dokumentierten Verstöße des Beklagten, der großen Anzahl unerledigter bzw. sogar versteckter Akten und des erheblichen Schadens in Höhe von 15.431,35 € durch die nicht erfolgte kostenrechtliche Behandlung, hat der Beklagte im Bereich seiner Kernaufgaben als Geschäftsstellenleiter und Kostenbeamter gefehlt. Es kam dadurch zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Dienstbetriebs und führte auch dazu, dass das Ansehen des Sozialgerichts W. litt, da einzelne Vorfälle öffentlich bekannt wurden. Ein Beamter, der über Jahre hinweg dienstliche Belange grob missachtet, hunderte von Verfahrensakten und Schriftstücken im Dienst verschwinden lässt und zugleich Straftaten im Amt begeht, macht sich untragbar.
Bei der Einordnung des Dienstvergehens des Beklagten in den bis zur Dienstentfernung eröffneten Orientierungsrahmens ist auch die von dem Strafgericht ausgesprochene, erhebliche Freiheitsstrafe von 11 Monaten zu berücksichtigen. Ungeachtet der unterschiedlichen Zwecke von Straf- und Disziplinarrecht kann bei der disziplinarrechtlichen Ahndung eines Dienstvergehens indiziell auch an die von den Strafgerichten ausgesprochenen Sanktionen angeknüpft werden (vgl. BVerwG, U. v. 10.12.2015 – 2 C 6/14 – juris Rn. 24).
2.3 Die in der Rechtsprechung entwickelten sogenannten „anerkannten“ Milderungsgründe kommen dem Beklagten nicht zugute.
2.3.1 Eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Beamten im Sinne von §§ 20, 21 StGB zur Tatzeit stellt einen mildernden Umstand dar, der die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis regelmäßig ausschließt (vgl. BVerwG, B. v. 6.6.2013 – 2 B 50/12 – ZBR 2013, 351 – juris Rn. 10). Die Voraussetzungen einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB als „anerkannter“ Milderungsgrund liegen hier jedoch nicht vor. Der Senat geht davon aus, dass beim Beklagten zum gutachtensrelevanten Zeitraum keines der in § 20 StGB genannten Krankheitsbilder vorlag, mithin eine verminderte Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB tatbestandlich ausscheidet. Er folgt insofern dem im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten von Prof. Dr. N. vom 18. Januar 2016, der sich mit dieser Frage dezidiert befasst und sie nachvollziehbar verneint hat. Die dortigen Feststellungen hat der Beklagte nicht substantiiert in Frage gestellt.
Nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen kann sich der Beklagte aufgrund seiner Persönlichkeitsakzentuierung (passive Aggressivität) bei Überlastung nicht zu einer aktiven Bewältigung aufraffen. Diese Akzentuierung ist in ihrer Ausprägung und Auswirkung aus der psychiatrischen Sicht des Sachverständigen jedoch nicht einer Persönlichkeitsstörung im Sinne der gängigen Klassifikationssysteme zuzuordnen. Da sich die vom Sachverständigen beschriebene Persönlichkeitsakzentuierung mithin nicht auf die Schuldfähigkeit auswirkt, ist insoweit nicht von einem mildernden Umstand auszugehen. Die Persönlichkeitsakzentuierung ist vielmehr in die Gesamtwürdigung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG einzustellen (s. hierzu 2.4; vgl. BVerwG, B. v. 6.6.2013 – 2 B 50/12 – ZBR 2013, 351 – juris Rn. 10). Unter Berücksichtigung der vorzitierten Rechtsprechung ist auch nicht von einem Zustand auszugehen, der der erheblich verminderten Schuldfähigkeit nahekommt.
2.3.2 Eine Vernachlässigung der Aufsichtspflicht kann im Einzelfall unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Fürsorgepflicht oder des „Mitverschuldens“ als Mitursache einer dienstlichen Verfehlung bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme mildernd berücksichtigt werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für besondere Umstände vorliegen, die ausreichende Kontrollmaßnahmen unerlässlich machen, solche aber pflichtwidrig unterbleiben (vgl. BVerwG, B. v. 11.7.2014 – 2 B 70/13 – juris Rn. 9; U. v. 11.1.2007 – 1 D 15.05 – juris Rn. 22).
Das Verwaltungsgericht hat hier eine Vernachlässigung der Aufsichtspflicht zutreffend verneint. Der Senat folgt insoweit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts (Bl. 27 bis 33 des UA) und nimmt darauf Bezug (§ 130b Satz 2 VwGO, Art. 3 BayDG).
Ergänzend ist in Hinblick auf die Berufungsbegründung auszuführen: Der Senat hat antragsgemäß den Präsidenten a.D. des Sozialgerichts H. als Zeugen einvernommen. Der Zeuge hat in der mündlichen Verhandlung entgegen der Darstellung des Beklagten in der Berufungsbegründung glaubhaft ausgeführt, er habe vom Beklagten keine Überlastungsanzeige bekommen oder entgegengenommen, so dass sich auch insoweit keine Vernachlässigung der Aufsichtspflicht ergibt.
Ein „Führungsversagen“ ergibt sich schließlich auch nicht aus dem Umstand, dass die Ernennung des Beklagten in ein Amt der Besoldungsgruppe A 11 zum 24. Februar 1994 nach Aussage der Präsidentin des Sozialgerichts im behördlichen Disziplinarverfahren auf rein stellenwirtschaftlichen Gründen und nicht auf der individuellen Leistung des Beklagten beruhte. Der Beklagte war in diesem Statusamt unstreitig amtsangemessen beschäftigt. Da die Beförderung nicht mit einem veränderten Zuschnitt des Aufgabenbereichs verbunden war, der Beklagte vielmehr bis zu seiner Berufung zum Geschäftsstellenleiter mit Wirkung vom 8. November 2006 einen unveränderten Zuständigkeitsbereich hatte, vermag der Senat insoweit per se kein Führungsversagen zu erkennen. Die Aufgabenverteilung war objektiv angemessen. Der Beklagte trägt in der Berufungsbegründung im Rahmen der Beförderung zum Regierungsamtmann vor, er sei „permanent überfordert“ gewesen, bleibt damit aber letztlich unkonkret. Der Beklagte war auf einem Dienstposten eingesetzt, dem er durchaus gewachsen war, was seine zwischenzeitlich immer wieder gezeigten passablen Leistungen nach entsprechenden Kontrollen und Ermahnungen erkennen lassen. Dem Senat stellt sich die Sachlage vielmehr so dar, dass der Beklagte keine Lust hatte, sich seinen eigentlichen (Kern-)Aufgaben zu widmen. Während ihm die Rechtsantragstelle übertragen war, hat er sich beispielsweise nicht darauf beschränkt, schlicht die Rechtsmittel in gehöriger Form aufzunehmen, sondern erteilte Lebensberatung und ließ andere an seinem Erfahrungsschatz teilnehmen. Diese Attitude des Beklagten zusammen mit seiner individuellen Persönlichkeitsstruktur führte zu den Defiziten in der Sachbearbeitung, die schließlich darin kumulierten, dass der Beklagte den „einfachen Weg“ wählte und unbearbeitete Vorgänge der Verfügung seines Dienstherrn entzog, damit sie einer günstigen Selbstdarstellung nicht im Wege stehen konnten. Anhaltspunkte dafür, dass die angeschuldigten Dienstvergehen auf einer Überforderung kausal durch die damalige Beförderung begründet worden wären, sind bei objektiver Betrachtung nicht gegeben. Im Übrigen vermag der Umstand einer etwaigen Überforderung oder Belastung nicht ansatzweise den Verwahrungsbruch in 179 Fällen zu erklären oder gar zu entschuldigen. Hier hat der Beklagte bewusst – die erhebliche Strafdrohung ignorierend – die Akten der Verfügung des Dienstherrn entzogen, um seine Untätigkeit zu verbergen, statt seinem Vorgesetzten eine Überlastungsanzeige, die für diesen Fall eine angemessene Reaktion gewesen wäre, zu erstatten. Das war freilich mit dem Selbstverständnis des Beklagten nicht zu vereinbaren, der sich stattdessen bewusst für eine Straftat im Amt entschieden hat.
Weitere „anerkannte“ Milderungsgründe, wie beispielsweise der Geringfügigkeit oder der vorübergehenden negativen Lebensphase, sind ersichtlich nicht gegeben und wurden auch vom Beklagten nicht angeführt.
2.4 Art. 14 Abs. 1 BayDG sowie das im Disziplinarverfahren geltende Schuldprinzip und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangen, dass – über die in der Rechtsprechung entwickelten „anerkannten“ Milderungsgründe hinaus – bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme sämtliche be- und entlastenden Gesichtspunkte ermittelt und von dem Gericht bei seiner Entscheidung berücksichtigt werden (vgl. BVerwG, U. v. 10.12.2015 – 2 C 6/14 – ZBR 2016, 254 – juris Rn. 37).
Die Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände ergibt, dass der Beklagte aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen ist, weil er durch das Dienstvergehen das Vertrauen des Klägers und der Allgemeinheit endgültig verloren hat (Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG).
Der Beklagte hat mit den Untreuehandlungen und der Vielzahl von Verwahrungsbrüchen ein innerdienstliches Dienstvergehen begangen, das von seiner Schwere sämtliche disziplinaren Maßnahmen bis hin zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis eröffnet (siehe 2.1). Er ist deswegen zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von 11 Monaten verurteilt worden.
Die Häufigkeit der Handlungen (175 Vergehen des Verwahrungsbruchs) ist als belastend anzusehen. Gleiches gilt für den angerichteten Gesamtschaden in Höhe von mehr als 15.000 €. Belastend wirken sich auch die weiter angeschuldigten Dienstvergehen aus. Die letzten Beurteilungen, die mit jeweils 8 Punkten durchschnittlich sind, wirken für genommen weder ent- noch belastend.
Insbesondere die dem Strafbefehl zugrunde liegenden Verfehlungen des Beklagten wiegen schwer. Bei schweren Dienstvergehen stellt sich vorrangig die Frage, ob der Beamte nach seiner gesamten Persönlichkeit noch im Beamtenverhältnis tragbar ist. Gemäß Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG ist ein aktiver Beamter aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen, wenn er das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat. Dies ist anzunehmen, wenn aufgrund der Gesamtwürdigung aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig nachhaltig gegen Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wieder gut zu machen (vgl. BVerwG, B. v. 16.7.2009 – 2 AV 4/09 – juris Rn. 24).
Mit Blick auf das zu würdigende Persönlichkeitsbild des Beklagten ist weiter festzustellen, dass er straf- und disziplinarrechtlich nicht vorbelastet ist. Diesem Umstand kommt indes keine nennenswerte entlastende Bedeutung zu.
Entlastende Wirkung hat schließlich auch nicht die vom Sachverständigen festgestellte Persönlichkeitsakzentuierung, wonach der Beklagte in seiner Persönlichkeit einige Diskrepanzen aufweist, die ihn möglicherweise in manchen Lebenssituationen überfordern. Er neigt nach den gutachterlichen Feststellungen dazu, Fehlverhalten und Missgeschicke anderen Menschen oder den äußeren Umständen zuzuschreiben und es fällt ihm unter anderem deshalb schwer, sich aus unangenehmen und überfordernden Situationen selbst zu befreien. Aus klinisch psychopathologischer ebenso wie aus tiefenpsychologischer Sicht sind bei dem Beklagten passiv aggressive Züge festzustellen. Psychoanalytisch wird dies auf Entwicklungsprobleme in der sogenannten analen Phase zurückgeführt, in welcher Retention, Sauberkeit und Ordnung zu den Entwicklungsaufgaben gehören. Im weiteren Verlauf fällt es Menschen mit Entwicklungsproblemen in dieser Phase schwer, sich offen und konfrontativ mit eigenen und zwischenmenschlichen Konflikten auseinanderzusetzen. Sie verharren eher passiv in ihren Positionen und drücken ihren Widerstand durch Verweigerung und Untätigkeit aus. Sie können sich dann auch bei der dadurch entstehenden Überlastung nicht zu einer aktiven Bewältigung aufraffen, sondern verharren in ihrer Passivität, werden vorwürflich bezüglich ihrer Überlastung (passive Aggressivität) und externalisieren die Verantwortung.
Hierbei handelt es sich nach Aussage des Sachverständigen jedoch nicht um eine Störung, sondern um eine Persönlichkeitsakzentuierung, die Verhaltensweisen eines Menschen verständlich machen kann. Die gutachterlichen Feststellungen sind nachvollziehbar und lassen sich ohne weiteres mit den Vorfällen, die der Disziplinarklage zugrunde liegen, vereinbaren. Die Verweigerung und Untätigkeit des Beklagten hinsichtlich der von ihm zu erfüllenden Kernaufgaben, nämlich der Kostenbearbeitung, und das Verharren in der Passivität ziehen sich wie ein roter Faden durch die Tätigkeit des Beamten als zuständiger Urkunds- und Kostenbeamter in den letzten 13 Jahren vor seiner vorläufigen Dienstenthebung. Es fällt auf, dass er sich nicht offen und konfrontativ mit seinen Konflikten auseinandersetzt. Beispielsweise sei hier genannt, dass er die steten Ermahnungen von Herrn S. mit einem „Ja, Ja“ kommentierte, sich aber letztlich einem konstruktiven Gespräch verweigerte. Auch die Diskurse mit der Präsidentin des Sozialgerichts waren von vorgeschobenen Ausflüchten, nicht aber von einer Einsicht in das eigene Verhalten gekennzeichnet. Das Unvermögen, sich mit den eigenen Konflikten auseinanderzusetzen, führte schließlich dazu, dass der Beklagte unbearbeitete Vorgänge in erheblicher Anzahl der Verfügung des Dienstherrn entzog, um sich einem Konflikt gerade nicht stellen zu müssen.
Es muss davon ausgegangen werden, dass der Beklagte auch zukünftig nachhaltig gegen seine Dienstpflichten verstoßen wird. Dafür spricht zum einem die eingangs beschriebene Persönlichkeitsakzentuierung des Beklagten, die die angeschuldigten Dienstvergehen überhaupt erst verständlich macht und erklärt. Der Beklagte wird aufgrund dieser Akzentuierung nach Überzeugung des Senats weiter fehlen. Die letztlich allein maßgebliche Erfüllung der ihm übertragenen Kernaufgaben wird wegen der Verweigerungshaltung und Untätigkeit des Beklagten weiterhin nicht gewährleistet sein. Das lässt sich bereits daran ablesen, dass sich der Beklagte selbst unter der intensiven Überwachung, Kontrolle und Handreichung durch die Präsidentin des Sozialgerichts zurückgezogen hat und die ihm aufgetragenen Arbeiten entweder nicht, nicht fristgerecht oder nur mangelhaft erfüllt hat. Die Präsidentin schilderte in der mündlichen Verhandlung eindrucksvoll, wie der Beklagte auf ihre fürsorglichen Bemühungen reagierte. Er sei bereits dadurch erkennbar unter Druck geraten, dass sie auf der Selbstverständlichkeit fristgerechten Arbeitens bestanden habe. Auf Vorhalte habe er stets geschwiegen. Der Beklagte sei durch die engmaschige Fristüberwachung und durch die Einwände gegen die Richtigkeit der Sachbearbeitung in Stress und psychisch unter Druck geraten. Daraus kann nur der Schluss gezogen werden, dass der Beklagte, sofern er zu ordnungsgemäßem Arbeiten, wozu auch die fristgerechte und v.a. sachlich richtige Erledigung gehört, angehalten wird, dies nicht erfüllen kann, sondern wieder in seine Passivität verfällt. Um Konflikten aus dem Weg zu gehen, wird er eventuell wieder Akten in strafrechtlich relevanter Weise der Verfügung des Dienstherrn entziehen. Der Senat kann dem Beklagten, auch und insbesondere nach dem Eindruck, den er von ihm in der mündlichen Verhandlung gewinnen konnte, insoweit keine günstige Prognose stellen. Gegen eine günstige Prognose spricht im Übrigen auch, dass der Beklagte selbst während des behördlichen Disziplinarverfahrens ausweislich der Feststellungen des Strafbefehls weitere Straftaten (Verwahrungsbrüche) begangen hat.
Der Beklagte hat wiederholt (auch im Berufungsverfahren) beantragt, ihn unter tiefenpsychologisch-neurologischen Gesichtspunkten begutachten zu lassen. Das Gutachten werde bestätigen, dass er seit dem 1. November 1984 (Anm.: Versetzung an das Sozialgericht W.) aufgrund einer neurologischen Störung mit Realitätsverlust nicht in der Lage gewesen sei, dienstlichen Anforderungen zu entsprechen, zu erkennen, welche dienstlichen Anforderungen an ihn gestellt waren und auf Kritik der Vorgesetzten in der Gestalt zu reagieren, dass er seine gezeigte chaotische Arbeitsweise ändern konnte.
Der Senat war nicht gehalten dieser Beweisanregung nachzugehen. Die Beweisanregung (ein förmlicher Beweisantrag wurde in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht gestellt) geht auf ein Schreiben des behandelnden Arztes des Beklagten, Dr. K., vom 23. Mai 2013 zurück, das im Rahmen des behördlichen Disziplinarverfahrens erstellt worden ist. Dr. K. führt in diesem Schreiben aus, aus psychiatrisch-psychotherapeutischer Sicht bestünden erhebliche Verkennungen der Realität und der sich daraus ergebenden Konflikte. Diagnostisch gehe er von einer Persönlichkeitsstörung bzw. einer schwerwiegenden neurotischen Störung aus, die die Realitätsverkennung bewirke. In dem anhängigen Disziplinarverfahren empfehle er eine gutachterliche Untersuchung des Beklagten unter tiefenpsychologischen-neurosenspezifischen Gesichtspunkten. Der gerichtliche Sachverständige hat eine entsprechende Persönlichkeitsstörung mit Krankheitswert jedoch verneint. Eine weitere Sachaufklärung war nicht geboten, zumal der Beklagte nicht ansatzweise dargelegt hat, dass durch die Berücksichtigung tiefenpsychologischer Aspekte bessere Einsichten zur Frage des Vorliegens von Milderungsgründen gewonnen werden können. Der Senat hält daher das vorliegende gerichtliche Sachverständigengutachten für ausreichend. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte auch die aus den „Tiefen des Unbewussten hervorbrechenden Antriebe“ zu verantworten hat. Denn dass im Allgemeinen auch die im Unterbewussten wurzelnden Regungen beherrschbar sind, kann nicht zweifelhaft sein (vgl. Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl. 2007, § 20 Rn. 176). Zu berücksichtigen war auch, dass der Beklagte offensichtlich sehr wohl in der Lage war, zu erkennen, dass er allein schon wegen der unbearbeiteten Kostenakten den dienstlichen Anforderungen nicht genügt hat und dieser Umstand ihm zum Nachteil geraten würde. Nur so sind überhaupt ansatzweise die Straftaten der Verwahrungsbrüche in mindestens 179 Fällen zu erklären. Offensichtlich hat der Beklagte die Realität sehr wohl erkannt, nämlich dass die langen Jahre mangelhafter Pflichterfüllung Konsequenzen nach sich ziehen könnten. Ein Beamter des gehobenen Dienstes, der Verwahrungsbrüche begeht, um nicht mit dem eigenen Fehlverhalten konfrontiert zu werden und dadurch dem Dienstherrn einen erheblichen finanziellen Schaden und auch einen Imageschaden zufügt, ist als Beamter untragbar.
Nach alledem sieht der Senat in der Gesamtabwägung die eingetretene Vertrauensbeeinträchtigung im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG als so schwerwiegend an, dass sie die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erfordert. Es kann nicht erwartet werden, dass der Beklagte künftig keine Dienstpflichtverletzungen begehen wird.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 4 Satz 1 BayDG i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Das Urteil ist mit seiner Verkündung rechtskräftig geworden (Art. 64 Abs. 2 BayDG, Art. 3 BayDG i. V. m. § 116 Abs. 1 VwGO).

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