Strafrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis

Aktenzeichen  M 6 S 18.1263

Datum:
13.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 26918
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
StVG § 24a
FeV § 11 Abs. 7, § 46 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Eine Entziehung der Fahrerlaubnis ist bereits dann gerechtfertigt, wenn der Fahrerlaubnisinhaber mindestens einmal sog. harte Drogen wie Amphetamin konsumiert hat, wozu auch Kokain zählt. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Drogenvortest rechtfertigt dann den Schluss, dass der Betroffene die nachgewiesenen Substanzen konsumiert hat, wenn dieser Befund durch weitere Umstände erhärtet wird.  (Rn. 28 – 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf EUR 5000,00 festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit eines Bescheides zur Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A (79.03 und 79.04), A1 (79.03 und 79.04), AM, B, BE, C1, C1 E, CE 79, L und T.
Mit hinsichtlich Schuldspruch und Anzahl der Tagessätze seit 23. Oktober 2014 rechtskräftigem Strafbefehl vom … Juli 2014 wurde gegen den Antragsteller eine Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln festgesetzt. Ausweislich des Strafbefehls führte der Antragsteller am *. September 2013 gegen 8:26 Uhr in einer Diskothek 0,52 Gramm Kokaingemisch mit sich.
Hierauf ordnete die Antragsgegnerin die Beibringung eines fachärztlichen Gutachtens an. Das vom Antragsteller vorgelegte Fahreignungsgutachten vom 26. Oktober 2015 kam zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller keine Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) oder andere psychoaktiv wirkende Stoffe einnehme, die die Fahreignung nach Anlage 4 zur FeV in Frage stellen. Ob der Antragsteller Betäubungsmittel im Sinne des BtMG eingenommen habe, die die Fahreignung in Frage stellen, habe nicht abschließend geklärt werden können. Unter Bewertung der Befunde wurde unter anderem ausgeführt, die vier Urin-Drogenkontrollen seien unauffällig gewesen und hätten keinen Hinweis auf einen aktuellen Drogenkonsum gezeigt. Der Antragsteller habe auf Nachfrage angegeben, nie Drogen konsumiert zu haben. Dies sei in Frage zu stellen. Er habe zum damaligen Besitz des Kokains 2013 angegeben, er habe das Kokain von einem Bekannten als Kompensation erhalten, weil dieser ihm Geld geschuldet habe. Warum der Antragsteller Kokain annehme, obwohl er überhaupt kein Interesse an Drogen gehabt habe, sei nicht nachvollziehbar.
Im Oktober 2017 erhielt die Antragsgegnerin davon Kenntnis, dass gegen den Antragsteller wegen Führens eines Kraftfahrzeugs unter Wirkung eines berauschenden Mittels ermittelt worden, der Tatbestand des § 24a StVG aber nicht erfüllt sei. Ausweislich des polizeilichen Berichts „Drogen im Straßenverkehr“ wurde der Antragsteller am … September 2017 um 22:23 Uhr einer Verkehrskontrolle unterzogen. Ein um 22:45 Uhr vorgenommener Urin-Vortest habe positiv auf Kokain reagiert. Ausweislich der zwischen 23:03 und 23:10 Uhr vorgenommenen Betroffenenanhörung hat der Antragsteller Folgendes zur Sache geäußert: „Ich habe vor ca. 3 Wochen Kokain geschnupft. Ich dachte, dass ich nichts mehr im Blut hätte und jeder Test negativ würde. Es tut mir leid, wenn es jetzt doch so ist. Mit der Blutentnahme bin ich einverstanden“. Die Betroffenenanhörung besteht aus einem handschriftlich ausgefüllten Formblatt, das mit dem Vermerk „selbst gelesen, genehmigt und unterschrieben“ vom Antragsteller unterschrieben ist (Bl. 72), und der handschriftlich protokollierten Äußerung zur Sache selbst, die ebenfalls vom Antragsteller unterzeichnet ist (Bl. 73).
Die chemischtoxikologische Untersuchung der dem Antragsteller am selben Abend um 23:28 entnommenen Blutprobe auf Opiate (Morphin und Derivate), Cannabinoide (THC), Cocain-Abbauprodukte, Amphetamine und Methamphetamine erbrachte laut Gutachten vom 18. September 2017 ein negatives Ergebnis.
Auf die Anhörung zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Antragsgegnerin hin zeigten die Bevollmächtigten des Antragstellers dessen Vertretung an. Gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis wandten sie im Wesentlichen ein, bei dem Urin-Vortest handle es sich nicht um einen gesicherten Nachweis. Vielmehr habe das Gutachten vom 18. September 2017 gerade keinen Nachweis einer Kokain-Einnahme ergeben. Auch die Unterschrift des Antragstellers unter der Betroffenenanhörung bestätige keine Einnahme von Kokain. Der Text sei von einem der beiden Polizeibeamten im Freien vor dem Gebäude der Rechtsmedizin aufgesetzt und dem Antragsteller im Dunkeln zwischen 23:03 und 23:10 Uhr zur Unterschrift auf der Motorhaube des Streifenwagens vorgelegt worden. Aufgrund dieser Umstände komme dem Text kein Nachweiswert hinsichtlich einer etwaigen Betäubungsmitteleinnahme zu. Zudem dürften schon sämtliche Voraussetzungen für eine wirksame Betroffenenanhörung fehlen, wenn der Betroffene draußen im öffentlichen Bereich und bei Dunkelheit und Kälte veranlasst werde, ein Papier unter einen aufgesetzten Text zu unterschreiben.
Hierauf erwiderte die Antragsgegnerin, dass die geschilderten Umstände im Verwaltungsverfahren nicht erheblich seien. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass der Antragsteller mit seiner Unterschrift seine eigenen Angaben bestätigt habe. Im Übrigen sei die Fahrerlaubnisbehörde an der Berücksichtigung strafprozessual fehlerhaft gewonnener Erkenntnisse nicht zwingend gehindert.
Mit Bescheid vom 19. Februar 2018, zugestellt am 22. Februar 2018, entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Fahrerlaubnis aller Klassen (Nr. 1 des Bescheids), forderte ihn unter Fristsetzung auf, den Führerschein bei der Antragsgegnerin oder der Polizei abzugeben (Nr. 2) und drohte für den Fall der nicht fristgerechten Ablieferung des Führerscheins ein Zwangsgeld in Höhe von EUR 1.000,00 an (Nr. 3). Die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 dieses Bescheids wurde angeordnet (Nr. 4). Die Nrn. 5 und 6 des Bescheids enthalten die Kostenentscheidung. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller wegen der Einnahme von Kokain gemäß § 46 Abs. 1 FeV i.V.m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet sei. Er habe die Fahreignung auch noch nicht wiedererlangt (Nr. 9.5. der Anlage 4 zur FeV). Die verfahrensrechtliche Jahresfrist sei noch nicht abgelaufen. Ihm sei daher nach § 46 Abs. 3, § 11 Abs. 7 FeV ohne vorherige Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens die Fahrerlaubnis zu entziehen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung wurde im Wesentlichen mit den aus der Einnahme von Kokain resultierenden Gefahren für den Straßenverkehr begründet.
Gegen diesen Bescheid erhoben die Bevollmächtigten des Antragstellers mit Schreiben vom … März 2018 Widerspruch.
Mit Schriftsatz vom … März 2018, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am selben Tag, beantragten die Bevollmächtigten des Antragstellers,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. Februar 2018 wiederherzustellen.
Zur Begründung wurden im Wesentlichen dieselben Argumente vorgetragen wie schon im Verwaltungsverfahren. Zu berücksichtigen sei vor allem, dass nach den Feststellungen der rechtsmedizinischen Untersuchung der Blutprobe gerade kein Drogenkonsum erfolgt sei. Hinzu komme, dass der Antragsteller als Gewerbetreibender für den … sowie die Montage von …anlagen beruflich auf seine Fahrerlaubnis angewiesen sei. Die Entziehung der Fahrerlaubnis gefährde seine berufliche und finanzielle Existenz.
Mit Schriftsatz vom 26. April 2018 legte die Antragsgegnerin die Akten vor und beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass dem Antragsteller die Fahrerlaubnis zu entziehen gewesen sei, weil er den Konsum von Kokain eingestanden habe. Aus den vom Antragsteller geleisteten Unterschriften unter der Betroffenenanhörung sei nicht ersichtlich, dass diese blind erfolgt seien. Aus Sicht der Antragsgegnerin handle es sich bei der Behauptung des Antragstellers, nicht gewusst zu haben, was er unterschrieben habe, um eine Schutzbehauptung.
Mit Beschluss vom 4. Juli 2018 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakte sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – ist zulässig, aber unbegründet und daher ohne Erfolg.
1. Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung in Nr. 4 des Bescheids vom 19. Februar 2018 genügt den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.
Nach dieser Vorschrift ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Dabei hat die Behörde unter Würdigung des jeweiligen Einzelfalls darzulegen, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung, die Widerspruch und Klage grundsätzlich zukommt, die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes angeordnet hat. An den Inhalt der Begründung sind dabei allerdings keine zu hohen Anforderungen zu stellen (Schmidt in: Eyermann, VwGO – Verwaltungsgerichtsordnung, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 43).
Dem genügt die ersichtlich auf den vorliegenden Einzelfall abstellende Begründung auf den Seiten 5 und 6 im Bescheid vom 19. Februar 2018. Die Fahrerlaubnisbehörde hat dort dargelegt, warum sie konkret im Fall des Antragstellers im Interesse der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs die sofortige Vollziehung anordnet. Sie hat dies auf den vorliegenden Einzelfall bezogen, dass ein beim Antragsteller am … September 2017 durchgeführter Urin-Vortest positiv auf Kokain verlaufen sei und der Antragsteller im Rahmen der Betroffenenanhörung angegeben habe, drei Wochen zuvor Kokain zu sich genommen zu haben.
Im Übrigen ergibt sich das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung im Bereich des Sicherheitsrechts regelmäßig – so auch hier -gerade aus den Gesichtspunkten, die für den Erlass des Verwaltungsakts selbst maßgebend waren.
2. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom … März 2018 gegen den Bescheid vom 19. Februar 2018 war hinsichtlich der Nrn. 1 und 2 des Bescheids nicht wiederherzustellen.
2.1 Gemäß § 80 Abs. 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt, wenn die Behörde nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten angeordnet hat.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht trifft dabei eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessensabwägung.
2.2 Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall war der Antrag abzulehnen, weil sich die in Nr. 1 des Bescheids vom 19. Februar 2018 enthaltene Entziehung der Fahrerlaubnis aller Klassen des Antragstellers nach der hier gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung als rechtmäßig darstellt und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt, so dass der hiergegen erhobene Widerspruch voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird.
Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist vorliegend, da über den Widerspruch noch nicht entschieden ist, derjenige der gerichtlichen Entscheidung.
Mit dieser Maßgabe ist festzustellen, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz – StVG – und § 46 Abs. 1 Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV – rechtlich nicht zu beanstanden ist. Der Antragsteller hat mit dem Konsum von Kokain – einem Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes – gemäß Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV seine Fahreignung verloren und diese zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auch nicht wiederlangt. Die Fahrerlaubnisbehörde durfte daher gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 7 FeV unmittelbar die Fahrerlaubnis entziehen, ohne dass weitere Aufklärungsmaßnahmen veranlasst gewesen wären.
2.2.1 Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV entfällt bei Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) die Fahreignung. Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen. Dementsprechend ist die Entziehung der Fahrerlaubnis bereits dann gerechtfertigt, wenn der Fahrerlaubnisinhaber mindestens einmal sog. harte Drogen wie Amphetamin konsumiert hat (stRspr des BayVGH, vgl. z.B. B.v. 19.1.2016 – 11 CS 15.2403 – juris). Nichts anderes gilt für die Einnahme von Kokain.
Dass der Antragsteller vorliegend Kokain konsumiert hat, folgt zunächst aus dem Umstand, dass der bei ihm durchgeführte Drogenvortest auf dieses Betäubungsmittel positiv reagiert hat. Dieser Tatsache ist der Antragsteller weder im Widerspruchs- noch im vorliegenden Eilverfahren entgegengetreten. Soweit die Bevollmächtigten des Antragstellers meinen, diesem Test komme im Ergebnis kein Beweiswert zu, kann dem so nicht ohne weiteres gefolgt werden. Zwar wird das negative Ergebnis einer solchen Testung nicht den Beweis erbringen können, dass sich im Körper des Probanden keine Betäubungsmittel befinden. Zeitigt ein solches Verfahren demgegenüber ein positives Resultat und werden – wie hier der Fall – keine konkreten Tatsachen vorgetragen, derentwegen das durch eine solche Beprobung gewonnenen Untersuchungsergebnis unrichtig sein soll, rechtfertigt ein solcher Schnelltest jedenfalls dann den Schluss, dass der Betroffene die nachgewiesenen Substanzen konsumiert hat, wenn dieser Befund durch weitere Umstände erhärtet wird (BayVGH, B.v. 21.03.2005 – 11 CS 04.2334 – juris Rn. 12).
Zwar lässt sich ein zusätzliches Indiz für einen Kokainkonsum des Antragstellers im Vorfeld der Verkehrskontrolle am … September 2017 nicht schon aus der Tatsache herleiten, dass der Antragsteller ausweislich des Strafbefehls vom … Juli 2014 schon im September 2013 0,52 Gramm Kokaingemisch bei sich führte. Wie dem Gutachten aus dem Jahr 2015 zu entnehmen ist, mag zwar viel dafür sprechen, dass der Antragsteller das Betäubungsmittel seinerzeit zum Zweck des Eigenkonsums erworben hat. Daraus lässt sich jedoch noch nicht auf einen aktuellen Konsum schließen. Denn zwischen den beiden Vorfällen aus den Jahren 2014 und 2017 besteht kein hinreichender zeitlicher Zusammenhang.
Der Antragsteller hat jedoch ausweislich des von ihm unterschriebenen Anhörungsprotokolls vom … September 2017 gegenüber der Polizei selbst eingeräumt, vor etwa drei Wochen Kokain konsumiert zu haben. An diesen Äußerungen muss er sich festhalten lassen. Allein die von den Bevollmächtigten des Antragstellers angeführten äußeren Umstände – dass das Protokoll handschriftlich aufgesetzt und im Dunkeln auf der Motorhaube des Streifenwagens der Polizei ausliegend unterzeichnet worden sei – vermögen den Wahrheitsgehalt der protokollierten Äußerungen im Ergebnis nicht in Zweifel zu ziehen. Warum der Antragsteller allein deshalb, weil die Anhörung nicht auf einer Polizeidienststelle, sondern zur Nachtzeit im Freien durchgeführt worden ist, das über die Anhörung gefertigtes Protokoll „blind“ – also ohne von seinem Inhalt Kenntnis nehmen zu können – unterzeichnen und damit den Konsum von Kokain eingestehen sollte, ist für das Gericht nicht nachvollziehbar, zumal dem Antragsteller schon aufgrund seiner Vorgeschichte bekannt gewesen sein musste, dass der Konsum von Betäubungsmitteln fahrerlaubnisrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann. Im September sind in München auch die Temperaturen nachts noch nicht so niedrig, dass dies das „blinde“ Unterschreiben des Protokolls erklären könnte. Auch die Platzierung der beiden Unterschriften des Antragstellers auf dem Anhörungsprotokoll spricht dagegen, dass dieser das Protokoll unterschrieben hat, ohne sehen zu können, was er unterschreibt. Zu Recht weist die Antragsgegnerin darauf hin, dass sich beide Unterschriften in dem dafür vorgesehen Bereich auf einer vorgezeichneten Linie befinden. Im Übrigen erscheint es auch als in sich widersprüchlich, wenn den Polizeibeamten das handschriftliche Abfassen des Protokolls im Dunkeln möglich, dem Antragsteller hingegen das Lesen desselben nicht möglich gewesen sein soll. Vielmehr ist davon auszugehen, dass in einer Großstadt wie München angesichts der dort vorhandenen Straßenbeleuchtung auch zur Nachtzeit durchaus möglich ist, sowohl ein Kurzprotokoll zu verfassen als auch von dessen Inhalt Kenntnis zu nehmen. Schließlich ist auch nichts dafür ersichtlich, dass die protokollierte Aussage so vom Antragsteller nicht getroffen worden ist. Für den Wahrheitsgehalt der durch die Polizei festgehaltenen Äußerung des Antragstellers spricht vielmehr das Detailreichtum der festgehaltenen Aussage. So hat der Antragsteller nicht nur eingeräumt, Kokain „geschnupft“ zu haben, sondern auch angegeben, dass er davon ausgegangen sei, dass er nichts mehr im Blut habe und daher jeder Test negativ ausfallen würde.
Bei Würdigung all dieser Umstände bestehen daher keine durchgreifenden Bedenken gegen die ordnungsgemäße Durchführung der Betroffenenanhörung und die Verwertbarkeit der dabei getroffenen Äußerungen. Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass selbst ein Verfahrensverstoß – für den hier nichts ersichtlich ist – nicht zwangsläufig, sondern nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zu einem Beweisverwertungsverbot führt (vgl. BayVGH, B.v. 5.2.2018 – 11 ZB 17.2069 – juris Rn 12; HessVGH, B.v. 17.8.2017 – 2 B 1213/17 – juris Rn. 6).
Der Befund, dass der Antragsteller Kokain konsumiert hat, wird auch nicht durch das negative Ergebnis der Blutanalyse widerlegt. Denn alle Betäubungsmittel – auch Kokain – sind im Blut nur deutlich kürzer nachweisbar als im Urin (BayVGH, B.v. 27.9.2010 – 11 CS 10.1104 – juris Rn. 29 – u.a. unter Hinweis auf Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung, 2. Aufl. 2005, S. 178). Wenn in der dem Antragsteller entnommenen Blutprobe kein (Abbauprodukt von) Kokain festgestellt wurde, so folgt daraus deshalb nicht, dass das Ergebnis des Urintests falsch gewesen sein muss. Vielmehr könnte der Antragsteller das Kokain zu einem Zeitpunkt konsumiert haben, der so lange zurücklag, dass dieses Betäubungsmittel zwar noch in dem um 22:23 Uhr abgegebenen Urin, aber nicht mehr in dem um 23:28 Uhr entnommenen Blut nachweisbar war. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass in beiden Körperflüssigkeiten die Nachweisdauer von Benzoylecgonin – dem Hauptmetaboliten von Kokain – annähernd gleich ist. Sie liegt sowohl im Blut als auch im Urin bei etwa zwei bis drei Tagen (vgl. Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, a.a.O., S. 178 f, Tabellen 1 und 2: im Blut: „> 48 Stunden“ – im Urin: „Dosisabhängig 2-3 Tage“). Zum einen lässt sich dem Polizeibericht nicht entnehmen, auf welche Substanzen der gewonnene Urin untersucht worden ist. Selbst wenn angesichts der Angaben des Antragstellers zum Zeitpunkt des letzten Konsums („vor drei Wochen“) ein Urinschnelltest verwendet worden sein sollte, der auch zum Nachweis des im Vergleich zu Kokain länger nachweisbaren Abbauprodukts Benzoylecgonin geeignet gewesen sein sollte, folgt daraus nicht zwingend, dass das Ergebnis des Urintests mit Sicherheit falsch war. Zum einen erfolgte die Blutentnahme, wie oben bereits ausgeführt, erst über eine Stunde später als die Urinabgabe. Schon deshalb kann ein Abbauprodukt von Kokain zwar noch im Urin, aber nicht mehr im Blut nachweisbar gewesen sein. Zum anderen ist die Nachweisbarkeitsdauer von Drogen dosisabhängig und kann bei Dauerkonsum ansteigen. Dabei ist die Nachweisbarkeitsdauer im Blut wiederum kürzer als im Urin: Während Substanzen und Metaboliten im Blut bei der Mehrzahl der Konsumenten schon nach 7-8 Halbwertszeiten so weit abgebaut sind, dass die Konzentrationen die Nachweisgrenzen unterschreiten, ist dies im Urin bei der Mehrzahl der Konsumenten erst nach 8-10 Halbwertzeiten der Fall – wobei als Halbwertzeit die Zeit bezeichnet wird, in der eine Konzentration jeweils auf die Hälfte des Ausgangswerts gefallen ist (Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, a.a.O., S. 178 f, Anmerkung zu Tabelle 1 und 2). Dies deckt sich mit Informationen, die im Internet zur Nachweisbarkeitsdauer von Kokain erhältlich sind. Danach ist Benzoylecgonin im Urin bis zu vier Tage und bei stärkerem Konsum sogar drei Wochen lang nachweisbar, während die Nachweisbarkeitsdauer im Blut lediglich 2-3 Tage beträgt (http://www.bussgeldkatalog.org/kokain; https://drugscouts.de/de/page/nachweiszeiten). Selbst wenn der Antragsteller tatsächlich letztmals drei Wochen vor der Verkehrskontrolle am … September 2017 Kokain konsumiert haben sollte, folgt also aus dem negativen Ergebnis der Blutuntersuchung keineswegs, dass das Ergebnis des Urintests mit Sicherheit falsch war.
2.2.2 Der Antragsteller hat die Fahreignung zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts auch nicht wiedererlangt. Nach Nr. 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (Begutachtungsleitlinien, Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, Stand 14.8.2017) können bei dem Konsum von Drogen die Voraussetzungen zum Führen von Kraftfahrzeugen nur dann wieder als gegeben angesehen werden, wenn der Nachweis geführt wird, dass kein Konsum mehr besteht. Dies ist bei einem Drogenkonsumenten nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV entsprechend Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV regelmäßig (erst) dann der Fall, wenn eine Abstinenz von einem Jahr und ein motivational gefestigter Verhaltens- und Einstellungswandel nachgewiesen werden (BayVGH, B.v. 9.1.2017 – 11 CS 16.2561 – juris). Vorliegend fehlt es an beidem. Mangels Ablaufs eines Jahres seit dem letzten (feststehenden) Kokainkonsum am … September 2017 kann der Antragsteller eine einjährige Abstinenz noch nicht einmal schlüssig und nachvollziehbar behaupten, geschweige denn nachweisen. Anhaltspunkte dafür, dass hier wegen eines atypischen Sachverhalts ausnahmsweise eine Abstinenz von unter einem Jahr ausreichend sein könnte (vgl. Vorbemerkung 3 zur Anlage 4 zur FeV), wurden weder vorgetragen noch sind solche sonst ersichtlich. Entsprechende Abstinenznachweise wurden zudem nicht vorgelegt. Auch an einem Nachweis für eine stabile Verhaltens- und Einstellungsänderung fehlt es hier.
Selbst unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zur verfahrensrechtlichen Einjahresfrist – der die Kammer im Übrigen nicht folgt (vgl. nur VG München U.v. 15.3.2017 – M 6 K 16.4214 – juris Rn. 57 m.w.N.) – käme man hier zu keinem anderen Ergebnis. Denn vorliegend fehlt es, wie bereits ausgeführt, schon an einer (glaubhaften und nachvollziehbaren) Behauptung einer mindestens einjährigen Abstinenz.
Nach alledem erweist sich die Entziehung der Fahrerlaubnis als rechtmäßig. Angesichts der schwerwiegenden Gefahren, die von ungeeigneten Kraftfahrern ausgehen, müssen daher die privaten, insbesondere die geltend gemachten beruflichen Interessen des Antragstellers gegenüber dem öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug zurückstehen. Im Übrigen besteht bei berufsbedingter und daraus womöglich resultierender erhöhter Verkehrsteilnahme keinesfalls ein geringeres öffentliches Interesse an der Einhaltung der Straßenverkehrssicherheit dienender Regeln.
2.3 Da somit die sofortige Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis der summarischen gerichtlichen Überprüfung standhält, verbleibt es auch bei der in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltenen Verpflichtung, den Führerschein abzuliefern. Diese – im Bescheid hinsichtlich der Frist konkretisierte – Verpflichtung ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i.V.m. § 47 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FeV.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes – GKG – i.V.m. den Empfehlungen in den
Nrn. 1.5 Satz 1, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, Anh. § 164 Rn. 14). Maßgeblich für die Streitwertfestsetzung sind nur die Klassen B und C1. Die jeweils mit den Schlüsselzahlen 79.03 und 79.04 versehenen Fahrerlaubnisklassen A und A1 sind ebenso wenig streitwerterhöhend anzusetzen wie die Klassen BE, C1E und CE 79 (BayVGH, B.v. 30.1.2014 – 11 CS 13.2342 – juris Rn. 23). Die Klassen AM und L sind in der Klasse B enthalten (vgl. § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV), die Klasse T in der Klasse CE (vgl. § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 und § 6 Abs. 3 Satz 2 FeV im Umkehrschluss).

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