Strafrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis aufgrund fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr

Aktenzeichen  M 26 K 17.3911

Datum:
3.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 2341
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StGB § 316 Abs. 2

 

Leitsatz

Der Gesetzgeber hat mit den Tilgungs- und Verwertungsbestimmungen des § 29 StVG spezifische Fristen festgelegt, die bestimmen, wie lange einem Fahrerlaubnisinhaber in der Vergangenheit liegende Verkehrszuwiderhandlungen entgegengehalten werden dürfen; Sachverhalte innerhalb dieser Fristen müssen daher Berücksichtigung finden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Klage konnte nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 15. Dezember 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. August 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Beklagte durfte aus der Weigerung des Klägers, sich begutachten zu lassen, gemäß §§ 46 Abs. 3, 11 Abs. 8 FeV auf seine Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen und ihm die Fahrerlaubnis entziehen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist insoweit grundsätzlich der Tag der Zustellung des Widerspruchsbescheids am 29. August 2015 sowie für die Frage, ob die anlassgebende Trunkenheitsfahrt noch verwertet werden durfte, der Zeitpunkt der Aufforderung zur Beibringung des Fahreignungsgutachtens.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet oder nur bedingt geeignet ist, so finden gemäß § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechende Anwendung.
Der Schluss auf die Ungeeignetheit ist nach § 11 Abs. 8 FeV zulässig, wenn der Betroffene ohne ausreichenden Grund eine Untersuchung verweigert oder ein von der Behörde zu Recht gefordertes Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Der Schluss auf die Nichteignung ist nur zulässig, wenn die Anordnung der Begutachtung rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist.
Der hier maßgebliche § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV schreibt vor, dass die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anordnet, wenn ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr geführt wurde. Die Teilnahme am Straßenverkehr unter erheblicher Alkoholisierung bedeutet mit jedem Fahrzeug eine Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs. Nach dem klaren Wortlaut verlangt die Vorschrift nicht das Führen eines Kraftfahrzeugs, sondern lediglich eines Fahrzeugs unter erheblichem Alkoholeinfluss. Dieser Einschätzung liegt auch § 316 StGB zugrunde, der nicht nur die Trunkenheitsfahrt mit einem Kraftfahrzeug unter Strafe stellt. Radfahrer sind mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille absolut fahruntüchtig.
Ausweislich der Feststellungen im rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts München vom … Juni 2007 hat der Antragsteller diesen Tatbestand verwirklicht. Gegen die Fragestellung in der Gutachtensanordnung ist ebenfalls nichts zu erinnern; insbesondere ist sie anlassbezogen.
Die Anordnung eines Fahreignungsgutachtens, die vorliegend gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. C) FeV zwingend vorgesehen und nicht in das Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde gestellt ist, ist zur Abklärung der in der Trunkenheitsfahrt des Klägers begründeten Zweifel an seiner Fahreignung erforderlich und verhältnismäßig. Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg auf die seit der Trunkenheitsfahrt vom … April 2007 verstrichene Zeit berufen, in der er ohne alkoholbedingte Auffälligkeiten am Straßenverkehr teilgenommen habe. Er übersieht dabei, dass der Gesetzgeber mit den Tilgungs- und Verwertungsbestimmungen des § 29 StVG spezifische Fristen festgelegt hat, die bestimmen, wie lange einem Fahrerlaubnisinhaber in der Vergangenheit liegende Verkehrszuwiderhandlungen entgegengehalten werden dürfen (vgl. BVerwG, U.v. 9.6.2005 – 3 C 21/04). Steht ein Gefahrerforschungseingriff – wie vorliegend – nicht im Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde und handelt es sich bei der anlassgebenden Zuwiderhandlung um einen Sachverhalt, der in das Fahreignungsregister (ehemals Verkehrszentralregister) einzutragen ist und für den es gesetzlich festgelegte Verwertungsfristen gibt, können diese nicht unter Hinweis auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beiseitegeschoben oder relativiert werden. Dem entsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 9. Juni 2005 (a.a.O.) die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV in Anknüpfung an eine sieben Jahre zurückliegende Fahrerlaubnisentziehung wegen einer unter Drogeneinfluss begangenen fahrlässigen Straßenverkehrsgefährdung im Verfahren auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis nicht beanstandet, sondern darauf abgehoben, dass die Entziehungsentscheidung noch keinem Verwertungsverbot (gemäß § 29 Abs. 8 i.V.m. § 65 Abs. 9 StVG) unterliege. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. November 2016 (3 C 20/15), da dieses einen Fall betraf, in dem die Anforderung eines Fahreignungsgutachtens in das Ermessen der Behörde gestellt war.
Ein Rückgriff auf die am … April 2007 begangene Tat ist danach vorliegend zulässig, da die aus diesem Anlass ergangene Verurteilung des Amtsgerichts München gemäß § 65 Abs. 3 Nr. 2 StVG, § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i. V. m. § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a StVG in der bis zum Ablauf des 30. April 2014 anwendbaren Fassung einer zehnjährigen Tilgungsfrist unterliegt. Indem der Gesetzgeber für Ahndungen von Alkoholstraftaten – hier wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 Abs. 2 StGB – eine zehnjährige Tilgungsfrist vorgesehen hat, hat er sich für einen relativ langen Zeitraum entschieden, in dem derartige Entscheidungen noch verwertet werden können. Dies ist vor dem Hintergrund der bei alkoholauffällig gewordenen Verkehrsteilnehmern bestehenden Rückfallgefahren nicht zu beanstanden (vgl. Nds. OVG, B.v. 25.4.2007 – 12 ME 142/07; BVerwG, U.v. 9.6.2005 – a.a.O., zur Verwertung einer Entscheidung wegen einer unter Drogeneinfluss begangenen Straßenverkehrsgefährdung).
Der Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens stand vorliegend auch nicht gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG die Bindungswirkung eines strafgerichtlichen Urteils entgegen. Dem Strafbefehl ist nicht zu entnehmen, dass das Strafgericht die Fahreignung des Klägers geprüft hätte. Dies ist auch rechtlich zutreffend, weil die Entziehung der Fahrerlaubnis im strafgerichtlichen Verfahren nach § 69 StGB nur in Betracht kommt, wenn die Tat bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen wurde. § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG ist daher nicht anwendbar, wenn – wie vorliegend – die Straftat (Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 StGB) auf einem Fahrrad begangen wurde (vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 16.8.2016 – OVG 1 S 52.16 – juris).
Liegen die Voraussetzungen des § 11 Abs. 8 FeV vor, steht es nicht im Ermessen der Behörde, ob sie auf die Fahrungeeignetheit des Antragstellers als Kraftfahrer schließt; vielmehr ist die Behörde dazu verpflichtet, der Wertung des Verordnungsgebers Rechnung zu tragen und die Folgerungen daraus zu ziehen. Sie hat davon auszugehen, dass der Betroffene fahrungeeignet ist (BayVGH, B.v. 14.11.2011 – 11 CS 11.2349 – juris).
Der Kläger kann sich schließlich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die Beklagte habe ihm entgegen der Vereinbarung in der mündlichen Verhandlung vom 10. Oktober 2016 keine aktuelle Liste der in Betracht kommenden Begutachtungsstellen übersandt. Ob dies zutreffend ist, kann offen bleiben. Denn zum einen ist – wie bereits ausgeführt – maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der vorliegenden Anfechtungsklage insoweit derjenige der letzten Behördenentscheidung, hier also der Tag der Zustellung des Widerspruchsbescheids. Zum anderen hat das Gericht die Beteiligten bereits in der mündlichen Verhandlung am 10. Oktober 2016 darauf hingewiesen, dass es die Entziehung der Fahrerlaubnis für rechtmäßig erachte. Die Beklagte hat sich daraufhin aus Kulanz bereit erklärt, dem Kläger nochmals Gelegenheit zur Vorlage des geforderten Gutachtens zu geben, um eine für ihn durch die Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis möglicherweise entstehende Härte gegebenenfalls noch abzuwenden und die Streitsache einer einvernehmlichen Erledigung zuzuführen. In dieser Situation wäre es an dem Kläger gewesen, die Beklagte zu gegebener Zeit an die Übersendung einer aktuellen Liste der in Betracht kommenden Begutachtungsstellen zu erinnern. Dass er dies getan hätte, wurde nicht dargelegt. Der Gutachtensanordnung vom … Januar 2014, deren Nichtbefolgung schließlich zum Erlass des Entziehungsbescheids führte, war nach Aktenlage jedenfalls eine solche Liste beigefügt (vgl. § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV).
Nach alledem ist der Entzug der Fahrerlaubnis nicht zu beanstanden. Gleiches gilt für die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins, die Zwangsgeldandrohung sowie die Kostenentscheidung des angefochtenen Bescheides. Insoweit kann auf den Bescheid vom 15. Dezember 2014 Bezug genommen werden (§ 117 Abs. 5 i.V.m. § 84 Abs. 1 Satz 3 VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff ZPO.

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