Strafrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis nach Verletzung des Trennungsgebots durch einen gelegentlichen Konsumenten von Cannabis

Aktenzeichen  3 C 14/17

Datum:
11.4.2019
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2019:110419U3C14.17.0
Normen:
§ 3 Abs 1 S 1 StVG
§ 11 Abs 7 FeV 2010
§ 11 Abs 8 FeV 2010
§ 13 FeV 2010
§ 14 Abs 1 S 3 FeV 2010
§ 14 Abs 2 Nr 3 FeV 2010
Art 3 Abs 1 GG
Spruchkörper:
3. Senat

Leitsatz

1. Bei einem gelegentlichen Konsumenten von Cannabis, der erstmals unter einer seine Fahrsicherheit möglicherweise beeinträchtigenden Wirkung von Cannabis ein Kraftfahrzeug geführt hat, darf die Fahrerlaubnisbehörde in der Regel nicht ohne weitere Aufklärung von fehlender Fahreignung ausgehen und ihm unmittelbar die Fahrerlaubnis entziehen. In solchen Fällen hat sie gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV nach pflichtgemäßem Ermessen über die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu entscheiden (Teilweise Aufgabe von BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2014 – 3 C 3/13).
2. Ein gelegentlicher Konsument von Cannabis trennt den Konsum und das Führen eines Kraftfahrzeugs nicht gemäß Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung, wenn wegen des Cannabiskonsums die Möglichkeit einer Beeinträchtigung seiner Fahrsicherheit besteht. Von einer solchen Möglichkeit kann auch unter Berücksichtigung der Empfehlung der Grenzwertkommission vom September 2015 nach wie vor ausgegangen werden, wenn eine Konzentration von Tetrahydrocannabinol (THC) von 1 ng/ml oder mehr im Blutserum des Betroffenen festgestellt wird (Bestätigung von BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2014 – 3 C 3/13).

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 15. März 2017, Az: 16 A 551/16, Urteilvorgehend VG Gelsenkirchen, 20. Januar 2016, Az: 9 K 1253/15, Urteil

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis.
2
Er wurde am 28. September 2014 gegen 1:20 Uhr einer Verkehrskontrolle unterzogen. Dabei gab er laut Polizeibericht an, zwei Tage zuvor einen Joint geraucht zu haben und das öfters zu tun, da er unter Schlafstörungen leide. In der bei ihm um 2:25 Uhr entnommenen Blutprobe wurden 1,1 ng/ml des psychoaktiven Cannabiswirkstoffs Tetrahydrocannabinol (THC), ca. 0,4 ng/ml 11-Hydroxy-THC (11-OH-THC) und 25 ng/ml Carbonsäure (THC-COOH) im Blutserum festgestellt.
3
Das auf Anordnung der Beklagten vom Kläger vorgelegte toxikologische Gutachten vom 11. Februar 2015 ergab in einer am 26. Januar 2015 entnommenen Blutprobe ca. 0,9 ng/ml THC-COOH; sonstige Cannabisinhaltsstoffe wurden nicht nachgewiesen.
4
Mit Bescheid vom 3. März 2015 entzog die Beklagte dem Kläger unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgelds zur sofortigen Abgabe seines Führerscheins auf; hierfür setzte sie Gebühren und Kosten in Höhe von 104,45 € fest. Der Kläger sei gelegentlicher Konsument von Cannabis. Das Gutachten vom 11. Februar 2015 zeige, dass er zumindest ein zweites Mal Cannabis konsumiert habe. Der dort festgestellte THC-COOH-Wert könne nicht durch einen (einmaligen) Konsum am 28. September 2014 hervorgerufen worden sein. Die Fahrt unter Cannabiseinfluss an diesem Tag belege, dass der Kläger nicht zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen eines Kraftfahrzeugs trennen könne. Die Fahrerlaubnis müsse ihm daher wegen Fehlens der Fahreignung entzogen werden.
5
Die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen; es hat ein mündliches Sachverständigengutachten des seinerzeitigen Vorsitzenden der Grenzwertkommission, Prof. Dr. Daldrup (Institut für Rechtsmedizin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf), eingeholt. Zur Begründung wird ausgeführt: Die fehlende Fahreignung des Klägers ergebe sich aus Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung (im Folgenden: Anlage 4). Er sei, wie der in der zweiten Blutprobe festgestellte THC-COOH-Wert zeige, gelegentlicher Cannabiskonsument und habe nicht zwischen dem Konsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs getrennt. Habe der Betroffene – wie hier – ein Kraftfahrzeug unter einem THC-Pegel geführt, bei dem eine Beeinträchtigung seiner Fahrsicherheit möglich sei, rechtfertige das zugleich Zweifel daran, dass er künftig stets die gebotene Trennung von Cannabiskonsum und Fahren beachten werde. Das führe zur Verneinung seiner Fahreignung. Für den THC-Grenzwert sei maßgeblich, ab wann eine cannabisbedingte Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit möglich – oder negativ formuliert – nicht mehr ausgeschlossen werden könne. Die Rechtsprechung habe das gestützt auf die Beschlüsse der Grenzwertkommission vom 20. November 2002 und vom 22. Mai 2007 bislang bei einer THC-Konzentration von 1 ng/ml Blutserum angenommen. An diesem Risikogrenzwert sei in Auswertung des vom Vorsitzenden der Grenzwertkommission in der mündlichen Verhandlung erstatteten Gutachtens auch mit Blick auf die Empfehlung der Grenzwertkommission vom September 2015 festzuhalten. Nach Äußerungen in der Literatur könne bei gelegentlichen Cannabiskonsumenten die Möglichkeit einer Beeinträchtigung ihrer Fahrtüchtigkeit schon oberhalb eines THC-Werts von 1 ng/ml Blutserum nicht ausgeschlossen werden. In dieselbe Richtung gingen die Äußerungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung.
6
Die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen; dazu hatte es Prof. Dr. Daldrup sowie Prof. Dr. Tönnes, Institut für Rechtsmedizin der Goethe-Universität – Universitätsklinikum – Frankfurt a/M, den derzeitigen Vorsitzenden der Grenzwertkommission, in der mündlichen Verhandlung als Sachverständige gehört. Zur Begründung wird ausgeführt: Die Fahrerlaubnisentziehung sei rechtmäßig. Beim Kläger sei von (zumindest) gelegentlichem Cannabiskonsum auszugehen; das habe er in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich eingestanden. Bei seiner Fahrt am 28. September 2014 habe er nicht wie erforderlich zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen eines Kraftfahrzeugs getrennt. Dabei komme es nicht auf die subjektive Wahrnehmung des Betroffenen, sondern darauf an, ob er unter einer Cannabiskonzentration am Straßenverkehr teilgenommen habe, bei der nach wissenschaftlicher Erkenntnis eine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit nicht ausgeschlossen werden könne. Eine solche Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs sei in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung bislang praktisch einhellig bei einem THC-Wert von 1 ng/ml Blutserum angenommen worden. Ausschlaggebend dafür sei der am 22. Mai 2007 aktualisierte Beschluss der Grenzwertkommission vom 20. November 2002, mit der sie den THC-Grenzwert für die Annahme einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) bei 1 ng/ml Serum angesetzt habe. Eine solche Konzentration könne – wie dort ausgeführt werde – zuverlässig nachgewiesen und quantitativ präzise bestimmt werden; bei deren Erreichen erscheine eine Einschränkung der Fahrtauglichkeit möglich. Weder die neuere Empfehlung der Grenzwertkommission vom September 2015, für das Trennungserfordernis nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 einen THC-Grenzwert von 3 ng/ml Serum zugrunde zu legen, noch die Darlegungen von Mitgliedern der Grenzwertkommission in einer Veröffentlichung und in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gäben Anlass, von dem bisherigen Grenzwert abzugehen. Es bestehe der Eindruck, dass damit die höchstrichterlich abgesicherten Vorgaben verlassen würden, nach denen der Gefahrenmaßstab im Fahrerlaubnisrecht mit dem des § 24a Abs. 2 StVG übereinstimme und bei einem gelegentlichen Cannabiskonsumenten bereits die nicht auszuschließende Möglichkeit einer durch diesen Konsum bedingten Leistungsbeeinträchtigung zum Ausschluss der Fahreignung führe. Soweit die Sachverständigen von der Rechtsfolge her argumentierten und für Fälle mangelnder Trennung bei gelegentlichem Cannabiskonsum eine sofortige Fahrerlaubnisentziehung als zu weitgehend empfänden, wende sich das gegen die Vorgaben in Nr. 9.2.2 der Anlage 4; solche Vorgaben oblägen aber dem Normgeber oder ersatzweise der Rechtsprechung und nicht der Grenzwertkommission. Die Grenzwertkommission und die angehörten Sachverständigen hätten dem Senat auch nicht die Überzeugung vermitteln können, naturwissenschaftliche Gründe müssten zur unterschiedlichen Behandlung einer Verletzung des Trennungsgebots im Ordnungswidrigkeiten- und im Fahrerlaubnisrecht führen. Für die Anwendung von § 24a StVG hielten sie den bisherigen Grenzwert ausdrücklich nach wie vor für richtig. Schließlich hätten die Gutachter nicht zur Überzeugung des Senats darlegen können, dass aufgrund neuerer Erkenntnisse der THC-Grenzwert mit 1 ng/ml Serum für sich genommen zu niedrig angesetzt sei. Ihre Aussagen zu einer möglichen Abgabe von THC aus Depots im Körpergewebe und deren fehlender Auswirkung auf die Fahrtüchtigkeit seien wissenschaftlich nicht hinreichend abgesichert. Abgesehen davon gäben solche – derzeit noch fehlenden – wissenschaftlichen Erkenntnisse keinen Anlass zu einer Heraufsetzung des derzeitigen Grenzwerts; bei einer Abweichung vom Regelfall könne nach Nummer 3 der Vorbemerkung zur Anlage 4 eine medizinisch-psychologische Untersuchung angezeigt sein. Ein Sicherheitszuschlag zum Ausgleich etwaiger Messungenauigkeiten sei nicht erforderlich. Nie ganz auszuschließende Schwankungsbreiten seien bereits bei der Festlegung des Grenzwerts berücksichtigt worden. Außerdem habe sich der THC-Wert in der Zeit zwischen der Beendigung der Fahrt durch eine Polizeikontrolle und der Blutentnahme ohnehin bereits verringert. Der Senat teile nicht die Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, bei einem gelegentlichen Cannabiskonsumenten könne nicht bereits ein einmaliger Verstoß gegen das Trennungsgebot zur Verneinung der Fahreignung und zur Anwendung von § 11 Abs. 7 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) führen. Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 könne die Fahreignung nur bejaht werden, wenn die gebotene Trennung eingehalten sei. Ein rechtssystematischer Vergleich mit den Regelungen in § 13 FeV zu Eignungszweifeln wegen Alkoholmissbrauchs sei wenig zielführend, da das Instrumentarium der §§ 13 und 14 FeV insgesamt recht unterschiedlich ausgestaltet sei. Eine Aufweichung der fahrerlaubnisrechtlichen Reaktion könne auch nicht mit etwaigen Wertungswidersprüchen gerechtfertigt werden. Intensität, Verlauf und Dauer einer Beeinträchtigung der Fahrsicherheit seien bei Konsum von Cannabis deutlich schwieriger zu bestimmen als bei Alkohol.
7
Zur Begründung seiner Revision trägt der Kläger vor: Zu folgen sei der neueren Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, wonach eine unmittelbare Entziehung der Fahrerlaubnis nicht gerechtfertigt sei, wenn ein gelegentlicher Cannabiskonsument erstmalig gegen das Trennungsgebot verstoßen habe. Entsprechend der Empfehlung der Grenzwertkommission vom September 2015 sei für die Trennung von Cannabiskonsum und Fahren ein THC-Grenzwert von 3 ng/ml Blutserum zugrunde zu legen.
8
Die Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das Berufungsurteil.
9
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur der Auffassung, der erstmalige Verstoß gegen das Trennungsgebot genüge nicht, um gemäß § 11 Abs. 7 FeV fehlende Fahreignung anzunehmen. Ein solcher Verstoß begründe nur Zweifel an der Fahreignung, aufgrund derer die Fahrerlaubnisbehörde nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV im Ermessenswege die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anordnen könne. “Trennen-Können” im Sinne der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung sei im Unterschied zur “Trennung” nach Anlage 4 die Fähigkeit, dauerhaft Konsum und Fahren zu trennen. Das setze eine Prognose voraus. Damit sie zugunsten des Betroffenen ausfalle, müsse er darlegen, dass er ein angemessenes Problembewusstsein hinsichtlich seines Cannabiskonsums habe, und nachweisen, dass er über das notwendige Wissen über die Wirkungsweise, die Wirkdauer und die damit verbundenen Gefahren von Cannabis verfüge. Aus einem einmaligen Verstoß könne für die Prognose weder die Überzeugung der Nichteignung im Sinne von § 11 Abs. 7 FeV noch ein sittlich-charakterlicher Mangel hergeleitet werden. Es gebe keinen Grund, gelegentliche Cannabiskonsumenten bei einem einmaligen Verstoß gegen das Trennungsgebot von der Gefährlichkeit her auf dieselbe Stufe zu stellen wie Personen, die schweren Drogenmissbrauch betrieben oder drogenabhängig seien.

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