Aktenzeichen RO 8 S 17.2161
FeV § 11 Abs. 7, § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 46 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3
StVG § 3 Abs. 1
Anlage 4 zu FeV Nr. 9.2. 1, Nr. 9.2.2
Leitsatz
Der zusätzliche Gebrauch eines psychoaktiv wirkenden Stoffes führt nur im Falle einer kombinierten Rauschwirkung nach § 11 Abs. 7 FeV iVm Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu FeV ohne Weiteres zu einem Verlust der Fahreignung; hiernach ist erforderlich, dass ein Konsum vorliegt, der in zeitlicher und mengenmäßiger Hinsicht unter wirkungsbezogener Betrachtungsweise zu einer kumulierten Rauschwirkung bzw. zu einer Wirkungskumulation führen kann. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage
gegen Ziffer 1 und 2 des Bescheids des Landratsamtes A.-S.vom 29. November 2017 wird wiederhergestellt.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtschutzes gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis durch das Landratsamt (LRA) A.-S.
Der am 21.-12.1994 geborene Antragsteller war zuletzt Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen von Fahrzeugen der Klassen B und C1 (inklusive Unterklassen). Mit Schreiben vom 7.9. 2017 legte die Polizeiinspektion H. dem LRA A-S. zwei polizeiliche -Aktenvermerke-vor. Aus-den Aktenvermerken ergibt sich u.a., dass eine Streifenbesatzung „am 24.8.2017 um 2.00 Uhr nach Hersbruck in den Rosengarten beordert wurde. Der Zeuge, der die Polizei verständigt habe, habe angegeben, dass der Antragsteller Rauschgift konsumiert habe und kurze Zeit später halluziniert davon gelaufen sei. Der Antragsteller sei dann – von.der Streifenbesatzung in der A. Straße angetroffen worden und habe einen sehr verwirrten Eindruck gemacht, Er habe laut Angaben des Zeugen und seinen eigenen Angaben eine Tablette LSD eingenommen. Der Antragsteller sei dann mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus Hersbruck verbracht worden. Nachdem er im Krankenhaus randaliert habe, sei er medikamentös ruhiggestellt worden. Eine Unterbringung des Antragstellers in einer .geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses sei zunächst geplant gewesen. Es habe dann aber weder eine Unterbringung im Klinikum Nürnberg Nord noch eine Unterbringung im Klinikum Am Europakanal erfolgen können, so dass der Kläger schließlich wieder in das Krankenhaus Hersbruck zurückgebracht worden sei.
Mit Schreiben des LRA A-S. vom 13.9.2016 wurde der Antragsteller aufgefordert, zur Ausräumung der aufgetretenen Zweifel an seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bis zum 15.11.2017 ein ärztliches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungssteile für Fahreignung zu folgender Fragestellung vorzulegen: „Nimmt oder nahm Herr S. Betäubungsmittel im Sinne des BtMG oder andere psychoaktiv wirkende Stoffe im Sinne des StVG ein, die die Fahreignung nach Anlage 4 FeV in Frage stellen?“ Die Gutachtensanordnung wurde auf § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV i.V.m. § 46 Abs. 3 FeV gestützt.
In dem daraufhin vorgelegten verkehrsmedizinischen Gutachten der A. GmbH Nürnberg (Facharzt für Innere Medizin Dr. W. E.), das vom 7.11.2017 datiert (Untersuchung am 30.10.2017) wird zur Drogenanamnese u.a. ausgeführt (Gutachten S. 9 f.): Der Antragsteller habe zum Vorfall am 24.8.2017 angegeben, dass er auf einer Geburtstagsfeier eines Freundes gewesen sei, Freunde hätten 1P-LSD dabei gehabt. Das sei legal zu erwerben und wirke wie LSD. Es sei ein kleines Pappestück gewesen, das man lutsche. Er habe es genommen und zunächst keine Wirkung gespürt, dann aber ein „total schlechtes Gefühl“ und Angst bekommen und sich nicht mehr ausgekannt. In der Akutsituation habe er unzutreffender Weise angegeben, das Mittel schon mehrfach genommen zu haben. Erstmals an Silvester 2014/2015 habe er Cannabis konsumiert. In der Folgezeit habe er Cannabis nur bei besonderen Anlässen maximal zwei Mal im Monat konsumiert. Vollständiger Drogenverzicht bestehe seit dem 24.8.2017, dem Tag des aktenkundigen Ereignisses. Er könne schwer sagen, ob er zukünftig eventuell wieder mal Cannabis mitrauchen werde. Ein Mischkonsum mit Alkohol habe nicht stattgefunden. Er trinke allgemein keinen Alkohol, da er auf seine Fitness achte. Er trinke allenfalls ca. zwei Mal im Jahr ein bis zwei Bier (0,5 I) in Gesellschaft. Im Rahmen der zusammenfassenden Befundwürdigung (Gutachten S. 11 f.) wird u.a. festgehalten, dass 1P-LSD eine psychedelisch wirkende, psychotrope Substanz und For-schungschemikalie sei. Es sei ein Analogon von LSD und ein Homolog von ALD-52. In Deutschland unterliege AL-LAD nicht dem BtMG, sei also bisher noch nicht illegal. Die beiden im Rahmen der medizinischen Untersuchung – entsprechend den aktuell gültigen Beurteilungskriterien – unvorhergesehen und unter Sicht abgegebenen Urinproben hätten keinen Hinweis auf Drogen ergeben. Als Gutachtensergebnis (Gutachten S, 13) wird festgehalten, dass „der Antragsteller in der Vergangenheit gelegentlich Cannabis und damit ein Betäubungsmittel im Sinne des BtMG eingenommen habe, sowie zumindest einmalig auch 1P-LSD und somit einen anderen psychoaktiv wirkenden Stoff im Sinne des StVG, der die Fahreignung nach Anlage 4 FeV in Frage stelle. Für eine fortgesetzte bzw. aktuelle Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des BtMG oder anderer psychoaktiv wirkender Stoffe im Sinne des StVG, die die Fahreignung nach Anlage 4 FeV in Frage stellten, habe sich kein Anhalt ergeben.
Nach vorheriger Anhörung wurde dem Antragsteller mit Bescheid des LRA A-S. vom 29.11.2017 die Fahrerlaubnis aller Klassen entzogen (Ziffer 1) und die Ablieferung des Führerscheins innerhalb von sieben Tagen ab Zugang dieses Bescheids angeordnet (Ziffer 2). Für den Fall, dass der in Ziffer 2 angeordneten Verpflichtung nicht innerhalb von sieben Tagen ab Zugang dieses Bescheids Folge geleistet wird, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 800 € angedroht (Ziffer 3). Die sofortige Vollziehung von Ziffern 1 und 2 des Bescheids wurde angeordnet (Ziffer 4). Zur Begründung wird u.a. ausgeführt, dass der Antragsteller seine Fahreignung verloren habe, weil die Tatbestandsvoraussetzungen von Nr. 9.,2.2 der Anlage 4 zur FeV erfüllt seien. Der Antragsteller konsumiere gelegentlich Cannabis. Außerdem habe er im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV zusätzlich psychoaktiv wirkende Stoffe gebraucht, weil er bei einer Geburtstagsfeier 1P-LSD konsumiert habe. Im Übrigen wird auf die Begründung des Bescheids Bezug genommen.
Mit dem am 15,12.2017 beim Verwaltungsgericht Regensburg eingegangenen Schriftsätzen seiner Bevollmächtigten ließ der Antragsteller gegen den Bescheid des LRA A.-S. Klage erheben (Az. RO 8 K 17.2162) und außerdem um vorläufigen Rechtsschutz nachsuchen. Zur Begründung wird insbesondere vorgebracht: Ein Mischkonsum sei vorliegend bereits gar nicht gegeben. Der Antragsteller habe Cannabis nicht mit anderen psycho-aktiven Stoffen gemischt und er habe am 24.8.2017, dem Tag des Vorfalls mit 1P-LSD, kein Cannabis konsumiert. Ein „zusätzlicher Gebrauch“ im Sinne eines gleichzeitigen oder zumindest zeitnahen Konsums liege nicht vor.
Es wird beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen Ziffer 1 und 2 des Bescheids des LRA A-S. vom 29,11.2017 wiederherzustellen.
Für den Antragsgegner beantragt das LRA A-S., den Antrag abzulehnen, Zur Begründung wird im Wesentlichen das zur Begründung des Bescheids vom 29.11.2017 Ausgeführte wiederholt und vertieft. Ergänzend wird u.a. noch ausgeführt: Das LRA sei gehalten gewesen sämtliche Fahrerlaubnisklassen zu entziehen, da feststehe, dass der Antragsteller gelegentlich Cannabis und wenigstens einmalig auch andere psychoaktiv wirkende Stoffe im Sinne des StVG konsumiert habe, Der Tatbestand der Nr. 9,2.2 Anlage 4 zur FeV setze keinen gleichzeitigen Parallelkonsum von Cannabis und psychoaktiv wirkenden Stoffen voraus, sondern stelle auf den zusätzlichen Gebrauch ab, bezogen auf den Zeitraum des gelegentlichen Cannabiskonsums. Maßgeblich sei die durch eine mögliche kombinierte Rauschwirkung entstandene Gefährdung für den Straßenverkehr, die von gelegentlichen Cannabiskonsumenten ausgehe, wenn sie zusätzlich z.B. andere psychoaktiv wirkende Stoffe gebrauchen würden.
Zur Ergänzung der Sachverhaltswiedergabe wird auf den weiteren Inhalt der gewechselten Schriftsätze und des vorgelegten Behördenakts Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig und begründet.
Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen belastenden Verwaltungsakt grundsätzlich aufschiebende Wirkung, Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung, wenn die sofortige Vollziehung durch die den Verwaltungsakt erlassende Behörde besonders angeordnet wird. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann dann das Gericht der Hauptsache in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz. 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen.
1. Zwar hat das LRA A-S., das die sofortige Vollziehung von Ziffer 1 und 2 des Bescheids vom 29.11,2017 angeordnet hat, das besondere Interesse an der Anordnung des Sofortvollzugs hinreichend begründet, Gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen, in denen die Behörde nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO den Sofortvollzug anordnet, das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Die schriftliche Begründung soll den Betroffenen in die Lage versetzen, seine Rechte wirksam wahrnehmen und die Erfolgsaussichten seines Rechtsmittels abschätzen zu können. Außerdem soll die Begründungspflicht der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollzugsanordnung vor Augen führen und sie veranlassen, zu prüfen, ob tatsächlich ein überwiegendes Vollzugsinteresse den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfordert, Daraus folgt, dass die Begründung nicht lediglich formelhaft sein darf, sondern die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen darlegen muss, die die Annahme eines besonderen öffentlichen Vollzugsinteresses tragen.
Davon ist im vorliegenden Fall auszugehen. Das LRA A-S. hat in hinreichendem Umfang dargelegt, warum es aus seiner Sicht erforderlich war, die in Ziffer 1 des Bescheids vom 29.11.2017 verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis und die in Ziffer 2 dieses Bescheids verfügte Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins innerhalb von sieben Tagen für sofort vollziehbar zu erklären. Das besondere öffentliche Interesse, bereits mit Zustellung des Bescheids die weitere Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr zu unterbinden, wurde mit den nicht ausgeräumten Eignungszweifeln beim Antragsteller und der damit einhergehenden Gefährdung des Straßenverkehrs begründet. Dieses öffentliche Interesse wurde mit den persönlichen Interessen des Antragstellers abgewogen. Dabei wurde die Interessenlage des Antragstellers gewürdigt. Im Übrigen sind die Umstände, aus denen sich die Fahrungeeignetheit des Fahrerlaubnisinhabers ergeben, regelmäßig auch geeignet, gleichzeitig das besondere öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug der angeordneten Fahrerlaubnisentziehung zu begründen (vgl. BayVGH, B.v. 27,10.2005- 11 CS 05.1967; BayVGH, B.v. 14.12.1994- 11 AS 94.3847 – BayVBI 1995, 248). Ist ein Fahrerlaubnisinhaber ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, liegt es auf der Hand, dass ihm im Hinblick auf die Gefährlichkeit seiner Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr und der zu schützenden Rechtsgüter wie Leben und körperliche Unversehrtheit der anderen Verkehrsteilnehmer grundsätzlich sofort das Führen von Kraftfahrzeugen untersagt werden muss. Im Bereich des Sicherheitsrechts, zu dem das Fahrerlaubnisrecht gehört, kann sich die Behörde zur Rechtfertigung der sofortigen Vollziehung darauf beschränken, die für diese Fallgruppen typische Interessenlage aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass diese Interessenlage auch im konkreten Fall vorliegt; allein der Umstand, dass die im streitgegenständlichen Bescheid angesprochenen Gesichtspunkte auch in einer Vielzahl von anderen Fällen zur Rechtfertigung der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit verwendet werden können, führt deshalb nicht dazu, dass ein Verstoß gegen § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO vorliegt (vgl. BayVGH, B.v. 24.8.2010 – 11 CS 10.1139; BayVGH, B.v. 10.3.2008-11 CS 07,3453).
Die vom Gericht vorzunehmende Interessenabwägung ergibt aber, dass das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs das öffentliche Interesse am Sofortvollzug überwiegt.
Für diese Interessenabwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten in der Hauptsache maßgeblich. Führt eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache dazu, dass der Rechtsbehelf offensichtlich Erfolg haben wird, so kann kein Interesse der Öffentlichkeit oder anderer Beteiligter daran bestehen, dass der mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrige Verwaltungsakt sofort vollzogen wird. Wird der Hauptsacherechtsbehelf umgekehrt aller Voraussicht nach erfolglos bleiben, weil nach der im vorläufigen Rechtschutzverfahren gebotenen summarischer Prüfung keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen, kann der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abgelehnt werden, ohne dass es einer zusätzlichen Interessenabwägung bedarf. Denn der Bürger hat grundsätzlich kein schutzwürdiges privates Interesse daran, von der Vollziehung eines offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben, ohne dass es darauf ankommt, ob der Vollzug dringlich ist oder nicht (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 11 CS 08.3273, m.w.N.).
Im vorliegenden Fall spricht nach summarischer Prüfung alles dafür, dass die Klage gegen Ziffer 1 und 2 des Bescheids vom 29,11.2017 erfolgreich sein wird (vgl. unter a.). Es sind auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass gleichwohl ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit am Sofortvollzug des Bescheids bestehen würde (vgl. unter b.);
a. Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 StVG i.V.m, § 46 Abs. 1 FeV. Danach ist (kein Ermessensspielraum) die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies ist nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere dann der Fall, wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegt und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Mit den Auswirkungen von Cannabis-Konsum auf die Fahreignung befasst sich Nr. 9.2 der Anlage 4 zur FeV. Gemäß Nr. 9.2.1 fehlt bei der regelmäßigen Einnahme von Cannabis die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis besteht nach Nr. 9.2,2 die Fahreignung des Betroffenen nur dann, wenn der Cannabis-Konsum vom Fahren getrennt wird (Trennungsgebot), kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen stattfindet und keine Störung der Persönlichkeit und kein Kontrollveriust vorliegen.
Das LRA A-S. ist davon ausgegangen, dass der Antragsteller sich nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV i.V.m. Nr. 9,2.2 der Anlage 4 zur FeV ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, weil er gelegentlich Cannabis konsumiert (hat) und zwar nicht im Zusammenhang mit Cannabiskonsum im Straßenverkehr aufgefallen ist, aber zusätzlich psychoaktiv wirkende Stoffe gebraucht hat (sog. Mischkonsum). Die Voraussetzungen für die Annahme eines Mischkonsums im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV sind vorliegend aber nicht gegeben:
aa. Es ist zwar davon auszugehen, dass der Antragsteller in der Vergangenheit gelegentlich Cannabis konsumiert hat. Gelegentliche Einnahme von Cannabis im Sinne von Nr. 9,2.2 der Anlage 4 zur FeV liegt vor, wenn tatsächlich mindestens zwei Mal Cannabis in voneinander unabhängigen Konsumakten eingenommen wurde (st. Rspr. des BayVGH: vgl. BayVGH, B.v. 25.1.2006 – 11 CS 05.1453; BayVGH, B.v, 5.3.2009- 11 CS 08.3046; BayVGH, B.v. 13,12.2010- 11 CS 10.2873), Diese Voraussetzungen ist vorliegend unzweifelhaft gegeben. Denn der Antragsteller hat nach seinen eigenen Angaben im Rahmen der ärztlichen Begutachtung durch die AVUS GmbH erstmals an Silvester 2014/2015 Cannabis konsumiert und in der Folgezeit dann bei besonderen Anlässen maximal zwei Mal im Monat. Auch das ärztliche Gutachten kommt daher (nachvollziehbar) zum Ergebnis, dass der Antragsteller in der Vergangenheit (vor dem vollständigen Drogenverzicht nach dem 1P-LSD-Konsum am 24.8.2017) gelegentlicher Cannabiskonsument war.
bb. Aus dem Umstand, dass der Antragsteller am 24.8.2017 1P-LSD konsumiert hat, und es sich bei diesem Stoff um einen psychoaktiv wirkenden Stoff im Sinne cles StVG handelt, folgt aber nicht, dass im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für die Annahme eines die Fahreignung ausschließenden Mischkonsums i.S.d Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV erfüllt wären. Denn der zusätzliche Gebrauch eines psychoaktiv wirkenden Stoffes führt nur im Falle einer kombinierten Rauschwirkung nach § 11 Abs. 7 FeV i.V.m. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu FeV ohne Weiteres zu einem Verlust der Fahreignung. Es muss daher ein Konsum vorliegen, der in zeitlicher und mengenmäßiger Hinsicht unter wirkungsbezogener Betrachtungsweise zu einer kumulierten Rauschwirkung bzw. zu einer Wirkungskumulation führen kann (vgl. dazu eingehend BVerwG, U.v. 14.11.2013 – 3 C 32/12; BayVGH B.v. 4.7.2017 – 11 CS 17.1162). Hierfür bestehen vorliegend aber keine Erkenntnisse. Zwar war der Antragsteller bis zum seinem Konsum von 1P-LSD am 24.8.2017 gelegentlicher Cannabiskonsument. Dafür, dass der Antragsteller auch in zeitlichem Zusammenhang mit seinem 1P-LSD-Konsum Cannabis konsumiert hat, so dass es zu einer kumulierten Rauschwirkung bzw. zu einer Wirkungskumulation gekommen sein kann, ergeben sich nach Aktenlage aber keine belastbaren Anhaltspunkte, Insoweit ist auch in Rechnung stellen, dass der psychoaktive Wirkstoff THC bei inhaltivem Konsum von Cannabis sehr schnell vom Blut resorbiert wird und bereits wenige Minuten nach dem Rauchende sein Maximum erreicht. Nach der Aufnahme einer Einzeldosis ist THC – anders als das Abbauprodukt THC-Carbonsäure – nur etwa vier bis sechs Stunden im Blut nachweisbar (vgl. Schubert u.a., Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung, Kommentar, 2.Auf. 2005, S. 178 mit Tabelle 1). Nach den im Rahmen der 2006 veröffentlichten sog. Maastricht-Studie gewonnenen Erkenntnissen sinkt die THC-Konzentration im Serum auch nach Konsum höherer Dosierungen (bis zu ca. 35 mg THC pro Cannabiszigarette) bei Gelegenheitskonsum innerhalb von sechs Stunden nach Rauchende auf einen Wert von ca, 1 ng/ml ab (vgl. Möller u.a., Leistungsverhalten und Toxikokinetik der Cannaboide nach inhalativer Marihuanaaufnahme, Blutalkohol Vol. 43/2006, S. 361 f.). Der Antragsteller selbst hat sich dahingehend eingelassen, dass er am Tag des Vorfalls mit 1P-LSD kein Cannabis konsumiert habe. Gegenteilige Erkenntnisse oder gar Nachweise gibt es nach Aktenlage nicht. Die abstrakt gegebene Möglichkeit, dass es wegen des gelegentlichen Cannabiskonsums des Antragstellers auch zum Zeitpunkt des 1P-LSD-Konsums zu einer Wirkungskumulation hätte kommen können, ist nicht ausreichend.
cc. Wenn sich die Entziehung der Fahrerlaubnis (Ziffer 1 des Bescheids vom 29.11.2017) als rechtswidrig erweist, kann auch die im Zusammenhang mit der Entziehung stehende und eine (rechtmäßige) Entziehung der Fahrerlaubnis vorausset zende Ablieferungsanordnung (Ziffer 2 des Bescheids vom 29.11.2017) keinen Bestand haben.
b. Nach dem Ausgeführten spricht daher nach summarischer Prüfung alles dafür, dass die Klage gegen Ziffer 1 und 2 des Bescheids vom 29.11.2017 erfolgreich sein wird, Dass es gleichwohl überwiegende öffentliche Interessen gibt, die für eine Beibehaltung der sofortigen Vollziehung des Bescheids streiten, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich. Insbesondere ist der Antragsteller nach Aktenlage vor oder nach dem streitgegenständlichen Vorfall nicht im Straßenverkehr wegen Alkoholmissbrauchs oder Drogenkonsums auffällig geworden und ergaben sich bei den im Rahmen der ärztlichen Begutachtung durchgeführten Drogenurinscreenings auch keine Hinweise auf Drogenkonsum.
Nach allem war dem Antrag daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf-§§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 GKG.