Aktenzeichen 11 CS 20.1814
StVG § 3 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1, § 4 Abs. 3 S. 2
FeV § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 5, Abs. 8 S. 1, § 46 Abs. 1 S. 1, Abs. 3
Leitsatz
1. Bei zwei kurz nacheinander im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr begangenen und in Tatmehrheit stehenden Straftaten handelt es sich um mehr als eine Straftat, so dass diese die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 2 FeV rechtfertigen, auch wenn sie nicht „erheblich“ im Sinne der Alt. 1 dieser Vorschrift sind. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Fall der nach einem positiven Fahreignungsgutachten und der anschließenden Wiedererteilung der Fahrerlaubnis erneuten Begehung von Zuwiderhandlungen kann die Fahrerlaubnisbehörde die zeitlich davorliegenden Umstände trotz der Löschung des Punktestands im Fahreignungsregister ergänzend berücksichtigen und hat die Möglichkeit, die Eignung auch ohne das Erreichen von acht Punkten wieder in Frage zu stellen und ggf. durch eine erneute Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens prüfen zu lassen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es entspricht der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung, dass bei Kraftfahrern, denen die erforderliche Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs fehlt, das Erlassinteresse an der Entziehung der Fahrerlaubnis zum Schutz von Leben und Gesundheit der anderen Verkehrsteilnehmer regelmäßig mit dem Vollzugsinteresse identisch ist, so dass es für die schriftlichen Begründung der Vollziehungsanordnung ausreicht, diese Interessenlage aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass sie nach Auffassung der Fahrerlaubnisbehörde auch im konkreten Fall vorliegt. Die behördliche Annahme, dass einem nicht fahrgeeigneten Kraftfahrer im Hinblick auf die damit für die Allgemeinheit verbundenen erheblichen Gefahren die Fahrerlaubnis ungeachtet des Gewichts seines persönlichen Interesses an der Teilnahme am individuellen Straßenverkehr nicht bis zum Eintritt der Bestandskraft des Entziehungsbescheids belassen werden kann, begegnet keinen Bedenken (vgl. BayVGH BeckRS 2019, 27427 Rn. 20 mwN). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 6 S 20.1804 2020-07-13 Bes VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Die Beschwerde wird verworfen, soweit sie unzulässig ist, und im Übrigen zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A79, A179, AM, B und L.
Am 2. Januar 2012 verurteilte das Amtsgericht Traunstein den Antragsteller wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, Sachbeschädigung, zwei tatmehrheitlichen Fällen von vorsätzlicher Körperverletzung und Bedrohung (Tattag: 3.7.2011) zu einer Freiheitsstrafe von elf Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, und entzog ihm die Fahrerlaubnis. Nach Beibringung eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens erteilte ihm das Landratsamt Traunstein die Fahrerlaubnis am 27. Mai 2014 erneut.
Anfang Februar 2017 wurde dem Landratsamt bekannt, dass der Antragsteller am 25. November 2016 um 20:30 Uhr auf dem Parkplatz vor einem Schnellrestaurant beim Rückwärtsfahren zwei Personen verletzt, sich anschließend unerlaubt vom Unfallort entfernt und sich am nächsten Tag nach einem Presseaufruf der Polizei gestellt hatte.
Mit Urteil vom 13. November 2017 verurteilte das Amtsgericht Traunstein den Antragsteller wegen gefährlicher Körperverletzung sachlich zusammentreffend mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Ferner entzog es dem Antragsteller die Fahrerlaubnis und verhängte eine Sperrfrist von noch neun Monaten. Auf seine Berufung hin verurteilte ihn das Landgericht Traunstein mit rechtskräftigem Urteil vom 21. Februar 2019 wegen fahrlässiger Körperverletzung sachlich zusammentreffend mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort zu einer Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen. Der Antragsteller erhielt seinen Führerschein zurück. Für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis seit dem 10. Mai 2017 wurde ihm eine Entschädigung zugesprochen.
Mit Schreiben vom 21. Januar 2020 forderte das Landratsamt den Antragsteller gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 2 FeV auf, bis zum 24. März 2020 ein medizinisch-psychologisches Gutachten zur Klärung der Frage beizubringen, ob trotz der aktenkundigen Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr zu erwarten sei, dass er zukünftig nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen werde. Bei den am 25. November 2016 begangenen Straftaten handele es sich gemäß Abschnitt A Nr. 1.1 der Anlage 12 zur FeV erneut um eine schwerwiegende Zuwiderhandlung. Der Straftat des unerlaubten Entfernens vom Unfallort sei prognostisch eine besonders ungünstige Bedeutung beizumessen. In der Gesamtschau sei eine Fahreignungsüberprüfung ermessensgerecht und aufgrund der charakterlichen Zweifel auch angemessen. Die Gutachtensanordnung sei aufgrund der wiederholten und verwertbaren Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr rechtmäßig.
Nachdem der Antragsteller kein Gutachten vorgelegt hatte, entzog ihm das Landratsamt mit Bescheid vom 20. April 2020 gestützt auf § 11 Abs. 8 FeV die Fahrerlaubnis und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgelds auf, seinen Führerschein unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche ab Zustellung des Bescheids beim Landratsamt abzugeben. Ferner ordnete es die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an.
Am 27. April 2020 gab der Antragsteller seinen Führerschein beim Landratsamt ab.
Am 28. April 2020 ließ er durch seine Prozessbevollmächtigte Klage (M 6 K 20.1732) zum Verwaltungsgericht München erheben, über die noch nicht entschieden ist, und zugleich beantragen, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen, hilfsweise die Aufhebung des Sofortvollzugs anzuordnen.
Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag mit Beschluss vom 13. Juli 2020 unter Bezugnahme auf den angefochtenen Bescheid ab und führte ergänzend aus, die vom Antragsteller begangenen Straftaten beruhten auf einem jeweils selbstständigen Tatentschluss, auch wenn die fahrlässige Körperverletzung und die Unfallflucht in engem zeitlichen Zusammenhang stünden. Der Antragsgegner gehe folglich zutreffend von mehreren im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehenden Straftaten aus und beziehe zu Recht auch die Straftaten aus dem Jahre 2011 in seine Betrachtung mit ein. Diese seien noch verwertbar und hätten dem Antragsteller auch nach Wiedererteilung der Fahrerlaubnis aufgrund eines positiven Gutachtens noch entgegengehalten werden dürfen. Der Antragsgegner halte dem Antragsteller zutreffend jene Aussagen vor, mit denen dieser den Gutachter von einer Änderung seines Verhaltens überzeugt habe. Die Behörde habe ihr Ermessen ohne Rechtsfehler auf den konkreten Fall bezogen ausgeübt, was auch für die Anordnung des Sofortvollzugs gelte. Im Vordergrund stehe zweifellos die Frage der charakterlichen Eignung. Es gebe jedoch auch Fälle, in denen das vom Antragsteller gezeigte Verhalten jedenfalls teilweise durch medizinische Indikationen verursacht sei, etwa bei Diabetikern oder extremem Bluthochdruck. Daher sei die Frage nach solchen medizinischen Indikationen keineswegs verfehlt, auch wenn solche Fälle eher selten vorkämen. Derartige Ursachen würden weniger gegen die Kraftfahreignung des Antragstellers sprechen als Defizite in der charakterlichen Eignung. Die Behörde habe somit versucht, einen für den Antragsteller sprechenden Umstand zu ermitteln bzw. aufzuklären. Gewichtig für ihn sprechende Gesichtspunkte, die die Behörde in ihre Ermessensentscheidung hätte mit einbeziehen müssen, seien nicht erkennbar. Vielmehr wären weitere gegen ihn sprechende Umstände zu würdigen, etwa, dass er nicht auf seine Beifahrerin eingewirkt habe, damit diese von ihren Falschaussagen ablasse. Die Rückgabe des Führerscheins und die Entschädigung seien schlicht im Fehlen von Beweisen für den Vorsatz begründet gewesen, den Rückwärtsgang einzulegen und absichtlich auf die beiden Personen hinter seinem Fahrzeug zuzufahren. Während das Amtsgericht diesbezüglich noch von einer vorsätzlichen gefährlichen Körperverletzung überzeugt war, habe das Landgericht sich dieser Überzeugung nicht anzuschließen vermocht. Wenngleich das landgerichtliche Urteil in dieser Frage nur schwer nachzuvollziehen sei, dürfe zugunsten des Antragstellers von dessen Feststellungen nicht abgewichen werden.
Mit seiner Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, nahm der Antragsteller auf seine Ausführungen im Schriftsatz vom 28. April 2020 Bezug und führte ergänzend aus, es stehe fest, dass die Voraussetzungen von § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV nicht erfüllt seien. Das erstinstanzliche Gericht behaupte zu Unrecht und ohne Begründung, dass der Antragsgegner sein Ermessen erkannt und dieses ohne Rechtsfehler ausgeübt habe. Jedoch sei der Antragsgegner von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen, insbesondere von einem angeblichen „engen zeitlichen Zusammenhang“. Soweit er ins Feld führe, der Antragsteller habe „nach nur zwei Jahren wieder eine erhebliche Straftat begangen“, lägen zwischen den beiden Ereignissen mehr als fünfeinhalb Jahre, wobei es am 25. November 2016 gerade nicht zu einer erheblichen Straftat gekommen sei. Der vermeintlich Geschädigte, der zum Unfallzeitpunkt stark alkoholisiert gewesen sei, sei – wenn überhaupt – nur minimalst verletzt worden. Eine medizinische Behandlung sei nicht erforderlich gewesen; ein Sachschaden sei nicht entstanden. Die Berührung zwischen Pkw und Geschädigtem sei von so geringer Intensität gewesen, dass sie weder akustisch noch „taktisch“ wahrnehmbar gewesen sei. Auch am Fahrzeug sei nicht das geringste zu erkennen gewesen, kein Kratzer, Lackabrieb oder sonstiges. Das Verwaltungsgericht gehe ersichtlich zulasten des Antragstellers von der Richtigkeit des erstinstanzlichen Strafurteils bzw. von einer vorsätzlichen gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Unfallflucht aus. Eine derartige Bewertung stehe dem Gericht jedoch nicht zu, da allein die Feststellungen im Berufungsurteil maßgebend seien. Das Berufungsurteil sei auf der Grundlage einer wiederholten Beweisaufnahme ergangen, in der auch ein Sachverständiger zu Rate gezogen worden sei. Der Antragsteller habe unmittelbar nach Urteilsverkündung seine Fahrerlaubnis zurückerhalten und sei inzwischen für die rechtswidrig entzogene Fahrerlaubnis angemessen entschädigt worden. Weitere Gesichtspunkte könnten nicht herangezogen werden, insbesondere nicht die Unterstellung, dass er es unterlassen habe, auf seine Beifahrerin einzuwirken. Hier ergehe sich das Gericht in Spekulationen und nehme eine ihm nicht zustehende eigene Ermessensausübung vor. Der Antragsteller habe binnen 24 Stunden nach dem vermeintlichen Unfallereignis Kontakt zur Polizei aufgenommen und Feststellungen an seinem Fahrzeug ermöglicht. Er habe sich zur Sache eingelassen und auch bestätigt, zum vermeintlichen Unfallzeitpunkt vor Ort gewesen zu sein. Auch während des Verfahrens sei er stets kooperativ gewesen und habe Angaben zur Sache gemacht. Auch dies zeige, dass Zweifel an seiner Fahreignung nicht begründet seien.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist unzulässig, soweit mit ihr die Aufhebung der Zwangsgeldandrohung begehrt wird, im Übrigen unbegründet.
Der Antragsgegner weist zu Recht darauf hin, dass die Zwangsgeldandrohung mit der Abgabe des Führerscheins am 27. April 2020 gegenstandslos geworden ist bzw. sich erledigt hat. Da der Antragsgegner nicht zu erkennen gegeben hat, dass er das Zwangsgeld gleichwohl beizutreiben beabsichtigt, fehlte dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO insoweit das Rechtsschutzbedürfnis (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 7.9.2020 – 11 CS 20.1418 – juris Rn. 15 m.w.N.).
Im Übrigen ergibt sich aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben wäre.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. Dezember 2019 (BGBl I S. 2008), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Oktober 2019 (BGBl I S. 1416), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV kann die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) zur Klärung von Eignungszweifeln für die Zwecke nach § 11 Abs. 1 und 2 FeV unter anderem angeordnet werden bei einer erheblichen Straftat, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht, oder bei Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden. Der Schluss auf die Nichteignung ist allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der Begutachtung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 = juris Rn. 19). Dies war hier der Fall.
Die vom Antragsteller am 25. November 2016 begangenen beiden Straftaten haben die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 2 FeV gerechtfertigt. Sowohl die fahrlässige Körperverletzung durch sorgfaltspflichtwidriges Rückwärtsfahren als auch die anschließende Unfallflucht standen im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr, da sie anlässlich der Teilnahme am Straßenverkehr begangen wurden bzw. durch Ereignisse im Straßenverkehr motiviert waren (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 11 FeV Rn. 35). Da es sich bei den kurz nacheinander begangenen, in Tatmehrheit stehenden Straftaten vom 25. November 2016 um mehr als eine Straftat handelt (vgl. HessVGH, B.v. 15.9.2010 – 2 A 1197/10.Z – juris Rn. 4), müssen diese nicht „erheblich“ im Sinne § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 1 FeV sein (Trésoret in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand 16.10.2020, § 11 FeV Rn. 67).
Hinzu kommt als weitere Straftat der am 3. Juli 2011 begangene vorsätzliche gefährliche Eingriff in den Straßenverkehr, den das Landratsamt ergänzend herangezogen hat. Weder das positive Fahreignungsgutachten noch die anschließende Wiedererteilung der Fahrerlaubnis am 27. Mai 2014 entfalten eine Sperrwirkung gegen die Berücksichtigung zeitlich davorliegender Umstände (vgl. BayVGH, B.v. 7.8.2014 – 11 CS 14.352 – juris Rn. 23 f.; B.v. 6.5.2008 – 11 CS 08.551 – juris Rn. 46 ff.; Wagner/Strohbeck-Kühner/Koehl in Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Komm., 3. Aufl. 2018, S. 345). Nach der Gesetzesbegründung zu § 4 Abs. 3 Satz 2 StVG bleibt es vielmehr trotz der Löschung des Punktestands im Fahreignungsregisters bei der Speicherung sämtlicher noch nicht getilgter Entscheidungen im Register, so dass die Behörde im Fall der erneuten Begehung von Zuwiderhandlungen nach erfolgter Neuerteilung der Fahrerlaubnis die Möglichkeit habe, die Eignung auch ohne das Erreichen von acht Punkten wieder in Frage zu stellen und ggf. durch eine erneute Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens prüfen zu lassen. In welchen Fällen dies sachgerecht sei, müsse aber der Einzelfallentscheidung überlassen bleiben und könne nicht summarisch durch das Gesetz geregelt werden (BR-Drs. 799/12, S. 73).
Das Strafurteil vom 21. Februar 2019, mit dem die vorläufige Entziehung des Führerscheins aufgehoben worden ist, entfaltet keine Bindungswirkung gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG, die der behördlichen Anordnung einer Begutachtung der charakterlichen Eignung entgegenstand. Zwar erstreckt sich die Wirkung dieser Vorschrift auch auf die Kraftfahreignung, sofern sich die Beurteilung der Eignung zweifelsfrei aus den schriftlichen Urteilsgründen ergibt. Dies gilt allerdings nur – worauf der Antragsgegner richtig hingewiesen hat -, wenn die Behörde von demselben und nicht wie hier von einem anderen, weil umfassenderen Sachverhalt als das Strafgericht ausgegangen ist (vgl. Dauer, a.a.O. § 3 StVG Rn. 59 f.; Will in Dötsch/Koehl/Krenberger/Türpe, BeckOK Straßenverkehrsrecht, Stand: 1.7.2020, § 3 StVG Rn. 102 f., 105).
Weiter ist die Kritik des Antragstellers an der Ermessensausübung durch das Landratsamt nicht berechtigt. Hierzu hat sich das Verwaltungsgericht entgegen der Beschwerdebegründung – wenn auch knapp – geäußert, was im Übrigen nicht entscheidungserheblich ist, da es insoweit auf die behördlichen Erwägungen ankommt. Der Gutachtensanordnung vom 21. Januar 2020 ist insoweit zu entnehmen, dass dem Landratsamt bewusst war, ein Fahreignungsgutachten anordnen zu „können“. Zusammenfassend hat es eine Fahreignungsprüfung für „ermessensgerecht“ und angemessen gehalten. Auch sind die hierfür dargelegten Gründe als ausreichend zu erachten. Das Landratsamt hat die Straftaten des Antragstellers zu Recht als erheblich im Sinne der Verkehrssicherheit und als schwerwiegende Zuwiderhandlung bewertet und dabei insbesondere dem unerlaubten Entfernen vom Unfallort wegen der hierin zum Ausdruck kommenden Hinweise auf Rücksichtslosigkeit und auf einen Mangel an Verantwortungsbewusstsein, Affektbeherrschung und Impulskontrolle eine prognostisch besonders ungünstige Bedeutung beigemessen. Weiter hat es aus den vorstehend im Einzelnen geschilderten Sachverhalten, u.a. dem Umstand, dass der Antragsteller bereits zwei Jahre nach der positiven Begutachtung erneut eine erhebliche Straftat begangen hat und sich durch die Straftat aus dem Jahr 2011 bereits einmal als charakterlich ungeeignet erwiesen hatte, auf charakterliche Zweifel geschlossen, die eine Überprüfung der Fahreignung erforderlich machen.
Entgegen der Behauptung des Antragstellers hat der Antragsgegner in der Gutachtensanordnung nicht auf das durch das Landgericht aufgehobene Strafurteil des Amtsgerichts abgestellt. Bereits aus der Wiedergabe des wesentlichen Urteilsspruchs des Berufungsurteils (fahrlässige Körperverletzung, Geldstrafe) und damit aus dem Zusammenhang der entsprechenden Textpassage selbst ist ersichtlich, dass es sich bei dem Urteilszitat um eine offenkundige Unrichtigkeit handelt, die entsprechend einem allgemeinen Rechtsgedanken des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrensrechts rechtlich unschädlich ist und jederzeit berichtigt werden kann (vgl. Art. 42 Satz 1 BayVwVfG; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 42 Rn. 1 ff.). Auf das Angebot des Landratsamts im Schreiben vom 17. Februar 2020, die Gutachtensanordnung auf Wunsch entsprechend zu korrigieren, ist der Antragsteller jedoch nicht eingegangen.
Soweit der Antragsteller offenbar der Meinung ist, der fahrlässigen Körperverletzung komme kein eine Gutachtensanordnung rechtfertigendes Gewicht zu, weil sie bei den Geschädigten nicht zu nennenswerten Verletzungen geführt habe und vom Antragsteller nach den Ausführungen des Strafgerichts nicht habe wahrgenommen werden müssen, ist zum einen anzuführen, dass aus Sicht des Landratsamts in erster Linie die (erneute) Unfallflucht für die Anordnung maßgebend war. Zum anderen ist nach den rechtskräftigen Feststellungen des Landgerichts davon auszugehen, dass der Antragsteller mit seinem Fahrzeug jeweils aus ungeklärten Gründen abrupt vor den ersichtlich alkoholisierten Geschädigten angehalten hat und sodann ein bis zwei Meter rückwärts auf diese zugefahren ist, bis das Fahrzeug diese erfasst hat. Hierbei handelt es sich um irritierende, für andere Verkehrsteilnehmer nicht vorhersehbare und daher gefährliche Fahrmanöver, die ein erhebliches Verletzungsrisiko in sich bergen. Einem der Geschädigten ist es allein durch seine Geistesgegenwart gelungen, im Wesentlichen unverletzt zu bleiben. Ebenso wenig verliert das unerlaubte Entfernen vom Unfallort dadurch sein Gewicht, dass sich der Antragsteller, nachdem er aufgrund der Zeugenaussagen als Unfallverursacher identifiziert und polizeilich über einen Presseaufruf gesucht worden war, bei der Polizei gestellt hat.
Weiter macht der Antragsgegner zutreffend geltend, dass der Vorwurf, er sei hinsichtlich des zeitlichen Abstands zwischen den verwertbaren Straftaten von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen, nicht zutrifft. Das Landratsamt hat nach dem Wortlaut der Begutachtungsanordnung nicht – wie vom Antragsteller unterstellt – auf den zeitlichen Abstand zwischen den Straftaten aus dem Jahr 2011 und 2016 abgestellt, sondern auf den Abstand zwischen der positiven Begutachtung vom 14. Mai 2014 bzw. der ihm dadurch bescheinigten Verhaltensänderung und den Straftaten vom 25. November 2016. Dies mag nicht der Erwartung des Antragstellers entsprechen, ist aber sachlich nicht verfehlt, weil sich aus diesem Zeitablauf ergibt, dass die vom Gutachter attestierte Verhaltensänderung offensichtlich nicht von längerer Dauer war bzw. dass es in Wahrheit nicht zu einem stabilen Einstellungswandel im Sinne von Nr. 3.16 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Stand 31.12.2019, veröffentlicht unter www.bast.de, S. 83) gekommen war.
Soweit der Antragsteller diesbezüglich auch die Gründe des Gerichtsbeschlusses kritisiert, hat das Verwaltungsgericht auf einen „engen zeitlichen Zusammenhang“ zwischen den in Tatmehrheit stehenden Straftaten vom 25. November 2016 abgehoben, um das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 2 FeV zu begründen. Im Jahr 2011 sind dem Antragsteller keine fahrlässigen, sondern vorsätzliche Körperverletzungen zur Last gelegt worden, so dass sich der beanstandete Satz zweifelsfrei nicht auf die damaligen Taten bezieht.
Die vom Verwaltungsgericht angedeuteten Zweifel an der Richtigkeit des strafgerichtlichen Berufungsurteils waren, wie der Antragsgegner ebenfalls zutreffend dargelegt hat, nicht entscheidungserheblich, da der Einzelrichter – unter anderem gemäß § 117 Abs. 5 VwGO unter Bezugnahme auf den angefochtenen Bescheid – von der Maßgeblichkeit der landgerichtlichen Entscheidung ausgegangen ist und ausdrücklich festgestellt hat, dass von den dortigen Feststellungen nicht abgewichen werden dürfe.
Es kann dahinstehen, ob die in dem in Bezug genommenen Antragsschriftsatz vom 28. April 2020 formulierte Kritik an der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme (der Antragsteller sei auf seine Fahrerlaubnis angewiesen) und an der Begründung des Sofortvollzugs überhaupt den Darlegungsanforderungen genügt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 146 Rn. 22a f.; Guckelberger in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 146 Rn. 77), weil sie jedenfalls unberechtigt ist. Da das Landratsamt nach § 11 Abs. 8 FeV davon ausgehen durfte und musste, dass dem Antragsteller die Fahreignung fehlt, ist die daran anknüpfende Entziehung der Fahrerlaubnis zum Schutz von Leben und Gesundheit der anderen Verkehrsteilnehmer zwingend und verhältnismäßig. Im Hinblick auf den hohen Rang dieser Rechtsgüter haben sein Mobilitätsbedürfnis und die Bedeutung der Fahrerlaubnis für seine Lebensführung dahinter zurückzustehen. An den Inhalt der schriftlichen Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO sind keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Der Antragsgegner ist der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung gefolgt, wonach bei Kraftfahrern, denen die erforderliche Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs fehlt, das Erlassinteresse regelmäßig mit dem Vollzugsinteresse identisch ist (vgl. BayVGH, B.v. 16.10.2019 – 11 CS 19.1434 – juris Rn. 20 m.w.N.; SächsOVG, B.v. 10.12.2014 – 3 B 148/14 – juris Rn. 6; OVG NW, B.v. 14.11.2014 – 16 B 1195/14 – juris Rn. 3; VGH BW, B.v. 20.9.2011 – 10 S 625/11 – juris Rn. 4; Hoppe in Eyermann, VwGO, § 80 Rn. 55, 46). Bei dieser häufig wiederkehrenden Sachverhaltsgestaltung, der eine typische Interessenlage zugrunde liegt, reicht es aus, diese Interessenlage aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass sie nach Auffassung der Fahrerlaubnisbehörde auch im konkreten Fall vorliegt (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 23.5.2013 – 11 CS 13.785 – juris Rn. 7; B.v. 5.9.2008 – 11 CS 08.1890 – juris Rn. 18). Dem hat der Antragsgegner genügt, indem er – ausgehend von einer nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV anzunehmenden fehlenden Fahreignung – den sofortigen Ausschluss des Antragstellers vom Straßenverkehr im Interesse der Verkehrssicherheit und des Schutzes anderer Verkehrsteilnehmer für erforderlich erklärt hat. Auf die inhaltliche Richtigkeit oder Tragfähigkeit der Begründung kommt es nicht an, da § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO eine formelle und keine materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung normiert (vgl. Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Januar 2020, § 80 Rn. 246; Hoppe, a.a.O. Rn. 54 f.; Bostedt in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 80 Rn. 81). Die behördliche Annahme, dass einem nicht fahrgeeigneten Kraftfahrer im Hinblick auf die damit für die Allgemeinheit verbundenen erheblichen Gefahren die Fahrerlaubnis ungeachtet des Gewichts seines persönlichen Interesses an der Teilnahme am individuellen Straßenverkehr (vgl. OVG NW, B.v. 22.1.2001 – 19 B 1757/00 u.a. – juris Rn. 17) nicht bis zum Eintritt der Bestandskraft des Entziehungsbescheids belassen werden kann, begegnet keinen Bedenken (stRspr des Senats, vgl. BayVGH, B.v. 4.7.2019 – 11 CS 19.1041 – juris Rn. 16 m.w.N.). Dabei spielt es keine Rolle, ob der Antragsteller bis zum Erlass des Entziehungsbescheids unbeanstandet am Straßenverkehr teilgenommen hat. Maßgeblich ist, dass die Gefahren für die Allgemeinheit unvermindert bestehen, solange die Fahreignung fehlt.
Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1 und Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).