Strafrecht

Entzug der Fahrerlaubnis wegen Cannabis-Konsums

Aktenzeichen  11 CS 17.96

Datum:
20.4.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
RÜ2 – 2017, 167
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
FeV FeV § 11 Abs. 7, § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 24a Abs. 2, Abs. 3

 

Leitsatz

Bei einem einmaligen Konsum von Cannabis und gleichzeitiger Teilnahme am Straßenverkehr ist nicht per se von der Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgehen. Vielmehr bedarf es der Klärung im Wege einer medizinisch-psychologischen Untersuchung, ob die Bereitschaft und das Vermögen besteht, zwischen dem Konsum und der Teilnahme am Straßenverkehr zu trennen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 26 S 16.5205 2016-12-15 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 15. Dezember 2016 wird in Nr. I abgeändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid vom 19. Oktober 2016 wird hinsichtlich der Nrn. 1 und 2 unter folgenden Auflagen wiederhergestellt:
Der Antragsteller
1.legt dem Landratsamt Freising zum Nachweis seiner zurückliegenden Drogenfreiheit binnen vier Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses ein Gutachten einer neutralen, qualitätsgesicherten Stelle (Einhaltung der CTU-Kriterien der Beurteilungskriterien) über eine Haaranalyse eines kopfhautnahen drei Zentimeter langen Haarstücks auf Cannabinoide vor,
2.legt dem Landratsamt Freising zum Nachweis seiner aktuellen Drogenfreiheit binnen sechs Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses ein Gutachten einer neutralen, qualitätsgesicherten Stelle (Einhaltung der CTU-Kriterien der Beurteilungskriterien) über eine unangekündigte Urinanalyse auf Tetrahydrocannabinol (THC) und THC-COOH-Glucuronid vor,
3.legt dem Landratsamt Freising binnen acht Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses ein medizinisch-psychologisches Gutachten einer Begutachtungsstelle für Fahreignung vor, mit dem geklärt wird, ob er trotz der bekannten Verkehrsteilnahme unter Cannabiseinfluss Kraftfahrzeuge der Gruppen 1 und 2 (FE-Klassen A, B und C1 mit Unterklassen) sicher führen kann, insbesondere ob nicht zu erwarten ist, dass er auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von Cannabis führen wird.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen unter Abänderung der Nr. II des Beschlusses des Verwaltungsgerichts der Antragsteller zu einem Drittel und der Antragsgegner zu zwei Dritteln.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A, B und C1 (einschließlich Unterklassen).
Nach Mitteilung des Autobahnpolizeikommissariats Ahlhorn führte der Antragsteller am Donnerstag, den 1. August 2016, gegen 8:10 Uhr ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr, obwohl er unter dem Einfluss von Cannabis-Produkten stand. Die Analyse des um 11:25 Uhr entnommenen Bluts des Antragstellers durch die Universitätsmedizin Göttingen, Abteilung Rechtsmedizin, vom 11. August 2016 ergab eine Konzentration von 1,2 ng/ml Tetrahydrocannabinol (THC), 1,0 ng/ml Hydroxy-THC sowie 16,2 ng/ml THC-Carbonsäure.
Nach Anhörung, in der der Antragsteller einmaligen Konsum von Cannabis im Rahmen eines Musikfestes geltend machte, entzog die Fahrerlaubnisbehörde ihm mit Bescheid vom 19. Oktober 2016 die Fahrerlaubnis und ordnete unter Androhung eines Zwangsgelds die Abgabe des Führerscheins innerhalb von sieben Tagen nach Zustellung des Bescheids sowie die sofortige Vollziehung an.
Gegen den Bescheid erhob der Antragsteller Klage zum Verwaltungsgericht München. Den gleichzeitig gestellten Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid wiederherzustellen, lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 15. Dezember 2016 ab.
Gegen den Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, der der Antragsgegner entgegentritt.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist teilweise begründet. Der Antragsteller hat zwar bei der Fahrt am 1. August 2016 nicht hinreichend zwischen dem Konsum von Cannabis und der Teilnahme am Straßenverkehr getrennt. Der Senat sieht es jedoch als offen an, ob bereits bei einer einzelnen Fahrt unter Cannabiseinfluss ohne weitere Sachverhaltsaufklärung von der Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgegangen werden kann oder ob die Frage der Bereitschaft bzw. des Vermögens, zwischen dem Konsum und der Teilnahme am Straßenverkehr zu trennen, nicht zunächst im Wege einer medizinisch-psychologischen Untersuchung aufzuklären ist. Unter den gegebenen Umständen erscheint es gerechtfertigt, die aufschiebende Wirkung der Klage unter den Auflagen der zeitnahen Durchführung eines Drogenkontrollprogramms und Beibringung eines medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachtens durch den Antragsteller wiederherzustellen.
Da der Antragsteller sich auf Anfrage des Senats mit der Durchführung eines Drogenkontrollprogramms und der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachtens einverstanden erklärt hat, muss im Rahmen einer Interessenabwägung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren auch nicht geklärt werden, ob der Antragsteller ausnahmsweise einen nur einmaligen Konsum von Cannabis ausreichend substantiiert dargelegt und glaubhaft gemacht hat.
1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 6. März 2017 (BGBl I S. 399), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 21. Dezember 2016 (BGBl S. 3083), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV).
Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV liegt Kraftfahreignung bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis vor, wenn Konsum und Fahren getrennt werden können, kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen besteht und keine Störung der Persönlichkeit oder Kontrollverlust vorliegt. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Abklärung des Konsumverhaltens die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens an, wenn Tatsachen die Annahme begründen, dass die Einnahme vom Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes vorliegt. Nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV kann sie zur Abklärung der Trennungsbereitschaft die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anordnen, wenn gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung begründen. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV ist die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr nach § 24a StVG begangen wurden. Nach § 11 Abs. 7 FeV unterbleibt die Anordnung zur Beibringung des Gutachtens, wenn die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde feststeht.
2. Der Antragsteller hat zumindest einmal (am 1.8.2016) nicht zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen eines Kraftfahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr getrennt. Ein gelegentlicher Konsument von Cannabis trennt dann nicht in der gebotenen Weise zwischen diesem Konsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs, wenn er fährt, obwohl angesichts des bei ihm festgestellten THC-Pegels eine hierdurch bedingte Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit nicht auszuschließen ist, was bereits ab einem THC-Wert von 1 ng/ml im Blutserum anzunehmen ist (BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C.13 – NJW 2015, 2439 Rn. 28 ff.).
a) Nach jüngerer Rechtsprechung des Senats ist allerdings die hiervon zu unterscheidende Frage offen, ob der Inhaber einer Fahrerlaubnis nach § 11 Abs. 7 FeV i.V.m. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV bereits bei einer einzelnen Fahrt unter Cannabiseinfluss mit einer THC-Konzentration von 1 ng/ml oder mehr, die – wie hier – nicht zu einer Entziehung der Fahrerlaubnis durch ein Strafgericht geführt hat, ohne weitere Aufklärung als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist, oder ob bei der ersten Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2, Abs. 3 StVG nicht zunächst die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachtens im Ermessenswege nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV angeordnet werden kann und erst bei der zweiten Zuwiderhandlung nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV zwingend ein solches Fahreignungsgutachten angeordnet werden muss (BayVGH B.v. 29.8.2016 – 11 CS 16.1460 – ZfSch 2016, 595 Rn. 16; B.v. 14.9.2016 – 11 CS 16.1467 – juris Rn. 20; B.v. 3.1.2017 – 11 CS 16.2401 – juris Rn. 20; hierzu auch Koehl, DAR 2017, 66; a.A. VGH BW, B.v. 7.3.2017 – 10 S 328/17 – juris Rn. 4 unter Hinweis auf eine unterbliebene korrigierende oder klarstellende Regelung des Verordnungsgebers). Bis zur Klärung dieser Frage in einem Hauptsacheverfahren hält der Senat daran fest, dass im einstweiligen Rechtsschutzverfahren bei einer einmaligen Teilnahme mit einem Kraftfahrzeug am öffentlichen Straßenverkehr unter Cannabiseinfluss im Wege einer Interessenabwägung die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs oder einer Klage gegen einen Fahrerlaubnisentziehungsbescheid gemäß § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO unter der Auflage wiederhergestellt werden kann, dass sich der Betreffende unter Absolvierung eines Drogenkontrollprogramms einer medizinisch-psychologischen Untersuchung unterzieht, wenn die Interessenabwägung ergibt, dass es vertretbar erscheint, den Fahrerlaubnisinhaber bis auf Weiteres am Straßenverkehr teilnehmen zu lassen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn auch in der Zeit bis zur Klärung der Fahreignung (durch eine medizinisch-psychologische Untersuchung) eine Wiederholungsgefahr ausgeschlossen oder gering erscheint, wenn also hinreichender Grund zu der Annahme besteht, dass der Betreffende zukünftig entweder abstinent ist oder über die erforderliche Trennungsbereitschaft zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Fahren verfügt.
b) Hiervon ausgehend hält es der Senat aufgrund der Interessenabwägung für gerechtfertigt, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis unter den angeordneten Auflagen der Durchführung eines Drogenkontrollprogramms und der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachtens wieder herzustellen.
Zwar steht seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zum derzeitigen Zeitpunkt nicht mit hinreichender Sicherheit fest. Ob eine stabile und motivational gefestigte Trennungsbereitschaft vorliegt, ist vielmehr im Rahmen der medizinisch-psychologischen Untersuchung auf Kosten des Antragstellers zu klären. Zugunsten des Antragstellers kann jedoch auch berücksichtigt werden, dass er bei der Fahrt am 1. August 2016 mit 1,2 ng/ml THC im Blutserum einen Wert erreicht hatte, der nur geringfügig oberhalb des Grenzwerts von 1,0 ng/ml liegt, ab dem nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 23.10.2014 a.a.O. Rn. 32-36) die Möglichkeit einer cannabisbedingten Beeinträchtigung der Fahrsicherheit nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen ist. Deshalb und durch die angeordneten Auflagen erscheint die Wiederholungsgefahr geringer als in anderen Fällen, in denen der Senat trotz der als offen angesehenen Rechtsfrage die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung unter Auflagen aufgrund der Interessenabwägung abgelehnt hat (vgl. z.B. B.v. 27.10.2016 – 11 CS 16.138 – juris Rn. 7; B.v. 3.1.2017 – 11 CS 16.2401 – juris Rn. 21 ff.; B.v. 27.2.2017 – 11 CS 16.2316 Rn. 32 ff.; B.v. 7.3.2017 – 11 CS 17.143 Rn. 22 f.; B.v. 29.3.2017 – 11 CS 17.368 Rn. 20 ff.).
Zusammenfassend geht der Senat daher nach gegenwärtiger Erkenntnislage davon aus, dass die Gefahr einer erneuten Fahrt des Antragstellers unter der Wirkung von Cannabis derzeit nicht höher ist als bei anderen Verkehrsteilnehmern.
3. Der Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO teilweise stattzugeben. Der Antragsteller wird allerdings darauf hingewiesen, dass das Gericht der Hauptsache diese Entscheidung bei einem negativen Fahreignungsgutachten, einer nicht hinreichenden Mitwirkung des Antragstellers an der Klärung seiner Fahreignung oder bei sonstigen neuen Erkenntnissen jederzeit ändern oder aufheben kann (§ 80 Abs. 7 VwGO).
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1, 46.1, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, Anh. § 164 Rn. 14).
5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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