Aktenzeichen Au 1 K 16.1624
Leitsatz
Aufgrund des erheblichen öffentlichen Interesses an der Wahrhaftigkeit von Zeugenaussagen und damit der Richtigkeit gerichtlicher Entscheidungen spricht vieles dafür, im Falle der Verurteilung eines Ausländers wegen falscher uneidlicher Aussage dem generalpräventiv motivierten Ausweisungsinteresse den Vorrang vor dem privaten Bleibeinteresse einzuräumen. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt.
Gründe
I.
Der am … 1990 geborene Kläger ist nigerianischer Staatsangehöriger. Er wendet sich gegen seine Ausweisung.
Er reiste am 22. Oktober 2015 in das Bundesgebiet ein und stellte am 27. Juli 2016 einen Asylantrag, über den noch nicht entschieden wurde. Mit Bescheid vom 9. November 2015 wurde er gemeinsam mit einer Frau und deren knapp dreijährigem Kind, die in den Akten als seine Familienangehörigen geführt wurden, einer Unterkunft im Landkreis … zugewiesen. Am 6. Januar 2016 kam es in der Unterkunft zu einer Misshandlung des Kindes, in deren Folge die Frau in Untersuchungshaft und das Kind in die Obhut des Jugendamtes genommen wurden. Mit Urteil vom 23. März 2016 verurteilte das Amtsgericht … die Frau wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
In der dem Urteil vorausgegangenen öffentlichen Sitzung sagte der Kläger als Zeuge zugunsten der Frau aus. Er wurde dabei zuvor über seine Wahrheitspflicht belehrt. Ein Hinweis auf ein Zeugnisverweigerungsrecht erfolgte nicht. Die Strafverteidigerin der Frau hatte in der öffentlichen Sitzung erklärt, dass der als „Bruder“ bezeichnete Kläger eigentlich eine fremde Person sei. Die Frau sowie der Kläger sagten zueinander nur „Bruder“ und „Schwester“.
Mit Strafbefehl vom 12. Juli 2016 verhängte das Amtsgericht … gegen den Kläger wegen falscher uneidlicher Aussage in Tateinheit mit versuchter Strafvereitelung eine Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen zu je 10,00 €. Der Kläger habe am 26. Februar 2016 vor dem Amtsgericht … bewusst wahrheitswidrig ausgesagt, dass die damals Angeklagte ihren Sohn weder geschlagen noch zu Boden geworfen habe. Er habe durch die Aussage beabsichtigt zu verhindern, dass die damals Angeklagte wegen der ihr zur Last liegenden Tat bestraft werde. Der Strafbefehl ist seit dem 10. August 2016 rechtskräftig.
Nach entsprechender Anhörung wies das Landratsamt … den Kläger mit Bescheid vom 3. November 2016 aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Ziffer 1). In Ziffer 2 bestimmte es, dass die Nr. 1 des Bescheids unter der Bedingung in Kraft tritt, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes abgeschlossen wird. Die durch die Ausweisung entstehende Einreisesperre wurde auf 3 Jahre befristet (Ziffer 3). Ein schwerwiegendes Bleibeinteresse könne der Kläger nicht vorweisen, da er keinerlei legale Voraufenthaltszeiten habe. Es gebe auch keine familiären Bindungen im Bundesgebiet. Dem geringen Bleibeinteresse stünde ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gegenüber. Es handle sich zwar lediglich um einen vereinzelten Verstoß gegen die Rechtsordnung. Die Tat könne jedoch nicht als geringfügig angesehen werden. Insbesondere offenbare sie eine rechtsfeindliche Einstellung. Zudem sei die Ausweisung aus generalpräventiven Gründen gerechtfertigt. Da schwerwiegende Ausweisungsinteressen, jedoch keine Bleibeinteressen vorlägen, überwiege im Rahmen der Abwägung das öffentliche Interesse das private Interesse des Klägers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet. Einem möglichen positiven Abschluss des Asylverfahrens sei dabei in Ziffer 2 Rechnung getragen worden. Die dreijährige Sperrfrist für die Wiedereinreise sei aus generalpräventiven Gründen notwendig und angemessen.
Mit Schriftsatz vom 17. November 2016 ließ der Kläger hiergegen Klage erheben. Bei der Angeklagten im Strafprozess handle es sich um seine leibliche Schwester. Im Strafprozess sei er der Auffassung gewesen, dass er aussagen müsse, obwohl ihm ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen zugestanden habe. Er sei insoweit nicht belehrt worden. Dem Gericht und der Staatsanwaltschaft sei das Verwandtenverhältnis wohl nicht bekannt gewesen. Eine Verurteilung wegen versuchter Strafvereitelung hätte nicht erfolgen dürfen, da der Kläger die Tat zugunsten eines Angehörigen begangen habe. Er wäre dann maximal zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt worden, was als eine geringfügige Einzeltat zu werten gewesen wäre. Er habe jedoch ohne Verteidiger den gegen ihn ergangenen Strafbefehl hingenommen, da er seine Rechte nicht gekannt habe. Bei einer ordnungsgemäßen Belehrung über sein Aussageverweigerungsrecht wäre ihm die besondere Konfliktsituation erspart geblieben. In Anbetracht der Gesamtumstände sei allenfalls ein gering fügiger strafrechtlich relevanter Verstoß des Klägers, der im Übrigen strafrechtlich nicht vorbelastet sei, anzunehmen. Prozesse gegen nahe Verwandte führten naturgemäß zu einer schwierigen Konfliktsituation und einer Kollision zwischen den staatlichen Pflichten und den privaten Pflichten gegenüber nahen Familienangehörigen. Hieraus könne nicht auf eine allgemein rechtsfeindliche Einstellung des Klägers geschlossen werden.
Der Kläger beantragt,
Der Ausweisungsbescheid des Landratsamts … an den Kläger vom 3. November 2016 mit dem Zeichen … wird aufgehoben.
Für dieses Verfahren beantragt der Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung.
Der Beklagte beantragt,
Die Klage abzuweisen.
Es sei allein auf das Vorliegen der rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung abzustellen, wenn ein Ausweisungsinteresse auf eine Verurteilung gestützt werde. Eine weitere Prüfung der Richtigkeit der strafrichterlichen Feststellungen sei nicht erforderlich. Zudem könne bereits bei einer Verurteilung zu einer Geldstrafe von mehr als 30 Tagessätzen regelmäßig nicht mehr von Geringfügigkeit gesprochen werden.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der vom Beklagten vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
II.
Dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung konnte nicht entsprochen werden.
Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinsichtlich der Erfolgsaussichten dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit in dem Sinn, dass der Prozessgewinn schon gewiss sein muss, ist nicht erforderlich. Es genügt vielmehr eine sich bei summarischer Prüfung ergebende Offenheit des Erfolgs.
Gemessen daran konnte dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht entsprochen werden, da die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben wird.
Gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausweisung überwiegt. Voraussetzung ist also zunächst eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch den weiteren Aufenthalt des Ausländers (ständige Rechtsprechung des BayVGH, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 5.1.2017 – 10 ZB 16.1778 – juris Rn. 6). Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass es sich vorliegend nur um einen vereinzelten Verstoß des Klägers gegen die Rechtsordnung handelt, da dieser bisher nicht strafrechtlich auffällig geworden ist. Jedoch kann angesichts der verhängten Strafe von 120 Tagessätzen nicht von einer geringfügigen Straftat ausgegangen werden. Dies ergibt sich sowohl aus der Höhe der strafgerichtlichen Verurteilung als auch aus ihrem Charakter als Vorsatztat, der eine ausdrückliche Belehrung vorausgegangen ist. Auch die in erster Linie angeführten generalpräventiven Erwägungen des Beklagten greifen durch. Eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung liegt auch dann vor, wenn die Wiederholungsgefahr zwar gering ist, aber die Notwendigkeit besteht, durch ausländerrechtliche Maßnahmen deutlich zu machen, dass Verstöße gegen Strafgesetze zu weit reichenden Konsequenzen führen. Dies gilt insbesondere im vorliegenden Fall, da bei der vom Kläger verwirklichten Straftat typischerweise die Wiederholungsgefahr gering sein dürfte, jedoch andererseits der Strafvorschrift eine erhebliche Bedeutung für die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege zukommt.
Soweit somit eine Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 AufenthG vorliegt, ist gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG eine Abwägung nach den Umständen des Einzelfalles vorzunehmen. Hierbei sind insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Es ist eine Gegenüberstellung der im Aufenthaltsgesetz typisierten Ausweisungs- und Bleibeinteressen (§§ 54, 55 AufenthG) vorzunehmen. Auf dieser Stufe ist der Beklagte rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vorliegt, dem kein gesetzlich vertyptes Bleibeinteresse nach § 55 AufenthG gegenüber steht.
Bei der sich daran anschließenden Gesamtabwägung unter Heranziehung der in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Kriterien ist den öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung voraussichtlich der Vorrang gegenüber den privaten Bleibeinteressen des Klägers einzuräumen. Der Kläger ist erst im Oktober 2015 eingereist und befindet sich seither im Asylverfahren, so dass eine Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse wohl noch nicht in nennenswertem Umfang stattgefunden hat. Schützenswerte Bindungen an Personen, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, hat er nicht. Demgegenüber ist er bereits wenige Monate nach seiner Einreise straffällig geworden. Soweit man unterstellt, dass der Kläger tatsächlich der jüngere Bruder der damals Angeklagten ist, hat er sich zwar durchaus während seiner Zeugenaussage im Strafprozess in einer Konfliktsituation befunden. Allerdings hätte er sein verwandtschaftliches Verhältnis auf Nachfrage des Gerichts preisgeben müssen. Er wäre dann über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt worden und hätte sich der Konfliktsituation entziehen können. Demgegenüber wird in dem Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 26. Februar 2016 ausdrücklich festgestellt, dass der Kläger mit der Angeklagten nicht verwandt und nicht verschwägert sei. Dabei spricht einiges dafür, dass die mögliche verwandtschaftliche Beziehung des Klägers zu der damals Angeklagten durchaus im Strafprozess thematisiert wurde. Zum einen erklärte die Strafverteidigerin ausweislich des Protokolls ausdrücklich, dass keine verwandtschaftliche Beziehung bestehe. Zum anderen ergibt sich aus den Akten, dass der Kläger noch bei der polizeilichen Vernehmung am 23. Januar 2016 nach entsprechender Belehrung von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hatte. Somit offenbart die Straftat bei Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles durchaus eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber der Rechtsordnung.
Insbesondere aber greifen wohl die generalpräventiven Erwägungen des Beklagten durch. Aufgrund des erheblichen öffentlichen Interesses an der Wahrhaftigkeit von Zeugenaussagen und damit der Richtigkeit gerichtlicher Entscheidung spricht vieles dafür, dem generalpräventiv motivierten Ausweisungsinteresse den Vorrang vor dem privaten Bleibeinteresse des Klägers einzuräumen. Dies entspricht auch der durch § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG vorgegebenen Regelfolge eines nicht nur geringfügigen Verstoßes gegen Rechtsvorschriften.