Strafrecht

Erfolgreiche Revision des Angeklagten wegen rechtsfehlerhafter Annahme einer nicht ausreichenden Vertretungsvollmacht

Aktenzeichen  5 OLG 15 Ss 543/16

Datum:
6.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StPO StPO § 329 Abs. 1 S. 1, § 234

 

Leitsatz

Eine Vertretungsvollmacht im Sinne von § 329 Abs. 1 S. 1, § 234 StPO umfasst nicht die Befugnis zur Rechtsmittelrücknahme. Das Vorliegen einer ausreichenden Vertretungsvollmacht kann daher im Rahmen des § 329 Abs. 1 S. 1 StPO auch nicht mit der Begründung verneint werden, dass eine derartige Befugnis fehlt. (red. LS Alexander Kalomiris)

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 1. August 2016 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an eine andere Strafkammer des Landgerichts München II zurückverwiesen.

Gründe

I.
Das Amtsgericht Dachau verurteilte den Angeklagten am 4. April 2016 wegen Betrugs in vier tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit falscher Versicherung an Eides statt unter Einbeziehung einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten. Der Angeklagte legte gegen dieses Urteil Berufung ein. Mit Urteil vom 1. August 2016 verwarf das Landgericht München II die Berufung des Angeklagten gem. § 329 Abs. 1 S. 1 StPO. Zur Begründung führte es aus, dass der Angeklagte dem Termin fern geblieben sei und sein Verteidiger keine genügende schriftliche Vertretungsvollmacht gehabt habe. Weiter heißt es in der Urteilsbegründung:
„Zwar gibt der Angeklagte in der Vollmacht vom 1. August 2016 (Blatt 214 der Akten) an, dass der Bevollmächtigte zur Abgabe aller erforderlichen und gebotenen Erklärungen ermächtigt sei und der Bevollmächtigte zum Abschluss der gerichtlichen Angelegenheit befugt sei, allerdings ergibt sich aus den dem Verteidiger gegebenen mündlichen und auch schriftlich per SMS erteilten Anweisungen das Gegenteil: Nach diesen Anweisungen war es dem Bevollmächtigten explizit untersagt, eine Berufungsrücknahme zu erklären. Damit entspricht die durch den Angeklagten erteilte Vollmacht nicht den Voraussetzungen des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO, da sich der schriftliche Text der Vollmacht nicht mit den dem Bevollmächtigten schriftlich erteilten Anweisungen deckt. Offensichtlich wurde die Vollmacht nur zum Schein erteilt, um eine Verfahrensverzögerung zu erreichen.“
Die fristgerecht eingereichte Revision wendet sich gegen die Verwerfung der Berufung. Sie meint, es habe eine wirksame Vollmacht im Sinne von § 329 Abs. 1 S. 1 StPO vorgelegen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision als unbegründet gem. § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.
II.
Das zulässige Rechtsmittel ist begründet.
1. Die Rüge der Verletzung des § 329 Abs. 1 S. 1 StPO stellt auch in der vorliegenden Angriffsrichtung eine Verfahrensrüge dar. Diese ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
a) Zur formgerechten Begründung einer Verfahrensrüge gegen ein Verwerfungsurteil bzw. ein die Verwerfung bestätigendes Berufungsurteil wegen des Ausbleibens des Angeklagten reicht es grundsätzlich aus, wenn die Revision unter Angabe bestimmter Tatsachen ausführt, das Gericht habe den Rechtsbegriff der genügenden Entschuldigung verkannt (OLG München NStZ-RR 2006, 20).
b) Ähnliches muss in den Fällen gelten, in denen gerügt wird, das Gericht sei zu Unrecht von einer fehlenden schriftlichen Vertretungsvollmacht ausgegangen. Dieses Vorbringen betrifft den Rechtsbegriff der schriftlichen Vertretungsvollmacht. Auch die Auslegung dieses Rechtsbegriffs durch das Tatgericht ist der Überprüfung durch das Revisionsgericht aufgrund einer Verfahrensrüge zugänglich.
c) Die Revision hat die danach erforderlichen Tatsachen mitgeteilt.
2. Gegenstand der revisionsrechtlichen Prüfung ist damit allein die Frage, ob das Landgericht rechtsfehlerfrei eine fehlende schriftliche Vertretungsvollmacht angenommen hat. In tatsächlicher Hinsicht ist das Revisionsgericht dabei auch im vorliegenden Fall an die Feststellungen des angefochtenen Urteils gebunden; es darf sie weder im Wege des Freibeweises nachprüfen noch ergänzen (vgl. zur Frage der genügenden Entschuldigung: BGHSt 28, 384, 387). Daher kann nur auf den vom Landgericht mitgeteilten und rechtsfehlerfrei festgestellten Inhalt der Vertretungsvollmacht abgestellt werden, nicht aber auf deren sonstigen Inhalt, wie es die Generalstaatsanwaltschaft tut. Der Verweis des Landgerichts auf Bl. 214 der Akten ermöglicht dem Revisionsgericht nicht, den vollständigen Wortlaut der Vollmacht zur Kenntnis zu nehmen, da die Bezugnahme auf Aktenteile unzulässig ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt StPO 59. Aufl. § 267 Rdn. 2).
3. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die Verfahrensrüge begründet. Das Landgericht hat die Berufung rechtsfehlerhaft gem. § 329 Abs. 1 S. 1 StPO verworfen, indem es eine nicht ausreichende Vertretungsvollmacht angenommen hat. Tatsächlich war der Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts ausreichend durch einen mit Vertretungsvollmacht versehenen Verteidiger vertreten. Eine etwaige Befugnis des Verteidigers zur Berufungsrücknahme war nicht erforderlich.
a) Die Vertretungsvollmacht bedarf einer ausdrücklichen Erklärung des Angeklagten, dass der Verteidiger über die allgemeine Verteidigervollmacht (§ 137 StPO) hinaus rechtswirksam Verfahrensbefugnisse für ihn wahrnehmen (Becker, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Auflage, § 234 Rdn. 1), diesen also in der Erklärung und im Willen im Hauptverhandlungstermin vertreten dürfe (BT-Drucksache 18/3562, S. 67). Durch die Vollmacht wird der Verteidiger berechtigt, an Stelle des Angeklagten zu treten und für diesen Erklärungen abzugeben oder zurückzunehmen (vgl. Paulus in: KMR-StPO, § 234 Rdn. 12). Entsprechend dem Rechtsgedanken des § 164 Abs. 1 S. 1 BGB wirken solche Erklärungen unmittelbar für und gegen den Angeklagten. Dies betrifft zum einen Erklärungen, die ausschließlich prozessrechtliche Bedeutung (wie z. B. ein Ablehnungsgesuch) haben, zum anderen kann sich der Verteidiger im Namen des Angeklagten zur Sache einlassen (Arnoldi in: Münchner Kommentar zur StPO, 1. Aufl., § 234, Rdn. 8 – 10).
Nach den Feststellungen des Landgerichts lag eine derartige Vertretungsvollmacht grundsätzlich vor. Danach war nämlich der Bevollmächtigte zur Abgabe aller erforderlichen und gebotenen Erklärungen ermächtigt und zum Abschluss der gerichtlichen Angelegenheit befugt. Diese Formulierung zeigt, dass dem Verteidiger die für die Annahme einer Vertretungsvollmacht grundsätzlich erforderlichen Befugnisse eingeräumt waren.
b) Es kann vorliegend dahin stehen, ob eine erteilte Vertretungsvollmacht umfassend sein muss, damit sie die Wirkung entfaltet, gem. § 329 Abs. 1 S. 1 StPO ohne den Angeklagten verhandeln zu können.
c) Jedenfalls durfte das Berufungsgericht im Rahmen des § 329 Abs. 1 S. 1 StPO nicht darauf abstellen, dass der mit Vertretungsvollmacht versehene Verteidiger nicht die Befugnis besitzt, die Berufung zurückzunehmen. Die Einräumung von Vertretungsvollmacht im Sinne von §§ 329 Abs. 1 S. 1, 234 StPO umfasst nämlich nicht eine derartige Befugnis. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
Gem. § 302 Abs. 2 StPO bedarf der Verteidiger für die Rechtsmittelrücknahme einer ausdrücklichen Ermächtigung des Angeklagten. Der BGH hat hierzu im Beschluss vom 20. September 1956, 4 StR 287/56 (BGHSt 9, 356, 358) geäußert, dass auch der mit Vertretungsvollmacht versehene Verteidiger gem. § 302 Abs. 2 StPO zur Zurücknahme eines Rechtsmittels noch einer besonderen Ermächtigung bedürfe. Dieser Auffassung tritt der Senat bei. Die Vorschrift des § 302 Abs. 2 StPO zeigt die außergewöhnliche Bedeutung, die das Gesetz einer Rechtsmittelrücknahme beimisst. Die Rücknahmeerklärung ist zudem unwiderruflich und unanfechtbar (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt StPO 59. Aufl. § 302 Rdn. 10, m. w. N.). Deshalb ist eine Rechtsmittelrücknahme des Verteidigers nur dann wirksam, wenn der Angeklagte sich der Erteilung einer entsprechenden Vollmacht bewusst war. Dies kann bei der Erteilung einer Vertretungsvollmacht aber nicht ohne weiteres angenommen werden. Insoweit ist der Sachverhalt vergleichbar mit der Erteilung einer allgemeinen Prozessvollmacht an den Verteidiger, die ebenfalls nicht den Anforderungen des § 302 Abs. 2 StPO entspricht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt aaO. Rdn. 32 m. w. N.). In beiden Fällen ist es erforder lich zu fordern, dass dem Angeklagten gesondert vor Augen geführt wird, dass er auch eine Vollmacht zur Rechtsmittelrücknahme erteilt.
Enthält somit die Vertretungsvollmacht nicht automatisch die Befugnis zur Rechtsmittelrücknahme, so darf das Berufungsgericht im Rahmen des § 329 Abs. 1 S. 1 StPO nicht darauf abstellen, dass eine derartige Befugnis fehlt.
d) Die Annahme des Landgerichts, die Vollmacht sei nur zum Schein erteilt worden, um eine Verfahrensverzögerung zu erreichen, ist vor dem Hintergrund der dargelegten Rechtslage damit ebenfalls unzutreffend.

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