Strafrecht

Erneute Bewährungsstrafe trotz Bewährungsversagens

Aktenzeichen  1 OLG 8 Ss 20/19

Datum:
12.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 33222
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StGB § 56 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Die Bewilligung einer zweiten Bewährungschance hat absoluten Ausnahmecharakter. Hält das Tatgericht trotz der negativen strafrechtlichen Vergangenheit eine erneute Erprobung des Verurteilten in Freiheit für gerechtfertigt, so bedarf es einer besonders eingehenden, auf Tatsachen gestützten und vom Revisionsgericht überprüfbaren Begründung, weshalb im Gegensatz zu der in Fällen dieser Art üblicherweise zu stellenden negativen Prognose dennoch im konkreten vorliegenden Fall der Angeklagte künftig eine insgesamt straffreie Lebensführung erwarten lässt. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

6 Ns 358 Js 23874/17 2018-11-05 Urt LGNUERNBERGFUERTH LG Nürnberg-Fürth

Tenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 05.11.2018 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zurückverwiesen.

Gründe

I.
Das Amtsgericht Erlangen hat den Angeklagten mit Urteil vom 05.04.2018 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Auf die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Nürnberg-Fürth am 05.11.2018 die Berufung mit der Maßgabe verworfen, dass die Vollstreckung der erkannten Freiheitsstrafe von drei Monaten zur Bewährung ausgesetzt wird.
Mit der zu Lasten des Angeklagten eingelegten Revision vom 06.11.2018, eingegangen am 09.11.2018, rügt die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth unter Beschränkung der Revision auf das Strafmaß die Verletzung materiellen Rechts; das Landgericht Nürnberg-Fürth hätte die Freiheitsstrafe nicht zur Bewährung aussetzen dürfen.
II.
Die Revision ist zulässig (§§ 333, 341 Abs. 1, 344, 345 StPO) und mit der Sachrüge begründet.
Die Entscheidung des Landgerichts, die Vollstreckung der erkannten Freiheitsstrafe von drei Monaten gemäß § 56 Abs. 1 StGB zur Bewährung auszusetzen, hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
I.
Bei der Prüfung des § 56 Abs. 1 StGB ist allein darauf abzustellen, ob nach einer Gesamtwürdigung aller gemäß § 56 Abs. 1 S. 2 StGB relevanten Umstände die begründete Erwartung besteht, dass der Verurteilte auch ohne Einwirkung des Strafvollzuges keine Straftaten mehr begehen wird.
Die vom Landgericht angeführten Umstände vermögen in ihrer Gesamtheit die Annahme einer günstigen Sozialprognose nicht zu begründen.
a) Die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung ist wie die gesamte Strafzumessung zwar grundsätzlich Sache des Tatrichters. Er hat die in der Hauptverhandlung festgestellten entlastenden und belastenden Umstände zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Im Falle einer Strafaussetzung hat der Tatrichter nach Maßgabe des § 56 Abs. 1 StGB vor allem auch eine erschöpfende individuelle Gesamtwürdigung aller derjenigen Tatsachen vorzunehmen, welche Rückschlüsse auf das mutmaßliche künftige Verhalten des Täters zulassen; dabei ist jedoch mit besonderer Sorgfalt vorzugehen, wenn der Täter einschlägig oder gewichtig vorbestraft oder Bewährungsversager ist. Auch dann obliegt zwar die Beurteilung der (weiteren) Bewährungstauglichkeit des Angeklagten grundsätzlich dem Tatrichter. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats hat aber bereits die Bewilligung einer zweiten Bewährungschance absoluten Ausnahmecharakter (vgl. u.a. vgl. Beschluss vom II. 5.2017, Az. 1 OLG 8 Ss 85/17). Hält das Tatgericht daher trotz der negativen strafrechtlichen Vergangenheit eine erneute Erprobung des Verurteilten in Freiheit für gerechtfertigt, so bedarf es einer besonders eingehenden, auf Tatsachen gestützten und vom Revisionsgericht überprüfbaren Begründung, weshalb im Gegensatz zu der in Fällen dieser Art üblicherweise zu stellenden negativen Prognose dennoch im konkreten vorliegenden Fall der Angeklagte künftig eine insgesamt straffreie Lebensführung erwarten lässt (vgl. BayObLG Beschluss vom 12.7.2001 – 5St RR 75/01 und Beschluss vom 25.5.2000 – 5St RR 100/00 m. w. N.). b) Diesen Anforderungen genügen die Gründe der angefochtenen Entscheidung nicht. Soweit die Kammer die ausgesprochene Freiheitsstrafe von 3 Monaten zur Bewährung ausgesetzt hat, sind die Erwägungen des Berufungsgerichts nach den dargelegten Beurteilungskriterien lückenhaft. Ausreichende Umstände, die die durch die Vorstrafen gegebene negative Prognose des Angeklagten widerlegen, sind nicht ausreichend dargestellt.
aa) Der Angeklagte ist nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils erheblich vorbestraft.
Der Angeklagte wurde unter anderem mit Urteil des Amtsgerichts Siegen (Az.: 401 Ds 36 Js 67/11) vom 02.05.2011 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt. Die Strafaussetzung wurde widerrufen; er verbüßte die Strafe bis 09.11.2012 (BZR Nr. 7).
Der Angeklagte wurde sodann mit Urteil des Amtsgerichts Siegen vom 19.04.2012 (Az.: DS 231 36 Js 34/12) wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt, deren Vollstreckung am 08.03.2013 erledigt war (BZR Nr. 10).
Der Angeklagte stand zudem zur Tatzeit der im hiesigen Verfahren zugrunde liegenden Tat am 02.10.2017 unter 3-fach offener Bewährung. Mit Gesamtstrafenbeschluss des Landgerichts Koblenz (Az.: 8 Ds 2080 Js 15491/13) wurde aus den Urteilen des Amtsgerichts Betzdorf vom 13.09.2013 (Az.: 2 Ds 2090 Js 63166/12, Freiheitsstrafe von zwei Monaten, ausgesetzt zur Bewährung wegen des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmittel) und des Amtsgerichts Neuwied vom 23.04.2013 (Az.: 8 Ds 2080 Js 15491/13 wegen Diebstahls, Freiheitsstrafe von 4 Monaten, ausgesetzt zur Bewährung) eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten festgesetzt; diese wurde zur Bewährung ausgesetzt und die Bewährungszeit bis zum 26.08.2018 festgesetzt, später bis 26.08.2019 verlängert.
Mit Urteil des Amtsgerichts Betzdorf vom 02.03.2015 (Az.: 2 Ds 2040 Js 31515/14) wurde er – unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Wolfratshausen vom 28.07.2014, Az.: 2 Ds 47 Js 652/14, Verurteilung wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30.- EURO) wegen Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt; auch diese wurde zur Bewährung ausgesetzt und die Bewährungszeit auf 3 Jahre festgesetzt, später bis 09.03.2019 verlängert.
Mit Urteil des Amtsgerichts Koblenz vom 09.05.0217 (Az.: 33 Cs 2010 Js 14232/17) wurde er erneut wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt; auch diese Bewährungszeit wurde auf 3 Jahre festgesetzt.
bb) Ausreichende Umstände, die trotz dieser vielfachen Vorstrafen und der dreifach laufenden Bewährung, eine vierte Bewährung begründen lassen, sind vom Tatgericht nicht hinreichend nachvollziehbar dargelegt. Aus welchen Umständen die Kammer die Erwartung eines gesetzmäßigen Verhaltens nun gerade bei der Aussetzung des Strafrestes aus der vorliegenden Verurteilung entnommen hat, ist nicht ausreichend erkennbar. Zwar wird festgestellt, dass der Angeklagte einer festen Arbeit nachgehe und aufgrund seines Cannabiskonsums eine ambulante Therapie begonnen habe. Nach der Entgiftung von 12 Tagen im August 2018 hätten zwei Beratungsgespräche bei der Caritas im Zeitraum von Ende August 2018 bis 05.11.2018 stattgefunden. Der Angeklagte schildere die Folgen der Abstinenz als positiv, er sei weniger gereizt und gleichgültig. Zudem lebe er in einer festen Beziehung.
Die Kammer setzt sich aber nicht ausreichend damit auseinander, dass der Angeklagte bereits 2013 Strafvollzug gespürt hat. Die aktuelle Straftat vom 02.10.2017 schließt sich nahtlos an die letzte Verurteilung vom 09.05.2017 an. Nach nur knapp fünf Monaten wurde der Angeklagte erneut rückfällig, wobei die aktuelle Tat wegen des Besitzes von Betäubungsmitteln auch einschlägig in Bezug auf die Verurteilung vom 05.09.2013 ist. Dies zeigt insgesamt einen seit vielen Jahren verfestigten, massiven Hang zu Straftaten, dies umso mehr, als die dem Urteil des Amtsgerichts Neuwied zugrunde liegende Tat auch noch im Rahmen eines Hafturlaubs begangen wurde. Dies war auch Gegenstand der Hauptverhandlung und fand in den Urteilsfeststellungen (Seite 5) Eingang. Die Beziehung zur seiner Freundin besteht ausweislich der Feststellungen im Urteil bereits seit zweieinhalb Jahren. In dieser Zeit hat der Angeklagte aber bereits die dem Urteil des Amtsgerichts Koblenz zugrunde liegende Tat begangen. Dies stellt die von der Kammer angenommene stabilisierende Wirkung der Beziehung in Frage.
Der Angeklagte steht zudem in einem sehr frühen Stadium seines Betäubungsmittel – Therapieprogramms; bei der ambulanten Therapie haben erst zwei Beratungsgespräche stattgefunden. Ein tatsächlicher Therapieerfolg ist daher, auch wenn der Angeklagte therapiemotiviert ist und sich der bisherige Therapieverlauf positiv darstellt, derzeit noch gar nicht absehbar. Es ist ständige Rechtsprechung des Senats, dass bei Durchführung einer Therapie eine günstige Prognose grundsätzlich erst dann eintreten kann, wenn die Therapie erfolgreich abgeschlossen oder wenigstens so weit gediehen ist, dass sich der Erfolg, nämlich eine dauerhafte Stabilisierung absehen lässt (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 18.06.2014, 1 Ws 225/14, und Beschluss vom 04.09.2014, 1 Ws 298-299/14).
3. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft ist das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth daher mit den getroffenen Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO ) und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen.

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