Aktenzeichen 1 Ws 283/2017
StPO § 300
Leitsatz
1. Die bloße Wiederholung einer schon früher bestandskräftig verfügten Ablehnung ist unanfechtbar; es fehlt insoweit am Regelungscharakter im Sinne des § 109 Abs. 1 S. 1 StVollzG. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist dem Gefangenen nicht verwehrt, einen abgelehnten Antrag später zu wiederholen mit der Folge, dass die neue Entscheidung anfechtbar ist; das Recht auf Wiederholung findet seine Grenze erst bei rechtsmissbräuchlicher Ausübung. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Auf die Rechtsbeschwerde des Verfahrensbevollmächtigten des Strafgefangenen vom 11. Mai 2017 hin wird der Beschluss des Landgerichts … vom 5. April 2017 aufgehoben.
II. Die Sache wird zu erneuter Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts … zurückverwiesen.
III. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 600,- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
1. Mit Schreiben vom 25. Oktober 2016 hatte der anwaltliche Vertreter des Inhaftierten beantragt, diesen zum nächstmöglichen Zeitpunkt von der Justizvollzugsanstalt S. in die Justizvollzugsanstalt W. zu verlegen (Bl. 3 f. d.A.). Die Justizvollzugsanstalt S. hat in ihrem Schreiben vom 10. November 2016 (Bl. 5 f. d.A.) ausgeführt, dass ein durchgreifender Grund für eine Verlegung des Inhaftierten in die Justizvollzugsanstalt W. in Abweichung vom Vollstreckungsplan des Freistaates Bayern nicht ersichtlich sei und dass deshalb eine Verlegung nicht erfolgen werde. Aufgrund mittlerweile vorgenommener anstaltsinterner Verlegung sollte eine Bedrohungssituation für den Inhaftierten nicht fortbestehen.
2. Daraufhin beantragte der anwaltliche Vertreter des Inhaftierten mit Schreiben vom 18. November 2016 (Bl. 1 f. d.A.) die gerichtliche Überprüfung der Entscheidung der Justizvollzugsanstalt S. und die Verpflichtung ebendieser, den Antragsteller in Abweichung vom Vollstreckungsplan für den Freistaat Bayern in die Justizvollzugsanstalt W. zu verlegen. Als Begründung wird im Wesentlichen auf eine den Inhaftierten betreffende Bedrohungssituation wie auch auf eine Suchtproblematik hingewiesen (Bl. 2 i.V.m. Bl. 3 f. d.A.). Zudem wird ausgeführt, die Verlegung sei bereits mit – von der Anstaltsleitung – abgelehntem Antrag vom 30. August 2016 begehrt worden; die damals als Begründung angeführte Bedrohungslage bestehe fort.
3. Die Leitung der Justizvollzugsanstalt S. nahm mit Schreiben vom 24. November 2016 (Bl. 8 ff. d.A.) Stellung und beantragte den Antrag auf gerichtliche Entscheidung wegen Verfristung als unzulässig zurückzuweisen. Der anwaltliche Vertreter des Inhaftierten habe bereits zuvor, mit Schreiben vom 30. August 2016, den Antrag bei der Justizvollzugsanstalt gestellt, den Antragsteller schnellstmöglich zu verlegen. Diesen Antrag habe die Justizvollzugsanstalt S. mit Schreiben vom 19. September 2016 abgelehnt. Insoweit sei von einer Verfristung auszugehen. Bei dem Schreiben der Justizvollzugsanstalt S. vom 10. November 2016 handle es sich lediglich um eine ergänzende Stellungnahme zum Bescheid vom 19. September 2016, nicht um einen eigenständigen (Ablehnungs-) Bescheid.
4. Dem widersprach der Rechtsanwalt des Inhaftierten mit Schreiben vom 5. Dezember 2016 (Bl. 14 f. d.A.) und argumentierte, dass es sich bei dem Schreiben der Justizvollzugsanstalt vom 10. November 2016 um einen eigenständigen Bescheid handele, da dieser neue Fakten enthalte. Er selbst habe mit seinem Schreiben vom 25. Oktober 2016 einen neuen Antrag gestellt, auf den die Justizvollzugsanstalt reagiert habe.
5. Auf Nachfrage des Gerichts (Bl. 16 d.A.) führte der Rechtsanwalt mit Schreiben vom 20. Januar 2017 (Bl. 17 f. d.A.) erneut aus, dass es sich bei seinem Antrag vom 25. Oktober 2016 um einen neuen Antrag handele und dass sich die Bedrohungssituation daraus ergebe, dass sein Mandant in der Vergangenheit (auch nach der anstaltsinternen Verlegung) von Mitgefangenen körperlich und verbal angegangen worden sei.
6. Die Justizvollzugsanstalt S. hielt an ihrer bisherigen Auffassung fest, dass ihr Schreiben vom 10. November 2016 keinen eigenständigen Bescheid darstelle (Schreiben vom 9. Februar 2017, Bl. 25 f. d.A.).
7. In ihrem Beschluss vom 5. April 2017 (Bl. 27 ff. d.A.) weist die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts … den Antrag des Inhaftierten kostenpflichtig als unzulässig zurück. In der Begründung führt das Landgericht aus, dass streitgegenständliche Maßnahme hier die Verlegung des Gefangenen in die Justizvollzugsanstalt W. in Abweichung zum Vollstreckungsplan des Freistaats Bayern aufgrund einer nach wie vor nicht näher konkretisierten Bedrohungssituation für den Gefangenen sei. Diese Maßnahme habe die Anstaltsleitung bereits durch schriftlichen Bescheid vom 19. September 2016 abgelehnt. Das Schreiben des Rechtsanwalts des Inhaftierten vom 25. Oktober 2016 könne nicht als eigenständiger Antrag gewertet werden, da sowohl der Antrag (die Verlegung in die Justizvollzugsanstalt W.) wie auch der zugrundeliegende Sachverhalt (Bedrohungssituation) identisch seien. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 18. November 2016 sei daher verspätet, da er nicht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 112 Abs. 1 StVollzG eingereicht worden sei.
8. Gegen den Beschluss des Landgerichts … legte der anwaltliche Vertreter des Gefangenen mit Schreiben vom 11. Mai 2017 Rechtsbeschwerde ein (Bl. 34 d.A.) und führte aus, dass es sich bei seinem Schreiben vom 25. Oktober 2016 um einen eigenständigen Antrag handele und die Frist insofern gewahrt sei.
9. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragte mit Schreiben vom 17. Mai 2017 (Bl. 36 f. d.A.) die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen als unbegründet kostenfällig zu verwerfen, da die Nachprüfung der Entscheidung weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten sei.
II.
Das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde hat jedenfalls einen vorläufigen Erfolg.
1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie wurde durch den anwaltlichen Vertreter form- und fristgerecht eingelegt (§ 118 StVollzG).
a) Zwar würde die sehr knappe Begründung der Rechtsbeschwerde nicht den Anforderungen an eine Verfahrensrüge nach § 118 Abs. 2 Satz 2 StVollzG genügen, weil insoweit verlangt wird, dass der Vortrag in einer Weise erfolgt, die es dem Rechtsbeschwerdegericht gestattet, eine Überprüfung ohne Beiziehung anderer Unterlagen allein auf der Basis des Vorbringens durchzuführen (Arloth/Krä, StVollzG, 4. Aufl. 2017, § 118 StVollzG Rdn. 4 m. w. Nachw.). Auch wenn vorliegend mit § 112 Abs. 1 StVollzG eine Norm über das Verfahren als verletzt gerügt wird, handelt es sich dabei doch nicht um eine Verfahrensrüge in obigem Sinne, weil letztlich nicht das Verfahren durch das Gericht in Frage steht, sondern die fristgerechte Einlegung des Rechtsbehelfs durch den Rechtsbeschwerdeführer selbst. Es handelt sich also um eine Sachrüge. Diese muss nicht ausdrücklich als solche bezeichnet sein (vgl. § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG i.V. m. § 300 StPO). Zudem hat das Rechtsbeschwerdegericht auf die Sachrüge hin eine umfassende Prüfung vorzunehmen (Arloth, in: Arloth/Krä, § 118 StVollzG Rdn. 4; Bachmann, in: Laubenthal/Nestler/ Neubacher/Verrel, StVollzG, 12. Aufl. 2015 P Rdn. 110). Es schadet somit nicht, wenn letztlich nicht § 112 StVollzG, sondern § 109 StVollzG unrichtig angewendet wurde.
b) Auch die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG liegen vor. Die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung ist sowohl zur Fortbildung des Rechts als auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten. Es geht einerseits um die – soweit ersichtlich – obergerichtlich noch nicht behandelte Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Antrag auf Verlegung nach Ablehnung erneut gestellt und in diesem Falle erstmals gerichtlicher Überprüfung zugeführt werden kann. Andererseits weicht die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer von Rechtsprechung ab, in der die Problematik der erneuten Antragstellung allgemein, wenn auch bezüglich eines anderen Gegenstands, behandelt wurde.
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
a) Im Ansatz richtig ist die Strafvollstreckungskammer davon ausgegangen, dass die bloße Wiederholung einer schon früher bestandskräftig verfügten Ablehnung unanfechtbar ist. Denn insoweit fehlt es am Regelungscharakter i. S. v. § 109 Abs. 1 Satz 1 StVollzG (Bachmann, in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, P Rdn. 29; AK-Spaniol, StVollzG, 7. Aufl. 2017, Teil IV § 109 StVollzG Rdn. 11). Anders als die bloß wiederholende Verfügung ohne erneute Sachprüfung stellt aber der Zweitbescheid, der aufgrund neuer, sachlicher Prüfung ergeht, eine Maßnahme dar (AK-Spaniol, aaO, unter Berufung auf die Entscheidung des KG v. 22.12.1982 – 2 Ws 259/82 Vollz.). Solche neuen Tatsachen können sich auch durch Zeitablauf ergeben. Ist seit einer bestandskräftigen Ablehnung ein gewisser Zeitraum vergangen, ist bei neuerlicher Bescheidung die zwischenzeitliche Entwicklung zu berücksichtigen und -regelmäßig – jedenfalls stillschweigend berücksichtigt (AK-Spaniol, aaO). Zudem wurde in der Rechtsprechung bereits ausgesprochen, dass es einem Gefangenen nicht verwehrt sei, einen abgelehnten Antrag später zu wiederholen mit der Folge, dass die neue Entscheidung anfechtbar ist (so auch Arloth, in: Arloth/Krä, § 109 StVollzG Rdn. 9), und das Recht auf Wiederholung seine Grenze erst bei rechtsmissbräuchlicher Ausübung finde (OLG Nürnberg v. 18.7.2001 – Ws 765/01, ZfStrVo 2002, S. 180, 181 für die Gewährung von Vollzugslockerungen).
b) Bei Übertragung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall gilt folgendes: Sowohl der Verlegungsantrag vom 25. Oktober 2016 als auch der nachfolgende Antrag auf gerichtliche Entscheidung waren u.a. damit begründet, dass die Bedrohungslage fortbestehe, obwohl – wie sich aus dem Schreiben der Anstalt vom 10.11.2016 (Bl. 5 d.A.) ergibt – der Antragsteller am 04. Oktober 2016 anstaltsintern verlegt worden war. Bei dieser Sachlage kann das Schreiben der Justizvollzugsanstalt vom 10.11.2016 nicht lediglich als nicht angreifbare wiederholende Verfügung interpretiert werden. Das muss zumal im Hinblick auf das nach seinem Vortrag gefährdete Grundrecht des Gefangenen auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) und die Schutzpflicht des Staates für dieses Recht unabhängig davon gelten, ob der erneute Bescheid der Anstalt zum behaupteten Fortbestand der Gefährdungslage ausdrücklich Stellung bezieht und ein wie großer Zeitraum zwischen der Ablehnung des Erstantrags und dem erneuten Antrag verstrichen ist. Sollte eine anstaltsinterne Verlegung gerade nicht den erwarteten Erfolg mit sich gebracht haben, einen Schutz des Gefangenen vor – deren Vorliegen unterstellt – Gefährdungen durch Mitgefangene herbeizuführen, läge hierin eine neue Tatsache, die denknotwendigerweise erst nach dem ersten Bescheid aufgetreten sein kann. Für die Frage, ob eine bloß wiederholende Verfügung oder ein Zweitbescheid vorliegt, kann es jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der Eintritt neuer Tatsachen behauptet wird, auch nicht entscheidend auf die Fassung der behördlichen Einlassung ankommen. Das ergibt sich schon daraus, dass das Unterlassen der Ermittlung der Tatsachengrundlage einen Bescheid rechtswidrig werden lassen kann. Dann wäre es aber widersinnig, ein solches Unterlassen umgekehrt dazu fruchtbar zu machen, die behördliche Einlassung der Anfechtung zu entziehen.
c) Nach alledem ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 18. November 2016 gegen die unter dem 10. November 2016 datierte Ablehnung der Verlegung zulässig, insbesondere innerhalb der Frist von zwei Wochen und damit fristgerecht (§ 112 Abs. 1 StVollzG) eingelegt.
d) Der Senat weist im Übrigen darauf hin, dass Bedenken gegen die Annahme der Strafvollstreckungskammer bestehen, bei der Berechnung der Frist des § 112 Abs. 1 StVollzG sei der Zugang der angefochtenen Entscheidung beim anwaltlichen Vertreter des Strafgefangenen unter Anwendung der Fiktion des § 41 Abs. 2 S. 1 VwVfG zu bestimmen. Dies widerspricht der wohl einhelligen Sichtweise in obergerichtlicher Rechtsprechung und in der Literatur (etwa KG v. 10.7.2002 – 5 Ws 310/02 Vollz, NStZ-RR 2002, S. 383; OLG Koblenz v. 28.4.2014 – 2 Ws 43/14 [Vollz], FS 2015, S. 64; Arloth, in: Arloth/Krä, 112 StVollzG Rdn. 3; Bachmann, in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/ Verrel, P Rdn. 46; Laubenthal, in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 6. Aufl. 2013, § 112 Rdn. 2). Darauf kommt es indes nicht mehr entscheidend an.
e) Da die Strafvollstreckungskammer – von ihrer Rechtsauffassung her konsequent -keine weiteren Feststellungen getroffen hat, ist die Sache nicht spruchreif und an sie zurückzuverweisen (§ 119 Abs. 4 StVollzG).
III.
Über die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Strafvollstreckungskammer mitzuentscheiden. Die Entscheidung zum Beschwerdewert beruht auf §§ 60, 52 GKG.