Strafrecht

Fluchtgefahr – Straferwartung

Aktenzeichen  3 Ws 215/18

Datum:
9.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 14022
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StPO § 112 Abs. 2 Nr. 2
StGB § 239 b

 

Leitsatz

Zwar vermag die Straferwartung alleine die Fluchtgefahr nicht zu begründen, aber je höher sie ausfällt desto weniger Gewicht ist auf weitere Umstände zu legen. Dies gilt bei dem vorliegenden Tatbestand der Geiselnahme, der mit einer Mindeststrafe von 5 Jahren bedroht ist. Bei dieser besonders hohen Straferwartung bleibt daher nur noch zu prüfen, ob Umstände vorhanden sind, welche die hieraus herzuleitende Fluchtgefahr ausräumen können. Davon ist u.a. trotz des Betreibens einer Zahnarztpraxis nicht auszugehen, da der Beschwerdeführer seinen Beruf auch jederzeit im Ausland ausüben kann und auch über ausreichend Geld zur Finanzierung einer Flucht verfügt. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

3 Qs 69/18 2018-02-13 Bes LGAUGSBURG LG Augsburg

Tenor

Die weitere Beschwerde des Angeschuldigten P. R. gegen den Beschluss der 3. Strafkammer des Landgerichts Augsburg vom 13. Februar 2018 wird kostenfällig als unbegründet verworfen.

Gründe

Das Amtsgericht Augsburg erließ gegen den Angeschuldigten am 15.12.2017 einen auf die Haftgründe der Flucht- und der Verdunkelungsgefahr gestützten Haftbefehl wegen des dringenden Verdachts der Geiselnahme mit gefährlicher Körperverletzung und mit Bedrohung.
Der Angeschuldigte wurde am 18.12.2017 festgenommen und ihm an diesem Tag der Haftbefehl eröffnet. Seither befindet er sich in dieser Sache ununterbrochen in Untersuchungshaft.
Der mit Schriftsatz seines Verteidigers Rechtsanwalt Dr. B. vom 07.02.2018 eingelegten Haftbeschwerde mit dem Ziel der Aufhebung, hilfsweise der Außervollzugsetzung des Haftbefehls, half das Amtsgericht Augsburg am 09.02.2018 nicht ab.
Mit Beschluss vom 13.02.2018 verwarf die 3. Strafkammer des Landgerichts Augsburg die Haftbeschwerde als unbegründet.
Der hiergegen mit Schriftsatz seines Verteidigers Rechtsanwalt Dr. B… vom 23.02.2018, ergänzt mit Schriftsatz seines Verteidigers E… vom 09.03.2018, eingelegten weiteren Beschwerde mit dem Ziel der Aufhebung des Haftbefehls half die 3. Strafkammer des Landgerichts Augsburg mit Beschluss vom 27.02.2018 nicht ab.
Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Augsburg mit Anklageschrift vom 20.02.2018 gegen den Beschwerdeführer und gegen R… R. L. Anklage zum Landgericht Augsburg – Strafkammer – erhoben und legt den beiden Angeschuldigten darin gemeinschaftliche Geiselnahme mit gefährlicher Körperverletzung zur Last.
II.
Zwar ist in unmittelbarem Zusammenhang mit der Einlegung der weiteren Haftbeschwerde ein Zuständigkeitswechsel aufgrund der Anklageerhebung eingetreten. Doch hat die jetzt mit der Sache befasste 3. Strafkammer des Landgerichts Augsburg kurz vorher bereits über die Haftbeschwerde entschieden. Sofern die weitere Haftbeschwerde nunmehr als Antrag auf mündliche Haftprüfung an die 3. Strafkammer des Landgerichts Augsburg umgedeutet würde, würde dies einen reinen Formalismus darstellen, da ohnehin nicht mit einer anders lautenden Entscheidung zu rechnen wäre und es würde zudem nur zu einer Verzögerung der Endentscheidung über die Haftbeschwerde führen. Deshalb ist die weitere Beschwerde gegen den Beschluss vom 13.02.2018 statthaft und zulässig (§§ 310 Abs. 1 Nr. 1, 306 Abs. 1 StPO), hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Gegen den Angeschuldigten besteht der dringende Tatverdacht. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Augsburg vom 20.02.2018 benannten Beweismittel, insbesondere die Angaben des Geschädigten B. T. und die an ihm sichtbaren Verletzungsspuren, letztere bestätigt durch den Zeugen E2. D., die wenn auch beschönigenden Angaben des anderweitig Verfolgten S… B. und des Mitangeschuldigten R. R. L., die festgestellten DNA-Spuren des Geschädigten B. T. im Mündungsbereich der Schreckschusswaffe des Angeschuldigten R., sowie das Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen, zusammenfassend dargestellt im Schlussbericht der KPI Augsburg, K 1, vom 07.02.2018. Da die Angaben des Geschädigten im Kernbereich des Tatgeschehens konstant sind, hat der Senat keine Zweifel daran, dass diese Angaben erlebnisbasiert sind.
Damit besteht gegen den Beschwerdeführer der dringende Verdacht der Geiselnahme mit gefährlicher Körperverletzung. Die in § 239 b StGB geforderte Zweiaktigkeit ist durch den angelasteten Sachverhalt ebenfalls erfüllt. Der Beschwerdeführer und der Mitangeschuldigte L. haben sich des Geschädigten B. T. mit Gewalt bemächtigt und der Angeschuldigte R. hat den Geschädigten T., als dieser am Boden fixiert war, unter anderem aufgefordert, das Baby der anderweitig Verfolgten P. zu vergessen und aus Deutschland zu verschwinden sowie nie mehr nach München zu kommen, andernfalls werde der Geschädigte umgebracht. Damit besteht auch der funktionale und zeitliche Zusammenhang zwischen der Zwangslage für den geschädigten und der abgenötigten Handlung.
Gegen den Angeschuldigten besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Es ist zwar richtig, dass die Straferwartung alleine die Fluchtgefahr nicht zu begründen vermag. Doch ist, je größer die Straferwartung ist, desto weniger Gewicht auf weitere Umstände zu legen. Davon ist vorliegend auszugehen, nachdem der Tatbestand der Geiselnahme mit einer Mindeststrafe von 5 Jahren bedroht ist. Bei dieser besonders hohen Straferwartung ist daher nur noch zu prüfen, ob Umstände vorhanden sind, die die hieraus herzuleitende Fluchtgefahr ausräumen können. Davon ist vorliegend trotz des Betreibens einer Zahnarztpraxis, derzeit noch durch einen Vertreter, des festen Wohnsitzes und der sozialen Bindungen zu den Eltern und zur Freundin in Regensburg jedoch nicht auszugehen. Der Beschwerdeführer kann seinen Beruf auch jederzeit im Ausland ausüben und dürfte auch über ausreichend Geld zur Finanzierung einer Flucht verfügen.
Es steht daher zu befürchten, dass sich der Angeschuldigte absetzt, um sich dem weiteren Verfahren zu entziehen, wenn er auf freien Fuß käme.
Des Weiteren liegt gegen den Angeschuldigten auch der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 b StPO) vor. Er hat nämlich dem Geschädigten B. T. mit Umbringen gedroht, falls er wieder nach München käme oder zur Polizei gehen würde. Damit besteht die Gefahr, dass die Aufklärung des Sachverhalts ohne Vollzug der Untersuchungshaft erschwert würde.
Der Senat hat den grundsätzlichen Freiheitsanspruch des Beschwerdeführers mit den aufgrund der Strafverfolgung gebotenen Freiheitsbeschränkungen abgewogen. Weniger einschneidende Maßnahmen nach § 116 StPO kommen bei einer Gesamtschau und Würdigung der bereits erwähnten Umstände, insbesondere der Brutalität des Vorgehens bei der Realisierung des Verbrechens, sowie des Vorliegens gleich zweier Haftgründe, nicht in Betracht, da es an der hierfür erforderlichen Vertrauensbasis fehlt. Anders als durch den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft lässt sich der staatliche Strafanspruch nicht sichern.
In Anbetracht der erst seit 18.12.2017 andauernden Untersuchungshaft ist deren Fortdauer auch verhältnismäßig.
Auch das in Haftsachen zu beachtende besondere Beschleunigungsgebot wurde eingehalten. Nach Ablauf der eingeräumten Äußerungsfristen wird mit einer zeitnahen Entscheidung über die Eröffnung gerechnet, damit das Verfahren binnen angemessener Frist durch Urteil abgeschlossen werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

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