Aktenzeichen 2 Ws 387/20 – 2 Ws 388/20
StPO § 305 S. 1
Leitsatz
1. Nach § 305 S. 1 StPO sind Sicherungsverfügungen und die Ablehnung der Aufhebung von Verhandlungsterminen bzw. der Aussetzung eines Verfahrens grundsätzlich nicht anfechtbar, da solche Entscheidungen der Urteilsfällung vorausgehen und deshalb nur zusammen mit dem Urteil mit dem dagegen statthaften Rechtsmittel (hier: Revision) angefochten werden können. Lediglich in Ausnahmefällen kann eine Beschwerde statthaft sein, etwa wenn die Terminaufhebung und Verfahrensaussetzung vom Gericht ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig abgelehnt wurde. (Rn. 11 – 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Teilnahme der Öffentlichkeit an der Hauptverhandlung stellt einen triftigen Grund iSv § 1 Abs. 4 BayCovid-19-V dar, die eigene Wohnung zu verlassen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
1 J KLs 28 Js 12509/19 jug 2020-03-27 Bes LGMUENCHENII LG München II
Tenor
I. Die Beschwerde des Angeklagten R… V… N… gegen die Sicherungsverfügung der Vorsitzenden der 1. Jugendkammer des Landgerichts München II vom 25.03.2020 wird als unzulässig verworfen.
II. Die Beschwerde des Angeklagten R… V… No… gegen die Verfügung der Vorsitzenden der 1. Jugendkammer des Landgerichts München II vom 26.03.2020 wird als unzulässig verworfen.
III. Der Angeklagte hat die Kosten seiner Rechtsmittel zu tragen.
Gründe
I.
Der Angeklagte R… V… N… befindet sich in dieser Sache aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts München vom 04.01.2017, eröffnet am 19.07.2017, seit 27.03.2019 in Untersuchungshaft. Zuvor befand er sich nach Überstellung aus Slowenien vom 08.11.2016 bis 26.03.2019 zur Vollstreckung mehrerer Freiheitsstrafen in Strafhaft.
Der Senat hat mit Beschluss vom 19.07.2019 die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Amtsgerichts München vom 19.07.2017, mit dem der Haftbefehl vom 04.01.2017 in Vollzug gesetzt wurde, als unbegründet verworfen mit der Maßgabe, dass der Angeklagte des versuchten besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen dringend verdächtig ist (Az.: 2 Ws 744/19).
Mit weiterem Beschluss vom 11.03.2020 hat der Senat die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts München II vom 11.02.2020, mit dem den Antrag des Angeklagten vom 10.02.2020 auf Aufhebung des Haftbefehls vom 04.01.2017, hilfsweise dessen Außervollzugsetzung, zurückgewiesen wurde, als unbegründet verworfen.
Die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten begann am 13.08.2019 und dauert weiter an; am 11.03.2020 fand der 24. Verhandlungstag statt. Weitere Termine sind auf 30.03., 02.04. und 03.04.2020 bestimmt.
Mit Verteidigerschriftsatz vom 24.03.2020 beantragte der Angeklagte u.a., das Verfahren wegen der mit der Corona-Pandemie verbundenen Gesundheitsgefahren auszusetzen und die anberaumten Termine abzusetzen.
Am 25.03.2020 erließ die stellvertretende Vorsitzende der 1. Jugendkammer eine Sicherungsverfügung, um die Durchführung der ab dem 30.03.2020 anberaumten weiteren Hauptverhandlungstermine mit den durch die Corona-Pandemie erforderlichen Sicherungsmaßnahmen zum Gesundheitsschutz aller Beteiligten zu sichern. Insbesondere wurde angeordnet, dass Zuhörer und Medienvertreter/Journalisten jeweils erst 10 Minuten vor Beginn der Sitzung Einlass in den Sitzungssaal erhalten (Ziff. I. d), während der Sitzungspausen, die für länger als 10 Minuten angeordnet werden, den Sitzungssaal zu verlassen haben (Ziff. I. e) und im Zuhörerraum voneinander einen Abstand von 2,0 m zu halten haben, so dass insgesamt für die Öffentlichkeit vier Plätze zur Verfügung stehen (Ziff. I. f).
Hiergegen legt der Angeklagte mit Verteidigerschriftsatz vom 26.03.2020 Beschwerde ein und macht insbesondere eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens und der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung geltend. Zudem drohe im Rahmen der Hauptverhandlung eine gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verstoßende Gesundheitsgefahr durch die Infektion mit dem Corona-Virus. Die angeordneten Sicherungsmaßnahmen seien nicht ausreichend, erforderlich sei zum Schutz der Gesundheit ein absolutes Kontaktverbot.
1. Mit Verfügung vom 26.03.2020 teilte die stellvertretende Vorsitzende der 1. Jugendkammer dem Verteidiger Rechtsanwalt Dr. A… auf seinen Schriftsatz vom 24.03.2020 u.a. mit, dass der Termin vom 30.03.2020 nach derzeitigem Stand stattfinden werde. Auch unter Berücksichtigung der Bayerischen Verordnung über eine vorläufige Ausgangsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie vom 24.03.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 130) und der vorausgegangenen Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 20. März 2020 sollten trotz der erforderlichen Einschränkungen zur Wahrung des Beschleunigungsgrundsatzes vor allem die bereits lang andauernden Haftstrafsachen weiterverhandelt werden. Die Justiz sei nach Kräften darum bemüht, im Rahmen der Vorgaben das Mögliche zum Gesundheitsschutz aller an den Verfahren beteiligten Personen zu tun. Neben dem in der Sicherungsverfügung vom 25.03.2020 angeordneten Sicherheitsabstand von 2 m werde der Sitzungssaal vor Beginn der Sitzung auch mit Mitteln desinfizierender Wirkung gereinigt. Darüber hinaus seien zwischenzeitlich alle Personen, die das Gebäude betreten, verpflichtet, eine – tagesaktuelle – Selbstauskunft in Zusammenhang mit Corona zu erteilen.
Auch gegen die Verfügung vom 26.03.2020 legte der Angeklagte mit weiterem Verteidigerschriftsatz vom 26.03.2020 Beschwerde ein.
Das Landgericht München II hat den Beschwerden mit Beschluss vom 27.03.2020 nicht abgeholfen und die Akten am Nachmittag des 27.03.2020 dem Senat vorgelegt.
II.
Die Beschwerden gegen die richterlichen Verfügungen vom 25.03.2020 und 26.03.2020 sind unzulässig, da nicht statthaft. Denn nach § 305 Satz 1 StPO sind die Sicherungsverfügung und die Ablehnung der Aufhebung von Verhandlungsterminen bzw. der Aussetzung eines Verfahrens grundsätzlich nicht anfechtbar, da solche Entscheidungen der Urteilsfällung vorausgehen und deshalb nur zusammen mit dem Urteil mit dem dagegen statthaften Rechtsmittel, hier der Revision, angefochten werden können (KK – StPO/Gmel, 8. Auflage 2019, StPO § 228 Rn. 14; KK – StPO/Zabeck, 8. Auflage 2019, StPO § 305 Rn. 6; BVerfG, Beschluss vom 22.11.2001 – 2 BvQ 46/01, NStZ-RR 2002, 113; OLG Düsseldorf, NJW 1997, 2533; OLG Hamm, NJW 1978, 283).
Lediglich in Ausnahmefällen kann eine Beschwerde statthaft sein, etwa wenn die Terminaufhebung und Verfahrensaussetzung vom Gericht ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig abgelehnt wurde (OLG Celle, NStZ 2012, 176 für die Ablehnung eines Antrags auf Terminverlegung; vgl. auch OLG München, NStZ 1994, 451). Solches lässt sich hier jedoch nicht feststellen.
Zum einen ist trotz der erheblichen, nicht im Bereich der Justiz liegenden Einschränkungen aufgrund der Anordnungen der Bayerischen Staatsregierung der Grundsatz der Öffentlichkeit gewahrt. Insoweit wird vollumfänglich auf die Sicherungsverfügung vom 25.03.2020 und den Nichtabhilfebeschluss vom 27.03.2020 Bezug genommen. Ergänzend ist lediglich darauf hinzuweisen, dass – auch nach Auffassung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz und des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration – die Teilnahme der Öffentlichkeit an der Hauptverhandlung einen triftigen Grund darstellt, die eigene Wohnung zu verlassen. Seitens der Bayerischen Justiz wird daher bei Eingangskontrollen in Bezug auf die Besucher einer Verhandlung das Vorliegen eines triftigen Grundes nach § 1 Absatz 4 der Bayerischen Verordnung über eine vorläufige Ausgangsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie nicht überprüft.
Zum anderen wurden in der angefochtenen Sicherungsverfügung das Gesundheitsrisiko für die Verfahrensbeteiligten, mithin auch für den Angeklagten, im Falle der Durchführung der Hauptverhandlung einerseits und das Interesse der Allgemeinheit an der Durchführung des Strafprozesses andererseits, damit dem staatlichen Strafanspruch Geltung verschafft werde, sorgfältig abgewogen. Zwar sollten öffentliche Hauptverhandlungen derzeit nach Möglichkeit vermieden bzw. beschränkt werden, um die Ausbreitung des Corona-Virus einzudämmen. Zur Aufrechterhaltung der Strafrechtspflege ist es jedoch zwingend erforderlich, gerade in lang andauernden Verfahren, in denen sich die Angeklagten seit längerer Zeit in Untersuchungshaft befinden, und die sich schon in einem fortgeschrittenen Stadium befinden und sonst von neuem begonnen werden müssten, die Hauptverhandlung fortzusetzen. Auf die Sicherungsverfügung vom 25.03.2020 wird insoweit vollumfänglich Bezug genommen. Das Gericht hat geeignete Sicherheitsvorkehrungen getroffen, um das Ansteckungsrisiko möglichst auszuschließen bzw. erheblich zu mindern. Zudem werden für alle Besucher des Strafjustizzentrums Kontrollen in Form von Selbstauskünften durchgeführt, um einer Verbreitung des Coronavirus entgegenzuwirken.
Soweit der Angeklagte eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens rügt, wird die Jugendkammer im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung geeignete Maßnahmen zu treffen haben, um dem Angeklagten und dem Verteidiger eine sachgerechte Verteidigung zu ermöglichen.
Aus den genannten Gründen wären die Beschwerden, selbst wenn sie als statthaft und damit als zulässig erachtet würden, jedenfalls unbegründet.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.