Aktenzeichen 11 ZB 15.2779
Leitsatz
1 Finden sich bei einem Cannabis-Konsumenten in einer Haarprobe auch Spuren von Methamphetamin, ist bei einer Drogenvergangenheit ausreichender Anlass, im Rahmen einer ohnehin anzuordnenden ärztlichen Begutachtung, die auch mit einer Blutprobenuntersuchung verbunden ist, auch die Einnahme anderer Betäubungsmittel zu klären. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die an den Gutachter formulierte Frage, ob ggf. ausreichende Abstinenznachweise vorliegen, ist weder unzulässig noch unbestimmt oder unsubstantiiert. Sie zielt zutreffend auf die Klärung der Frage ab, ob ein regelmäßiger Cannabis-Konsument seine Fahreignung, sofern er nicht gegenwärtig regelmäßig konsumiert, inzwischen wieder erlangt hat. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
RO 8 K 15.1808 2015-11-30 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg
Tenor
I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,-Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der 1982 geborene Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klasse B (samt Unterklassen) wegen Nichtvorlage eines angeordneten ärztlichen Gutachtens.
Dem Kläger war bereits mit Bescheid vom 14. Januar 2005 die Fahrerlaubnis entzogen worden, nachdem er am 30. Juni 2004 ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln geführt hatte. Die dem Kläger entnommene Blutprobe enthielt nach dem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität München vom 11. August 2004 33,3 ng/ml Tetrahydrocannabinol (THC) und 173,4 ng/ml THC-Carbonsäure. Die nachgewiesene, sehr hohe Konzentration des Abbauprodukts THC-Carbonsäure beweise einen regelmäßigen Konsum. Nach Vorlage eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens erhielt der Kläger 2008 die Fahrerlaubnis neu erteilt.
Am 27. Dezember 2013 wurde der Kläger erneut als Führer eines Kraftfahrzeugs einer Kontrolle unterzogen. Der dabei vorgenommene Drogenvortest verlief positiv im Hinblick auf THC. Der Kläger gab an, vor ca. drei Tagen einen Joint geraucht zu haben. Die entnommene Blutprobe war im Hinblick auf Betäubungsmittel negativ.
Mit Urteil vom 8. Oktober 2014, rechtskräftig seit 10. Februar 2015, verurteilte das Amtsgericht Tirschenreuth den Kläger wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tatmehrheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Nach dem Gutachten des Bayerischen Landeskriminalamts vom 16. Juli 2014 ergab die Untersuchung einer Haarprobe, die dem Kläger am 27. Dezember 2013 entnommen worden war, Hinweise auf relativ große Aufnahmemengen an Cannabisprodukten, charakteristisch für einen mittelstark bis stark ausgeprägten Cannabiskonsum. Im Haarspitzensegment fanden sich Spuren von Methamphetamin. Eine Aufnahme von Methamphetamin habe mit der für forensische Zwecke erforderlichen Sicherheit nicht eindeutig nachgewiesen werden können. In der Hauptverhandlung des Amtsgerichts Tirschenreuth am 6. August 2014 gab der Kläger an, er habe im Sommer 2013 (ca. bis September) Cannabis regelmäßig konsumiert, dann erst wieder am 23. Dezember 2013.
Mit Schreiben vom 9. April 2015 forderte die Fahrerlaubnisbehörde den Kläger unter Bezugnahme auf den vorstehenden Sachverhalt auf, bis 3. Juni 2015 ein ärztliches Gutachten zu folgenden Fragen beizubringen: „1. Nimmt oder nahm der Untersuchte Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes ein, die die Fahreignung nach Anlage 4 zur FeV in Frage stellen? (Bei einer festgestellten alleinigen Einnahme von Cannabis ist zusätzlich die Frage zu beantworten, ob das Konsumverhalten des Betroffenen als gelegentlicher oder regel- bzw. gewohnheitsmäßige Einnahme von Cannabis zu bewerten ist oder war!). 2. Liegen bei festgestellter, früherer Einnahme vom Betäubungsmitteln bereits ausreichende Abstinenznachweise (ggf. über welchen zusammenhängenden Zeitraum) vor?“
Der Kläger legte kein Gutachten vor. Mit Bescheid vom 3. Juli 2015 entzog ihm die Behörde die Fahrerlaubnis, verfügte die Ablieferung des Führerscheins spätestens innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids und drohte für den Fall der nicht fristgerechten Ablieferung ein Zwangsgeld von 500 Euro an.
Gegen den Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein, der nicht verbeschieden wurde. Die am 26. Oktober 2015 erhobene (Untätigkeits-)Klage wies das Verwaltungsgericht Regensburg mit Urteil vom 30. November 2015 ab. Die Anordnung, ein ärztliches Gutachten beizubringen, sei rechtmäßig. Zwar lägen entgegen der Annahme der Behörde Anhaltspunkte für die Einnahme harter Drogen nicht vor, wohl aber Tatsachen, die die Annahme eines regelmäßigen Cannabiskonsums begründeten.
Gegen das Urteil beantragt der Kläger die Zulassung der Berufung, der der Beklagte entgegentritt.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Aus der Antragsbegründung, auf die sich die Prüfung des Verwaltungsgerichtshofs beschränkt (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO), ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist nicht ausreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
1. An der Rechtmäßigkeit der Anordnung der Fahrerlaubnisbehörde vom 9. April 2015 bestehen keine ernstlichen Zweifel. Nach § 46 Abs. 3 i. V. m. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV – ordnet die Fahrerlaubnisbehörde an, dass ein ärztliches Gutachten beizubringen ist, wenn Tatsachen die Annahme begründen, dass die Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes vorliegt. Liegt (lediglich) der Verdacht der Einnahme von Cannabisprodukten vor und ist der Betroffene nicht im Straßenverkehr aufgefallen, müssen Tatsachen vorliegen, die die Annahme eines regelmäßigen Cannabiskonsums begründen (vgl. Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV). Solche Tatsachen lagen hier vor.
Der Kläger hatte bereits im Jahre 2004 regelmäßig Cannabis konsumiert. Nach dem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität München vom 11. August 2004 beweise die bei der damaligen Blutprobenuntersuchung nachgewiesene, sehr hohe Konzentration des Abbauprodukts THC-Carbonsäure einen regelmäßigen Konsum. Im Sommer 2013, nach Angaben des Klägers bis ca. September 2013, konsumierte er erneut regelmäßig Cannabis. Darüber hinaus gab der Kläger am 27. Dezember 2013 bei der Polizeikontrolle an, ca. drei Tage vorher Cannabis konsumiert zu haben. Angesichts der Vorgeschichte, des erneuten Cannabiskonsums am 23. oder 24. Dezember 2013 und der Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Marihuanaprodukten) in nicht geringer Menge in der zweiten Hälfte des Jahres 2013 lagen ausreichende Tatsachen für die Annahme vor, der Kläger sei wieder in sein früheres Konsummuster zurückgefallen und konsumiere erneut regelmäßig Cannabis.
Der Senat versteht die streitgegenständliche Beibringungsanordnung dahingehend, dass damit auch nach einem etwaigen Konsum anderer Betäubungsmittel als Cannabis gefragt wird. Das ergibt sich aus den Darlegungen des Schreibens vom 9. April 2015, wonach insbesondere aus den Ergebnissen der durchgeführten Haaranalyse Hinweise auf einen ebenfalls möglichen Methamphetaminkonsum vorlägen. Dieses Verständnis bestätigt der Aktenvermerk der Fahrerlaubnisbehörde vom 3. November 2015 bei der erneuten Vorlage an die Widerspruchsbehörde. Der Senat erachtet jedoch die Gutachtensbeibringungsanordnung auch insoweit als rechtmäßig, weil Tatsachen vorliegen, die die Annahme des Konsums eines anderen Betäubungsmittels als Cannabis begründen. Nach dem Gutachten des Bayerischen Landeskriminalamts vom 16. Juli 2014 fanden sich im Haarspitzensegment des Klägers Spuren von Methamphetamin. Das ist angesichts der Drogenvergangenheit des Klägers ein ausreichender Anlass, im Rahmen einer ohnehin anzuordnenden ärztlichen Begutachtung, die auch mit einer Blutprobenuntersuchung verbunden ist, auch die Einnahme anderer Betäubungsmittel zu klären. Die chemisch-toxikologische Blutuntersuchung, die angeordnet wird, wenn ein Drogenvortest positiv ist, erstreckt sich – wie auch das zur Blutprobe des Klägers eingeholte Gutachten vom 21. Januar 2014 belegt – ohnehin regelmäßig auf THC, Morphin, Benzoylecgonin, Kokain, Amphetamin, Methamphetamin und verwandte Stoffe.
Es kann daher entgegen dem Zulassungsvorbringen nicht davon ausgegangen werden, dass die Gutachtensbeibringungsanordnung unbestimmt oder unsubstantiiert ist. Für die Anordnung, ein ärztliches Gutachten beizubringen, um festzustellen, ob der Betroffene Betäubungsmittel konsumiert, muss gerade nicht feststehen, dass das der Fall ist, sondern es reicht ein begründeter Verdacht. Auch ist im Hinblick auf Betäubungsmittelkonsum – bei Cannabis im Hinblick auf regelmäßigen Konsum – nicht erforderlich, dass der Betroffene unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen hat. Warum die Frist zur Beibringung des Gutachtens von ca. sieben Wochen für die Vorlage eines ärztlichen Gutachtens nicht ausreichend sein soll, begründet der Kläger nicht. Auch die Rüge, es fehle an einer ordnungsgemäßen Dokumentation der richterlichen Blutentnahmeanordnung, geht fehl, da das Ergebnis der Blutprobe, die negativ war, nicht als Begründung für die streitgegenständliche Anordnung herangezogen wurde; im Übrigen hat sich der Kläger ausweislich des Protokolls am 27. Dezember 2013 mit der Blutentnahme einverstanden erklärt.
Auch die Frage, ob ggf. ausreichende Abstinenznachweise vorliegen, ist weder unzulässig noch unbestimmt oder unsubstantiiert. Sie zielt zutreffend auf die Klärung der Frage ab, ob der Kläger, der in der Vergangenheit regelmäßig Cannabis konsumiert hat, seine Fahreignung, sofern er nicht gegenwärtig regelmäßig konsumiert, inzwischen wieder erlangt hat. Hätte der Kläger eine ausreichend lange Abstinenz nachgewiesen, wäre – noch vor einer Fahrerlaubnisentziehung – durch eine medizinisch-psychologische Untersuchung zu prüfen gewesen, ob ein Einstellungswandel vorliegt und dieser stabil ist. Da maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei einer Fahrerlaubnisentziehung der Erlass der letzten Behördenentscheidung ist, können, da ein Widerspruchsbescheid nicht erging, nach Erlass des Bescheids vorgelegte Abstinenznachweise ebenso wie der vorgetragene Einstellungswandel des Klägers nur in einem Neuerteilungsverfahren berücksichtigt werden.
2. Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache wurde nicht ausreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Der Kläger formuliert zunächst schon keine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage. Die dann gestellte Frage, ob ein Fahrerlaubnisinhaber auch dann als ungeeignet für die Verkehrsteilnahme anzusehen ist, wenn er einmalig sogenannte weiche Betäubungsmittel wie THC konsumiert, ist nicht umstritten, sondern geklärt (vgl. auch Nr. 9.2.2. der Anlage 4 zur FeV). Darum geht es hier auch offensichtlich nicht.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3 und § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. der Empfehlung in Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, Anh. § 164 Rn. 14).
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).