Aktenzeichen 2 Qs 19/18
Leitsatz
Bei einer Beweislage, in der grundsätzlich Aussage gegen Aussage steht, ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers regelmäßig angezeigt, es sei denn, zu der Aussage des Belastungszeugen kommen weitere belastende Indizien hinzu, so dass von einer schwierigen Beweiswürdigung dann nicht mehr gesprochen werden kann. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
1 Ds 57 Js 7409/18 2018-06-18 Bes AGEBERSBERG AG Ebersberg
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Amtsgerichts Ebersberg vom 18.06.2018 aufgehoben.
2. Dem Beschwerdeführer wird als Pflichtverteidiger Rechtsanwalt Dr. Adam Ahmed, Rumfordstrasse 42, 80469 München, beigeordnet.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschwerdeführer insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
Mit Anklageschrift vom 18.04.2018 (Bl. 24/25 d.A.) erhob die Staatsanwaltschaft München II die öffentliche Klage gegen den Beschwerdeführer wegen vorsätzlicher Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung und unerlaubtem Entfernen vom Unfallort. Dem Beschwerdeführer wird darin zur Last gelegt, am 28.12.2017 in einer Parkgarage den Geschädigten Si. im Verlaufe eines Gerangels gegen eine Parkhaussäule geschubst, in der Folge seinen Pkw gegen den Geschädigten Si. gelenkt und ihn dabei verletzt und sich schließlich entfernt zu haben, ohne Feststellungen zu ermöglichen. Nach Zustellung der Anklageschrift wurde das Hauptverfahren mit Beschluss des Amtsgerichts Ebersberg vom 06.06.2018 eröffnet und mit Verfügung vom selben Tag Termin zur Hauptverhandlung auf den 02.07.2018 bestimmt.
Mit Schreiben vom 10.06.2018 (Bl. 34 d.A.) beantragte der Angeklagte, ihm Herrn Rechtsanwalt Dr. Ad. Ah. als Pflichtverteidiger beizuordnen. Nach Erholung einer Stellungnahme der Staatsanwaltschaft lehnte das Amtsgericht mit Beschluss vom 18.06.2018 (Bl. 38/39 d.A.) den Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers mit der Begründung ab, es liege kein Fall der notwendigen Verteidigung vor. Die Mitwirkung eines Verteidigers sei auch nicht wegen der Schwere der Tat oder der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage geboten. Ebenfalls sei nicht ersichtlich, dass sich der Angeklagte nicht selbst verteidigen könne.
Gegen diesen Beschluss legte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 25.06.2018 (Bl. 41/42), beim Amtsgericht Ebersberg am selben Tag eingegangen, Beschwerde ein und berief sich zur Begründung auf sein konventionsrechtlich verbürgtes Recht auf ein faires Strafverfahren. Das Amtsgericht half der Beschwerde mit Beschluss vom 26.06.2018 (Bl. 43/44 d.A.) nicht ab und legte die Akten dem Landgericht München II vor. Gegen das Urteil des Amtsgerichts Ebersberg vom 02.07.2018 wurde jedenfalls seitens der Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt.
II.
1. Die nach § 304 Abs. 1 StPO statthafte Beschwerde ist zulässig, insbesondere steht § 305 Satz 1 StPO der Zulässigkeit der Beschwerde nach herrschender und zutreffender Meinung nicht entgegen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 60. Aufl., § 141, Rn. 10 a). Nachdem im vorliegenden Fall die Akten dem Berufungsgericht noch nicht gem. § 321 Satz 2 StPO vorgelegt worden sind, ist auch einerseits die Beschwerde nicht prozessual überholt. Anderseits hat das Landgericht weiterhin als Beschwerdegericht und nicht als originär in der Hauptsache zuständiges Gericht zu entscheiden. Schließlich ist der Beschwerdeführer, nachdem seinem Antrag keine Beschränkung der Bestellung eines Pflichtverteidigers nur für den ersten Rechtszug zu entnehmen ist, ungeachtet der Tatsache, dass das Verfahren im ersten Rechtszug durch Verkündung des Urteils am 02.07.2018 abgeschlossen ist, weiterhin durch die Entscheidung vom 18.06.2018 beschwert.
2. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg, da die Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers gem. § 140 Abs. 2 StPO gegeben sind. Nach dieser Vorschrift bestellt der Vorsitzende des Gerichts auf Antrag oder von Amts wegen einen Verteidiger, wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann. Der Beschwerdeführer bestreitet im vorliegenden Fall ausweislich seiner schriftlichen Einlassung vom 02.02.2018 (Bl. 8/9 d.A.) jedenfalls die ihm zur Last gelegten Körperverletzungen zum Nachteil des Geschädigten Si. Das Ergebnis der Beweisaufnahme hängt mithin davon ab, ob und inwieweit die Strafrichterin dessen Aussage für glaubhaft hält. Bei einer Beweislage, in der grundsätzlich Aussage gegen Aussage steht, ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers regelmäßig angezeigt (vgl. Thomas/Kämpfer, in: Münchener Kommentar zur StPO, 2014, § 140 Rn. 39 m.w.N.), es sei denn, zu der Aussage des Belastungszeugen kommen weitere belastende Indizien hinzu, so dass von einer schwierigen Beweiswürdigung dann nicht mehr gesprochen werden kann (OLG Celle, StV 2009, 8). Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass das Ausgangsgericht zur Hauptverhandlung weitere Zeugen geladen hat, die im Ermittlungsverfahren teilweise Angaben gemacht haben, die im Widerspruch zu den Ausführungen des Belastungszeugen stehen. Bei einer solchen Sachlage, bei der das Aufzeigen von eventuellen Widersprüchen bei den Angaben des Belastungszeugen angebracht ist, ist aufgrund einer Gesamtbetrachtung, auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Beschwerdeführer im Falle der Verurteilung mit einer Freiheits- und Nebenstrafe und mithin nicht unerheblichen Rechtsfolgen zu rechnen hat, die Beiordnung eines Pflichtverteidigers zur Sicherung eines fairen Verfahrens geboten. Nachdem insofern angesichts der Begründung der angegriffenen Entscheidungen nicht auszuschließen ist, dass das Ausgangsgericht die Grenzen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums überschritten hat, war der Beschluss des Amtsgerichts Ebersberg aufzuheben und über den Antrag des Beschwerdegerichtes in eigener Zuständigkeit zu entscheiden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464 Abs. 1, 2, 473 Abs. 1 StPO. Bei der Beschwerdeentscheidung gegen die Ablehnung einer Pflichtverteidigerbestellung handelt es sich – nach von der Kammer als überzeugend angesehener Auffassung (vgl. BayObLG, StV 2006, 6) – um eine verfahrensabschließende Entscheidung, die der Kostenentscheidung bedarf.