Strafrecht

Sachliche Zuständigkeit des Gerichts für Widerruf einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe

Aktenzeichen  Qs 47/18 jug

Datum:
25.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 18538
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Passau
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
JGG § 26 Abs. 1 Nr. 1, § 58 Abs. 3 S. 1, S. 2

 

Leitsatz

Ist eine Jugendstrafe erstmals in der Berufungsinstanz durch die Jugendkammer des Landgerichts zur Bewährung ausgesetzt worden, so ist diese und nicht das erstinstanzliche Amtsgericht für die Entscheidung über den Widerruf der Aussetzung sachlich zuständig, sofern die Entscheidung nicht gem. § 58 Abs. 3 S. 2 JGG auf ein anderes Gericht übertragen worden ist. (Rn. 12 und 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten … gegen den Beschluss des Amtsgerichts Freyung vom 11.05.2018 wird dieser aufgehoben.
2. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels einschließlich der notwendigen Auslagen des Verurteilten zu tragen.

Gründe

Der Beschluss des Amtsgerichts Freyung vom 11.05.2018 war wegen eines Verfahrensfehlers aufzuheben. Das Amtsgericht Freyung war für die Entscheidung sachlich nicht zuständig. Über die Frage des Bewährungswiderrufs wird bei entsprechender Antragstellung die Jugendkammer des Landgerichts Passau zu entscheiden haben.
I.
Mit Urteil des Amtsgerichts Freyung – Jugendschöffengericht – vom 09.12.2015 war der Verurteilte schuldig gesprochen worden des Diebstahls mit Waffen in 14 Fällen, in Tatmehrheit mit versuchtem Diebstahl mit Waffen in 6 Fällen und in Tatmehrheit mit Diebstahl in 6 Fällen, in allen Fällen in Tateinheit mit Sachbeschädigung. Er wurde deshalb zu einer Jugendstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt.
Auf die Berufung des Angeklagten änderte das Landgericht Passau, Große Jugendkammer, mit Urteil vom 23.06.2016 den Rechtsfolgenausspruch dahingehend ab, dass der Angeklagte zu einer Jugendstrafe von 2 Jahren verurteilt wurde, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Mit Beschluss des Landgerichts Passau vom 23.06.2016 wurde die Bewährungszeit auf 3 Jahre festgesetzt. Hinsichtlich angeordneter Auflagen und Weisungen im Bewährungsbeschluss wird auf dessen Gründe, Bl. 45 BewH, Bezug genommen.
Mit Urteil des Landgerichts Passau, 2. Große Strafkammer als Schwurgericht, vom 20.11.2017, wurde der Verurteilte des Totschlags, begangen am 27.10.2016, schuldig gesprochen und deswegen zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt. Mit Schreiben vom 09.03.2018 hat die Staatsanwaltschaft bei dem Amtsgericht Freyung beantragt, deswegen die Strafaussetzung zur Bewährung nach vorheriger Anhörung zu widerrufen.
Mit Beschluss vom 11.05.2018, dem Pflichtverteidiger des Verurteilten zugestellt am 22.08.2018, hat das Amtsgericht Freyung die „mit Urteil des Amtsgerichts Freyung am 23.06.2016 gewährte Strafaussetzung zur Bewährung“ widerrufen. Die Vollstreckung der festgesetzten Jugendstrafe wurde angeordnet.
Gegen den Beschluss wendet sich der Verurteilte mit Schriftsatz seines Pflichtverteidigers vom 24.05.2018, eingegangen beim Amtsgericht am 24.05.2018. Mit weiterem Schriftsatz vom 04.06.2018 wurde das Rechtsmittel begründet. In der Begründung wird geltend gemacht das Amtsgericht Freyung sei unzuständig für die Entscheidung über den Widerruf gewesen. Die im Beschluss angegebene Begründung trage ferner einen Widerruf in der Sache nicht.
Das Amtsgericht Freyung hat mit Vermerk vom 06.06.2018 festgestellt, dass eine Abhilfeentscheidung rechtlich nicht zulässig sei.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig und aus verfahrensrechtlichen Gründen begründet. Das Amtsgericht Freyung war für die getroffene Entscheidung sachlich nicht zuständig.
1. Gemäß § 59 Abs. 1 JGG unterliegt der Beschluss, durch welchen die Vollstreckungsaussetzung einer Jugendstrafe zur Bewährung widerrufen wird , der sofortigen Beschwerde. Die Frist des § 311 Abs. 2 StPO ist gewahrt, die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen vor.
2. Die Beschwerde hat wegen eines Verfahrensfehlers Erfolg. Das Erstgericht war gemäß § 58 Abs. 3 S. 1 JGG für die Entscheidung nicht zuständig.
a) Auf das gegenständliche Verfahren, betreffend den Widerruf der Strafaussetzung einer Jugendstrafe, finden die Sondernormen des JGG Anwendung. Der Verurteilte war bei Begehung der Taten, die dem Ausgangsurteil zugrunde liegen, Heranwachsender. Es fand materielles Jugendstrafrecht auf ihn Anwendung.
b) Gemäß § 58 Abs. 3 S. 1 JGG ist derjenige Richter für die Entscheidung über den Widerruf der Aussetzung gemäß §§ 58 Abs. 1, 26 Abs. 1 Nr. 1 JGG zuständig, weicher die Aussetzung angeordnet hat. Die Aussetzungsanordnung wurde im gegenständlichen Fall durch Urteil des Landgerichts Passau, Jugendkammer, mit Urteil vom 20.11.2017 getroffen, unter Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs im Urteil des Amtsgerichts, Jugendschöffengericht, Freyung vom 09.02.2015, welches eine unbedingte Jugendstrafe verhängt hatte. Nach allgemeiner Auffassung, insbesondere auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH NStZ 1987,87). der sich die Jugendkammer anschließt, ist dann, wenn erstmals ein Berufungsgericht die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung angeordnet hat, nicht das Gericht des ersten Rechtszugs, sondern das anordnende Berufungsgericht für die Entscheidung über den Widerruf der Aussetzung sachlich zuständig. Die Zuständigkeit des Jugendrichters als Vollstreckungsleiter nach § 82 JGG greift erst dann, wenn ein Widerruf durch das zuständige Gericht erfolgt und rechtskräftig geworden ist.
c) Da die Entscheidung auch nicht von dem die Aussetzung anordnenden Gericht auf den Jugendrichter des AG Freyung gemäß § 58 Abs. 2 S. 2 JGG übertragen worden ist, ist dessen Zuständigkeit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gegeben.
Zur Entscheidung berufen ist mithin die Jugendkammer des Landgerichts Passau. Eine Entscheidung in der Sache kann mit dem gegenständlichen Beschluss indessen noch nicht getroffen werden, da der Verurteilte bislang keine Gelegenheit zu der zwingend vorgeschriebenen mündlichen Anhörung nach § 58 Abs. 1 S. 3 JGG hatte; diese wird zunächst nachzuholen sein.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 467 StPO analog.

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